Widerstand gegen Fertigmacher-Kanzlei Schreiner + Partner und Konsorten.

Formell ging es um arbeitsrechtliche Maßnahmen gegen Individuen. Im Kern aber sollten juristische Angriffe die Betriebsräte und die darin verankerten Gewerkschaften treffen: Am 16. Januar 2025 fanden am Arbeitsgericht Göttingen parallele Verfahren statt, in denen sich Mitglieder von Verdi und der IG Metall gegen Kündigungen, Lohnkürzung und eine Abmahnung wehrten.
Verdi vertrat ein Betriebsratsmitglied der Göttinger Verkehrsbetriebe (GÖVB) gegen eine außerordentliche Kündigung, die von Oliver Möller aus dem Hamburger Büro der berüchtigten Hardcore-Kanzlei Schreiner + Partner vorgetragen wurde (Az 4 Ca 271/24). Die IG Metall verteidigte eine gewerkschaftliche Vertrauensperson beim Prothesenhersteller Ottobock gegen Angriffe von Taylor Wessing. Die internationale Wirtschaftskanzlei, die ihren Ruf als Union Buster (Was ist das?) beim erbittert ausgefochtenen Neupack-Streik der IG BCE in den Jahren 2012/13 begründete,1 schickte Sebastian Buder aus Berlin in die Provinz.
Rund 50 Unterstützer stärkten den Betroffenen im Gericht solidarisch den Rücken, der Einsatz von Polizei rundete das Gesamtbild ab – womöglich fühlten sich die angereisten Union Buster bedroht. (Lebhafte Phantasie und der Hang zur Dramatisierung gehören zum Berufsbild.)
Eine Mobilisierungsveranstaltung am Abend zuvor im Kulturzentrum Apex war mit rund 90 Personen so gut besucht, dass sich Leute an der Wand drängelten. Neben dem IG Metall-Sekretär Andreas Köppe und Sebastian Wertmüller, ver.di-Geschäftsführer für Süd-Ost-Niedersachsen, die Fälle aus der Region schilderten, referierte Elmar Wigand, Presseprecher der Aktion gegen Arbeitsunrecht, über das schmutzige Geschäft des Union Busting und die Methoden der Kanzlei Schreiner + Partner: „Es geht im Kern darum, kriminelle Motive wie die Behinderung von Betriebsräten und das Untergraben der Koalitionfreiheit rechtsförmig darzustellen. Zu den Methoden des Union Busting gehören regelmäßig Diskriminierung, juristische Nachstellung und seelische Körperverletzung, falsche Anschuldigungen und Prozessbetrug.“
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Zahlreiche Betroffene, Betriebsräte, Arbeitsrechtler und Gewerkschafter kamen zusammen und diskutierten lebhaft.
Seit längerem verzeichnen Verdi und IG Metall Aktivitäten der Fertigmacher-Kanzlei Schreiner + Partner in der Region. Ein Betriebsratsvorsitzender der GÖVB hat bereits aufgrund juristischer Nachstellung die Segel gestrichen, nun bestätigte die 4. Kammer des ArbG Göttingen unter Vorsitz von Richter Michael Seutemann die Kündigung eines weiteren Verdi-Mitglieds im Betriebsrat. Obwohl die vorgetragenen Konstruktionen für den gesunden Menschenverstand oft hanebüchen und konstruiert wirken, gibt es keine Gewähr, dass sie vor Gericht als unsubstaniiert und bösartig zurück gewiesen werden.
Bei Richter Seutemann und seinen ehrenamtlichen Beisitzern hatte Schreiner + Partner diesmal leider Erfolg.
Auch die IG Metall hat in der Region Süd-Niedersachsen mit Schreiner + Partner zu tun. 2021 gelang es dem IG Metall-Sekretär Andreas Köppe, beim Metallsägenhersteller Wikus in Spangenberg einen Betriebsrat zu gründen. Zuvor mussten die engagierten Beschäftigten erbitterte juristische wie innerbetriebliche Obstruktion erdulden und überwinden, die von besagter Hardcore-Kanzlei mit Stammsitz in Attendorn konzertiert wurde.
Der rund dreißig Personen umfassende Ottobock-Vertrauenskörper, den Köppe als Sekretär betreut, war vor Gericht erfolgreich. Der „Weltmarktführer in der Prothetik“ gab nicht zuletzt aufgrund schlechter Presse klein bei. Business Insider und die Wirtschaftswoche veröffentlichten Negativ-Schlagzeilen. Eine Abmahnung gegen den Leiter des Vertrauenskörpers wegen Meinungsäußerungen im Intranet – angebliche Falschbehauptungen – wurde zurück gezogen. Ebenso eine willkürliche Lohnkürzung gegen einen Beschäftigten, weil er eine Betriebsratssprechstunde besucht hatte. Beim Kündigungsversuch gegen den Konzernbetriebsratsvorsitzenden gab es allerdings keine gütliche Einigung.2 Das Beschlussverfahren findet am 5. Mai 2025 um 10:45 Uhr in Saal B260 der Arbeitsgerichts Göttingen statt, falls Ottobock nicht zur Vernunft kommt und die Klage bis dahin noch zurück zieht (Az 3 Ca 3 BV 8/24).
Hintergrund der Aggression: Der patriarchal geführte Familienbetrieb des schillernden wie umstrittenen Milliardärs Hans Georg Näder3 ist sei Jahrzehnten tariffrei. In Kriegszeiten explodieren die Gewinne nicht nur bei Rüstungsbetrieben: „Während Rheinmetall die Gliedmaßen abschießt, schraubt Ottobock sie wieder an“, kommentiert Köppe sarkastisch. Die Hausse hat allerdings kaum Auswirkung auf Löhne und Arbeitszeiten; hier hinkt der Prothesenhersteller der Konkurrenz hinterher. Das will die IG Metall nun ändern. Für den regionalen Platzhirschen arbeiten weltweit rund 9.000 Beschäftigte.
Aber was haben die städtischen Verkehrsbetriebe GÖVB plötzlich gegen den Betriebsrat?
Nach langen Jahren sozialpartnerschaftlicher Gemütlichkeit ist das Gremium in den Augen der Geschäftsleitung offenbar zu frech geworden. Denn Verdi ist in Göttingen, wie auch in anderen Städten, ein Schulterschluss mit Fridays for Future gelungen ist. Unter dem Motto #WirFahrenZusammen kam 2024 frischer, junger Wind von außen in Tarifauseinandersetzungen,4 was offenbar zu einem gesteigerten Selbstbewusstsein der Interessenvertreter führte. Verdi-Geschäftsführer Wertmüller interpretiert die Angriffe politisch und setzt die Oberbürgermeisterin Petra Broistedt (SPD) unter Druck:
„Es ist schon ein ziemlicher Hammer, dass eine 100%ige Unternehmenstochter der Stadt mit einer langen Kultur der Sozialpartnerschaft solche Firmen für sich arbeiten lässt!“
Es sei unerklärlich, dass eine Sozialdemokratin als Aufsichtsratsvorsitzende der GÖVB nicht gegen Schreiner + Partner vorgehe.5 Der Umkehrschluss ist allerdings erlaubt: Erklärlich werden die katastrophalen Umfragewerte der Sozialdemokratie angesichts solcher Negativ-Erfahrungen der Lohnabhängigen und ihrer gewählten Vertreter.
Sowohl die IG Metall als auch Verdi wollen nicht locker lassen. Angedacht ist eine „öffentliche Anhörung“, also eine Art Tribunal zu Union Busting-Fällen in der Region.
Der Beitrag ist in einer kürzeren Version am 24.2.2025 in der Tageszeitung junge Welt erschienen.
Quellen / Anmerkungen
1 Neupack: Der Streik und seine Hintergründe, arbeitsunrecht in deutschland, 27.2.2015, https://arbeitsunrecht.de/neupack_der-streik-und-seine-hintergruende/
2 Louis Westendarp: Prothesenhersteller ging gegen Gewerkschafter vor: Ottobock gibt in Streit mit eigenem Mitarbeiter klein bei, Business Insider, 16.1.2025, https://www.businessinsider.de/wirtschaft/gerichtsverfahren-ottobock-gibt-in-streit-mit-eigenen-gewerkschaft-klein-bei/
3 Melanie Bergermann, Volker ter Haseborg, Dennis Pesch: Ottobock-Chef – Hans Georg Näders Luxusleben und das gefährdete Firmenwohl, Wirtschaftswoche, 29.7.2024, https://www.wiwo.de/unternehmen/industrie/ottobock-chef-hans-georg-naeders-luxusleben-und-das-gefaehrdete-firmenwohl/29822972.html
4 Per Schröter: Verdi und „Fridays“ machen in Göttingen gemeinsame Sache, HNA, 3.3.2024, https://www.hna.de/lokales/goettingen/goettingen-ort28741/verdi-und-fridays-hand-in-hand-bei-demo-fuer-verkehrswende-in-goettingen-92867489.html
5 Verdi Bezirk Region Süd-Ost-Niedersachsen: GÖVB Göttingen Union Busting*-Rechtsanwaltskanzlei im Einsatz gegen Betriebsratsmitglied, 26.8.2024, https://region-s-o-n.verdi.de/presse/pressemitteilungen/++co++b3431192-6393-11ef-8dfb-f3ec3d512a56