Netto: Filialen mit Vertrauensleuten überfallartig geschlossen

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Lebensmittel-Discounter zieht Unmut von Kunden auf sich / Union-Busting gegen Gewerkschafter und Vertrauensleute

Gleich vier von sieben Filialen der Edeka-Tochter „Netto“ wurden im Juni 2012 in Göttingen ohne Vorwarnung geschlossen. Offenbar handelt es sich um eine konzertierte Vergeltungsmaßnahme des Edeka-Mangements. Ver.di geht davon aus, dass das Unternehmen mit den Blitz-Schließungen auf erfolgreiches Organizing bei dem Discounter antwortet.  Die Göttinger ver.di-Sekretärin Katharina Wesenick spricht in der Jungen Welt vom 15. August 2012 von der „Zerschlagung von Widerstandsnestern“. In Göttingen waren besonders viele Gewerkschaftsmitglieder und Vertrauensleute aktiv.

Mit der Aktion hat Netto anscheindend auch größere wirtschaftliche Verluste auf lokaler Ebene nicht gescheut um  übergeordnete gewerkschaftsfeindliche Ziele zu erreichen. Dauerthema bei Netto sind Billig-Löhne, die der SPD-Bundestagsabgeordnete Ottmar Schreiner im März 2012 „sittenwidrig“ nannte. Ver.di-Sekretärin Katharina Wesenick präzisierte laut taz vom 8. August 2012: „Unbezahlte Mehrarbeit, Ausbeutung von Auszubildenden, mangelnde Einhaltung der Arbeitsschutzgesetze, Arbeitsverdichtung und Personalmangel.“

Betriebsrats-Verhinderung mit Methode?

Bereits im Januar 2011 berichtete die WAZ  über massive Manipulationen der turnusgemäßen Betriebsratswahlen in zahlreichen Netto-Filialen im Mai 2010 :

Laut Vertretern der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sei es bei den im Mai 2010 abgehaltenen Wahlen in den Netto-Betriebsratsregionen Ost und im bayrischen Ponholz mit insgesamt rund 20.000 Beschäftigten zu Manipulationsversuchen durch Führungskräfte gekommen […] Dabei seien einzelne Filialmitarbeiter unter Druck gesetzt worden, ihr „Kreuzchen an der richtigen Stelle zu machen“, und der Personalchef habe sich massiv in die Zuständigkeit der Wahlvorstände eingemischt“

Diese Wahlen wurden denn auch im Januar 2011 vom Arbeitsgericht Weiden für ungültig erklärt (siehe WirtschaftsWoche):


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wegen „schwerwiegender Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften“ […] Wahlzettel seien in den „Machtbereich des Arbeitgebers“ gelangt, urteilte das Gericht.

Focus Money Online titelte am 15. Januar 2011: Netto-Manager wollten Betriebsratswahlen steuern.

Filialschließung als Vergeltungsmaßnahme?

Laut Ver.di sprechen im aktuellen Fall in Göttingen verschiedene Indizien dafür, dass die Göttinger Filialen ausgeschließlich geschlossen wurden, um die Vertrauensleute auszuhebeln und die gewerkschaftlich überdurchsnittlich gut organisierten Belegschaften auf verschiedene Filialen verteilen zu können.

Netto erklärte dagegen gegenüber der Presse, dass ausschließlich wirtschaftliche Gründe zur Schließung der Filialen geführt hätten. Dies klingt fadenscheinig, wenn nicht sogar dreist. Ein offenes Bekenntnis zum gezielten Rechtsbruch (Behinderung von gewerkschaftlicher Vertretung) und zum Angriff auf die grundgesetzlich verankerte Koalitionsfreiheit will der Edeka-Verbund zwar nicht abgeben. Die Behauptung, dass die Filialen nicht wirtschaftlich waren, dürfte allerdings schwer zu halten sein. So hält ver.di-Sekretärin Katharina Wesenick in der jungen Welt dagegen:

Wir wissen von einem Pächter, daß Netto bei einer Filiale durch die frühzeitige Kündigung der Verträge 100.000 Euro verloren hat. Zudem wissen wir, daß es aus dem Management klare Drohungen gab. Den Beschäftigten wurde intern gesagt, die Schließungen seien wegen ihrer Gewerkschaftsaktivitäten erfolgt.

Shock and Awe – Schockieren und Einschüchtern

Die Methode, Belegschaften regelrecht zu überfallen, in Verwirrung und gar zeitweise Verzweiflung zu stürzen, um sie zur sofortigen Unterschrift von Änderungsverträgen zu bringen, gehört zu den aggressiveren Methoden aus dem Arsenal des Union-Busting (siehe Maredo in Frankfurt). So erzwungene Vertrags-Unterschriften dürften rechtlich ungültig sein. Ein Unternehmen, dass so gegen seine Belegschaft und Gewerkschafter vorgeht, handelt skrupellos.

Die Schließungen trafen sowohl Beschäftigte als auch die Kunden völlig unvorbereitet. Den laut taz 40 betroffenen Beschäftigen (in der Jungen Welt ist von 60 Betroffenen die Rede) wurde Samstagsabends gesagt, dass ihre Filiale schon am folgenden Montag nicht mehr öffnen werden. Diese waren so geschockt, dass sie widerspruchslos neue Verträge für andere Filialen unterschrieben haben. Die taz schreibt am vom 08. August 2012:

„Man kann das Ganze nur als Nacht- und Nebelaktionen bezeichnen“, kritisiert Ver.di. Die Gewerkschaft spricht von „überfallartigen Schließungen“, „unternehmerischer Willkür“ […] Ver.di-Sekretärin Katharina Wesenick wähnt politische Motive hinter dem Schritt des Unternehmens. In den geschlossenen Geschäften seien vergleichsweise viele Beschäftigte gewerkschaftlich organisiert, in einer betroffenen Filiale gleich zwei Ver.di-Vertrauensleute im Discounter-Bereich tätig gewesen. „Wir werten diesen Angriff durch den Arbeitgeber als klaren Versuch, die Märkte mit vielen tarifgebundenen und gewerkschaftlich aktiven Beschäftigten gezielt zu schließen“, konstatiert Wesenicks Kollegin Julia Niekamp.

Politiker übernehmen Patenschaften

Linke, Grüne und SPD haben sich derweil mit den Netto-Beschäftigten solidarisiert. Ein neues Element der gewerkschaftlichen Öffentlichkeits- und Solidaritätsarbeit: Die SPD-Politiker Thomas Oppermann und Hubertus Heil sowie Linken-Chef Bernd Riexinger übernahmen Patenschaften für Ver.di-Vertrauensleute bei Netto in der Region Südniedersachsen, daneben konnte ver.di weitere lokale und Landespolitiker gewinnen (Liste der Patinnen und Paten).

Von wegen wirtschaftliche Gründe

Auf lokaler Ebene sorgt sich sogar die gewerkschaftlich eher wenig inspirierte CDU um die wohnortnahe Grundversorgung der Bevölkerung und forderte auf einer Demostration mit rund 100 Teilnehmern die Wiedereröffnung der betroffenen Filialen (Hessisch/Niedersächsische Allgemeine vom 09. August 2012). So viel konnte bisher nicht erreicht werden. Immerhin machte Netto die Zusage, nicht weitere Filialen zu schließen. Als Erfolg zu bewerten ist auch das Ausbleiben von betriebsbedingten Kündigungen.

Aus Plus wurde Netto – Ärger nach der Übernahme

Dass es bei der früheren Supermarkt-Kette „Plus“ nach der Übernahme durch den Edeka-Verbund und die Umwandlung in „Netto“ schon länger gärt, geht aus einem Bericht von news.de vom 20. Dezember 2009 hervor. Damals ging ver.di auf Konfrontationskurs zu unternehmenshörigen Betriebsräten bei Netto in Südbrandenburg, sogar von Hausverbot für die Gewerkschaft war die Rede.

«Der Betriebsrat klüngelt doch mit denen da oben. Richtig dicke sind die», sagt eine Mitarbeiterin zu news.de. Oftmals sei der Betriebsrat für sie gar nicht telefonisch erreichbar. […] Der Betriebsrat im Lager Guteborn im südöstlichen Brandenburg hat sich mit der Gewerkschaft Verdi völlig überworfen. Ein Schreiben der Mitarbeitervertretung, das news.de vorliegt, weist Marktleiter darauf hin, dass Vertreter der Gewerkschaft in den Filialen «nichts zu suchen haben».

Das saubere Netto-Marken-Image…

Die oben genannten Vorgänge widersprechen in geradezu grotesker Weise den hehren Zielen und Werten, mit denen die Unternehmenskommunikation  Netto nach außen beschmückt:

Für Netto Marken-Discount gehört die Einhaltung von Regeln und Gesetzen zu den selbstverständlichen Pflichten, an die jedoch nicht nur das Unternehmen, sondern auch jeder Mitarbeiter gebunden ist.

Als Ombudsmann kann Netto auf seiner Website immerhin mit Prof. Dr. Alfred Dierlamm aufwarten. Er führt mit seiner Wiesbadener Sozietät die Liste der Top-Kanzleien für Wirtschaftsrecht in der Wirtschaftswoche an. In seinem Portrait heißt es:

Zu seinen Mandanten zählten unter anderem der frühere Bundesinnenminister Manfred Kanther sowie Führungskräfte der Firmen Ferrostaal, Holzmann, Telekom und der SachsenLB. […] Der renommierte Jurist beobachtet, dass durch die wachsende Komplexität des Wirtschaftslebens und die zunehmende Verunsicherung von Vorständen und Aufsichtsräten der Beratungsbedarf der Unternehmen stark ansteigt: „Bei uns machen strafrechtliche Risikoanalyse und Präventivberatung mindestens ein Drittel des Geschäfts aus“.

Ob das der richtige Mann ist, um einfachen Angestellten ein offenes Ohr zu leihen, wenn es um schikanöses Verhalten und mögliche Rechts-Verstöße des Managements geht?

Kündigung wegen einer Flasche Wasser – Netto missachtet Urteil

Am 7. August 2012 berichtete die Kölnische Rundschau von einem weiteren haarsträubenden Fall bei Netto. Faruk M. wurde nach 15 Jahren im Netto-Logistikzentrum in Kerpen bei Köln gekündigt, weil er Mineralwasser im Wert von 65 Cent „gestohlen“ haben soll. Das Landgericht Köln gab nun dem Angestellten Recht, der auf Wiedereinstellung klagte. Das pikante an dem Fall: Laut Pressebericht hält sich das Unternehmen nicht an das Urteil und verweigert offenbar die Zahlung ausstehender Löhne an den inzwischen finanziell ausgezehrten Arbeiter. Eine gerichtliche Vollstreckung gegen den Discounter steht im Raum. Herr Proffessor Dierlamm – ich vermute Sie lesen Diesen Blog – was sagen Sie eigentlich dazu?

Der Anwalt des Logistik-Arbeiters sagte zur Stratgie hinter der Kündigung seines Mandanten:

altgediente und kostspielige Kräfte mit unbefristetem Vertrag sollen billigeren Leiharbeitern und zeitlich befristeten Mitarbeitern weichen

Wer will in solchen Läden kaufen?

Unangenehm für den Discounter, der ALDI und Lidl den Rang an der Spitze der preiswerten Supermärkte streitig machen will, ist nur: Seine Kunden sind ebenfalls einfache Arbeiter, Angestellte und Arbeitslose.  Menschen wie Faruk M. Die Beispiele Schlecker und Lidl haben gezeigt, dass dieses Klientel zusehends sensibel auf skandalöse Manager-Methoden und schikanöse Arbeitgeber reagiert. Schlecker ist – auch wegen seines schlechten Rufs – inzwischen Geschichte und Lidl wurde ab 2006 von ver.di in einer vorbildlichen Kampagne (Schwarzbuch Lidl) in die Knie gezwungen.

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5 Kommentare

  1. Ich habe etwas genommen und habe vergessen zu bezahlen. ..fühle mich auch schuldig,aber warum wird meinen Mann jetzt gekündigt? Er hat sich nie was zuschulden kommen lassen, ist überall beliebt. Aber trotz allem wird ihm seine Existenz genommen. Warum wird er jetzt bestraft für das Vergehen von mir?

  2. Ich kenne noch so einen „Drecks-Laden“…außer „Netto“ in Bremen-Nord, wo ich auch 1 Jahr beschäftigt war und dann „Gott sei Dank“ den Absprung geschafft habe…dachte ich…und dann Pustekuchen!
    Ja, ich konnte mehr als 20h arbeiten, als bei „Netto“, ja in Vollzeit (40h) für 1047,00 € Netto!!!
    Aber…Feiertage wurden nicht bezahlt, bzw. es gab wurden keine Stunden dafür gutgeschrieben und die Chefin/Eigentümerin sagt selber: „Da bin ich ja Schwein“!
    Der kleine private „EDEKA“-Laden rühmt sich mit „einzigartigen 102 Stunden Einkaufsvergnügen pro Woche“…das bedeutet Öffnungszeiten von 07:00 – 24:00 Uhr…natürlich ohne Spätschicht-und Nachtschichtzuschläge! Auf die Frage warum nicht: „Da bin ich ja Schwein“…und…“die 400,00€-Kräfte sind faul!
    Eher kommen, später gehen…unbezahlte Mehrarbeit gehört genauso dazu, wie die Tatsache, dass Arbeitspläne für die Folgewoche in der Regel erst Samstag-Nachmittag fertig sind!!! Das heißt etwas mehr als 1 Tag, bevor die neue Woche beginnt!
    Achja…und Arbeitshandschuhe tragen zum Beispiel beim Packen von Ware, oder für vergammeltes Obst, zum Eigenschutz seiner Haut, ist bei ihr verboten, dass will sie nicht!!!

    Der Laden heißt: „EDEKA Brüning & Tochter“ und befindet sich in der Lerchenstraße 14, in 28757 Bremen!

    Vielleicht können wir zusammen etwas bewegen! Fast jeder der dortigen Angestellten empfindet so wie ich, aber kaum einer ist in der Gewerkschaft, geschweige denn traut er sich, den Mund aufzumachen!

  3. Eigentlich müsste es doch einfach sein, solche Firmen in die Knie zu zwingen. Einfach massenhaft erst einen Drecksladen solange boykottieren, bis er sich an die Spielregeln hält und dann den nächsten Drecksladen boykottieren. Das Problem bei Netto ist, dass das kaum einer mit kriegt, was da abläuft.

  4. Ich versuche seit Jahrzehnten, meine Macht als Verbraucher einzusetzen. So kaufe ich keine Produkte von Firmen, die eindeutig gegen Arbeitnehmerrechte verstoßen. Leider komme ich immer mehr in eine Zwickmühle. Meine Boykottliste wird immer länger und ich frage mich, wie lange kann ich meinen Grundsätzen noch treu bleiben? Ich würde die EDEKA gern auf meine Liste setzen, aber ich lebe auf dem Dorf und anders als früher ist EDEKA die einzige Möglichkeit meinen täglichen Bedarf vor Ort zu decken. SPAR (bisher die Alternative) ist in EDEKA aufgegangen. Jeder Inhaber eines EDEKA-Marktes ist zwar nominell ein selbständiger Unternehmer, aber in meinen Augen ist er nichts anderes als der Geschäftsführer einer Filiale (einheitliche Produktpalette mit Preisvorgaben) und damit ein ausgebeuteter Scheinselbständiger. Die Marktmacht der Konzerne wird mit jeder Fusion größer und damit schwindet meine Macht als Verbraucher. Ich befürchte, eine genaue Analyse wird deutlich machen, dass unsere Wahlfreiheit sich auf max. 10 multinationale Konzerne beschränkt, die alle nach ähnlichen Mustern arbeiten (McKinsey und die USA lassen grüßen)! Das Beibehalten von Markennamen gaukelt eine nicht mehr vorhandene Vielfalt vor. Die meisten Unternehmen auf meiner Liste sind Discounter, was mich in meiner Lebensführung teuer zu stehen kommt. Ein weiterer Punkt der meine Verbrauchermacht als frisch gebackener Rentner deutlich einschränkt. Je größer der Anteil von Menschen mit niedrigem Einkommen an der Bevölkerung ist, desto stärker wird die Macht der Konzerne im Beschneiden von Arbeitnehmerrechten zur Kostenminimierung. Die Armen wollen (müssen) schließlich billig einkaufen! Der Begriff „Solidarität“ wird nur noch mit linken Spinnern in Verbindung gebracht. Niemand scheint bereit ihn auch zu l e b e n !!!

  5. Mich wundert, daß diese Unternehmen mit solchen Methoden immer wieder durchkommen. Wäre ich betroffen, und würde auf diese kriminelle Art genötigt oder gemobbt, könnte ich definitiv für nichts garantieren…

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