München-Harlaching: Gruselige Zustände in Kinderklinik

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5 tote Frühchen | Whistleblower gekündigt | Unmenschliche Arbeitsverdichtung und miserables Arbeitsklima

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Hans-Paul Buerkner, CEO der Boston Consulting Group. Seine Unternehmensberater haben auch bei der „Sanierung“ der Münchner Kliniken ihre Finger im Spiel. (Foto: Word Economic Forum, Lizenz: CC 2.0, Quelle: Wikicommons)

Die lokale Presse berichtet von unhaltbaren Zuständen beim Klinikum im Münchner Stadtteil Harlaching. Hintergrund ist offenbar – wie in vielen Krankenhäusern – eine Sanierung. Unzumutbare Leistungsverdichtungen, massenhafte Kündigungen von Mitarbeitern wurden öffentlich. Hinzu kommen fünf Todesfälle in der Kinderklinik, die laut Mitarbeitern möglicherweise durch systematisch falsche Behandlungsmethoden durch leitende Ärzte mitverursacht wurden.

Die Klinikleitung deckte eine größere Gruppe kritischer Mitarbeiter, darunter den Betriebsratsvorsitzenden, mit Abmahnungen und Kündigungen ein. Bei der Umsetzung dieser Frontalstrategie zur Ausgrenzung und Einschüchterung mündiger Kollegen arbeitet sie mit dem Fachanwalt für Arbeitsrecht Ralph Panzer (Kanzlei Bird & Bird) zusammen.

Gleich 20 von 25 Mitarbeitern sollen demnach falsch gelegen haben, als sie einen Beschwerdebrief über ihren Chef Walter M. unterschrieben und an die Klinikleitung, sowie den Stadtrat sandten. Bereits am 30.06.2013 berichtete die Süddeutsche Zeitung über Degradierung und Einschüchterung der Mitarbeiter durch den Chef:

Seit Monaten ist das Arbeitsklima in der Kinderklinik vergiftet. Die Fluktuation und der Krankenstand sind entsprechend hoch, die verbleibenden Kollegen häufen Überstunden an. „Der Laden brennt“, heißt es in den hohen Etagen des städtischen Klinikkonzerns.

Die Klinikleitung bestätigte zwischenmenschliche Probleme. Wegen der notorischen Überstunden wurde sogar die Gewerbeaufsicht aktiv. Im oben genannten SZ-Artikel schreibt Dominik Hutter auch, dass die Kolleginnen und Kollegen sich mit einem hochqualifizierten Oberarzt, dem die Kündigung nahegelegt worden war und den sie wegen seiner Kompetenz sehr schätzten, solidarisierten und entsprechende Briefe an die Klinikleitung sandten. In der SZ vom 02.08.13 war dann zu lesen, dass sich 20 Mitarbeiter_innen der Frühchen-Intensivstation K9 dazu entschlossen haben, Klinikleitung und Stadt über unhaltbare Zustände und ihrer Meinung nach tödliche Behandlungsmethoden zu informieren, für die sie maßgeblich Chefarzt Walter M., sowie eine Oberärztin verantwortlich machten. Seit dem Amtsantritt  des Chefarztes Walter M. im März 2012 war es zu 5 Todesfällen gekommen.


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Abmahungung und fristlose Kündigungen

Die Geschäftsführung schaltete die Staatsanwaltschaft und einen Experten der Kinder-Uniklinik Lübeck ein. Laut SZ und Abendzeitung hätten sich die Vorwürfe nicht bestätigt, die Staatsanwaltschaft stellte die Vorprüfung ein. Die Klinikleitung reagierte äußerst aggressiv: die meisten Mitarbeiter_innen, die unterzeichnet hatten, erhielten Abmahnungen, sechs Krankenschwestern und dem Betriebsratsvorsitzenden Herbert S. wurde fristlos gekündigt (SZ). Rechtsantwalt Gerhard Rieger, München, begleitete die betroffenen Krankenschwestern nach Einreichung der Kündigungsschutzklage zunächst durch ein Güterichterverfahren, das jedoch ergebnislos blieb. Am 05.03.2014 stellte Rieger den Antrag, das Streitverfahren wieder aufzunehmen. Die Entscheidung über die Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden, der durch Rechtsanwalt Andreas Miller vertreten wird, soll bereits nächste Woche, am 13.03.2014 fallen. Die Klinikleitung steht nach wie vor hinter dem umstrittenen Chefarzt und seinen Methoden. Aufsichtsratschef Hep Monatzeder bekennt sich zu den Kündigungen der Krankenschwestern wegen „erheblichen Verletzungen arbeitsvertraglicher Verpflichtungen“. Der Rechtsanwalt des Klinikums, Ralph Panzer, spricht von Verleumndung und erklärt in der SZ, dass man tatsächlich überlegt habe, alle 20 Unterzeichner_innen zu kündigen. Neues Personal für die hochqualizifierte Station K9 zu finden, dürfte nicht gerade einfacher werden, wenn Hinweise auf Missstände mit Kündigungen quittiert werden. In diesem Sinne kann man nur froh sein, dass die Informationen über das Arbeitsklima in der Kinderklinik öffentlich geworden und mögliche Bewerber_innen gewarnt sind.

Hintergrund: Kahlschlag-Sanierung mit Boston Consulting

Die Klinik Harlaching hat ca. 1.200 Mitarbeiter und gehört zur Städtisches Klinikum München GmbH, die insgesamt rund 8.500 Mitarbeiter hat. Vorsitzender des Aufsichtsrates ist seit Ende November 2013 der Münchener Oberbürgermeister Christian Ude. Den Mitarbeitern der städtischen Kliniken wird mit Privatisierung gedroht, um eine Sanierung und Kostensenkungen durch zu peitschen. Unter anderem hat der weltweite Beratungsgigant Boston Consulting Group seine Finger im Spiel. Er schlägt – wenig überraschend – eine Rosskur vor allem auf dem Rücken von Angestellten und Patienten vor. So schreiben Dominik Hütter und Silke Lode in der Süddeutschen vom 4. 2. 2011: „Die finanziell angeschlagenen städtischen Krankenhäuser stehen vor einer radikalen Verkleinerung. 30 der insgesamt 69 Abteilungen sollen zusammengelegt werden, die Kapazität des Stadtklinikums würde damit um 20 bis 30 Prozent schrumpfen. Besonders hart werden die Kliniken in Schwabing und Harlaching getroffen.“ In beiden Stadtteilen soll offenbar nur ein Notversorgung erhalten bleiben. Die Boston Consulting Group und ihr Auftraggegber Oberbürgermeister Ude (SPD) haben radikale Pläne. 2.000 von 8.000 Mitarbeitern sollen über die Klinge springen, wie die SZ am 28. 2. 2014 schreibt: Bangen müssen vor allem die Beschäftigten in der Verwaltung und im technischen Bereich. In diesen Abteilungen könnte der Personalstand um bis zu 46 Prozent sinken. Bei den Ärzten trifft es jeden Fünften, im Pflegedienst etwa 16 Prozent der Mitarbeiter.“


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