Union Busting-News 4/23: Hello Fresh, Spotify, Amazon, Zugkatastrophe Ohio

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Union Busting-News mit Jessica Reisner. Arbeitsunrecht und Betriebsratsbehinderung in Deutschland.

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  • Hello Fresh/ Beschäftigte wählen Wahlvorstand
  • Spotify / Kündigungswelle bereitet Boden für Betriebsratsgründung
  • Amazon  / Verwaltungsgericht Hannover segnet ständige Überwachung ab
  • Betriebsratswahlen 2022 / Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft
  • Zugkatastrophe in Ohio / Gewerkschafter warnten vor Unfallrisiko – Lobbyisten verhinderten bessere Bremssysteme

Hello Fresh: Beschäftigte wählen Wahlvorstand

Berlin: Am 07.02.2023 haben die Initiator:innen der Betriebsratsgründung beim Lieferdienst Hello Fresh erfolgreich eine zweite Wahlversammlung organisiert, so die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi.

Bereits im Juni 2022 hatten die Initiatorinnen und Initiatoren einen ersten Anlauf zur Wahl eines Betriebsrats gestartet. Hello Fresh reagierte jedoch mit einer massiven Desinformationskampagne. Viele Beschäftigte folgten dem damaligen Aufruf des Arbeitgebers und gaben leere oder ungültige Stimmzettel ab – die Wahl eines Wahlvorstands war damit gescheitert.


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Verdi beantragte deshalb die Einsetzung eines Wahlvorstands durch das Berliner Arbeitsgericht. Hello Fresh akzeptierte dieses Vorgehen nicht und kündigte an Beschwerde einzulegen. Daraufhin entschieden die Initiator:innen es noch einmal selbst zu versuchen. Die zweite Wahlversammlung gelang und endlich kann die Betriebsratsgründung weiter voran getrieben werden.

Spotify: Kündigungswelle bereitet Boden für Betriebsratsgründung

Deutschland: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des börsennotierten Audio-Streaming-Dienst Spotify haben beschlossen, einen Betriebsrat zu gründen.1 Vorausgegangen war die Ankündigung des Managements 6% der Beschäftigten zu entlassen, so Verdi.

Zuletzt hatten sich auch Beschäftigte von twitter nach einer massiven Kündigungswelle zur Gründung eines Betriebsratsrats in Deutschland entschieden.

Es ist schade, dass Betriebsräte hier auf die Funktion von Feuerlöschern für den worst case reduziert werden. Gerade jüngeren Lohnabhängigen scheint oft nicht klar zu sein, dass aktive Betriebsräte enorme Verbesserungen für Beschäftigte durchsetzen können. Das Betriebsverfassungsgesetz kann eine scharfe Waffe sein, die Lohnabhängige nicht ungenutzt lassen sollten.

Nichts desto trotz senden wir natürlich solidarische Grüße an die spotify-Beschäftigten und wünschen viel Erfolg bei der Betriebsratsgründung.

Amazon: Verwaltungsgericht Hannover segnet ständige Überwachung ab

Winsen bei Hannover: Amazon darf die Mitarbeiter in seinem Logistikzentrum weiterhin engmaschig überwachen. So eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover, über die die tageszeitung taz berichtete 2

Das Gericht befasste sich mit einer Klage von Amazon gegen die niedersächsische Landesdatenschutzbeauftragte Barbara Thiel. Diese hatte Amazon 2017 untersagt, in seinem Logistikzentrum in Winsen aktuelle und minutengenaue Quantitäts- und Qualitätsdaten seiner Beschäftigten zu erfassen.

Dabei sind die Bewegungsdaten der Beschäftigten gewissermaßen nur Beifang. Damit amazon stets weiß, wo Ware sich in dem riesigen Lager aktuell befindet, wird die Ware an jeder Station, bei jedem Arbeitsschritt gescannt.

Dadurch erhält Amazon auch Daten darüber, wie schnell und gut ein Beschäftigter aktuell an einer bestimmten Stelle des Lagers arbeitet. Mit Hilfe der gesammelten Daten wird Personal disponiert, der Durchsatz an verschiedenen Arbeitsplätzen kontrolliert und der Betriebszustand des ganzen Logistikzentrums festgehalten. Amazon nutzt die erhobenen Daten allerdings auch für Feedback-Gespräche und Entscheidungen zu Vertragsverlängerungen.

Der Vorteil der Datensammlung für Amazon liegt auf der Hand. Fraglich ist bloß, ob dieser Vorteil einen derart weitreichenden Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung rechtfertigt. Die Datenschutzbeauftragte bezweifelt das und wollte das ununterbrochene Scannen der Ware verbieten. Sie kann jetzt noch Berufung gegen das Urteil einlegen.

Analyse Der Betriebsratswahlen 2022: Immer weniger Betriebsräte

Deutschland: Das Institut der deutschen Wirtschaft hat die Betriebsratswahlen 2022 ausgewertet und kommt unter anderem zu folgenden Ergebnissen:

  • nur noch 8% der Betriebe haben einen Betriebsrat
  • in Westdeutschland sind nur noch 39% der Beschäftigten durch Betriebsräte vertreten, in Ostdeutschland 34%
  • über alle Betriebsgrößen hinweg gaben nur 69% der Wahlberechtigten Stimmen ab, die höchste Wahlbeteiligung gab es in kleineren Betrieben mit bis zu 249 Beschäftigten3

Als Gründe für den Rückgang werden Betriebsschließungen und zu wenige Neugründungen genannt.

Wenn Ihr Beratung und Begleitung für eine Betriebsratsgründung sucht, findet Ihr unsere Kontaktdaten hier

Ohio: Wäre das Zugunglück vermeidbar gewesen?

USA: Am 03.02.2023 entgleiste in Eastpalestine in Ohio ein Zug. 20 von 141 Waggons waren mit hochentzündlichen Chemikalien beladen. 5 Waggons davon wie Vinylchlorid. Ursache der Entgleisung ist vermutlich mechanisches Versagen der Achse. Ein vermeidbarer Fehler, der bei Ausstattung mit moderner Technik nicht zu einer Entgleisung führt.

Die Behörden entschieden sich zum Abfackeln des Vinylchlorids und setzten damit enorme Mengen der hochgiftigen Chemikalien Chlorwasserstoff und Phosgen frei. 4 Phosgen wurde im Ersten Weltkrieg als chemischer Gaskampfstoff eingesetzt.

Es steht zu befürchten, dass durch den Unfall und das Verbrennen von 5 Waggonfüllungen Vinylchlorid eine verheerende Umweltkatastrophe ausgelöst wurde. Und die wäre möglicherweise vermeidbar gewesen.

Mehr Tonnage, weniger Personal und Inspektionen

Die gewerkschaftsübergreifende Vereinigung Railroad Workers United hatte genau vor einem solchen Unfall gewarnt. In den letzten 10 Jahren hätten die US-Bahnunternehmen der Klasse 1, also der größten Gütertransporteisenbahnen, sowohl die Länge als auch die Tonnage der durchschnittlichen Züge drastisch erhöht. Der verunglückte Zug sei, so die Eisenbahnervereinigung, ein typisches Beispiel dafür.

Gleichzeitg zur Erhöhung der transportierten Mengen jedoch reduzierten die Klasse- 1 Bahnunternehmen Wartungen, Inspektionen und Personal. Die Gewinnmaximierung würde auf Kosten der Sicherheit der Arbeitnehmer und der Öffentlichkeit betrieben, so die Railroad Workers. Überlastete und erschöpfte Arbeitnehmer bedeuten mehr gefährliche Situationen – auch weil Bahnbeschäftigte in den USA keinen Anspruch auf Urlaubs- und bezahlte Krankheitstage haben.5

Lobbyisten verhinderten bessere Bremssysteme

Das National Transportation Safety Board (NTSB) hatte bessere Bremsen für einige Züge gefordert. Lobbyisten verhinderten jedoch neue Sicherheitsvorschriften für Eisenbahnwaggons, die gefährliche, entflammbare Chemikalien transportieren. Nach den aktuellen Vorschriften, war der verunglückte Zug nicht als hochgefährlich und entflammbar eingestuft.6

Laut US-Behörden gibt es für zurückkehrenden Bewohner keine Gefahr mehr. Im Internet wird diese Meldung angesichts toter Fische und vergifteter Haus- und Nutztieren allerdings bezweifelt. Einige Kommentatoren befürchten eine Umweltkatastrophe, die sowohl die Trinkwasserversorgung von Millionen Amerikanern und eine der fruchtbarsten Agrarflächen der USA betreffen könnte.

Die Berichterstattung über den Vorfall in den USA lief nur schleppend an. Ein Reporter, der über die Katastrophe berichten wollte, war zwischenzeitlich inhaftiert. In Deutschland berichten die Öffentlich Rechtlichen Sender bestenfalls zaghaft oder immer noch gar nicht.

Der Vorgang und auch der mediale Umgang erinnert uns an die Explosion in der Currenta-Sondermüllverbrennungsanlage bei Bayer in Leverkusen im Jahr 2021. Anwohnerinnen und Anwohner kritisierten die Begleitung und mangelhafte Aufarbeitung durch die zuständigen Behörden und die Bezirksregierung Köln. Statt auf mehr Kontrollen und schärferer Vorschriften zu setzen, wird auch in Deutschland relativiert und beschwichtigt, anstatt für mehr Sicherheit zu sorgen, siehe unser Beitrag Currenta-Explosion: Worthülsen-Bingo bei WDR „Stadtgespräch“

Das Problem heißt Kapitalismus und Gewinnmaximierung um jeden Preis: Der verunglückte Zug in Ohio war für die Aktiengesellschaft Norfolk Southern Railways unterwegs. Die Norfolk Southern hat zuletzt einen Rekordumsatz von über 12 Milliarden Dollar gemacht.

Photo credit: thunderlips36, Smoke from the fire on the night of the accident (Lr99SLI).jpg

Quellen


1Menschen machen Medien: Bei Spotify wird ein Betriebsrat gewählt, 06.02.2023 https://mmm.verdi.de/gewerkschaft/bei-spotify-wird-ein-betriebsrat-gewaehlt-86837

2 Gernot Knödler. Leistungsdaten als Beifang, taz, 09.02.2023 https://taz.de/Amazon-darf-Beschaeftigte-dauerueberwachen/!5911174/

3 Informationsdienst
des Instituts der deutschen Wirtschaft: Rückhalt für Betriebsräte schwindet, 27.01.2023 https://www.iwd.de/artikel/der-rueckhalt-fuer-betriebsraete-schwindet-572439/

6Julia Rock, Rebecca Burns: Pete Buttigieg’s Transportation Department Is Skirting Safety Standards, Jacobin 11.02.2023 https://jacobin.com/2023/02/department-of-transportation-train-brake-regulation-ohio-derailment


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