arbeitsunrecht FM 4/22: Union Busting-News mit Jessica Reisner

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Nachrichten aus Wirtschaft & Betrieb

Arbeitsunrecht, Streik, Union Busting und Betriebsratsbehinderung in Deutschland

Update: Sixt scheitert mit drei Kündigungsversuchen gegen Initiatorin einer Betriebsratswahl | Rente: Länger arbeiten mit Habeck? | Kreis Gütersloh: Freitesten nach drei Tagen für Tönnies-Beschäftigte dank Sonderregelung | Gersthofen/Bayern: IG Metall prüft Strafanzeige gegen Anhänger-Hersteller Humbaur | Mammingen/Bayern: Ukrainische Erntearbeiterin soll 80.000,- Euro Krankenhaus-Kosten bezahlen | Friedrichshafen/Baden-Württemberg: Geprellte Erntearbeiter*innen müssen neun Monate auf Gerichtstermin warten

update: Sixt scheitert mit drei Kündigungsversuchen gegen Initiatorin einer Betriebsratswahl

Düsseldorf: Gleich drei außerordentliche Kündigungsversuche startete das Management des Autoverleihers Sixt 2021 gegen die Initiatorin einer Betriebsratswahl. Das Arbeitsgericht Düsseldorf entschied am 23. Februar 2022, dass alle drei Kündigungen unwirksam sind (10 Ca 4119/21).1 Gegen das Urteil kann das Sixt-Management noch Berufung einlegen.

Die Sixt SE mit Sitz in Pullach ist ein börsennotierter, im wahrsten Sinne des Wortes familiengeführter Konzern. Vater Erich Sixt ist Vorsitzender des Aufsichtsrates. Seit 17. Juni 2021 sind die Unternehmersöhne Alexander und Konstantin Sixt gemeinsame Vorstandsvorsitzende. 2 3 Der Düsseldorfer Fall ist nicht der einzige Union Busting-Vorgang in der Firma.

Die Kanzlei Pusch Wahlig Workplace Law begleitet das Union Busting juristisch. Zu Dienstleistern dieser Art ist zu sagen, dass sie aus zwei Gründen kein Interesse an einer Deeskalation haben:


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1. sie verdienen mit jedem Schriftsatz extrem gut

2. auch wenn Kündigungsversuche vor Gericht in sich zusammenbrechen, erfüllen sie langfristig oft genug trotzdem ihr Ziel: die Diskreditierung und Demoralisierung der Betroffenen.

Personen, die nach einem solchen misslungenen Angriff des Unternehmens zurück in die Firma kommen brauchen die volle Solidarität ihrer Kolleginnen und Kollegen.

Unternehmer wie Alexander und Konstantin Sixt investieren vermutlich gerne in solche Rechtsstreitigkeiten. Die Kosten können sie gewinnmindernd absetzen. Oft geht es bei Union Busting auch um weit mehr als die Verhinderung demokratischer Mitbestimmung. Was viele Unternehmer fürchten wie der Teufel das Weihwasser ist mehr Transparenz.

Sixt findet laut SZ sowohl in den Panama- als auch den Paradise-Papers Erwähnung und umgeht offenbar per aufwendiger Firmenkonstrukte in großen Stil Steuerzahlungen.4 Dabei hilft unter anderem ein Umweg über die Steueroase Malta: Sixt gelingt es offenbar, einen Großteil der Steuern, die das Unternehmen bezahlt, wieder zurückzuholen. Wer weiß schon, welche Leichen die Familie Sixt noch im Keller hat?

Länger arbeiten mit Habeck

Deutschland: Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) schlägt einen späteren Renteneintritt auf freiwilliger Basis vor. Aus Sicht des Wirtschaftsministeriums geht es darum, das Arbeitsvolumen zu erhöhen. Insbesondere bei Frauen und Älteren gebe es noch ungenutzte Potenziale.5

Ungenutzte Potentiale bei Frauen und Älteren?

In Deutschland arbeiten schon jetzt mehr als 1,3 Millionen Frauen und Männer länger als sie müssten.6 Und das sind nur die, die überhaupt einen Job wollen und ihn auch bekommen. Im Mai 2021 waren 1,06 Millionen Menschen langzeitarbeitslos. Menschen über 55 Jahre machen mit 41% den größten Anteil dieser Gruppe aus.7

Aus dem Fehlzeiten-Report der AOK von 2021 ist auf der anderen Seite zu entnehmen: psychische Erkrankungen waren mit 12% der zweithäufigste Grund für Fehlzeiten von Beschäftigten. Oft leiden besonders Frauen unter der erschöpfenden Doppelbelastung von Berufs- und Familienleben.

Arbeiten über den Renteneintritt hinaus ist auch derzeit schon möglich. Insofern sollte uns die Äußerung von Habeck irritieren. Wird hier nur Stimmung für eine langfristig anvisierte Erhöhung des Renteneintrittalters gemacht? Sollen „arme Rentner*innen“ zukünftig schneller als arbeitsscheu deklariert werden, weil nur zu faul sind, etwas dazu zu verdienen?

Freitesten nach drei Tagen für Tönnies-Beschäftigte dank Sonderregelung

Das Gesundheitsamt Gütersloh hatte laut Recherchen des Westdeutschen Rundfunks im Januar 2022 spezielle Anweisungen für das Unternehmen Tönnies ausgegeben.

Ein anonymer Mitarbeiter des Kreisgesundheitsamtes hatte dem Magazin Westpol mitgeteilt, dass positiv Getestete durch ein Sonderverfahren bereits nach drei statt sieben Tagen aus der Quarantäne entlassen wurden. Laut Angaben des betreffenden Mitarbeiters soll man beim Gesundheitsamt allgemein eine Priorisierung der Tönnies-Fälle vorgenommen und Freitestungen ohne Rücksprache mit Ärzten durchgeführt haben.8

Das Gesundheitsministerium des Landes Nordrhein-Westfalen bestätigte, in die Vorgänge beim Gesundheitsamt in Gütersloh eingeweiht gewesen zu sein.

Der Einfluss von Clemens Tönnies auf Entscheidungsträger scheint nach wie vor ungebrochen. Man kennt sich, man hilft sich. Landrat des Kreises Gütersloh ist der Adenauer-Enkel Sven-Georg Adenauer (CDU). 9

Verhindert Anhänger-Hersteller Humbaur eine Betriebsratsgründung?

Gersthofen in Schwaben: IG-Metall prüft eine Strafanzeige gegen den Anhänger-Hersteller Humbaur zu stellen. Die Firmenleitung unter Ulrich Humbaur geht hier aggressiv gegen die Gründung eines Betriebsrats vor und verstößt damit mutmaßlich gegen geltendes Recht. Denn ein Betriebsrat ist im §1 des Betriebsverfassungsgesetz für alle Betriebe mit mehr als 5 ständig Beschäftigten routinemäßig vorgesehen. Die Behinderung der Wahl ist strafbar.

Schon die Aufstellungsversammlung wollte Humbaur per einstweiliger Verfügung für nichtig erklären lassen. Das Arbeitsgericht Augsburg wies die Anträge ab.

Den Wahl-Initiator*innen bot das Management unter Ulrich Humbaur Auflösungsverträge mit hohen Abfindungszahlungen an. Der stellvertretende Vorsitzende des Wahlvorstandes lehnte den Auflösungsvertrag ab. Nun versucht Humbaur ihn fristlos zu kündigen gekündigt und sprach ein Hausverbot aus.

In der Süddeutschen Zeitung wird über häufige Personalgespräche bei Humbaur berichtet. Solche Einzelgespräche werden von Union Bustern gerne genutzt um Einfluss auf Betriebsratswahlen zu nehmen und Beschäftigte einzuschüchtern. Das scheint hier auch zu funktionieren: rund 30 Personen sollen laut IG Metall auf der Liste zur Wahl stehen. Man fürchte sich jedoch diese Liste offen auszuhängen.10 Das Mandat auf Seiten des Unternehmens hat Rechtsanwalt Marcus R. Klopfer von der Augsburger Kanzlei Konopatzky.  

Die Dokumentation der Behinderung der Betriebsratsgründung bei Humbauer finden Sie auch in unserem Union Busting- Wiki

Erntearbeiterin soll 80.000– Euro Krankenhaus-Kosten bezahlen

Mammingen in Bayern: 80.000,-Euro soll eine Erntearbeiterin für einen Krankenhaus-Aufenthalt während ihres Einsatzes in Deutschland im Jahr 2020 zahlen.

Die Frau arbeitete beim Gemüsehof Wagner im bayerischen Mammingen. Während ihres Aufenthaltes infizierten sich im ersten Corona-Jahr 250 Erntearbeiter*innen mit Covid-19. Damit war der Gemüsehof einer der größten Corona-Hotspots hinter Tönnies. Auch bei der Ukrainerin wurde Covid-19 festgestellt. Wochenlang kämpfte sie in einem Krankenhaus in Bayern um ihr Leben. – Dann bekam sie die Rechnung über fast 80.000,- Euro.

Michael Ihly, Sprecher der Techniker Krankenkasse erklärt wie es dazu kam: „Der Arbeitgeber hat die Patientin abgemeldet, noch während sie im Krankenhaus war“. Zuvor hatte der Landwirt die Frau überhaupt erst bei der TK angemeldet, nachdem sie schwer erkrankt war. Das war 2020 sogar legal.11

Die Techniker Krankenkasse hatte mit dem Krankenhaus abgerechnet, bevor sie erfuhr, dass der Unternehmer gar keine Beiträge mehr für die Erntearbeiterin zahlte. Der TK-Sprecher versicherte, dass man nach einer Lösung im Sinne der Betroffenen suche.

Der Fall zeigt, wie pervertiert das Landwirtschaftssystem in Deutschland ist. Landwirtschaftsunternehmen, die mit Milliarden subventioniert werden, bekommen von der Politik den roten Teppich ausgerollt, damit sie nur ja keine Sozialversicherungsbeiträge für ihre Beschäftigten zahlen müssen. Am Ende zahlen die Erntearbeiter*innen  – oder, wie in diesem Fall, die Versicherten der betroffenen Krankenkasse.

Wir meinen, das Geld für die Behandlung ist vom Gemüsehofbetreiber einzutreiben. Über den besagten Gemüsehof finden Sie bei uns noch mehr Infos. Dort kam es bereits 2018 zu einem Todesfall einer Erntearbeiterin. Die Staatsanwaltschaft befragte nur Vorgesetzte und stellte die Ermittlungen ein. 12

Geprellte Georgische Erntearbeiter*innen müssen 9 Monate auf Arbeitsgerichtstermin warten

Friedrichshafen am Bodensee: Im Juni 2021 prellte eine Landwirt Georgier*innen bei der Erdbeerernte am Bodensee um Lohn. Erst jetzt, neun Monate später findet endlich die Gerichtsverhandlung statt. Bereits im Arbeitsvertrag stand ein Stundenlohn unterhalb des Mindestlohns. Allein das ein klarer Rechtsverstoß.

Aber auch darüber hinaus prellte der Unternehmer die Georgier*innen: sie wurden nicht nach Arbeitszeit, sondern geernteten Kilo bezahlt: 3,- Euro pro 5 kg. Da Viele nur rund 10 kg pro Stunde schaffen, lief das auf einen Stundenlohn von rund 6,- Euro hinaus.

Insgesamt haben 18 Betroffene geklagt. Für einen der Betrogenen geht es um rund 1000,- Euro Differenz. Warum müssen so offensichtlich um ihren Lohn Betrogene monatelang warten, bis das Arbeitsgericht dafür sorgt, dass sie ihr Geld bekommen? 13

Wir sehen hier einen dringenden Reformbedarf.

Unternehmer*innen verlassen sich unserer Meinung darauf, dass diese Verfahren genauso gemächlich abgearbeitet werden weniger pressierende Rechtsfragen und nutzen diesen Umstand für ihre Zwecke. Bei unserer Dokumentation von Behinderung von Betriebsratsarbeit ist das Vorenthalten von Lohn ein oft genutztes Instrument um Betriebsratsmitglieder und ihre Familien unter Druck zu setzen. Ganze Monatsgehälter werden manchmal einfach nicht gezahlt.

Wir meinen: Arbeitsgerichte müssen Verfahren um vorenthaltenen Lohn priorisiert bearbeiten. Miete und andere Ausgaben laufen schließlich weiter.


Quellen

1 Justiz NRW: Arbeitsgericht Düsseldorf: Fristlose Kündigungen einer Sixt-Mitarbeiterin unwirksam, Pressemitteilung, 24.02.2022, https://www.justiz.nrw/JM/Presse/presse_weitere/PresseLArbGs/24_02_2022_/index.php

2 Wikipedia-Eintrag: Erich Sixt https://de.wikipedia.org/wiki/Erich_Sixt , abgerufen am 1.3.2022

4 Frederik Obermaier, Bastian Obermayer und Jan Strozyk: Da sixt, was ois geht, SZ, 08.11.2017 https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/wirtschaft/das-malta-manoever-von-sixt-e331524/

6 ARD: Mit 72 noch auf der Baustelle, Tagesschau, 26.01.2022  https://www.tagesschau.de/wirtschaft/konjunktur/rentner-fachkraefte-arbeitsmarkt-101.html

8 Natalie Trappe: Corona-Sonderregeln vom Gesundheitsamt. Tönnies-Mitarbeiter durften Isolation offenbar nach drei Tagen verlassen, Der Tagesspiegel, 22.02.2022 https://m.tagesspiegel.de/politik/corona-sonderregeln-vom-gesundheitsamt-toennies-mitarbeiter-durften-isolation-offenbar-nach-drei-tagen-verlassen/28086984.html

9: Webseite Landrat Sven-Georg Adenauer https://www.sven-adenauer.de/ abgerufen 01.03.2022

11 Jost Maurin: 80.000 Euro von armer Erntehelferin, taz, 28.02.2022 https://taz.de/Versicherer-will-Geld-fuer-Coronatherapie/!5837192/

12 Kevin Hoffmann: Frontberichte 03/22, arbeitsunrecht in Deutschland, 22.02.2021  https://arbeitsunrecht.de/frontberichte-03-2021/#anker04

13 Tigran Petrosyan: Rebellion der Saisonarbeiterinnen, Taz, 19.02.2022 https://taz.de/Knochenarbeit-unter-dem-Mindestlohn/!5833515/


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