Elmar Wigand: Lieferando mit neuem Betriebsrat (junge Welt, 14.4.2020)

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Knapper Sieg für gewerkschaftsnahe Liste bei Kurierdienst in Köln

Die gewerkschaftsnahe Liste mit dem schillernden Namen »Lieferando Riders – Guardians of the Galaxy« (Wächter der Galaxis) hat die Betriebsratswahl beim Radkurierdienst Lieferando in Köln am 5. April knapp gewonnen. Die Gruppe um den ehemaligen Gesamtbetriebsratsvorsitzenden bei Foodora, Semih Y., hat ihren Namen einer Superheldentruppe aus dem Comicuniversum von Marvel entlehnt. Die »Riders«-Liste erhielt 73 Stimmen. Das Lieferando-Management in Berlin protegierte dagegen eine zweite, auf der mehrheitlich Vorarbeiter (Stationshelfer und Koordinatoren) zu finden waren. Diese kam nur auf 65 Stimmen, obwohl sie systematisch bevorzugt wurde und mit Methoden in der Grauzone zur Illegalität arbeitete.

Die Sitzverteilung im Betriebsrat wird mit 6:5 entsprechend knapp sein, die Wahlbeteiligung der rund 380 Essenslieferanten lag bei 38 Prozent, was für die Branche als hoch gilt. Die Wahl fand zudem unter besonderen Voraussetzungen statt: Wegen geltender Abstandsregelungen zur Eindämmung des Coronavirus bildete sich eine lange Schlange vor dem Wahllokal. Die Pandemiemaßnahmen machten Betriebsversammlungen und Gewerkschaftstreffen unmöglich.

Wie die Marvel-Superhelden mussten sich die Lieferando-»Guardians« übler Schurken erwehren. Der Standortleiter und Betriebsratskandidat Tarek S. drohte Vertretern der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) vor dem Wahllokal in der Richard-Wagner-Straße mit Prügel und musste von der Kölner Polizei per Platzverweis daran gehindert werden, die wartenden Stimmberechtigten einzuschüchtern, wie das Wirtschaftsportal businessinsider.de einem Bericht vom 8. April zufolge aus Gewerkschaftskreisen erfahren haben will.

Lieferando hatte in der Vergangenheit erklärt, dass Betriebsräte nicht »zur Firmenkultur gehören« würden. Als der niederländische Lieferando-Eigentümer, die Firma Takeaway.com, Ende 2018 für 930 Mio. Euro das Unternehmen Foodora übernahm, handelte er sich als »Kollateralschaden« auch die dort seit 2017 entstandene Betriebsratsstruktur ein. Die berüchtigte Düsseldorfer Arbeitsrechtskanzlei Kliemt konnte die Ausbreitung der Mitbestimmung im Zuge des Betriebsübergangs nur verzögern.


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Ihre abstrusen Versuche, die verbliebenen 22 Foodora-Fahrer innerhalb der Kölner Lieferando-Flotte als separaten Betrieb quasi unter arbeitsrechtliche Quarantäne zu stellen, scheiterten vorerst. Obwohl alle in denselben aprikosenfarbenen Uniformen durch die Stadt radeln und dieselbe App ihnen die Anweisungen gibt, versuchte der Kliemt-Senior-Associate Jan Heuer, den Gerichten vorzugaukeln, die ehemaligen Foodora-Fahrer stellten eine eigenständige Belegschaft mit eigenem Betriebsrat dar. Das Kölner Landesarbeitsgericht zwang Lieferando Ende Januar schließlich dazu, eine vollständige Wählerliste auszuhändigen.

Diese war praktisch nackt, nur Vor- und Nachnamen waren darauf angegeben. Und während die Vorgesetzten der Liste zwei ihre Leute in den Radstationen jeden Tag instruieren und infiltrieren konnten, blieb den »Guardians« nur die Straße. Als Wahlgeschenk verteilten sie ein selbstgemachtes Desinfektionsgel nach WHO-Rezept, dem sie – passend zur Lieferando-Farbe – ein wohlriechendes Aprikosenöl beimischten.

Die Flacons fanden begeisterte Abnehmer, zumal Lieferando auch in der dritten Woche des Kontaktverbots infolge der Coronapandemie noch keine Handdesinfektion für seine Fahrerinnen und Fahrer bereitstellte. So transportierte das Aprikosendesinfektionsgel eine zentrale Botschaft: Dem Markteroberer sind seine Arbeiter im Grunde egal, aber ein guter, aktiver Betriebsrat kümmert sich um die Gesundheit der Kolleginnen und Kollegen.

Die Kölner Betriebsratswahl gilt als Präzedenzfall. Weitere im Bundesgebiet dürften folgen. Doch das Management gibt nicht auf. Für den 7. Mai ist ein weiterer Kammertermin vor dem Kölner Arbeitsgericht geplant, der abstruse Rechtspositionen rund um die »betriebsfähige Einheit« zum Thema hat.


Im Original lesen: https://www.jungewelt.de/artikel/376388.arbeitskampf-der-radkuriere-lieferando-mit-neuem-betriebsrat.html


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