Billiges Fleisch: Lohnsklaven im Schlachthof-Dschungel

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In der hoch profitablen Fleischindustrie herrschen fürchterliche Verhältnisse

Chicago 1909, Arbeit im Schlachthof (Quelle: Wikicommons)
Chicago 1909, Arbeit im Schlachthof (Quelle: Wikicommons)

Die technische Entwicklung der industriellen Produktivkräfte schreitet unaufhörlich voran – für die Qualität der Arbeitsbedingungen und den Arbeitsschutz gilt das nicht unbedingt. Sie scheint sich eher im Kreis zu drehen. Seit über 100 Jahren ist von Sklaverei die Rede, wenn es um die Beschreibung der Arbeit in Schlachthöfen geht.

Der amerikanische Sozialist Upton Sinclair landete mit seinem Roman The Jungle 1906 einen weltweiten Bestseller. Sinclair hatte für die Recherche seines Werks sieben Wochen lang im Armour Trust, einer der größten Fleischfabriken Chicagos, gearbeitet. Sein im Stil des sozialistischen Realismus geschriebenes Buch schlug ein wie eine Bombe. Der Absatz amerikanischer Fleischkonserven und anderer Produkte aus den Union Stock Yards Chicagos sank schlagartig. Der Roman beschreibt, dass Arbeiter in Bottiche fielen und eingedost wurden.
Der Ekel über das Essen führte damals zu einer verschärften staatlichen Kontrolle durch die Zentralregierung, deren Stoßrichtung lag aber in Hygiene und Produktqualität nicht in einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen. The Jungle erschien bereits 1906 in deutscher Übersetzung und war auch hier äußerst populär.

Business Crime am Niederrhein

Am Montag, den 24. Juni 2013 stand die Ausbeutung in Schlachthöfen, diesmal nicht in Chicago sondern illustren Städten wie Vechta, Waldkraiburg und Rheda-Wiedenbrück, wieder auf der politischen Agenda: „Lohnsklaven in Deutschland – miese Jobs für billiges Fleisch“, hießt der Titel einer NDR-Reportage, die von der ARD ausgestrahlt wurde.

Kurz darauf wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaften Oldenburg und Düsseldorf bereits im Mai 2013 eine bundesweite Razzia gegen kriminelle Netzwerke rund um Schlachthöfe organisiert hatten (Meldung ndr.de vom 22.06.2013). 450 Polizisten, Zollbeamte, Steuerfahnder und Staatsanwälte hätten damals – offenbar ohne jede Öffentlichkeit – an 90 Orten Büros und Wohnungen durchsucht. Die Ermittler gingen dem Verdacht nach, dass mit dem Einsatz von Arbeitern aus Rumänien, Ungarn und Polen Steuern und Sozialabgaben in Millionenhöhe hinterzogen würden. Es werde gegen 22 Beschuldigte und ein Firmengeflecht von rund zwei Dutzend Unternehmen ermittelt. Durchsuchungen gab es demnach in der Region Duisburg, Kamp-Lintfort, Moers.


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Dort am Niederrhein scheint ein krimineller Knotenpunkt der Fleischindustrie und ihrer Schlepperbanden zu liegen. Wie das österreichische Fachblatt Fleischerzeitung am 24. 06. 2013 berichtete, hatten deutsche Ermittler mit einer ähnlichen Durchsuchungsaktion bereits vor sieben Jahren die Branche der Menschenhändler für die Fleischindustrie aufgeschreckt. Ein Verleiher aus Mönchengladbach wurde daraufhin im Jahr 2010 vom Düsseldorfer Landgericht zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt.

Fabelhafte Produktionsbedingungen

Nicht nur osteuropäische Wanderarbeiter lassen sich mangels Perspektive und Alternativen nach Deutschland locken. Ausländische Schlachtkonzerne wie Tulip und Danish Crown haben sich wegen der für sie günstigen Arbeitsverhältnisse in Deutschland angesiedelt bzw. deutsche Schlachthofketten wie Moksel, Nordfleisch und Südfleisch aufgekauft. Danish Crown etwa hat sich einen Schlachthof in Essen einverleibt: Von dessen 1.200 Mitarbeitern kommen jetzt 1.000 als Niedriglöhner über Werkverträge vornehmlich aus Osteuropa. Von den 6000 Mitarbeitern der Schlachtkette Tönnies – Nr. 2 der Branche, bekannt durch den Schalke Boss Clemens Tönnies – , sind lediglich 2.400 beim Unternehmen angestellt. Marktführer in Deutschland ist Vion Food Group mit Sitz in den Niederlanden.

Die Bundesrepublik wurde auf Kosten anderer EU-Staaten inzwischen zum führenden Fleischexportland entwickelt. Von 6,8 Millionen Tonnen Schlachtfleisch gingen laut Verband der Fleischwirtschaft im Jahr 2011 2,8 Millionen ins Ausland. Der Export in mittlerweile 120 Länder – darunter nach Russland, China, Südkorea, Japan – wird über „German Meat“ koordiniert. Die belgische Regierung kündigte bereits eine Dumping-Klage bei der EU-Kommission an; massiver Protest gegen die Politik deutscher Schlachthöfe ist auch aus österreichischen Regierungskreisen zu vernehmen.

Wir müssen Widerstand leisten

Oskar Schwarz: Amerikanische Großschlächterei, Skizze um 1903.
Oskar Schwarz: Amerikanische Großschlächterei, Skizze um 1903. (Quelle: wikicommons)

Die Branche konnte ihren Umsatz von 2005 bis 2011 um ein Viertel auf 34,6 Mrd. Euro steigern. Man dürfte zufrieden sein. Doch die Alarmglocken begannen zu läuten, als der ARD-Talker Günter Jauch das Thema am Sonntagabend aufgriff („Lohnsklaven und Menschenschinder„) und selbst in der unternehmerfreundlichen Qualitätspresse Sätze wie die folgenden zu lesen waren: „Sie leben in engen Unterkünften, etwa mit acht Mann in einem Vierbettzimmer – von denen dann vier tagsüber, vier in der Nachtschicht am Fließband zum Beispiel Putenteile zerlegen“, schreibt die FAZ am 24. 06. 2013. „Der Landkreis Vechta überprüfte unlängst nach Worten eines Sprechers mehr als 120 Unterkünfte von insgesamt rund 1300 Arbeitern. An einem Hauseingang hätten allein 70 Namen gestanden. Für diejenigen Zimmer, in denen die hygienischen Bedingungen unzureichend waren, untersagte der Kreis die Nutzung – für rund 400 Schlafplätze.“ Peter Kossen, katholischer Priester aus Vechta, wird mit folgenden Sätzen zitiert: „Das ist moderne Sklaverei. Wir müssen eindeutig Widerstand leisten.“

Unter dem Druck von Öffentlichkeit, Medien, ausländischen Regierungen und Staatsanwaltschaften kamen Vertreter der sechs größten Fleischkonzerne wie PHW (Wiesenhof), Tönnies oder Danish Crown mit der rot-grünen Landesregierung im Juni in Niedersachsen überein, dass „fast alle“ einen bundesweiten Mindestlohn für Schlachthöfe zustimmen würden, zudem solle die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten erhöht werden. Hier ist viel Luft nach oben: In deutschen Schlachthöfen arbeiten nur noch 20 Prozent Festangestellte, 5 Prozent Leiharbeiter und 75 Prozent Werkvertragler. Insgesamt sind in der Branche ca. 30.000 Personen beschäftigt.

Krank durch Arbeit – krank zur Arbeit?

Dass die Empörung der FAZ sich vornehmlich an den erbärmlichen Wohnbedingungen der Wanderarbeiter entzündet, also an Zuständen außerhalb der Fabriken, ist sicher kein Zufall. Der Produktionsbereich selbst soll in Deutschland unangetastet bleiben, Werkstore und Werkschutz das private Reich der Unternehmer möglichst hermetisch verschließen. Eine Broschüre der NGG aus dem Jahr 2012 („Wenig Rechte, wenig Lohn“) lüftet den Schleier ein wenig . Besonders sticht hier – neben den haarsträubend niedrigen Löhnen und unmenschlichen Arbeitszeiten – der Umgang mit Krankheit hervor. Laut NGG bekamen die Werkvertrag-Arbeiter(innen) in einem recherchierten Fall weder Krankheits- noch Urlaubstage bezahlt, noch waren sie krankenversichert.

Wer sich an einem der scharfen Messer verletzt, habe Pech gehabt: Bezahlt werde nur der Tag es Unfalls. Der rumänische Werkvertragsarbeiter Cosmin Sandulache gab zu Protokoll: „Einmal musste ein Kollege nach einem Unfall eine Woche im Krankenhaus verbringen. Der hat 1300 Euro dafür zahlen müssen.“ Solche Unfälle dürften bei hohem Arbeitsdruck und Schichten von manchmal 16 Stunden am Tag nicht selten sein. Wozu mangelhafte bis nicht vorhandene Regelungen für den Krankheitsfall beinahe zwangsläufig führen, dürfte klar sein: Die Arbeiter, die große Strapazen – mitunter Schulden bei den Schleppern – auf sich genommen haben, um in Deutschland ihre Haut zu verkaufen, gehen mangels Alternative krank zur Arbeit. Ein besonderes Krankheitsrisiko bergen zudem die vorgeschriebenen Niedrigtemperaturen in Schlachthöften (je nach Fleischart nicht unter + 3 °C bis + 7 °C , Tiefkühlung bei -18 °C)

Jurgis Rudkus, der litauische Protagonist aus dem Roman The Jungle, würde sich in den deutschen Schlachthöfen des Jahres 2013 auf unangenehme Art wie zu Hause fühlen. Upton Sinclair lässt ihn miterleben, wie tuberkulosekranke Arbeiter in den Chicagoer Schlachthöfen ins Fleisch husteten.

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Der Artikel erschien in gekürzter Form in der Gewerkschaftsbeilage der Tageszeitung junge Welt vom 25. September 2013.

Tipp zum Anschauen:

NDR, die story im Ersten: Lohnsklaven in Deutschland – miese Jobs für billiges Fleisch,  Erstausstrahlung: ARD 24. Juni 2013.


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