arbeitsunrecht FM 10/22 | Orpea, Frabus, Lieferdienste, Zoo Hagenbeck

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Union Busting-News mit Jessica Reisner. Arbeitsunrecht und Betriebsratsbehinderung in Deutschland. Nachrichten aus Wirtschaft & Betrieb.

  • Seniorenwohnpark Weser GmbH (Orpea)/ Betriebsratsvorsitzende erhält Schmerzensgeld, Union Busting geht weiter
  • Gorillas / Marktbereinigung 1: 300 Verwaltungsangestellte gefeuert
  • Getir / Marktbereinigung 2: 4500 Kündigungen und Solidarität mit Kölner Betriebsratsgründer
  • Frabus / Betriebsratswahl gegen Union Buster-Familie Jäger durchgesetzt
  • Zoo Hagenbeck / Geschäftsführer Dirk Albrecht terrorisiert Belegschaft weiter und kassiert erneute Anzeige

Orpea/Seniorenwohnpark Weser GmbH: Betriebsratsvorsitzende erhält Schmerzensgeld, Union Busting geht weiter

Das Arbeitsgericht Bremen verurteilte die Senioren Wohnpark Weser GmbH und ihren Geschäftsführer Sebastian Hollatz im März 2022 wegen Mobbing der Betriebsratsvorsitzenden zur Zahlung von insgesamt 15.000 € Schmerzensgeld. Alle Widerklagen wies das Gericht ab. Das ist eine kleine Sensation, denn solche Urteile, vermutlich aber auch Schmerzensgeldklagen wegen Betriebsratsbehinderung, gibt es viel zu selten.1

Die Senioren Wohnpark Weser GmbH gehört zur Orpea Gruppe. Sie ist eine der aggressivsten und professionellsten Union Buster in Deutschland. Orpea agiert unter zig verschiedenen Namen. Die Residenz-Gruppe z.B. betreibt für Orpea das Tochterunternehmen Senioren Wohnpark Weser.

Seit Mitte 2020 haben allein vor dem Arbeitsgericht Bremen mehr als 20 Verfahren im Zusammenhang mit der Orpea-Tochter Senioren Wohnpark Weser GmbH stattgefunden. Dabei ging es überwiegend um Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats und Klagen gegen Mitglieder des Betriebsrates des Unternehmens. Darunter: zahlreiche Versuche Mitglieder des Betriebsrates mithilfe konstruierter, also an den Haaren herbeigezogenen, Kündigungen loszuwerden.

Versuch Betriebsratsvorsitzende finanziell zu ruinieren scheitert

Wie zum Beweis der eigenen Skrupellosigkeit versuchte die Senioren Wohnpark Weser GmbH unter Geschäftsführer Sebastian Hollatz noch einen drauf zu setzen. Sie wollten die Betriebsratsvorsitzende als Vergeltung für ihre Schmerzensgeldklage wegen Rufmordes auf 150.000,- Euro Schadenersatz zu verklagen.


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Das Arbeitsgericht Bremen lehnte den ganz offensichtlichen Versuch die Betriebsratsvorsitzende finanziell zu ruinieren selbstredend ab.

Die Meldung zeigt drei Dinge:

1) Es lohnt sich, die Nerven zu bewahren und in der Sache hart zu bleiben. Die Belegschaft bestätigte die Betriebsratsvorsitzende und ihre Stellvertreterin bei den turnusmäßigen Betriebsratswahlen im Amt.

Sie ist zudem auch Gesamtbetriebsratsvorsitzende und mittlerweile auch Vorsitzende des europäischen Betriebsrats von Orpea geworden, der unter anderem für die Orpea-Beschäftigten in den Ländern Frankreich, Spanien, Italien, Deutschland, Österreich, Belgien und Polen zuständig ist.

2) Es ist möglich Geschäftsführer wie Sebastian Hollatz persönlich für ihr Vorgehen haften zu lassen. Auch wenn er als Geschäftsführer vermutlich einen Weg finden wird, sich die Strafzahlung wieder gut zu schreiben.

3) Die Schmerzensgeldzahlung ist viel zu gering ausgefallen. So stellt die Orpea-Tochter das Union Busting auch längst nicht ein:

Der Konzern lässt die Betriebsratswahl anfechten. Im nächsten Schritt möchte Orpea jetzt auch mit dem Betriebsbegriff tricksen: jedes Altenheim der Residenz-Gruppe soll jetzt als eigener Betrieb gelten. Die Betriebsräte dort wären dann kleiner, hätten weniger Möglichkeiten zur Mitbestimmung und in Teilen auch keine Freistellung mehr.

Unser Tipp:

1) Bringt Angehörige, die ihre mögt nicht in Häusern der Orpea-Kette unter. Wenn so mit Mitarbeiter*innen umgegangen wird, könnt Ihr Euch an einem Finger abzählen, wie es den Heimbewohner*innen ergeht. In Frankreich gab es gerade erst es einen riesen Pflegeskandal um Orpea.

2) Bewerbt Euch nicht bei Orpea – außer mit dem festen Vorsatz dort aktive Betriebsräte zu gründen. Für diesen Fall ist Euch unsere Unterstützung sicher.

Lieferdienst Gorillas feuert 300 Verwaltungsangestellte

Deutschland: Die Sause bei den Fahrradlieferdiensten ist gelaufen, es folgt die Marktbereinigung. Denn die wenig innovative Geschäftsidee Leuten mit dem Fahrrädchen Dinge nach Hause zu bringen trägt finanziell erwartungsgemäß nicht. Die Corona-Atempause, Frühling und Inflation drücken zudem auf die Bestelllust der fußfaulen Kundschaft.

Der Lieferdienst Gorillas entlässt in der Folge 300 Verwaltungsmitarbeiter*innen. Die 14.000 Fahrer*innen seien dagegen nicht von den Konsolidierungsbemühungen betroffen. Das Management will sich auf die fünf Kernmärkte Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Großbritannien und die USA konzentrieren. Unklar ist, was aus dem Engagement in Italien, Spanien, Dänemark und Belgien wird.

Aus dem Munde von CEO Kagan Sümer klingt das dann so. „Seit Oktober haben wir unser Geschäft verdreifacht und die Effizienz verneunfacht. Aber mit Blick auf die Kapitalmärkte im Moment müssen wir weitere Schritte unternehmen.“ 2 Bei den Ridern ist, soweit wir wissen, rein gar nichts von der angeblichen Verdreifachung des Geschäfts angekommen. Aber vermutlich ist das ja auch nur eine Umschreibung von „wir haben expandiert und weiter Investorengelder verbrannt“.

Getir: 4500 Kündigungen in Europa – Solidarität mit Kölner Betriebsratsgründer

Europa: Ganz anders geht es beim türkischen Lieferdienst Getir zur Sache. Getir ist ein 12-Milliarden-Dollar-Startup mit Sofortlieferung, der Lebensmittel und Kleinigkeiten anbietet und die Lieferung innerhalb von Minuten verspricht.

Laut TechCrunch baut Getir weltweit 14 % seines Personals ab. Das türkische Unternehmen soll in den neun Ländern, in denen es tätig ist, 32.000 Mitarbeiter beschäftigen, was bedeutet, dass 4.480 Personen von den Entlassungen betroffen wären. 3

Rider berichten, dass das Management z.B. in Köln nahezu allen Rider, die kurz vor Ende der Probezeit standen, gekündigt hat. Kündigungen während der Probezeit sind ohne besondere Begründung möglich und Kündigungsschutzklagen haben kaum Aussicht auf Erfolg. Die Jobs indes sind so unattraktiv, dass viele Rider auch gar nicht klagen wollen. Sie sagen: Einen so miesen Job, findet man jederzeit auch woanders.

Die massenhaften Entlassungen machen jedoch deutlich, wie wichtig es ist, dem aggressiven Management und der Hire&Fire-Mentalität etwas entgegen zu setzen.

Dem Kölner Betriebsratsgründer Fetullah kündigte das Management unmittelbar, als es von einer geplanten Betriebsratsgründung erfuhr. Als Reaktion organisierte Getir eine unternehmensgesteuerte Betriebsratsgründung mit Manager*innen, die die Wahl zum Wahlvorstand am 02. Mai 2022 jedoch im Chaos versenkten.

Am 14.06. findet nun Fetullahs Gütetermin zu seiner Kündigungsschutzklage als Betriebsratsgründer statt. Wir rufen zur solidarischen Unterstützung auf:

Kommt am 14.06. um 11.00 Uhr zum Arbeitsgericht Köln, Blumenthalstr. 33, 50670 Köln. 4

Frankfurt: Endlich Betriebsratsgründung bei Frabus!

Dafür kämpften die Beschäftigten seit Dezember 2021. Frabus ist ein Sub-Unternehmen der Fraport AG.

Die Frabus Personalbuslinien Flughafen Frankfurt am Main GmbH organisiert den Transport der Mitarbeiter*innen der Fraport AG auf und um den Frankfurter Flughafen. Die geschäftsführende Familie Jäger betreibt noch eine Reihe weiterer GmbHs, und bedient unter anderem auch den ÖPNV. Frabus gehört wie die Main-Bus GmbH und die Sack GmbH zur Busnetz GmbH der Familie Jäger.

Das erste Mal versuchten die Initiatoren der Betriebsratswahl bei Frabus im Dezember 2021 einen Wahlvorstand wählen zu lassen. Es folgten diverse Manöver der Geschäftsführung unter Gerd und Claudia Jäger und ihrer Anwältin Verena Linz von der Kanzlei Möller Theobald Jung Zenger, um die Wahlen immer wieder zu verzögern und verhindern. Erst im Mai 2022 gelang es den Beschäftigten dann endlich den Wahlvorstand zu bestimmen.

Höhepunkt der Maßnahmen der Geschäftsführung ist die ordentliche Kündigung eines Initiators am 29.04.2022. Gegen diese Kündigung läuft zur Zeit eine Kündigungsschutzklage. Mittlerweile liegen gegen die Geschäftsführung und den Hauptbetriebsleiter Anzeigen wegen Bedrohung und Behinderung der Betriebsratsgründung (§119 BetrVG) vor.5

Am 31. Mai 2022 konnte die Betriebsratswahl letztlich durchgeführt werden.

Herzlichen Glückwunsch nach Frankfurt!

Wir wünschen den Betriebsratsinitiatoren viel Erfolg und gute Nerven. Werdet Mitglied, vernetzt Euch mit anderen Betriebsratsmitgliedern, Juristen und Publizist*innen. Gemeinsam sind wir stärker.

Zoo Hagenbeck: Geschäftsführer Dirk Albrecht kassiert erneut Anzeige und terrorisiert die Belegschaft weiter

Hamburg, Zoo Hagenbeck: Seit 2021 läuft ein Strafverfahren gegen den Geschäftsführer Dirk Albrecht wegen Behinderung der Betriebsratsarbeit (§119 BetrVG) und Verletzung des Briefgeheimnisses. Nun hat der Betriebsrat den 73jährigen Geschäftsführer erneut wegen gezielter Union Busting-Maßnahmen angezeigt. Die Staatsanwaltschaft Hamburg bestätigte am 18.05.2022 den Eingang der Strafanzeige.

Bei der Strafanzeige geht es um die Zurverfügungstellung passender Räumlichkeiten für Treffen und Sitzungen des Betriebsrates. Neben den Schikanen um die notwendige Größe und Ausstattung eines Sitzungsraumes des Betriebsrates, weigert sich Albrecht zudem Anwaltskosten für den Betriebsrat zu übernehmen. In beiden Fällen wird das Arbeitsgericht Hamburg nun entscheiden müssen.

Der patriarchale Führungsstil des „aufbrausenden und autoritären“ Geschäftsführers Dirk Albrecht soll mittlerweile rund 40% der langjährigen Mitarbeiter*innen zur Aufgabe und Kündigung bewegt haben. Demütigungen, Diffamierungen und Diskriminierungen sollen an der Tagesordnung sein.

Der 73jährigen Dirk Albrecht agiert, als würden deutsche Gesetze im Zoo Hagenbeck keinerlei Gültigkeit haben und: er scheint sich dabei extrem sicher zu fühlen. Wir hoffen sehr, dass die Staatsanwaltschaft Hamburg hier jetzt endlich aktiv wird und dem Rechtsnihilismus ein Ende macht. Die Verstöße von Albrecht gegen das Betriebsverfassungsgesetz sind mittlerweile vielfach dokumentiert.

Immerhin: Laut dem Gewerkschaftssekretär Pascal Lechner vertritt die IG BAU mittlerweile die Mehrheit der Beschäftigten im Tierpark. Mit einem Tarifvertrag wollen die Beschäftigten nun ein neues Arbeitszeitmodell durchsetzen und über die Ausgestaltung der Arbeitsverträge, Zuschläge und Weihnachtsgeld neu verhandeln.6

Quellen


2 Zeit online 24.05.2022 Gorillas entlässt Mitarbeiter und erwägt weniger Auslandsgeschäfte https://www.zeit.de/politik/2022-05/gorillas-lieferdienst-mitarbeiter-entlassungen-startup?

3 Pamela Rauleder,  Getir will 14% Personal abbauen, Gründerszene 27. Mai 2022 https://www.businessinsider.de/gruenderszene/business/getir-will-14-prozent-personal-abbauen/

4 Aufruf zur solidarischen Begleitung des Gerichtstermins Getir gegen Betriebsratsgründer https://arbeitsunrecht.de/termin/koeln-betriebsratsgruender-gegen-getir-guete-termin/

5 Kevin Hoffmann 27.05 2022 Frabus / Frankfurt: Geschäftsführung behindert Betriebsratsgründung https://arbeitsunrecht.de/frontberichte-05-2022-frabus-hagenbeck-orpea-residenz-vw/#anker01

6 Kevin Hoffmann 27.05.2022 Frontberichte Hagenbeck / Hamburg: Anzeigen gegen Geschäftsführer wegen Union Busting https://arbeitsunrecht.de/frontberichte-05-2022-frabus-hagenbeck-orpea-residenz-vw/#anker02


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