Workers‘ Buy-out: Betriebe übernehmen statt schließen! Erfolgreiche Konferenz

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aktion ./. arbeitsunrecht baut Kompetenzen auf, um aktive Betriebsräte + Belegschaften in der Krise zu ermächtigen.

  • Massenentlassungen und Abwicklung von Betrieben sind nicht alternativlos.

  • Wie wäre es mit freundlicher Übernahme (Workers‘ Buy-out), Mitarbeiterbeteiligung und Enteignung?

  • Genossenschaften als alternative Unternehmensform — wie geht das?

Willi Münzenberg-Saal Berlin, 21.6.2020: Organisator*innen und Helfer*innen der Konferenz Workers‘ Buy-out nach getaner Arbeit.

Die dritte juristisch-politische Fachkonferenz der Aktion gegen Arbeitsunrecht ging am Wochenende des 20./21. Juni 2020 trotz Corona-Einschränkungen erfolgreich über die Bühne. Wir hoffen, dass wir die strategischen Möglichkeiten von Betriebsräten und Belegschaften bedrohter Betriebe in Zukunft deutlich erweitern können.

Die Aktion gegen Arbeitsunrecht wird die Inhalte der Konferenz nach und nach ins Netz stellen: auf unserem Blog https://arbeitsunrecht.de und unserem youtube-Kanal https://youtube.com/c/arbeitsunrechtTV

Kompetenzen + Kontakte aufgebaut

Betriebsräte, Belegschaften und Gewerkschafter*innen, die von der Schließung ihres Betriebs bedroht sind, können sich in Zukunft an die Aktion gegen Arbeitsunrecht wenden, wenn sie nach Alternativen suchen (Kontakt).

Es gibt wesenlich mehr Optionen für funktionierende Belegschaften als nur Abfindungen, Sozialpläne und Streiks um einen Sozialtarifvertrag. Durch die Konferenz Workers‘ Buy-out konnten wir Kompetenzen und Kontakte in verschiedene Richtungen aufbauen:


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  • Workers‘ Buy-out. Falls ein Unternehmen keinen Nachfolger findet, ist ein Buy-out durch die Belegschaft in Deutschland durchaus üblich und wird vom Land Brandenburg sogar gefördert. Anders sieht es im Konfliktfall aus.
  • Vorkaufsrecht der Belegschaft. Hierfür fehlen bislang in Deutschland sowohl die gesetzlichen Grundlagen als auch tragfähige Finanzierungsinstrumente durch Fonds oder Kreditanstalten — anders als in Italien und anderen Ländern wie Spanien, Frankreich, Uruguay und Argentinien. Das ließe sich ändern, wenn der politische Wille und der nötige Druck entstünden.
  • Belegschaftsbeteiligung: Statt bedingungslos auf Lohn zu verzichten schlug Walter Vogt (IG Metall Vorstand) vor, die gestundeten Lohnanteile über Fonds o.ä. in Beteiligungen am Unternehmen umzuwandeln. So kann die Belegschaft Einfluss auf Unternehmensentscheidungen erlangen, positive Entwicklungen herbei führen und Schlimmeres verhindern (wie Auslagerungen).
  • Enteignung sozialschädlicher Unternehmer*innen. Diese ist laut Grundgesetz möglich (Artikel 14), aber in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie vorgekommen. Um hier voran zu kommen – auch auf gesetzgeberischer Ebene – fehlt es an Präzedenzfällen und Pionierarbeit. Erst wenn Betriebsbesetzungen stattfinden, dürfte der nötige Druck entstehen.

Die Forderung, bestimmte sozialschädliche Unternehmer*innen zu enteignen, wirkt derzeit vielleicht noch illusorisch. Allerdings kann das Wetter in der heraufziehenden Krise schnell umschlagen. Heute schon trifft die bloße Idee der Enteignung das Unternehmerlager hart, weil sie die Allmacht der Besitzenden über die Produktionsmittel in Frage stellt und eine grenzenlose und oftmals verantwortungslose „unternehmerische Freiheit“ bestreitet.

Ein Beispiel wie es gehen kann: Jenny Stupka berichtete über die Kampagne Deutsche Wohnen & Co. enteignen! (https://www.dwenteignen.de/ ), die in Berlin derzeit ziemlich erfolgreich auf ein Volksbegehren zusteuert, das Mieter*innen vor aggressiven Finanzinvestoren retten soll.

Video-Stream: durch Corona in die Zukunft

Erstmals haben wir die Vorträge unserer Fachkonferenz über youtube gestreamt. Drei Professoren waren per Videokonferenz aus Toronto (Marcelo Vieta), Bielefeld (Andreas Fisahn) und Dußlingen (Wolfgang Däubler) zugeschaltet. Es ruckelte, rauschte und piepte bisweilen zwar gewaltig, hat aber im Großen und Ganzen geklappt — die Sound- und Bildqualität müssen wir in Zukunft allerdings deutlich verbessern.

Prof. Dr. Wolfgang Däubler räumte mit einigen weit verbreiteten Irrtümern über die angebliche unternehmerische Freiheit auf. Selbstverständlich ist diese nicht grenzenlos. Prof. Marcelo Vieta stellte Typen und Entstehungsbedingungen von Betriebsübernahmen vor. Weltweit konzentrieren sich diese auf Italien, Frankreich, Spanien, Argentinien, Uruguay.

Genossenschaften als mögliche Alternative?

Die historische Dimension lieferte Gisela Notz, die über die Genossenschaftsbewegung als (ehemals) tragende Säule der Arbeiterbewegung referierte und über das Wiederaufleben solidarischer Ökonomie in Folge der 1968er-Revolte. Sie fächerte die erhitzten und teils kompromisslosen Debatten um eine ökonomischen Alternative zum Kapitalismus unter kapitalistischen Verhältnissen auf.

Hier ergaben sich merkwürdige Fraktionen: Die Selbstverwaltung der Arbeiter*innen lehnten sowohl rechte Sozialdemokraten ab — weil Arbeiter laut dem Revisionisten Eduard Bernstein anscheinend unfähig seien Betriebe zu führen — als auch ein kommunistisch-revolutionärer Flügel, der sich auf Marx und Engels berufen konnte — weil ökonomische Nischen im Kapitalismus nur die Illusion eines friedlichen Übergangs zum Sozialismus nährten und die Arbeiter*innen vom Kampf gegen das System abhielten. Auf der anderen Seite befürwortete eine ebenso schillernde Palette die Genossenschaften mit ebenso unterschiedlichen wie widerstrebenden Motiven — von christlichen Sozialethiker*innen bis zu Anarchisten wie Gustav Landauer und Rudolf Rocker.

Völlig aus dem Bewußstsein geraten ist der große Anteil der Genossenschaften am Leben und Überleben der Lohnabhängigen in der Weimarer Republik als auch die Bedeutung von Genossenschaften in der DDR — hier insbesonderen die LPGs (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften). Sie gingen nach der „Wende“ 1990 allesamt unter.

Umso erstaunter waren die Konferenzteilnehmer*innen von einem kleinen Krankenhaus in Spremberg in der Niederlausitz (Brandenburg) zu erfahren, das seit 1998 mehrheitlich im Besitz der Beschäftigten ist. Sie halten über einen Förderverein 51% der Spremberger Krankenhausgesellschaft mbH. Die Klinik ist laut offiziellen Befragungen der Krankenkassen das beliebteste Krankenhaus in Ostdeutschland und schreibt seit jeher schwarze Zahlen, wusste der BR-Vorsitzende Matthias Warmo zu berichten. 

Clemens Schimmele räumte mit gängigen Vorurteilen gegenüber Genossenschaften auf, erläuterte praktische betriebswirtschaftliche und juristische Fragen rund um Genossenschaftsformen und bezeichnete das „Oppenheimersche Transformationsgesetz“ von 1898 als wissenschaftlich unsauber und nachweislich falsch. Laut Franz Oppenheimers „ehernem Transformationsesetz“ müssen Genossenschaften entweder untergehen oder sich soweit anpassen (transformieren), dass sie ihren Wesenskern verlieren. Tatsächlich sind Genossenschaften und selbstverwaltete Betriebe statistisch gesehen langlebiger als andere Unternehmensformen. Marcelo Vieta fand heraus, dass sie beinahe ewig währen können, wenn sie die ersten acht Jahre überstehen.

Wie weiter? Betriebe retten, Gesetze schaffen, Finanzierung ermöglichen

Die aktion ./. arbeitsunrecht e.V. – Initiative für Demokratie in Wirtschaft & Betrieb will in den kommenden Monaten auf politische Entscheidungsträger im Bund und auf Länderebene zugehen, um Gesetzesinitiativen, Finanzierungsinstrumente und Förderprogramme anzustoßen, die einen Spielraum für Betriebsübernahmen schaffen und erweitern.

Wir möchten Betriebsräte und Belegschaften ermutigen, gegen Betriebsschließungen zu kämpfen — wenn die Firma Substanz hat und grundsätzlich erhaltenswert erscheint.

Stimmen zur Konferenz Workers‘ Buy-out

Ich hatte das Gefühl, dass Referierende und Teilnehmende sich in ihren Expertisen ergänzt und inspiriert haben.

Einen wichtigen Aspekt fand ich, dass es bei Belegschaftübernahmen, die genossenschaftlich weitergeführt werden sollen, Schulungen für alle geben muss, wie man Bilanzen liest, damit dadurch keine Hierarchie/Wissensmacht entstehen kann.

Ich persönlich konnte mir weiteres Wissen und Handlungsideen aus der Konferenz mitnehmen und gehe gestärkt weiter in Richtung Vorkaufsrecht für Belegschaften!

Ruth Kreuzer, aktion ./. arbeitsunrecht Berlin

Gefreut hat mich besonders, dass im Rahmen der Konferenz Leute mit sehr unterschiedlichen Hintergründen zusammen gekommen sind, um den Dialog zu suchen – auf dem Podium genauso wie davor.

Es ist uns dadurch meines Erachtens gelungen, Chancen dieses Themas genauso wie die zu nehmenden Hürden ausgewogen zu beleuchten. Davon ausgehend müssen wir nun ans Werk gehen. Denn in einem waren sich alle einig: Weitergehende Demokratisierung von Betrieben unter Arbeiter*innenkontrolle ist die richtige Maßnahme gegen Betriebsschließung.

Raphael Kamps, aktion ./. arbeitsunrecht Berlin

Wir bilden die Plattform für eine heute notwendige Aktivität, die sonst so niemand entwickelt.

Werner Rügemer, Vorsitzender aktion ./. arbeitsunrecht e.V.

Ich habe zum ersten Mal mich richtig mit Thema Genossenschaft beschäftigt (obwohl ich selber Genosse bei >>Nordstadt braut<< bin) die gesetzliche Grundlage muss geschaffen werden, damit man Unternehmen übernehmen kann, die „Südländer“ machen es uns vor

Carsten Scholz, BR-Mitglied Gilde-Brauerei Hannover

Das Thema Übernahme von Betrieben durch die Belegschaft ist von außerordentlicher Bedeutung, schon weil die Drohung der Betriebsschließung gegenüber Gewerkschaft und Betriebsrat seit jeher das zentraler Totschlagargument der Arbeitgeber ist.

Die Konferenz hat einen wertvollen und praktischen Ansatz gegeben, dass die Arbeitenden eine passende Antwort zu geben und zu einem demokratisches selbstbestimmtes Wirtschaften zu finden.

Martin Bechert, Rechtsanwalt, Berlin

Die Konferenz hat gezeigt, dass wir Instrumente schaffen können willkürliche Betriebsschließungen und -verkäufe abzuwehren.

Wir brauchen ein Gesetz, das ein grundsätzliches Vorkaufsrecht von Belegschaften bei jeder Veräußerung von Betriebsteilen oder ganzen Firmen sichert. Dazu kommen eine ganze Reihe begleitender Forderungen, mit denen weitere Voraussetzungen für das Gelingen von Betriebsübernahmen geschaffen werden.

In unsere Konferenz hat sich dazu ein regelrechter Expertenrat versammelt. Die Arbeit am Thema wird sich lohnen: Genossenschaften und Betriebe in Arbeiter*innenkontrollen sind erwiesenermaßen deutlich krisenfester.

Mir war nicht bewusst, dass das Genossenschaftswesen in der Weimarer Republik so alltagsbestimmend war, wie es Gisela Notz in ihrem Vortrag zeigte. Die unternehmerfreundlichen Nationalsozialisten haben diese Strukturen zugunsten privater Besitzer*innen sämtlich zerschlagen. Da ist viel Wissen verloren gegangen.

Mir hat die Konferenz geholfen herauszuarbeiten, welche notwendigen juristischen, politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen für Belegschaftsübernahmen geschaffen werden müssen. Dafür gilt es nun Bündnispartner*innen zu finden und der Unternehmerwillkür Grenzen zu setzen.

Jessica Reisner, aktion ./. arbeitsunrecht Köln


Die Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt, die Rosa Luxemburg Stiftung und das Netzwerk Selbsthilfe fördern die Konferenz.


Presseberichte

Simon Zamora Martin: Strategiedebatte — Enteignung der Eigentümer, junge Welt, 23.6.2020, https://www.jungewelt.de/artikel/380797.enteignung-der-eigentümer.html


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