Deliveroo: Protest vor Arbeitsgericht Köln

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Betriebsratszerschlagung durch Befristung und (Schein-)Selbständigkeit.

12. März 2018, vor ArbG Köln: Protest gegen Betriebsratszerschlagung bei Deliveroo
12. März 2018, vor ArbG Köln: Protest gegen Betriebsratszerschlagung durch Befristung und (Schein-)Selbständigkeit bei Deliveroo.

Vor dem Arbeitsgericht Köln protestierten am 12. März 2018 rund 30 Personen, darunter zahlreiche Fahrer der Essenslieferanten Deliveroo und Foodora. Der Protest wurde von der Plattform Liefern am Limit organisiert. Aufgerufen hatten auch die NGG und die Initiative aktion ./. arbeitsunrecht, es nahmen zudem Mitglieder der Linken und der FAU teil.

Anlass war ein Gütetermin vor der 5. Kammer des Kölner Arbeitsgericht. Kathrin G., ein Betriebsratsmitglied von Deliveroo, klagte gegen ihre Entlassung durch Nicht-Verlängerung eines befristeten Vetrages. Eine Einigung kam erwartungsgemäß nicht zu Stande, der Kammertermin (also eine reguläre Verhandlung mit Zeugenvernehmung und Urteilsspruch) findet am 17. Mai 2018 um 10.00 Uhr im Arbeitsgericht Köln, Blumenthalstraße 33,  Saal VII statt.

Ein ungleicher Kampf: Gleiss Lutz gegen DGB Rechtsschutz

Während Deliveroo mit Gleiss Lutz eine der größten deutschen Wirtschaftskanzleien ins Rennen schickte, vertreten durch die Rechtsanwältin Josefine Chakrabarti, bot die NGG einen Sekretär der DGB Rechtsschutz GmbH auf, der offenbar so verschüchtert war, dass er gegenüber dem Blog arbeitsunrecht.de weder seinen Namen nennen noch Auskunft zur Prozessstrategie geben wollte. (1)

Möglicherweise mit gutem Grund: Die juristische Linie des DGB Rechtsschutz wirkte nicht besonders ausgereift und schlecht abgestimmt auf Protest und Öffentlichkeitsarbeit. Folgender Punkt fehlte vollständig: Das Betriebsverfassungsgesetz verbietet die Benachteiligung von Betriebsratsmitgliedern (§ 78 BetrVG). Es dürfte allen Anwesenden im Saal einschließlich Richter Joachim Lennarz klar gewesen sein, dass Deliveroo momentan alles tut, um den ersten Betriebsrat in Deutschland im Keim zu ersticken, der sich am 16. Februar 2018 in Köln gegründet hat.


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Strategie der DGB Rechtsschutz GmbH wirft Fragen auf

Obwohl der Saal voll war mit Gewerkschaftern und Essenskurieren, die das genauso sahen, argumentierte der unbekannte DGB-Rechtsschutz-Sekretär auf einer strikt individualrechtlichen Ebene. Seine komplizierte Argumentation geht so: Bis zum 6. Juni 2017 hatte die Essensfahrerin als (Schein-)Selbständige gearbeitet, vom 6. Juni 2017 bis zum 7. Februar 2018 hatte sie eine befristete Festanstellung. Nun will man nachweisen, dass die voran gegangene Selbständigkeit bei Deliveroo nur scheinbar gegeben war, so dass sich aus der gesamten Zeit ein unbefristeter Vertrag ergeben müsste. Dieser recht pfiffige Pfad schließt eine Argumentation rund um die Benachteiligung eines Betriebsratsmitglieds durch böswillige Nicht-Verlängerung von Verträgen allerdings gar nicht aus.

Union Busting durch „unternehmerische Freiheit“ und Vorgaukeln betriebswirtschaftlicher Notwendigkeit

Deliveroo reagierte auf die Betriebsratsgründung in Köln mit struktureller Gewalt. Das Management wandelte im Vorfeld der Betriebsratswahlen fast sämtliche Festverträge in (Schein-)Selbständigkeiten um und verlängerte befristete Verträge von Betriebsratsmitgliedern nicht.

Die Strategie, Betriebsräte durch Nicht-Verlängerung befristeter Verträge zu entsorgen, ist vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) leider erfolgreich gewesen. Das BAG-Urteil vom 25. Juni 2014 ( Az. 7 AZR 847/12) machte aus offensichtlichem Unrecht höchstrichterliche Rechtsprechung. Doch auch das BAG stellte fest, dass Arbeitsverträge von Betriebsräten nur befristet werden können, solange die Befristung nicht wegen der Mitgliedschaft im Betriebsrat erfolgt. Deliveroo ist schon einen Schritt weiter: Befristung wird in Scheinselbständigkeit umgewandelt. Denn Selbständige sollen – so das Kalkül von Gleiss Lutz – nicht wahlberechtigt sein.

Sachgrundlose Befristungen als Union Busting-Methode bekämpfen

Es lohnt sich, öffentlichen, politischen Druck gegen sachgrundlose Befristungen zu erzeugen: Sie sind ein zentrales und extrem erfolgreiches Mittel, um gewerkschaftliche Organisierung und Betriebsratsgründungen auszuhebeln. Sie sind ein Wahlkampftehema. Dass sachgrundlose Befristungen ein sozialschädliches Übel sind, hat sogar die SPD erkannt. Andrea Nahles und Konsorten wollten sie in den jüngsten Koalitionsverhandlungen abschaffen oder zumindest massiv einschränken – was eine wirklich gute Idee war. Mit bekanntem Ausgang: Es soll alsbald kosmetische Korrekturen geben, die im Kern nichts ändern.

Im Jahr 2016 entsorgte Amazon per kalter Entlassung durch nicht-verlängerte Befristung unliebsame, aktive Betriebsratsmitglieder am brandenburgischen Standort Brieselang. Das LAG Berlin-Brandenburg bestätigte diese anti-demokratische Praxis leider (arbeitsunrecht.de, 18.1.2016).

Lichtblick: Der Fall Ayşe bei H&M

Doch es gibt auch Hoffnung. Durch massive Proteste, die den Umsatz einer H&M-Filiale in Heilbronn empfindlich trafen, gelang es ver.di 2014, einen unbefristeten Arbeitsvertrag für die Heilbronner H&M-Betriebsratsvorsitzende Ayşe zu erstreiten (Ayşe bleibt! H&M erliegt öffentlichem Druck, Blog Team Ayse, 22.10.2014). Genau an diesem Beispiel sollten sich die Deliveroo-Kuriere und andere prekär Beschäftigte orientieren:

  • Proteste vor und nach Arbeitsgerichtsterminen, um Öffentlichkeit herzustellen, politischen Druck und Bewusstsein in der arbeitenden Bevölkerung zu erzeugen.
  • Eine geschickte juristische Strategie, die in beide Richtungen angreift: Gegen Scheinselbständigkeit und gegen die Benachteiligung von Betriebsratsmigliedern. (Das eine schließt das andere nicht aus.)
  • Wirtschaftlicher Schaden durch Imageschädigung und Boykott.

Die Verbindung zwischen politischem und juristischem Widerstand

Die deutsche Arbeitsgerichtsbarkeit versucht in ihrer Grundtendenz stets kollektive Konflikte und Interessengegensätze in individuelle Meinungsverschiedenheiten zwischen Einzelpersonen (Beschäftigter und Personalleiter) umzudeuten und zu befrieden. Durch Abfindungen und andere Trostpflästerchen soll der Dampf aus dem Kessel entweichen. Dem dürfen wir nicht auf den Leim gehen.

Eine juristische Strategie sollte politischen Protest einerseits aufnehmen und widerspiegeln und andererseits ergänzen, im besten Fall verstärken. Es fühlt sich für Demonstranten und solidarische Prozessbeobachter*innen relativ bescheiden an, wenn Gewerkschaftsvertreter vor dem Gericht laute politische Töne anschlagen, während der DGB Rechtsschutz-Sekretär im Gerichtssaal den Konflikt still und leise als ein rein individualrechtliches Spezialproblem abhandeln will.

Doch was nicht ist, das kann noch werden. Tatsächlich ging es diesmal nur um einen ziemlich nutzlosen Gütetermin. Im Mai werden die Karten neu gemischt. Und am Aktionstag Freitag, der 13. April 2018 gibt es für Deliveroo erstmal Saures!


Mehr Informationen

  • Warum wurde Deliveroo für den Aktionstag Freitag, der 13. April 2018 nominiert?, aktion ./. arbeitsunrecht, März 2018
  • Arne Busch: Gewerkschaft: Kölner Lieferdienst unterläuft Mitbestimmung, wdr.de, 13.3.2017

(1) Dass ein Sekretär der DGB Rechtsschutz GmbH in einem öffentlichen Prozess seinen Namen gegenüber der Presse verschweigt, erscheint einigermaßen bizarr. Die Öffentlichkeit eines Gerichtsverfahrens ist ein wesentlicher Pfeiler der Rechtsstaatlichkeit, die Freiheit der Presse ein weiterer. Auch vom Kölner Büro der DGB Rechtsschutz GmbH war auf Nachfrage keine Auskunft zu erhalten.


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