Daimler: 280.000 Mitarbeiter nach Terrorlisten überprüft

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Wieviel Geheimdienst steckt in europäischen Unternehmen? Daimler-Benz begeht bei der Nutzung von US-Terrorlisten vermutlich Rechtsbruch. Eine erste Recherche

von Werner Rügemer

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Kein Terror sondern ein Verkehrsunfall, offensichtlich während der Fußball-WM (siehe Deutschlandfahne).

Am 12. November 2014 schloss der Vorstand der Daimler AG mit dem Betriebsrat eine Konzernvereinbarung. Danach wird der Abgleich der Stammdaten (Name, Geburtstag, Adresse) der weltweit 280.000 Beschäftigten mit Antiterrorlisten neu geregelt. Seit dem 1. Dezember 2014 wird die Überprüfung vierteljährlich wiederholt. Bei »Treffern« werden Gehaltszahlungen sofort gesperrt, die Mitarbeiter werden freigestellt. Sie können eine Anhörung beantragen. Sie werden, falls sich der Verdacht bestätigt, »personenbedingt« gekündigt und den zuständigen Behörden gemeldet. Grundlage dafür sind nicht nur wie bisher Antiterrorgesetze der EU, sondern auch solche der USA. Das meldete Spiegel online am 4. Januar dieses Jahres (»Angst vor Terrorismus. Daimler will Mitarbeiter durchleuchten – alle drei Monate«).

Auf Druck der USA neuen Kündigungsgrund geschaffen

Der Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler stellt fest: Auf den Listen handelt es sich »durchweg um Personen, gegen die kein konkreter Verdacht der Unterstützung terroristischer Gruppen besteht, da dann eine Straftat verwirklicht wäre, die die vorgesehenen Sanktionen überflüssig machen würde.«(01) Die EU hat also auf Druck der USA einen neuen Kündigungsgrund geschaffen: geheimdienstlich vorgegebener, unbegründeter Verdacht auf Terrorismus. Bisher bezogen sich die Unternehmen in Deutschland bei den Antiterrorüberprüfungen auf die beiden EU-Verordnungen. Freilich ist zu vermuten, dass die Namenslisten weitgehend von NSA und CIA stammen.

EU-Terror-Überprüfungen seit 2001

320px-Damaged_MercedesDie Beschäftigten von Unternehmen in den Mitgliedsstaaten der EU werden seit 2001 überprüft bzw. sollen überprüft werden, ob sie des Terrorismus verdächtig sind. Der Rat der Europäischen Union (d.h. der Rat der Minister der Mitgliedsstaaten) hat am 27. Dezember 2001 die Verordnung 2580/2001 erlassen. Sie erfolgte aufgrund einer Resolution des UN-Sicherheitsrats nach dem Attentat vom 11. September 2001 auf das New Yorker World Trade Center.


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Das in dieser Verordnung normierte Bereitstellungsverbot untersagt Personen, Organisationen und Einrichtungen finanzielle Mittel jeglicher Art Personen oder Organisationen, die des Terrorismus verdächtigt werden, zugute kommen zu lassen. Es gilt uneingeschränkt für alle Unternehmen in Deutschland und erfasst auch Gehaltszahlungen an Mitarbeiter. Terroristen soll der Geldhahn zugedreht werden. So erfüllten die Europäische Kommission und die EU-Regierungschefs unmittelbar nach den Anschlägen in New York die Forderungen und Vorgaben der US-Regierung.

Mit der Verordnung 881/2002 präzisierte der EU-Rat das Spektrum der finanziellen und geschäftlichen Transaktionen. Dazu gehört eine Liste mit den Namen von vielen hundert (angeblichen) Mitgliedern von Al-Qaida und der Taliban. Warum sie des Terrorismus verdächtigt werden oder schon terroristisch tätig waren – dazu gibt es keine Angaben. Die Liste wird alle paar Wochen aktualisiert.

(Foto: Pujanak, Lizenz: public domain)Der Deutsche Bundestag hat die EU-Verordnungen in das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) übernommen: Wenn ein Unternehmen die Überprüfungen unterlässt, macht es sich nach Paragraph 17 strafbar. Laut dem Leitfaden »Antiterrorgesetzgebung« der »Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände« (BDA) vom 4. Februar 2014 sind in die Überprüfung auch Leiharbeiter, Leiharbeitsfirmen und Neubewerber einzubeziehen. Zudem haben hier nach Auffassung der BDA Betriebsräte kein Mitbestimmungsrecht, weil es sich um »außerbetriebliches Verhalten« der Beschäftigten handle.

Neu an der Konzernvereinbarung von Daimler ist allerdings, dass sie auch »zwingende Gesetze« aus den USA einbezieht, wie mir Daimler-Sprecherin Ute Wüest von Vellberg mitteilte. Sie konnte aber auf Nachfrage keines dieser US-Gesetze benennen. Ähnlich ahnungslos gibt sich die BDA. Eva Barlage-Melber, Referentin der dortigen Abteilung Arbeits- und Tarifrecht, hat zwar von der Einbeziehung der US-Gesetze »gehört«, wie sie mir mitteilt, erklärt aber: »Dazu kann ich Ihnen nichts sagen, wir haben nur das EU-Recht im Fokus.« Sie verweist weiter auf den BDA-Leitfaden von 2014, in dem nur von EU-Verordnungen die Rede sei. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) teilt mit: »Die US-amerikanischen Vorschriften zur Ausgestaltung von Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung sind mir nicht bekannt.« Das Bundeskanzleramt spielte die drei Affen: Wir hören nichts, wie wissen nichts, wir antworten nicht.

Bei Daimler wird infolge der Betriebsvereinbarung seit dem 1. Dezember 2014 in mancher Hinsicht neu verfahren. Bisher war eine jährliche Überprüfung üblich – bei Daimler wird sie jetzt viermal im Jahr durchgeführt. Zudem kontrolliert der Konzern die lohnabhängig Beschäftigten nach einem anderen Verfahren als die leitenden Angestellten. In der Spiegel online-Meldung heißt es, dass für letztere zwar eine gesonderte Regelung gelte, die aber »faktisch den gleichen Inhalt hat, wie die Betriebsvereinbarung« – dann bleibt offen, warum es trotzdem zwei unterschiedliche Verfahren gibt. Hinzu kommt, dass der Abgleich mit den Terrorlisten bisher Aufgabe der Banken war. Sie haben die Beschäftigten überprüft, die bei ihnen das Gehaltskonto hatten, auf die die Unternehmen Gehälter und andere Zahlungen überwiesen. Das ist bei Daimler jetzt anders: Die Abgleichung wird »intern« vorgenommen, auf die Banken könne man sich nicht verlassen, so Wüest von Vellberg. Daimler-Rechtsvorstand Christine Hohmann-Dennhardt verteidigt das laut Spiegel online, »man werde mit den Daten sorgfältig umgehen«.

False Flag: Der »Patriot Act«

Crashed_Mercedes-Benz_vehicles-cutWas immer mit »zwingenden Gesetzen« aus den USA gemeint ist – sie gehen auf den »Patriot Act« (Heimatschutzgesetz) zurück. Dieses nach dem Anschlag in New York 2001 verabschiedete Gesetz schränkt die Bürgerrechte erheblich ein. Danach dürfen FBI, CIA und NSA alle Daten von Kommunikationsmitteln und Konten von irgendwie als Terroristen oder als deren Helfer Verdächtigten auch ohne richterliche Erlaubnis abschöpfen. Den Diensten ist es erlaubt, US-Bürger ebenso wie ausländische zu überwachen.

Schließlich greifen nach US-Gesetzen NSA und CIA ohne richterliche Anordnung kontinuierlich auf Daten von Unternehmen zu, nicht nur in den USA selbst, sondern auch von Niederlassungen in anderen Staaten, z. B. in der Europäischen Union und in Deutschland. Das betrifft etwa international aktive US-Konzerne in der Internetbranche wie Google, Microsoft und Yahoo.(02)

Allerdings schöpfen US-Geheimdienste seit spätestens 2007 auch Software und Daten von Industrieunternehmen und zivilen Infrastruktureinrichtungen in anderen Staaten ab. Das gilt etwa für Krankenhäuser, Elektrizitätswerke und Energienetze. Bei Unternehmen wurde dies beim belgischen Stromkonzern Belgacom und beim Stromnetz der Republik Österreich bekannt.(03)

Das US-Handwerkszeug ist vielfältig. Da gibt es eine Liste des Amtes für die Kontrolle von Auslandsvermögen, das dem US-Finanzministerium untersteht. Diese Aufstellung von »Specially Designated Nationals and Blocked Persons« (SDN) enthält Sanktionsprogramme für feindliche Staaten. Auf der »Denied Persons List« (DPL) nennt das dem Handelsministerium zugehörige Büro für Industrie und Sicherheit (BIS) Personen, mit denen keine Geschäfte gemacht werden dürfen. Die »Entity List« führt zusätzliche Verpflichtungen für Personen und Unternehmen zugunsten der »Sicherheit« auf. Die »Consolidated Screening List« (CSL) des Handels-, Außen- und Schatzministeriums regelt das Verbot der Lieferung an bestimmte Exportziele. Diese Listen und die daraus sich ergebenden Verpflichtungen betreffen sowohl Bürger und Unternehmen der USA als auch solche in anderen Staaten.

Ein anderes Instrument sind die AEO-Zertifikate. AEO ist die Abkürzung für Authorized Economic Operator, zu deutsch »zugelassener Wirtschaftsbeteiligter«. Diese Zertifikate bekommen die Unternehmen von den Hauptzollämtern ausgestellt, wenn sie Zahlungsfähigkeit und die Einhaltung von Rechts- und Sicherheitsvorschriften nachweisen. Das vereinfacht die Zollabfertigung. Es wurde in der EU 2004 eingeführt. Allerdings wurde diese Art Beglaubigung inzwischen an die US-Variante Customs Trade Partnership Against Terrorism (C-TPAT) angepasst: Die Namen der Beschäftigten müssen auch mit US-Terrorlisten abgeglichen werden, wenn die USA bei Ex- und Importen betroffen sind.

War on Terror – ein endloser Kampf

Bekanntlich ist der von den USA inszenierte und angeführte »Kampf gegen den internationalen Terrorismus« (Global War on Terrorism, GWOT) so angelegt, dass er niemals gewonnen werden soll: Die Täter sind überall und nirgends, werden teilweise von den Diensten der USA und der EU-Staaten trainiert, ausgerüstet, (teil- und zeitweise) gelenkt, mal erfunden, wieder ausgeschaltet und getötet (z. B. Osama bin Laden, Saddam Hussein). Das Potential ist aufgrund der »westlichen« Militär- und Geheimdienstpraktiken unerschöpflich.

Ziel und Struktur dieses inszenierten Kampfes unter falscher Flagge sind mit dem »Krieg gegen die Drogen« (War on Drugs) vergleichbar: Der wurde in den USA unter Präsident Nixon 1971 ausgerufen und soll ebenfalls nie zu Ende gehen. Der Zweck ist ein andere als der behauptete, nämlich die militärisch-geheimdienstlich-kommerzielle Unterwanderung lateinamerikanischer Staaten und Milieus, um für CIA und »normale« Unternehmen neue Geschäftsfelder zu erschließen, Untergrundkontakte zu etablieren, Regierungen zu erpressen oder auch zu stürzen und neue ins Amt zu putschen.(04)

Musterschüler in den Fächern Arbeitsrechts-Dumping, Bestechung, Steuervermeidung

320px-Unfall_A99_Mercedes_mit_eingedrueckter_SchnauzeDer Daimler-Konzern scheint besonders geeignet, in Deutschland und weltweit Interessen der US-Regierung durchzusetzen. Sprecher Florian Hofmann sagte dem Sender n-tv am 4. Januar 2015, der Konzern setze die US-Gesetze »frühzeitig« um, andere würden mit ähnlichen Verfahren »nachziehen«.

Das Unternehmen ist vielfach vom Wohlwollen der USA abhängig. Es untersteht der strengen US-Börsenaufsicht, da die Aktien in New York gelistet sind, und betreibt zehn Niederlassungen in den USA mit 17.000 Mitarbeitern. Es profitiert von staatlichen Zuschüssen und Steuererleichterungen, die weiter reichen als in Deutschland und sonst in der EU. Zudem kommen ihm die besonders niedrigen Arbeitsrechtsstandards in den Vereinigten Staaten zugute. Das gilt vor allem in den »Right to work«-Staaten: Acht der zehn Daimler-Niederlassungen agieren in solchen Bundesstaaten, in denen es fast keine Gewerkschaften gibt oder deren Rechte stark eingeschränkt sind, in denen die Löhne unter jenen im Rest der USA liegen und noch viel niedriger sind als in Deutschland.(05) Der Umsatz in den USA ist größer als in Deutschland.

Wenn bei Daimler von »zwingenden Gesetzen« die Rede ist, hat das ein besonderes Geschmäckle, sie sind es eigentlich immer. Aber es gab schon mal Gesetze, die für den Konzern keineswegs »zwingend« waren. Nach jahrelangen Ermittlungen der US-Justiz und der Börsenaufsicht gab Daimler 2010 zu, dass während des letzten Jahrzehnts bei mehr als 200 Transaktionen Regierungsmitglieder und Beamte in 22 Staaten bestochen wurden, z. B. in Kroatien, Russland, China, Vietnam, Nigeria, Ungarn, Bosnien, Turkmenistan, Irak. Auf diesem Wege hat die Aktiengesellschaft Autos und Busse zu überhöhten Preisen verkauft. Dafür hat Daimler Briefkastenfirmen in der US-Finanzoase Delaware und US-Bankkonten benutzt und gegen das Antibestechungsgesetz »Foreign Corrupt Practices Act« (FCPA) verstoßen. Das sei »Standardgeschäftspraxis« gewesen, hieß es damals. Der Konzern konnte sich, wie in den USA üblich, von einer Verurteilung freikaufen, indem er einem Vergleich zustimmte: einer Strafzahlung von 93,6 Millionen Dollar und einer Gewinnabführung von 91,4 Millionen.(06) Danach zog sich Daimler zurück, um den strengen Kontrollen zu entgehen.

Das Deckmäntelchen namens Compliance

Damaged_Mercedes-Benz_SUVDer Vergleich beinhaltete indes weitere Auflagen. Daimler musste für den Gesamtkonzern nach US-Vorschriften eine Compliance-Abteilung einrichten: Die soll darüber wachen, dass bei allen Konzernhandlungen Gesetze und Richtlinien eingehalten werden, und ist somit auch für die Regelungen des Datenschutzes zuständig. 2011 holte man sich die Bundesverfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt als Vorstandsmitglied und Leiterin der Compliance-Abteilung an Bord. Sie wurde bis 2013 unter die Aufsicht des ehemaligen FBI-Direktors Louis Freeh gestellt und ist weiter verpflichtet, den US-Behörden zu berichten. 2013 hatte Aufpasser Freeh seine Aufgabe erfüllt, blieb dem Unternehmen aber als Antikorruptionsberater erhalten. Auch der Vertrag Hohmann-Dennhardts wurde verlängert. Untertürkheimer Spatzen flüstern von den Dächern der Montagehallen, dass die hochrangige Juristin wegen ihres Renommees geholt wurde, sich aber nicht unbedingt in den Tiefen der geheimdienstverbunden Datentricks auskennt.

Daimler-Chef Dieter Zetsche hat sich zu den US-Ermittlungen die unverbindliche Bemerkung abgerungen: »Wir haben daraus viel gelernt.« Hat er gelernt, sich US-Forderungen nun ganz zu unterwerfen? Daimlers Hauptaktionäre – US-Großinvestor Blackrock und der Staat Kuwait – stellen sicher auch kein Hindernis für die Befolgung ungenannter zwingender Gesetze aus den USA dar.

Nur ein einziger Treffer dank Terrorlisten – dafür aber Verfassungsbruch und massive Verstöße gegen Datenschutz

Mercedes_-8_(2497401021)Kein Rechtsakt der Europäischen Union, der BRD oder sonst eines EU-Mitgliedsstaates ermöglicht die direkte Umsetzung von US-Gesetzen bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Am 19. Juni 2012 entschied der Bundesfinanzhof, dass für die AEO-Zertifikate die Überprüfung von Mitarbeitern anhand von Terrorlisten zulässig ist. Dem Urteil lagen nur die EU-Listen zugrunde. Daimler setzt sich nun darüber hinweg. Dies gilt dann nicht nur für Deutschland, sondern überall in der EU, in Asien, Afrika und Südamerika, überall dort, wo der Autobauer produziert und verkauft.

Nach bisheriger Kenntnis bestanden beim Abgleich mit den Antiterrorlisten schon vorher erhebliche Rechtsunsicherheiten. Unklar sind die getrennten Verfahren für lohnabhängig Beschäftigte und für die leitenden Angestellten. Unklar ist, was der interne Datenabgleich mit sich bringt, denn die Banken führen die Überprüfungen sowieso weiter. Daimler argumentiert: »Das Gehalt muss nicht unbedingt auf das Konto des Arbeitnehmers gehen, das kann ja auch ein anderes Konto sein, aber wir stehen in der Verantwortung und haften für Fahrlässigkeit.«(07) Daraus ergeben sich Fragen. Forscht der Konzern etwa auch Verwandte und Freunde der Beschäftigten ebenso wie Zulieferer und Kunden aus? Werden private Beratungsfirmen von außerhalb hinzugezogen? Bestehen direkte oder indirekte Kontakte zu US-Geheimdiensten?

Der Datenschutzbeauftragte von Baden-Württemberg, Jörg Klingbeil, bemerkt zur Transparenz bei der Erstellung der Listen und zu den Möglichkeiten des individuellen Rechtsschutzes für die Betroffenen vorsichtig: »Hierzu besteht meinerseits noch Gesprächsbedarf mit der Fa. Daimler«.(08)

Seit 2001 hat es bei Daimler, soweit bekannt, einen einzigen »Treffer« gegeben: Ein türkischer Mitarbeiter soll Al-Qaida Entfernungsmess- und Nachtsichtgeräte beschafft haben, berichtete die Süddeutsche Zeitung am 17. Januar. Dazu Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler: »Angesichts der minimalen Wahrscheinlichkeit, dass sich unter den eigenen Beschäftigten in Deutschland jemand befindet, der mit einer auf der Liste stehenden Person identisch ist, stellt dies jedoch einen unverhältnismäßigen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht dar. Auch ist zu berücksichtigen, dass angesichts der unsicheren Schreibweise der in aller Regel arabischen Namen mit Pseudotreffern zu rechnen ist«.(09)

Zur Verfassungswidrigkeit antwortete Stefan Brink, Leiter der Abteilung »Privater Datenschutz« beim Landesbeauftragten für den Datenschutz Rheinland-Pfalz auf Nachfrage: »Eine Betriebsvereinbarung, die den Abgleich mit Sanktionslisten vorsieht, die in Deutschland keine Rechtswirkung entfalten (insbesondere US-Sanktionsregelungen), verstößt gegen höherrangiges Recht (hier: Bundesdatenschutzgesetz Paragraphen 32 und 28), verletzt die informationelle Selbstbestimmung betroffener Beschäftigter und Bewerber und ist daher unwirksam.«

Gewerkschaften schweigen (bisher)

320px-Destroyed_Merceses_Benz_(1)Die Gewerkschaften halten den Abgleich mit den US- und EU-Terrorlisten bisher für notwendige Routine. Die Beschäftigten haben davon ja auch nichts weiter bemerkt, weil Banken abseits der Betriebe den Abgleich vornehmen.

Der Vorsitzende des Daimler-Konzernbetriebsrats, Jörg Spies, nannte die neue Konzernvereinbarung gegenüber Spiegel online einen »Leuchtturm zum Schutz der Beschäftigten«. Die bei Daimler traditionell verankerte IG Metall erklärte, sie nehme »zur Kenntnis, dass global tätige Konzerne weltweiten Rahmenbedingungen unterliegen. Dazu gehört u. a. der Abgleich mit Terrorlisten mit Personendaten (…) Der Schutz der Arbeitnehmerdaten ist für die IG Metall ein hohes Gut (…) Die IG Metall begrüßt, dass der Betriebsrat von Daimler diese Punkte mit einer Betriebsvereinbarung umgesetzt und seine Mitbestimmungsrechte wahrgenommen hat«.(10) Die Frage, was sich durch die Einbeziehung von US-Gesetzen ändert und ob dies überhaupt verfassungsgemäß ist, stellt die IG Metall nicht.

Der DGB-Bundesvorstand antwortete auf die vom Autor gestellte Frage, ob es in Deutschland weitere Unternehmen mit solchen Vereinbarungen gebe und ob die Anwendung von US-Gesetzen in Deutschland verfassungsgemäß sei, wie folgt: »Leider können wir Ihnen keine Auskünfte geben«, und verwies dann auf das Kontaktformular der IG Metall.

Wenn die Betriebsvereinbarung, die Zusammensetzung der internen »kleinen Gruppe« und ihre Arbeitsweise nicht offengelegt werden, kann man viel über den Schutz der Beschäftigten erzählen – gerade in einem Konzern, der schon mal zwischen Gesetzen und »zwingenden« Gesetzen unterscheidet.

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Die Fotos zeigen Mercedes-Fabrikate nach Verkehrsunfällen. Quelle: wikicommons.

Fußnoten
01

Wolfgang Däubler: Gläserne Belegschaften? Frankfurt/Main 2014, S. 621

02

Matthias Kremp u. a.: Projekt PRISM: US-Geheimdienst späht weltweit Internetnutzer aus, Spiegel online, 7.6.2013

03

Svea Eckert/Alexandra Ringling/James Bamford: Schlachtfeld Internet. Ausgestrahlt im NDR/ARD am 12.1.2015

04

Alexander Cockburn/Jeffrey St. Clair: The CIA, Drugs and the Press. New York 1998; Douglas Valentine: The Strength of the Wolf. The Secret History of America’s War on Drugs. New York 2004

05

Werner Rügemer/Elmar Wigand: Union Busting in Deutschland. Otto-Brenner-Stiftung der IG Metall, Arbeitsheft Nr. 77, Frankfurt/Main 2014, S. 15-19

06

United States of America, District of Columbia vs. Daimler AG, Notice of Filing of Deferred Prosecution Agreement, 24.3.2010

07

Claudia Burger: Firmen setzen auf Mitarbeiter-Screening, VDI-Nachrichten 16.1.2015

08

Baden-Württemberg, Der Landesbeauftragte für den Datenschutz, Schreiben an Werner Rügemer vom 19.1.2015

09

Däubler, S. 622

10

Burger: VDI-Nachrichten, 16.1.2015


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