BAG vs. Fluglotsen: Union Busting durch Schadensersatz

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Streik wegen Kleinigkeiten für illegal erklärt | FRAPORT will Sparten-Gewerkschaft GdF ruinieren

Fluglotsen-Streik: Motor starten. Stop. SignaleDas Unternehmerlager frohlockt. Streiks können in Deutschland durch den Einsatz hochbezahlter Anwälte per Gerichtsentscheid verboten werden.

Was noch schlimmer wiegt: Die Gewerkschaft soll in Zukunft für den entstandenen Schaden haften.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) erklärte am 26.7.2016 einen Streik von Vorfeldlotsen der Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) am Frankfurter Flughafen vom Februar 2012 für rechtswidrig ( 1 AZR 160/14). Angeblich hätten die Streikaktivitäten eine Verletzung der „Friedenspflicht“ bedeutet.

Die FRAPORT AG, die sich im Gefolge des deutschen Spardiktats gegen Griechenland im Dezember 2015 gleich 14 griechische Regional-Flughäfen unter den Nagel reißen konnte (tagesschau.de), will jetzt über 5 Mio. Euro von der GdF eintreiben – eine Summe, die für FRAPORT Peanuts darstellt, für die kleine Gewerkschaft mit 4.000 Mitgliedern aber existenzbedrohend ist: Gewerkschaftszerschlagung per Streikverbot und Schadensersatz.


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In dem Verfahrenskomplex ging es auch um weitere Forderungen von Lufthansa und Air Berlin gegen die GdF. Doch als „Drittbetroffene“ haben sie keinen Schadensersatzanspruch, so das Bundesarbeitsgericht.

Londoner Wirtschaftskanzlei gegen Streiks in Deutschland

Auch hinter diesem Urteil steckt Thomas Ubber aus Frankfurt, der „Rainmaker“ der internationalen Wirtschaftskanzlei Allen & Overy.  (Außerdem beteiligt: Bettina Scharff, Jutta Schneider und Thomas Engel; juve.de.) Ubber ist der Experte für Streikverhinderung. Seine Dienste werden von beinahe sämtlichen großen Playern der Transportbranche wie DB, Lufthansa, Air Berlin, Fraport in Anspruch genommen. Ubber geht seit Jahren mit gerichtlichen Verfügungen vor allem gegen streikbereite Spartengewerkschaften wie GdL, GdF, Cockpit und UFO vor. Ubber zieht aber auch gegen ver.di und die IG Metall zu Felde, wenn nötig. Durch das Konsortium, das er vertritt, dürfte Thomas Ubber Einfluss bis in höchste Regierungskreise haben.

Wir dokumentieren zum aktuellen BAG-Urteil in Sachen Fraport ./. GdF einen Beitrag von Rechtsanwalt Rolf Geffken:


Die Keule Schadensersatz

Das neue Fluglotsenurteil des BAG

Fluglotsen Streik Motor aus BAG-Urteil
Signale, mit denen Boden-Lotsen (Marshaller) Flugzeuge einweisen.

Der zentrale Satz aus dem Urteil des BAG vom 26.7.2016, Az.: 1 AZR 160/14, lautet:

„Ein Streik, dessen Kampfziel auf die Durchsetzung von Forderungen gerichtet ist, welche die in einem Tarifvertrag vereinbarte Friedenspflicht verletzen, ist rechtswidrig. Er verpflichtet bei schuldhaftem Handeln zum Ersatz der dem Kampfgegner entstandenen Schäden“.

In dem Rechtsstreit der Frankfurter Flughafengesellschaft gegen die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) ging es um den Ersatz eines angeblichen Schadens von FRAPORT. Er wurde dem Grunde nach der Gesellschaft zugebilligt. Über die Höhe des Schadensersatzes soll nun das Hessische Landesarbeitsgericht entscheiden. Dasselbe Gericht hatte zuvor einen Schadensersatzanspruch verneint. Gefordert werden 5,2 Mio Euro wegen angeblicher Einnahmeverluste des Unternehmens !

Während die Rechtsprechung einerseits ihre Linie zur Zulässigkeit gewerkschaftlicher Streiks im Laufe der Jahre nicht zuletzt als Reaktion auf die zunehmende Nutzung dieses Kampfmittels etwa bei Warnstreiks, Solidaritätsstreiks und Flash-Mob-Aktionen gelockert hatte, nutzt sie nun als „Reservekeule“ das in anderen westeuropäischen Ländern völlig unbekannte Mittel des Schadensersatzes, um die Handlungsfreiheit der Gewerkschaften gegenüber den Unternehmen erneut massiv zu beschneiden.

Aufgehängt an Nebenforderungen

Bemerkenswert ist daran, vor welchem konkreten Hintergrund dieses geschieht: Die GdF hatte nicht etwa eigene Forderungen zum Gegenstand des Streiks gemacht sondern die Empfehlungen eines unabhängigen Schlichters. Dieser hatte dabei auch Nebenforderungen mit einbezogen, für die wegen einer Teilkündigung des Tarifvertrages noch formal die Friedenspflicht galt. Was hätte die GdF tun sollen ? Nicht mehr das Gesamtpaket der Verhandlungen zum Verhandlungsgegenstand machen ?

Auch wenn es sich bei den Nebenforderungen nicht um zentrale Punkte handelte, so waren sie Teil des Gesamtpakets. Ihre willkürliche Abtrennung wäre lebensfremd gewesen und hätte zudem einen massiven Eingriff in die Koalitionsfreiheit einer Gewerkschaft bedeutet. Doch das war noch nicht alles: Der völlig zu Recht erhobene Einwand der GdF, auch bei Verzicht auf diese Forderung wäre es zum Streik gekommen und zwar mit denselben Folgen, wurde zurückgewiesen. Das – so das BAG – wäre dann ein „anderer Streik“ gewesen….

 

 

Nipperdey reloaded

Grundlage der Entscheidung war das seit den 1950er Jahren von dem Alt-Nazi Hans Carl Nipperdey – dem ersten Präsidenten des BAG – entdeckte Prinzip des „Eingriffs in den eingerichteten Gewerbebtrieb“ bei einem Streik. Schon dieser Ansatz war und ist verfassungswidrig. Streiks sind keine rechtswidrigen Eingriffe in ein angebliches und nirgendwo fixiertes „Unternehmensrecht“. Streiks sind nach dem Grundgesetz „für jedermann und alle Berufe“ gewährleistet. Sie k ö n n e n schon begrifflich keinen „Eingriff“ in Unternehmensrechte darstellen.

Während das BAG einerseits immer wieder der angeblichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei Streiks betont, scheint es bei der eigenen Rechtsprechung jede Verhältnismäßigkeit über Bord zu werfen: Wenn wegen einzelner Nebenforderungen der Streik gegen die Friedenspflicht verstoßen soll, der Streik aber auch ohne diese Forderungen durchgeführt worden wäre, ist es mehr als unverständlich, wenn dennoch der gesamte Streik rechtswidrig sein und Schadensersatzansprüche der Unternehmer auslösen soll.

Zurück in die 1950er?

Es bedarf keiner näheren Darlegung, dass solche Schadensersatzsummen, wie sie jetzt im Raume stehen, die Existenz einer Gewerkschaft nachhaltig bedrohen können. Allein d a s ist verfassungswidrig. Im übrigen sei daran erinnert: Auch das BAG war schon mal weiter. Der unselige Satz aus der ersten Streik-Entscheidung von Nipperdey 1955 über Streiks, „die im allgemeinen unerwünscht sind, weil sie volkswirtschaftliche Schäden verursachen“ galt eigentlich als überwunden. Es scheint so, als marschiere das BAG jetzt wieder zurück in diese unselige Epoche und rücke das Phantom vom „Schaden“ der Unternehmen wieder in den Vordergrund, obwohl die Reduzierung des Profits der Unternehmen beim Streik zum Wesensmerkmal des Streiks gehört. Streiks, die nicht „weh“ tun, sind keine Streiks!

Es wird Zeit, die Verteidigung des Streikrechts wieder zu einem zentralen Thema zu machen. Praktisch aber auch auf dem Wege der fachlichen Kritik an dieser Art Rechtsprechung.

RA Rolf Geffken, Hamburg


Quelle:  Rat & Tat, Juli 2016


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