Hamburg: Baubehörde kündigt Handwerker

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Weil er sich körperlich außer Stande sieht, bestimmte Arbeiten auszuführen, wird ein Angestellter nach 15 Jahren fristlos entlassen.

Ein Angestellter der Baubehörde geht bis zum Bundesarbeitsgericht. Dort kann er eine Wiederholung seines Prozesses erwirken. Personalrat der Linken stimmt Kündigung zu. Wir dokumentieren einen Artikel der taz-Hamburg vom 3. August 2010 :

Muharrem D. schöpft wieder Hoffnung: Vielleicht gelingt es ihm doch noch, in dem Revisionsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht, das den Rausschmiss eigentlich schon besiegelt hatte, seinen Arbeitsplatz in der Baubehörde zu retten. „Statistisch gesehen hat eine Beschwerde vor dem Bundesarbeitsgericht, wenn die Revision nicht zugelassen worden ist, nur in zwei Prozent der Fälle eine Chance“, sagt sein Rechtsanwalt Rolf Geffken. Im Fall Muharrem D. folgte das Bundesarbeitsgericht (BAG) seinem Ansinnen: Es schickte den Fall zum Landesarbeitsgericht zurück.

Denn der Fall Muharrem D. gewinnt langsam eine ähnliche Bedeutung wie der Fall jener Kassiererin, die liegen gebliebene Pfandmarken im Wert von 1,38 Euro eingelöst hatte und gefeuert worden war. Muharrem D. – dessen Name nur aus Rücksicht auf seine schulpflichtigen Kinder nicht ausgeschrieben wird – soll seine Arbeitnehmerrechte „exzessiv“ wahrgenommen und einen Vorgesetzten beleidigt haben. Der 36-Jährige schwerbehinderte Handwerker hatte sich aus gesundheitlichen Gründen mehrfach geweigert, an ihn übertragene Aufgaben zu übernehmen. Er bekam deshalb mehrere Abmahnungen, die er aber erfolgreich aus der Personalakte entfernen ließ. Dann die erneute Weisung. „Ich sollte elektrische Geräte prüfen. Aber ich konnte die Arbeit aus gesundheitlichen Gründen nicht machen“, sagt Muharrem D.

Der Familienvater legte ein ärztliches Attest vor und schaltete seinen Anwalt Rolf Geffken ein. Deshalb sei es zu einem Streit mit dem Vorgesetzten gekommen, wobei D. sinngemäß gesagt haben soll: „Ich bringe das Geschwür zum Platzen“, so der Vorwurf. „Die Aussage habe ich so nie gemacht“, beteuert D. gegenüber der taz.


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Er erhielt dennoch die fristlose Kündigung, nach 15 Jahren Tätigkeit in der nunmehr von der Grünen Anja Hajduk geführten Baubehörde. „Ihr Verhalten kennzeichnet sich dadurch, dass Sie solche in einem Beschäftigungsverhältnis typischen Vorgänge zum Anlass nehmen, sich bei den unterschiedlichsten Stellen im Haus zu beschweren“, so der Vorwurf. „Besonderes Gewicht kommt dabei den grundlosen Beschwerden über vermeintliche Pflichtverletzungen Ihrer Vorgesetzten zu.“

Der Personalrat unter der Vorsitzenden Sabine Wils – die heute für die Linkspartei im Europa-Parlament sitzt – stimmte dem Rausschmiss zu. Ohne Muharrem D. zu dem Vorfall auch nur anzuhören.

Vor dem Arbeitsgericht dann die Überraschung: Der vermeintlich beleidigte Vorgesetzte räumte aus freien Stücken ein, Muharrem vor dessen Aussage provoziert und als „Arschloch“ bezeichnet zu haben. Arbeitsrichterin Elke Mascow sah zwar deshalb die fristlose Kündigung als unwirksam an, erklärte aber im gleichen Atemzug das Arbeitsverhältnis dennoch als beendet: wegen Zerrüttung. Eine „den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit“ sei nicht mehr möglich, so Mascow. Sie bezog sich auf ein BAG-Urteil, wonach die Weiterbeschäftigung eines Mitarbeiters im Büro einer Kirchengemeinde nach einem Rechtsstreit für nicht mehr zumutbar erklärt worden war. Nun hatte jenes Büro gerade mal zehn Mitarbeiter, Hamburgs Öffentlicher Dienst dagegen zählt 100.000.

Das Landesarbeitsgericht unter dem Vorsitzenden Rainer Schaude bestätigte das Urteil und ließ keine Revision zu. Der Arbeitsrechtsexperte Rolf Geffken legte trotzdem Beschwerde beim BAG ein. Die obersten Arbeitsrichter kritisierten zwar nicht grundsätzlich die Entscheidungen der Vorinstanzen, monierte jedoch, dass der Personalrat der Baubehörde Muharrem D. keinerlei Gelegenheit gegeben hat, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Damit sei das Grundrecht auf rechtliches Gehör verletzt worden, die Anhörung fehlerhaft gewesen und die Kündigung unwirksam. Das Landesarbeitsgericht muss nun den Fall erneut verhandeln.


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