Diakonie: Christlich-humanistisch gegen Betriebsrat und Gewerkschaft

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Union Busting durch „Tendenzbetrieb“. Winkelzüge des St. Elisabeth-Vereins Marburg

Diakonie unchristlich.
Die Heilige Elisabeth von Thüringen (*1207-†1231, links im Bild) hatte ein Herz für die Armen; sie arbeitete als Adelige in einem Spital in Marburg. St. Elisabeth hat möglicherweise das Helfersyndrom begründet: „So ziemt es uns auch immer, dass wir gebeugt und gedemütigt werden und nachher wieder heiter und vergnügt dastehen.“ Was sie wohl von Tarifverträgen und Betriebsräten gehalten hätte? (Fresko von Simone Martini, Assisi 1318. Quelle: Wikicommons)

Wie ein karitativer Träger einen Tarifvertrag für seine Beschäftigten in der Altenpflege unterläuft und durch Eingliederung in die Diakonie Hessen einen neu gegründeten Betriebsrat abserviert.

Kirchliche Unternehmen sind nach deutschem Gesetz von wesentlichen Arbeitsrechten ausgenommen. Mitbestimmung, Koalitionsfreiheit und Streikrecht gelten nicht oder sind eingeschränkt. Das macht sich der St. Elisabeth-Verein aus Marburg schamlos zu Nutze.

Von Stefan Schoppengerd / express

Am 15. Januar verkündete der St. Elisabeth-Verein auf seiner Webseite, dem Wunsch seiner Beschäftigten nach einem Tarifvertrag entsprechen zu wollen (im Google-Cache zu finden). »Das bedeutet für die Mitarbeitenden höhere Gehälter, Jahressonderzahlungen sowie Kinderzulage«, wird die Geschäftsführung in der Mitteilung zitiert. Umsetzen will der Sozialarbeitsträger diesen Schritt über eine Eingliederung zweier Tochtergesellschaften in die Diakonie Hessen.

Tatsächlich hat dies für die Beschäftigten der beiden fraglichen Töchter, einer Einrichtung der Altenhilfe in der Gemeinde Wetter und des Bildungsträgers GISA Marburg, kurzfristige Lohnsteigerungen und eine Jahressonderzahlung zur Folge, weil bei ihnen künftig die kirchlichen »Arbeitsvertragsrichtlinien Kurhessen-Waldeck« (AVR) gelten sollen. Zudem wird die baldige Durchführung von Wahlen zu einer Mitarbeitervertretung (MAV) angekündigt.


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Erst raus, dann wieder rein. Die merkwürdige Beziehung der Altenhilfe Wetter zur Diakonie

Mit Bekanntwerden dieses Vorhabens hat Verdi umgehend zu einer Protestkundgebung vor dem Hauptsitz des Vereins aufgerufen. Dass die Gewerkschaft gegen eine Verbesserung der Entgeltstruktur ins Feld zieht, hat mit einer delikaten Vorgeschichte der Diakonie-Werdung zu tun. Wie Julian Drusenbaum, zuständiger Sekretär bei Verdi-Mittelhessen berichtet, hatte man sich im November mit der Geschäftsführung zu Sondierungsgesprächen für einen Tarifvertrag bei den beiden Tochtergesellschaften getroffen und einen ersten Verhandlungstermin für kommenden Februar vereinbart. Auf diesem Weg wollten die gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten den tariflosen Zustand beenden, in dem sie sich seit der Ausgliederung aus dem Elisabeth-Verein und aus der Diakonie vor gut zehn Jahren befunden haben.

Bereits 2017 war in der Altenhilfe Wetter ein Betriebsrat gewählt worden, dessen Arbeit auch maßgeblich zum vergleichsweise hohen Organisationsgrad von über 50 Prozent in dem Unternehmen mit seinen ca. 100 MitarbeiterInnen beigetragen hat – so sah man sich für die Durchsetzung eines Tarifvertrages gut gewappnet. Anvisiert wurde eine Orientierung am TVöD, der die Beschäftigten besser stellt als die diakonische AVR (der kirchliche »Tarifvertrag«). Die Sondierungsgespräche seien in freundlicher und konstruktiver Atmosphäre verlaufen, berichtet der Gewerkschafter.

Auslagerung aus der Diakonie zwecks Lohndumping. Wiedereingliederung zwecks Betriebsratszerschlagung und Tarifflucht

Wie sich erst jetzt zeigt, hatte der Verein zum Zeitpunkt der Sondierungsgespräche bereits die Wiederaufnahme in die Diakonie in die Wege geleitet, aus der Altenhilfe und GISA früher mit dem Ziel der Lohnabsenkung ausgegliedert worden waren. Die Gesprächsbereitschaft in Sachen Tarifabschluss stellt sich also rückblickend als bewusste Irreführung dar.

Auch der Betriebsrat wurde nicht davon in Kenntnis gesetzt; erst nach vollzogener Eingliederung in die Diakonie zum 1. Januar 2019 wurde er darüber informiert, dass er nun nicht mehr im Amt sei, da unter dem Dach der Kirche allenfalls MAVen, aber keine Betriebsräte existieren.
»Die diakonische Idee des Arbeitens im Sinne Gottes wird hier zu einem reinen Wettbewerbsinstrument«, sagt Julian Drusenbaum. Interessanterweise bleibt eine weitere Tochtergesellschaft, die »St. Elisabeth Dienstleistungen GmbH Haus und Handwerk«, die zusammen mit den anderen beiden ausgegliedert worden war, im tarif- und AVR-losen Niemandsland – hier gibt es keinen Betriebsrat und kaum gewerkschaftliche Aktivitäten, so dass diesem Betrieb nicht die Obhut der Kirche zuteil wird.

Mitbestimmungsrechte unterlaufen: tarifliche Eingruppierung + Dienstpläne ohne Betriebsrat

Die Ablösung des BR durch eine MAV ist weit mehr als eine Formsache. Abgesehen davon, dass eine MAV weniger Rechte als ein Betriebsrat genießt, findet sie nun zeitgleich mit der Anpassung der Entgeltstruktur an die AVR statt. Dabei sind für alle Beschäftigten Eingruppierungsfragen zu beantworten – die Geschäftsführung kann dies vor der Wahl der MAV ohne institutionalisierte Mitbestimmung machen.

Bei der jüngst erfolgten Einführung einer neuen Bereitschaftsdienstregelung wurden Einwände des Betriebsrats schon nicht mehr gehört. Die Neuregelung sieht vor, dass Bereitschaftsschichten in den Dienstplan eingetragen werden, über deren Anforderung erst am Tag vor dem Arbeitseinsatz entschieden wird.

Darüber hinaus wurde der Gewerkschaft berichtet, dass die Unternehmensleitung die gesamte Belegschaft zu Einzelgesprächen einlädt – gäbe es einen Betriebsrat, könnten die Beschäftigten sich von ihm zu den Terminen begleiten lassen.

Aufgelöster Betriebsrat geht vor Gericht

Der Betriebsrat klagt gegen das Vorgehen des Vereins; er wertet die Aufnahme in die Diakonie als Betriebsübergang, zu dem er seine Zustimmung hätte geben, über den er mindestens aber hätte informiert werden müssen. Zu welchen Aktivitäten sich die betroffenen Belegschaften nach der relativ erfolgreichen, kurzfristig anberaumten Kundgebung bereitfinden werden, war zum Redaktionsschluss noch nicht auszumachen.


Der Beitrag stammt aus dem express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 1/2019. Wir veröffentlichen ihn mit freundlicher Genehmigung.


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