Tarifkonflikt bei der Deutschen Bahn: Streikt die EVG?

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Wohl eher nicht. Denn vor der Bundestagswahl steckt die Gewerkschaft in der Zwickmühle.

Bonus-Zahlungen sind problematisch, das Timing ist ungünstig, die Basis unzufrieden.

Elmar Wigand ist Pressesprecher der Aktion gegen Arbeitsunrecht.
Elmar Wigand ist Pressesprecher der Aktion gegen Arbeitsunrecht. Er publiziert zu Streik, Union Busting, Ökonomie & Alltag.

Der aktuelle Tarifkonflikt der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) dürfte interessant werden. Vor allem die Forderung nach einem exklusiven »EVG-Zusatzgeld« (500 Euro Bonuszahlung nur für die eigenen Mitglieder) ist aus gewerkschaftlicher Sicht problematisch.

Das Vorgehen der DGB-Gewerkschaft wirft Fragen auf. Denn nach den Grundregeln der strategischen Konfliktführung ist es ein Kardinal-Fehler, sich mit Bundestagswahl am 23. Februar eine Deadline zu setzen. Das DB-Management braucht nur zu verzögern und sich zu verweigern.1

Angesichts eines drohenden CDU-Wahlsiegs „bat die EVG um vorgezogene Verhandlungen“, wie tagesschau.de schreibt. Denn mit einer CDU-geführten Regierung unter Merz droht die Aufspaltung der DB in Schiene und Transportverkehr, was die die EVG im Gegensatz zur konkurrierenden GDL vehement ablehnt. Zudem steht DB Cargo – auch aufgrund von EU-Regulierung – vor der Pleite. Angesichts drohender Massenentlassungen fordert die EVG eine Beschäftigungssicherung bis 2027.2

Wenn eine Gewerkschaft „um Verhandlungen bitten“ muss, anstatt sie zu erzwingen, ist das ein ganz schlechtes Zeichen. Wenn man aus Angst vor einem drohenden CDU-Sieg angetrieben wird, aber andererseits vom Bahn-Management gezwungen werden kann, ausgerechnet in der heißen Phase des Wahlkampfs zu streiken, grenzt das an Harakiri. Für das CDU-AFD-FDP-Lager wäre es nämlich ein gefundenen Fressen. Derzeit überschlagen sich die Freunde der Reichen und Mächtigen bei der Hetze gegen Arbeitslose (Bürgergeld abschaffen!) sowie Einwanderer, Araber und Muslime (Ölscheichs selbstverständlich ausgenommen).


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Zur Abwechslung käme ein weiteres Feindbild wie gerufen: „sture Gewerkschafter“ und „Besitzstandswahrer“ mit „Scheuklappen“, die der deutschen Wirtschaft so „immensen Schaden zufügen“, die „unschuldige“ Pendler als „Geiseln“ nehmen, ihre „Macht missbrauchen“ und das Land „im Chaos“ versinken lassen… Wir kennen diese abgedroschenen Phrasen seit zwanzig Jahren.

Was ist an der Forderung eines „EVG-Zusatzgelds“ problematisch?

Die Zulässigkeit solcher diskriminierenden Exklusiv-Zahlungen war lange Zeit sogar juristisch umstritten, was sich derweil beruhigt hat.3 Bonus-Zahlungen für Gewerkschafter blieben eine Randnotiz, bis die IGBCE 2024 mit einem ersten Flächentarifvertrag die Schleusen öffnete.3a Auch die IG Metall wirbt in der Leiharbeit mit Boni für ihre Mitglieder beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld (zwischen 500,- bis 1.000,- pro Jahr).4

Um in deren Genuss zu kommen, müssen die Beschäftigten ihre Gewerkschaftsmitgliedschaft gegenüber dem Unternehmen offen legen. Das untergräbt die Koalitionsfreiheit. Denn zu diesem Grundrecht, sich frei zu organisieren, gehört logischerweise auch, dass ich meinem Arbeitgeber nicht mitteilen muss, wie und wo ich organsiert bin.

Im Streikfall ist es von Vorteil, wenn das Unternehmen über die tatsächliche Verankerung der Gewerkschaft im Unklaren ist. Die Geschichte lehrt zudem: Im Falle von Massenentlassungen und anderen Umstrukturierungen sind Mitglieder kampfbereiter Gewerkschaften, die ersten, die gefeuert werden. (Eine Gewerkschaft, die nicht beißt, sondern nur spielen will, hat solche Probleme natürlich nicht.)


Uns interessiert Deine Meinung: Was hältst Du von Tarifabschlüssen mit Bonus-Zahlungen ausschließlich für Gewerkschaftsmitglieder? Umfrage auf Telegram: https://t.me/arbeitsunrecht/344


Reallohnverlust: Demütigendes Angebot des DB-Managements

Der letzte Tarifkonflikt war mit ambitionierten Warnstreiks gestartet und endete im August 2023 mit einem „blauen Auge für die EVG-Führung“, wie das nd kommentierte. Die Mitglieder nahmen den Tarifabschluss per Urabstimmung nur knapp an.5 Die Lage ist für die EVG-Führung im Jahr 2025 nicht einfacher geworden.

In der ersten Verhandlungsrunde bot das DB-Management der EVG Ende Januar 2025 magere 4% Lohnsteigerung bei einer Laufzeit über drei Jahre. Das bedeutet bei selbst bei einer moderaten Inflation von nur 2% einen erneuten Reallohnverlust von mindestens 2%.

Ein Schlag ins Gesicht der Verhandlungskommission und aller EVG-Mitglieder.


Der Kommentar von Elmar Wigand ist in einer kürzeren Version am 30.1.2025 in der Tageszeitung nd erschienen.


Quellen / Fußnoten

1 „Delay, deny, defend“, heißt der Dreisatz neoliberaler Manager gegenüber berechtigten Ansprüchen. Siehe: Jay M. Feinman: Delay Deny Defend, Why Insurance Companies Don’t Pay Claims And What You Can Do About It, New York 2010. https://delaydenydefend.com/

2 Gespräche mit der EVG Was bei den Bahn-Tarifverhandlungen diesmal anders ist, tagesschau.de, 28.1.2025, https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/bahn-evg-tarifverhandlungen-102.html

3 Im Jahr 1967 hatte der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) tarifliche Differenzierungsklauseln noch für verfassungswidrig erklärt. Mehr dazu: Tarifrecht – Bonus für Gewerkschaftsmitglieder, Böckler-Impuls 02/2009, https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-bonus-fuer-gewerkschaftsmitglieder-6594.htm

3a André Seifert: Abschluss für Chemiebranche – Tarifbonus für Gewerkschaftsmitglieder – Modell für die Zukunft? , mdr aktuell, 1.7.2024, https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/tarif-bonus-freier-tag-gewerkschaft-mitglieder-100.html

5 Rainer Balcerowiak: Deutsche Bahn: Blaues Auge für die EVG-Führung, nd, 28.8.2023, https://www.nd-aktuell.de/artikel/1175862.tarifkonflikt-deutschen-bahn-blaues-auge-fuer-die-evg-fuehrung.html


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