Jessica Reisner berichtet in der Tageszeitung junge welt über die Dauer von Arbeitsgerichtsverfahren und mögliche Verschleppung der Verfahren durch Unternehmen und ihre Anwälte
Sie trifft Lohnabhängige existentiell: die fristlose Kündigung. Die außerordentliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist der Vorschlaghammer im Werkzeugkasten unternehmensnaher Arbeitsrechtskanzleien. Um so wichtiger ist für Gekündigte eine schnelle gerichtliche Klärung. Doch viele Arbeitsgerichtsverfahren dauern lange, für Betroffene oft zu lange. Unternehmern und ihren Anwälten kann es hingegen oft nicht lang genug gehen. Sie wollen gefeuerte Kollegen entkräften, entnerven, mürbe machen.
Um eine fristlose Kündigung zu kassieren, reicht es mitunter, in der Firma den im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) vorgesehenen Betriebsrat (BR) gründen zu wollen. So erging es etwa einem Angestellten des Digital Career Institute (DCI) in Berlin. Das DCI bietet Weiterbildungskurse an, maßgeblich finanziert über »Bildungsgutscheine« der Bundesagentur für Arbeit.
Der DCI-Beschäftigte wollte mit Kollegen im Sommer 2024 einen BR gründen. Nach einer diskussionsreichen Wahlversammlung zur Wahl eines Wahlvorstandes kündigte die Firma ihm fristlos und begründete dies mit seinem Verhalten auf der Wahlversammlung. Ein abenteuerliches Konstrukt. Das schien man auch beim DCI so zu sehen und legte sicherheitshalber noch zwei Kündigungen nach. Auch drei weitere Initiatoren der BR-Gründung flogen raus.
Ein klarer Fall von Behinderung der BR-Arbeit nach Paragraph 119 BetrVG, kurz: Union Busting. Ein Fall, der arbeitsgerichtlich in kürzester Zeit zu klären wäre. Möchte man meinen. Zumal ein Gütetermin nach dem Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) rund zwei Wochen nach Klageerhebung vorgesehen ist. Tatsächlich fand die Güteverhandlung im besagten Fall sechs Monate später, im Januar 2025, statt. Der erste Kammertermin am Arbeitsgericht Berlin wird sogar erst am 31. Juli 2025 stattfinden.
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Das drastische Beispiel ist kein Einzelfall. Angestellte und ihre Anwälte erleben häufig, dass arbeitsrechtliche Verfahren allein in erster Instanz viele Monate dauern. Geht ein Fall in die nächste Instanz, vergehen bis zur Urteilsfindung mal eben eineinhalb oder zwei Jahre. Das liegt auch an häufigen Terminverschiebungen auf Antrag der Unternehmensanwälte.
Die Berliner Senatsverwaltung für Arbeit und Soziales erklärte auf jW-Anfrage, dass die durchschnittliche Verfahrensdauer bei Kündigungen in Berlin 2023 bei 3,1 Monaten lag. Das Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen kommt auf 2,4 Monate. Mittelwerte zwischen flotten Einigungen und langwierigen Verfahren. Übereinstimmend erklären Berlin und NRW, keine Statistik über Terminverschiebungen nach Antragstellern zu führen. Ein Fehler, denn so bleiben Häufungen unerfasst.
Fest steht, Unternehmen, die das Grundrecht auf Mitbestimmung unterlaufen, treten reichlich arbeitsrechtliche Verfahren gegen Beschäftigte los. Viele davon sind konstruiert und fallen erfahrungsgemäß vor Gericht in sich zusammen. Die Verfahren erfüllen dennoch ihren Zweck. Beschäftigte werden maximal gestresst und von Kollegen isoliert, die Belegschaft eingeschüchtert.
Die Akteure in den Chefetagen sitzen die Verfahren dagegen bequem aus. Jede Terminverschiebung spielt ihnen in die Hände. Es sei denn, solidarische Unterstützer Gekündigter haben Protest angekündigt, mobilisieren beispielsweise zu einer Kundgebung vor das Arbeitsgericht. Unabhängig davon, ob die Verhandlung stattfindet oder kurzfristig abgesagt wurde. Denn solche Aktionen schaffen kritische Öffentlichkeit, inklusive Imageschaden für das Unternehmen, das engagierte Gewerkschafter im Betrieb schassen will.
Anwälte Beschäftigter fordern bei Anträgen auf Terminverschiebungen am Arbeitsgericht die Vorlage von Beweisen, zum Beispiel durch Atteste. Es braucht außerdem eine statistische Erfassung der Verschiebungsanträge, der Antragsteller und der Begründungen. Sonst werden Arbeitsgerichte zu unfreiwilligen Komplizen von Union Bustern. Und das, obwohl Kündigungsschutzverfahren nach dem ArbGG vorrangig zu erledigen sind.
Zurück zum DCI-Fall: Die verschleppte Verhandlung hat mit zeitnaher Rechtsfindung nur noch wenig zu tun. Der gefeuerte BR-Gründer ist dann länger als ein Jahr aus dem Betrieb, die Chance einer Betriebsratsgründung ist längst vertan. Bei Arbeitsgerichten nichts Ungewöhnliches: Mehr als 80 Prozent der Kündigungsschutzklagen endeten 2023 bundesweit mit einem Vergleich. Für aggressive Chefs ein Sieg auf ganzer Linie: Betriebsrat verhindert, Exempel statuiert. Und die Kosten? Die gelten als Betriebsausgabe.
Fazit: Die Arbeitsgerichte benötigen mehr Personal. Und die Lohnabhängigen brauchen mehr Schutz vor Unternehmerwillkür. Passiert hier nichts, können Union Buster weiter mit dem »Vorschlaghammer« hantieren.
Quelle
Jessica Reisner: Fristlos gefeuert – Schützen Arbeitsgerichte Lohnabhängige vor Unternehmerwillkür? Verfahren zu lang. Anwälte fordern mehr Richter, junge Welt, 30.04.2025, https://www.jungewelt.de/artikel/499080.union-busting-fristlos-gefeuert.html