Kauth + Shell: Frontberichte 45. KW 2013

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Arbeits-Unfälle & Betriebsrat-Bashing in Deutschland| Presseschau vom 04.11. – 11.11.2013

Kauth Technologie/Denkingen/Schwaben: Geschäftsführung behindert Betriebsratswahlen + + Deutsche Shell / Köln-Godorf: Zwei schwer verletzte Arbeiter durch Explosion | Skandal-Raffinerie Rheinland fordert weitere Opfer

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Grafik einer Kampagne des B.U.N.D. zu Shell in Nigeria. Mehr zur Shell-Raffinerie Rheinland im hinteren Teil der Frontberichte.

#01

Kauth Technologie-Unternehmen verhindert Schulung des Wahlvorstandes

Ein Traditionsunternehmen in dritter Generation fürchtet einen möglichen Betriebsrat in der Firma. Wer unsere Beiträge vefolgt, stößt immer wieder auf das Phänomen, dass gerade im ländlichen Raum angesiedelte Familienunternehmen mit patriachaler Firmenstruktur sich erbittert gegen jede Form der Arbeitnehmermitbestimmung sträuben. Dabei greifen die engagierten Firmenerben auch schon mal zu Mitteln hart an der Grenze der Legalität. So auch in Denkingen (Landkreis Tuttlingen, Baden-Würtemberg) wo die Paul Kauth GmbH & Co. KG, ein Unternehmen für Stanz- und Umformtechnik in Denkingen mit rund 250 Angestellten, laut Schwäbische.de alles unternimmt, um eine Betriebsratswahl schon im Ansatz zu verhindern.

Widerrechtliche Schikanen und Hausverbote

Der zuständige IG-Metall-Bevollmächtigte Michael Föst hat im Betrieb die Wahl eines Wahlvorstandes zur Wahl eines Betriebsrats begleitet und den gewählten 3 Mitgliedern des Wahlvorstandes und ihren 2 Vertretern eine Schulung für die anstehende Betriebsratswahl angekündigt. Die Geschäftsleitung verweigerte ihm jedoch per anwaltlichem Schreiben den Zutritt zum Firmengelände. Begründung: er müsse nachweisen, dass er eine Betrieb vertretene Gewerkschaft repräsentiere. Zwei Mitarbeiter haben daraufhin ihre Mitgliedschaft in der IG-Metall bestätigt, was der Kauth-Geschäftsführung unter Christian und Alexander Kauth jedoch nicht reicht. Diese fordert eine notarielle Bescheinigung über die Mitgliedschaft. Und zwar in der Form, dass der Notar selbst sich davon überzeugen soll, dass mindestens eine Mitgliedschaft eines Kauth-Arbeitnehmers bei der IG-Metall besteht. Als der Schulungstermin stattfinden sollte, wurden den Mitgliedern des Wahlvorstandes laut Schwäbische.de die Teilnahme an der Schulung untersagt. Im gleichen Artikel ist auch von einer Bedrohung der Wahlvorstände die Rede. Michael Föst sieht hier möglicherweise den Straftatbestand der Behinderung von Betriebsratswahen (siehe § 119, BetrVG) berührt. Firmeninhabern drohen hier bis zu einem Jahr Gefängnis. Sollte sich die Kauth Geschäftsführung nicht eines besseren besinnen, bleibt der IG-Metall nur der Gang vor das Gericht.


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Dem Familienunternehmen in dritter Generation scheint es nicht schlecht zu gehen. In einem Artikel vom 23. Mai 2013, ebenfalls in der Schwäbische.de, wird mit guten Umsatzzahlen und einem Ausbau der Firma Kauth gestrunzt. Möglicherweise ist die Initiative zur Gründung eines Betriebsrats dem verständlichen Wunsch der Belegschaft entsprungen, endlich auch einmal von den sprudelnden Umsätzen zu profitieren:

Laut Mey (Steffen Mey, Kaufmännischer Leiter,  A.d.R.) rechnet das Unternehmen in den kommenden Monaten auf Grund der Auftragslage mit weiterem Wachstum. Nach einem Umsatz in Höhe von 45 Millionen Euro im Jahr 2012 wolle man 2013 die 50-Millionen-Euro-Grenze überschreiten.

Die lokale Presse berichtet außerdem, dass die Geschäftsführung der Paul Kauth GmbH & Co. KG der Gemeinde Denkingen schon mal mit Verlagerung der Produktion ins Ausland droht – ein ständiger Streitpunkt scheinen Beschwerden von Anwohnern über Lärmbeslästigung zu sein.

Dieselbe Gutsherren-Mentalität legt die patriarchalisch geführte Firma offensichtlich auch gegenüber ihren Angestellten an den Tag.

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#02

Deutsche Shell: Schwer verletzte Arbeiter | Skandal-Raffinerie fordert weitere Opfer

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Verballhornungen des Namens Shell und des Firmenlogos sind rund um den Erdball zu finden. Der Schauspieler Heath Ledger trug ein T-Shirt mit ähnlichem Aufdruck.

Am 5. November 2013 kamen erneut Arbeiter in den Produktionsanlagen der Deutschen Shell in Köln-Godorf und Wesseling zu Schaden. Wie die WDR Lokalzeit berichtete, wurden zwei „Mitarbeiter von Fremdfirmen“ durch eine Verpuffung in einem Behälter des Werk Nord (Godorf) bei der Arbeit in unterirdischen Rohren schwer verletzt. Ein Arbeiter musste mit dem Hubschrauber in die Klinik geflogen werden. Ein Trupp Brand-Ermittler der Polizei betätigte sich auf dem Werksgelände. Der Pressesprecher des Unternehmens, Constantin von Hoensbroech, erklärte gegenüber dem WDR, durch das betreffende Rohr seien Kohlenwasserstoffe gelaufen. Er betonte fast beschwörend: „Es gibt keinerlei Auswirkungen auf die Nachbarschaft. Die wird es auch nicht geben.“ Worte, die in den Ohren vieler Anwohner und Arbeiter wie eine Drohung klingen dürften.

Gegenüber arbeitsunrecht.de erklärte der Shell-Presseprecher eine Woche nach dem Unglück, die Arbeiter seien nach wie vor in stationärer Behandlung. Zu Ursachen und Hintergründen des Unfalls wollte, konnte bzw. durfte er keine Angaben machen.

Unfälle und Vergiftung – Shell-Chronologie der letzten Monate

Der WDR-Bericht glänzt durch eine Chronologie der Unfälle in der Skandal-Raffinerie:

  • 16. Juli 2013: Monteur stürzt bei Arbeiten an einem Schornstein der Shell-Raffinerie 170 Meter in den Tod. Die Bild-Zeitung schreibt: Es ist der dritte tödliche Unfall in zehn Jahren, 59 Mal wurden Mitarbeiter schwer verletzt.
  • Oktober 2012: Shell meldet eine ganze Serie von „Leckagen“ (undichten Stellen) an Rohrleitungen an die Behörden. Unter anderem sind, laut WDR-Bericht, drei Tonnen einer Flüssigkeit ausgelaufen, die krebserregendes Benzol enthält.
  • 29. Februar 2012: Wochenlang läuft unbemerkt Kerosin – die Rede ist von 1,2 Millionen Litern, aus einer unterirdischen Pipeline in den Boden. Es bildet sich ein unterirdischer Kerosin-See von mehr als 10.000 m². Das Problem ist bis heute weitgehend ungelöst – laut Firmen-PR wurden 18 Monate nach dem Unfall erst 180.000 Liter zurück gewonnen.
  • 18. Mai 2011: Schornsteine von Shell blasen einen säurehaltigen Nebel in die Luft. Anwohner haben Lackschäden an ihren Autos.

Dank effizienter PR-Arbeit: Empörung in Deutschland überschaubar

Es ist erstaunlich, dass es trotz dieser Gefahren und Umweltskandale vergleichsweise ruhig in den angrenzenden Stadtteilen Köln-Godorf, -Sürth und Wesseling bleibt. Ein Grund könnte in der aufwändigen Presse- und PR-Arbeit des Unternehmens liegen. Die FAZ beleuchtet in einem längeren Artikel vom 31. 08.2012 (Großprojekt ohne Großprotest) voller Lob, wie Shell es geschafft habe, ein riskantes Mammutprojekt ohne Anwohnerproteste und Wutbürger zu realisieren. Es ging um eine Chemie-Pipeline, die in 15 Metern Tiefe zweimal den Rhein quert.

Naturschutzbund assimiliert?

Vom örtlichen Naturschutzbund (Nabu) darf man sich nach Lektüre des oben verlinkten FAZ-Berichts jedenfalls nichts Großes erwarten. Dessen NRW-Vorsitzender Josef Tumbrinck hat seinerzeit gemeinsam mit Shell die Imagebroschüre „Partnerschaft für Standortsicherung und Umweltschutz“ herausgegeben. Er sagt: „Gemeinsam haben wir so für den Naturschutz viel erreicht und gleichzeitig die Wirtschaftskraft der Region gestärkt.“  Worte die heute wie Hohn klingen.

Tatsächlich darf sich der blaublütige Pressesprecher der deutschen Shell für seine PR-Arbeit auf die Schulter klopfen: Wenn es um Skandale seines Arbeitgebers geht, schlägt der B.U.N.D. bei Thema Shell in Nigeria Alarm, Greenpeace thematisiert derzeit Shell-Bohrungen in der Artiks und seinerzeit die Ölplattform Brent Spar. Von der möglicherweise in Teilen maroden Shell-Raffinerie Rheinland  ist überregional wenig zu hören. Dabei ist sie laut Wikipedia-Eintrag immerhin die größten Raffinerie Deutschlands. Dass sie bereits 1960 eröffnet wurde, dürfte Teil der Problematik sein.

Pipelines aus der Zeit von Hermann Göring (NSDAP)

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Goldfasan und GröFaZ wurden sie im Volksmund genannt. Mit ihrem Vierjahresplan zur Aufrüstung von 1936 befeuerten Göring und Hitler den unbändigen Heißhunger des deutschen Militärs nach Kerosin auch aus Raffinerien der Deutschen Shell, die damals Rhenania-Ossag hieß. (Foto von 1939, wikicommons)

RP-Online berichet am 17. November 2012, manche Leitungen seien über 70 Jahre alt. Ein Großteil des Systems stamme aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Das Rohr, aus dem die 1,2 Millionen Liter Kerosin ausliefen, wurde 1942 verlegt. „Diese uralten Leitungen sind tickende ökologische Zeitbomben“, sagte der Landesvorsitzende des Naturschutzbundes (Bund), Paul Kröfges.  PR-Mann von Hoensbroech entgegnet gegenüber RP-Online-Reporter Christian Schwerdtfeger (Hut ab für den Beitrag!), Sicherheit habe nichts mit Alter zu tun (!?).  Der Konzern weigerte sich dem entsprechend, seine Piplines aus der Ära Göring (siehe Wikipedia Vierjahresplan) durch moderne doppelwandige Rohre zu ersetzen. Eine gut geölte PR-Abteilung ist sicherlich kostengünstiger als die aufwändige Erneuerung der Infrastruktur.

Empörung tut Not | Subalterne Arbeiter uninteressant?

Die ausbleibende Empörung über skandalöse Arbeits- und Produktions-Bedingungen bei Shell in Godorf und Wesseling kann durch geschickte PR und möglicherweise Agenda-Cutting erklärt werden. Interessant ist auch, dass kein Journalist anscheinend aufklären wollte, was hinter der PR-Floskel „Arbeiter von Fremdfirmen“ genau steht. Sind es Werkvertragsarbeiter, Leiharbeiter? Um welche Firmen handelt es sich genau?

Ein Skandal ist auch, dass die (zweifellos berechtigten) Sorgen von Anwohnern in der Berichterstattung stets höher gehängt werden, als das Leben und die Gesundheit von Arbeiter_innen im Werk. Hier bricht sich offenbar eine Art Rassismus gegenüber subaltern Beschäftigten und Niedriglöhnern Bahn, nach dem Motto: „Who cares? Sind ja nur ein paar Fremdarbeiter.“

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Interesante Links:

Zwangsarbeit bei Shell im NS – Slave Labor at Royal/Dutch Shell Group


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