Union Busting-News #08/25: Ines Heider bleibt, Trucker gegen Team Wilking, Wohnungslos trotz Job, Hieber Frische Center, IW-Studie zu Arbeitszeiten gibt es gar nicht

0
3391

Union Busting-News mit Jessica Reisner. Arbeitsunrecht und Betriebsratsbehinderung in Deutschland.

  • TJFBG / Kündigung doppelt unwirksam – Sozialarbeiterin Ines Heider bleibt
  • Team Wilking / Trucker gegen Missstände
  • Wohnungslos trotz Job / Mieten zu hoch
  • Hieber Frische Center / Edeka-Filialist muss Betriebsratsgründer weiter beschäftigen
  • IW Köln / Studie zu Arbeitszeiten gibt es gar nicht – Tagesschau korrigiert Meldung aufgrund unseres Drucks
Anhören, downloaden und für unkommerzielle Zwecke frei weiter verbreiten!

TJFBG: Kündigung doppelt unwirksam – Sozialarbeiterin Ines Heider bleibt

Berlin: Das Landesarbeitsgericht Berlin erklärte am 6. Mai 2025 die Kündigung der Sozialarbeiterin Ines Heider für unwirksam. Ihr Arbeitgeber, die Technische Jugendfreizeit- und Bildungsgesellschaft TJFBG unter Geschäftsführer Thomas Hänsgen hatte ihr am 10. und 17. Juli 2023 fristlos gekündigt. Zu Unrecht, wie zuvor auch das Arbeitsgericht erstinstanzlich schon entschieden hatte. Über den Fall berichtet das nd.1

In Kurzvideos hatte Ines Heider ihre Kolleginnen aufgefordert Solidarität mit Protesten gegen Etatkürzungen im sozialen Bereich zu zeigen. Ihr Engagement legte ihr die Geschäftsführung unter anderem als Aufruf zum wilden Streik aus. Dazu hätte sie die Geschäftsbeziehungen des Unternehmens zum Bezirksamt Neukölln gefährdet und ihre berufliche E-Mail privat missbraucht. Alles grober Unfug.

Revision ausgeschlossen

Das Landesarbeitsgericht Berlin hat die Revision ausgeschlossen und die TJFBG verpflichtet Ines Heider wieder als Sozialpädagogin zu beschäftigen.


Aus erster Hand informiert sein? Profis lesen Emails.
Jetzt den kostenlosen Email-Newsletter der aktion ./. arbeitsunrecht ► bestellen

Die TJFBG firmiert laut eigenem Impressum übrigens als gemeinnützige GmbH. Die Firma bietet Bildungs- und Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche an. Für den gescheiterten Kündigungsversuch hatte sich die Kanzlei Alistair Legal aus Berlin einspannen lassen. ► zurück nach oben

Trucker gegen Logistik-Unternehmen Wilking

Waltrop: Das Logistik-Unternehmen Team-Wilking feuerte den Fahrer Marcel am 14. März 2025 fristlos. Eine Güteverhandlung bezüglich der Kündigungsschutzklage am Arbeitsgericht Herne endete am 5. Mai 2025 ergebnislos. Darüber berichtet die Waltroper Zeitung. 2

Im Dezember 2024 hatte Marcel die Gründung eines Betriebsrats vorgeschlagen. Ziel war Missständen bei Team Wilking zu beseitigen. Dabei ging es Marcel nach eigenen Angaben unter anderem um Fahren ohne Genehmigungen oder auch Fahrzeuge, die seiner Einschätzung nach erhebliche Mängel aufweisen. Außerdem hoffte er über einen Betriebsrat Einfluss auf die Einhaltung von Arbeits- und Lenkzeiten zu gewinnen.

Marcel ist seit gut 12 Jahren Berufskraftfahrer und seit 2020 bei der Firma Team Wilking angestellt. Laut seiner Darstellung ist die Kündigung eine Reaktion auf seine Weigerung illegale Weisungen auszuführen.

In einem Video beim Youtube-Kanal German Truck Driver erzählt Marcel beispielsweise, dass die Autobahnpolizei im März 2025 bei einer seiner Fahrten eine mangelhafte Sicherung der Ladung und erhebliche Mängel am Fahrzeug festgestellt habe. 3 4 Die Autobahnpolizei soll die Weiterfahrt untersagt haben. Dennoch soll sein Chef ihn gedrängt haben die Fahrt fortzusetzen.

Als Marcel im März bei einer weiteren Fahrt feststellte, dass er mutmaßlich ohne Ausnahmegenehmigung für eine überbreite Ladung unterwegs war, stoppte er die Fahrt. Es folgten eine fristlose, sowie eine weitere Kündigung. Die Firma sprach außerdem ein Hausverbot aus. Das Arbeitsamt verhängte zunächst eine Sperrzeit. Einen mit Marcel befreundeten Fahrer stellte Team Wilking frei.

Mittlerweile gibt es ein zweites Video von German Truck Driver, in dem Firmenchef Henrik Wilking zu Wort kommt. Wozu, bleibt unklar. Bezüglich der eigentlichen Vorwürfe substanzlos und teils widersprüchlich, scheint es lediglich darauf ausgelegt, Marcel zu diskreditieren. Die Firma antwortete auch eine Anfrage der Aktion gegen Arbeitsunrecht – allerdings ohne unsere Fragen zu beantworten.

Der Kammertermin zur Kündigungsschutzklage am Arbeitsgericht Herne ist für den 23.07.2025 angesetzt. Mit dem Vorgehen gegen den Trucker hat die Firma die Kanzlei Schwedtmann aus Kamen beauftragt. Das Mandat für Marcel hat der Trucker-Anwalt Karl Ronald Neumann übernommen. ► zurück nach oben

Wohnungslos trotz Job – Mieten zu hoch

Deutschland: Die Zahl der Menschen, die sich trotz Vollzeitjob keine eigene Wohnung leisten können, hat sich innerhalb von zehn Jahren fast verdoppelt. Darüber berichtet der Sender ntv auf seiner Webseite.5

Die unter der Ampel zuständige Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) schlug in diesem Zusammenhang vor, Menschen könnten doch einfach ins bezahlbare Umland ziehen.6 Eine unseres Erachtens arbeitnehmerfeindliche Äußerung. Laut deutschem Mieterbund leben 53% der Deutschen zur Miete.7 Ein Drittel der 21 Millionen Mieterhaushalte ist durch hohe Wohnkosten überlastet.

  • 3,1 Mio. Haushalte zahlen für Kaltmiete und Heizkosten mehr als 40 Prozent ihres Einkommens.

  • 4,3 Mio. Haushalte zahlen zwischen 30 – 40 Prozent ihres Einkommens. ► zurück nach oben

Union Busting bei edeka-Kette Hieber

Freiburg: Das Arbeitsgericht Freiburg entschied am 15. Mai 2025, dass ein Kündigungsversuch der Firma Hieber Frische Center gegen einen 52jährigen Angestellten nichtig ist. Die Firma Hieber betreibt in Südbaden 16 edeka-Filialen. Die Firma Hieber muss den Angestellten nun weiter beschäftigen. Das Hausverbot des Angestellten für alle 16 edeka-Märkte hob das Arbeitsgericht auf. Darüber berichtet Radio Dreyeckland. 8

Der Beschäftigte hatte angekündigt einen Betriebsrat gründen zu wollen. Die Firmenleitung unter Dieter Hieber, Karsten Pabst, und Norbert Schoeffel kündigte dem 52jährigen Angestellten daraufhin im April 2024 zunächst ordentlich und kurz darauf auch fristlos.

Im Kündigungsschutzverfahren fuhr das Unternehmen Hieber eine Zeugin auf, deren Aussage den Gekündigten mutmaßlich diskreditieren sollte. Mangels Substanz ihres Vortrags wollte der Richter sie letztlich aber gar nicht anhören. Als deutlich wurde, dass Hieber das Verfahren verlieren wird, kündigte das Unternehmen bereits an in die nächste Instanz zu gehen. Zugleich wollte die Firma erwirken, dass der Gekündigte bis zum Abschluss der Verfahrens in nächster Instanz nicht zurück in die Märkte kommen dürfte.

Endlich: Betriebsrat statt rechtlosem Mitarbeiterinnenrat

Das Gericht wies dieses Anliegen ab. Der Angestellte kann jetzt zurück in die Märkte und genau das tun, was im Betriebsverfassungsgesetz standardmäßig für alle Betriebe mit mehr als 5 ständig Beschäftigten vorgesehen ist: einen Betriebsrat gründen.

Bislang gibt es bei Hieber nur einen Mitarbeiterinnenrat. Eine Fantasiegremium, ohne Möglichkeiten Forderungen der Angestellten tatsächlich durchzusetzen. Und ohne besonderen Schutz für engagierte Interessenvertreter*innen. Einen Betriebsrat gibt es keiner der 16 Hieber Frischecenter-Filialen. ► zurück nach oben

IW-Studie zu Arbeitszeiten? Gibt es gar nicht

Deutschland: Am 18. und 19. Mai 2025 bezogen sich eine ganze Reihe Medien, unter anderem die Tagesschau auf eine angebliche Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft IW in Köln. In dieser Studie sollte es um einen Arbeitszeiten-Vergleich verschiedener Länder gehen.

Wir haben beim arbeitgebernahen Institut IW nachgefragt, wo denn die Studie zu Arbeitszeiten sei, über die z.B. tagesschau und Spiegel berichteten. Denn wir lesen solche Studien gerne, bevor wir darüber berichten. In diesem Fall kam allerdings heraus: diese Studie gibt es gar nicht.

Die Antwort auf unsere Anfrage von Holger Schäfer vom IW lautete tatsächlich:

„…von uns kam am Sonntag (A.d.R.:gemeint ist der 18. Mai) nur eine Pressemeldung. In der Berichterstattung wurde daraus eine Studie. Nun ja.“

Die Pressemitteilung des IW bezieht sich auf OECD-Daten und einen Vergleich der jährlichen Arbeitzeiten in verschiedenen Ländern (hier kann man das Tabellchen herunterladen). Und deren Entwicklung zwischen 2013 und 2023. Eine Pressemitteilung auf Basis eines Zahlenvergleichs ist bestenfalls eine Auswertung. So sah man es – mutmaßlich auf Grund unseres Drucks – dann auch in der Redaktion der Tagesschau und korrigierte den Beitrag. – Im Beitrag findet sich nun eine entsprechende Fußnote.

 

Auch der Spiegel zog am 23.05.2025 nach und korrigierte seinen Beitrag mit Bezug auf die angeblich Studie. Das fanden wir auch wichtig, weil Holger Schäfer vom IW hier zuvor noch als Studienautor bezeichnet wurde.

Was für eine Auswertung soll das sein?

Inwiefern die OECD-Daten, die das IW auflistet überhaupt für eine Auswertung taugen sind ist unklar, denn zusätzliche Informationen fehlen komplett. 

Erfolgt die Erhebung der Arbeitszeiten seit 2013 in Korea nach den gleichen Vorgaben wie in der Schweiz oder Ungarn, in Schweden oder Deutschland? Was ist die jeweils gültige Definition von Arbeitszeit? Und werden unbezahlte und illegale Überstunden in allen Ländern gleich dazu oder nicht dazu gerechnet?  Außerdem: Ohne Kontext zu Produktivität und Anteil von Vollzeit- und Teilzeit führt so ein Vergleich leicht zu verzerrten Aussagen über „Fleiß“ oder wirtschaftliche Effizienz. Ein recht schwacher Beitrag des IW,  wie uns scheint.

Glaubt man den Zahlen ist die Arbeitszeit in Deutschland in diesen 10 Jahren demnach um 2% gestiegen. Und stand Ende 2023 immerhin auf Platz drei im Ranking der Länder nach Höhe des Bruttoinlandprodukts (laut IWF).

Blanker, schlecht gemachter Lobbyismus

Die Story ist also nicht, dass deutsche Angestellte faul sind. Sondern eher, dass ein arbeitgeberfinanzierter Lobbyverein eine Pressemeldung herausgegeben hat, die vermutlich helfen sollte Druck auf Lohnabhängige aufzubauen. Schließlich möchte Kanzler Merz die 40 Stunden Woche per Gesetz festlegen und lässt das Wahlvolk schon vorab wissen, dass Wohlstand mit einer Work-Live-Balance nicht möglich sei. Die Frage ist nur: wessen Wohlstand?

Denn gearbeitet wird mehr als genug: Angestellte in Deutschland leisteten 2024 552 Millionen bezahlte und ca. 638 Millionen unbezahlte Überstunden.

Das Institut der deutschen Wirtschaft ist die Mutterorganisation der Lobbyorganisation der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Trägervereine des IW sind die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und der Bundesverband der Deutschen Industrie.


Quellen

1 Jule Meier: Inés Heider: Kündigung doppelt unwirksam, nd, 6.5.2025 https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191040.union-busting-ines-heider-kuendigung-doppelt-unwirksam.html

2 Werner von Braunschweig: Gefeuerter Lkw-Fahrer Marcel Graf verklagt Waltroper Firma „Ich habe viel zu lang nachgegeben“, Waltroper Zeitung. 6.5.2025 https://www.waltroper-zeitung.de/waltrop/gefeuert-lkw-fahrer-marcel-graf-waltrop-transport-firma-fristlos-arbeitsgericht-herne-trucker-w1028692-11001030597/ ohne Bezahlschranke hier: https://archive.vn/MRWjq

3 German Truck Driver: LKW Fahrer packt aus. Drohungen, Mobbing und Polizei, 12.05.2025 https://www.youtube.com/watch?v=PIaCYGvyZDA

4 1 Truck TV: Ein Fahrer zieht vor Gericht, 13.05.2025 https://1truck.tv/item/5390/title/Ein_Fahrer_zieht_vor_Gericht

5 Lydia Wolter: Wohnungslos trotz Job – wenn Arbeit nicht zum Leben reicht, ntv 01.05.2025 https://www.n-tv.de/panorama/Wohnungslos-trotz-Job-Wenn-Arbeit-nicht-zum-Leben-reicht-article25734886.html

6 Sonja Alvarez: Schafft das Bauministerium ab!, Wirtschaftswoche, 31.07.2024 https://www.wiwo.de/politik/deutschland/mieten-immer-teurer-schafft-das-bauministerium-ab-/29919724.html

7 Deutscher Mieter-Bund, Zahlen und Fakten https://mieterbund.de/themen-und-positionen/zahlen-fakten/

8 Radio Dreyeckland: Gericht weist Kündigung bei EDEKA zurück, 15.5.2025, https://rdl.de/Arbeitsgericht_K%C3%BCndigungsschutz_Hieber_Edeka


Schön, dass Sie da sind!

Der Verein aktion ./. arbeitsunrecht e.V. stellt alle Inhalte kostenfrei und ohne Werbung zur Verfügung. Wir sind unabhängig von Stiftungen, Parteien, Gewerkschaften und staatlicher Förderung. Helfen Sie uns dabei, sorgenfrei über die Runden zu kommen!
Damit wir auch in Zukunft unbequeme Nachrichten verbreiten können: Bitte spenden Sie! !
Vorheriger ArtikelUnion Busting-News #07/25: Berliner Theater, Tesla-Boykott, Ausbeutung von Saisonarbeitern, Kündigungen und mieser Unternehmertrick, Protest gegen Panzerbau
Nächster ArtikelFleiß-Kampagne: Fake-News in Tagesthemen. „Arbeitszeit-Studie“ des IW existiert nicht!