Corona News KW18: Masseninfektion bei Müller Fleisch, Autoindustrie fordert Kaufprämie, 10 Millionen in Kurzarbeit

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Pieter Aertsen – Fleischerladen mit Flucht aus Ägypten (etwa 1508 –1575). Der Weg aus der Sklaverei ist lang. Die Kritik an den unmenschlichen Lebensbedingungen osteuropäischer Werkvertragsarbeiter*innen in der deutschen Fleischproduktion wächst.

Müller Fleisch: Masseninfektion unter Werkvertragsarbeiter*innen

Die Firma Müller Fleisch in Birkenfeld in Baden-Württemberg hat sich zu einem Infektions-Hotspot entwickelt. Fast 300 Werkvertragsarbeiter*innen, die für Sub-Unternehmen von Müller Fleisch arbeiten, haben sich mit dem Coronavirus infiziert. Hunderte Müller-Fleisch-Werkvertragsarbeiter*innen fristen ihr Dasein unter teilweise hygienisch erbärmlichen Zuständen.1 Die Rede ist von bis zu 16 Personen, die in 2- bis 4-Zimmer-Wohnung leben müssen.

Die Müller Fleisch-Geschäftsführer Stefan und Martin Müller sehen in den beengten und unhygienischen Wohnverhältnissen offensichtlich weder ein Problem, noch die Ursache für die Ausbreitung des Virus unter ihren Beschäftigten. Schuld seien vielmehr die Infizierten selbst: Sie kämen aus einem Kulturkreis in dem man gerne feiern würde.2 Rassismus und Ausbeutung von Osteuropäern*innen gehen in der deutschen Fleischindustrie scheinbar Hand in Hand.

Bereits am 17. April 2020 wurden 90 der 1000 Müller-Fleisch Beschäftigten positiv getestet. 3 Eine Schließung des Betriebs haben die Müller-Fleisch-Geschäftsführer Stefan und Martin Müller allerdings nie in Betracht gezogen.

Auch Brigitte Joggerst, Leiterin des zuständigen Gesundheitsamts, sah kein Problem in der Nahrungsmittelproduktion durch Infizierte, die auf engstem Raum zusammengepfercht leben. Statt frischer Luft und Erholung für die Infizierten erklärte sie ihren Plan: „Das bedeutet, dass sie zur Arbeit kommen, aber ansonsten die eigenen vier Wände nicht verlassen dürfen“.4


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Am 29. April 2020 allerdings bescheinigt selbst das Gesundheitsamt, „dass die Wohnverhältnisse der überwiegend rumänischen, bei Subunternehmern angestellten Beschäftigten mit Gemeinschaftszimmern, -küchen und -bädern so beengt seien, dass man sich kaum aus dem Weg gehen könne, was eine Ausbreitung des Virus begünstigt habe“.

Die Infizierten sind jetzt auf Hotels und eine Kur-Klinik verteilt. Auf den Kosten bleiben die Steuerzahler sitzen, denn die Firma Müller beteiligt sich scheinbar nur anteilig mit einem noch nicht bekannten Schlüssel.5

Das Schlachtvolumen bei Müller Fleisch liegt bei ca. 129.000 Rindern und 226.000 Schweinen pro Jahr. Die Firma ist laut wikipedia seit Jahren sowohl wegen des massiven Einsatzes von Werkvertragsarbeiter*innen als auch wegen deren Unterbringung in der Kritik.

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Fleischindustrie USA: Arbeiter*innen verweigern die Arbeit

Die in den USA führenden Fleischunternehmen Smithfield Foods Inc., Cargill Inc., JBS USA und Tyson, hatten zuletzt den Betrieb von rund 20 Schlachthöfen und Verarbeitungsbetrieben in Nordamerika eingestellt.6 Die Beschäftigten waren aus Angst vor Corona der Arbeit fern geblieben.

Die Fleisch-Arbeitergewerkschaft UFCW teilte am 28. April mit, dass in den USA mehr als 6.500 Fleisch- und Lebensmittelarbeiter infiziert sind und 20 bereits verstorben seien.7 Der amerikanische Präsident Donald Trump hat als Reaktion auf eine Verknappung des Fleisch-Angebots eine Verordnung erlassen, die den Unternehmen teilweise einen Rechtsschutz mit mehr Haftungsschutz bieten, falls Mitarbeiter aufgrund der Notwendigkeit, zur Arbeit zu gehen, an dem Virus erkranken. Das Verteidigungs-Produktions-Gesetz soll die Funktionsfähigkeit bestimmter Anlagen in Krisenzeiten sichern.

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Autoindustrie: Nein zur Kaufprämie

VW, Daimler und BMW fordern eine Kaufprämie für ihre veralteten Verbrenner-Modelle, die sich schon vor der Corona-Krise längst nicht mehr gut verkauften.8 Die Manager*innen aller drei Unternehmen haben gleichermaßen verschlafen, sich um neue Technologien zu bemühen und den Anschluss an Wasserstofftechnologie und Elektromobilität längst verloren. Statt innovative und gefragte Produkte zu produzieren, sollen in den letzten Zügen wohl wenigstens noch möglichst viele öffentliche Gelder auf die Konten der Aktionär*innen zu gelenkt werden. Das Geld der Steuerzahler sollte allerdings besser in den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs und Fahrradstrecken fließen.

Denn auf die Ausschüttung der Dividenden wollen die Autoherstellen freilich bislang nicht verzichten. Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Deutschen Autoindustrie meinte im Deutschlandfunk, es sei wichtig, die Aktionär*innen bei der Stange zu halten. Die Pkw-Kaufprämien müsse es geben, damit verunsicherte Verbraucher zu Anschaffungen motiviert würden.

Autohersteller zahlen für Mitarbeiter*innen in Kurzarbeit keine Sozialversicherungsbeiträge. SPD-Parteivorsitzende Norbert Walter-Borjans forderte deshalb Boni- und Dividendenzahlungen auszusetzen, wenn Unternehmen in der Coronakrise Staatshilfen beantragen.

Allein VW hat 2019 einen Gewinn von 20 Milliarden eingefahren.9 Dabei beruht der Reichtum der Großaktionärsfamilien Piech und Porsche unbestritten auf Lohndumping durch Auslagerung, Leih- und Werkvertragsarbeit.

Ökologisch sinnvoll und arbeitsplatzsichernd wäre, dass die deutschen Automobilfirmen endlich auf nachhaltige und sinnvolle Produkte und Produktion umstellen. Dazu würde auch natürlich gehören, menschenwürdige Beschäftigungsbedingungen für alle Beschäftigten zu schaffen. Erst im März dieses Jahres berichteten wir über den Fall eines tot am Band zusammengebrochenen Arbeiters. 10

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Kündigungstraining für Daimler-Führungkräfte

Daimler schult Führungskräfte in der Durchführung von Kündigungsgesprächen. Dabei sollen Beschäftigte zur Unterzeichnung eines Aufhebungsvertrags gebracht werden. In Anbetracht der aufziehenden Weltwirtschaftskrise rechnet das Management hier allerdings mit Gegenwehr der einzelnen betroffenen. 10 000 Beschäftigte will das Daimler-Managenemt kündigen.

Die Führungskräfte werden angewiesen im Zweifelsfall mit schlechten Leistungsbeurteilungen zu drohen und klar zu machen, dass es keinen Verhandlungsspielraum gibt. 11

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Immunitäts-Ausweis/Seuchenpass: Digitale Zukunft mit Corona

Die Bundesregierung plant einen Immunitätsausweis. Voraussetzung sind wissenschaftliche Beweise, dass es nach einer Corona-Infektion nicht möglich ist, sich erneut anzustecken.12 Für viele Beschäftige im Gesundheitsbereich oder in Berufen mit viel Kundenkontakt wäre es freilich eine große Beruhigung zu wissen, dass sie keine Infektion mehr fürchten müssen.

Ungünstig sieht es dagegen möglicherweise für alle Personen und Beschäftigten aus, die ein solches Dokument nicht vorlegen können. Im Gesetzt steht laut Süddeutscher Zeitung: aus einer immunität könnten „weitreichende Schlüsse für den weiteren Umgang mit Schutzmaßnahmen und vulnerablen Personengruppen gezogen werden“.

Arbeitgeber sollen laut dem Entwurf außerdem künftig Kenntnis über alle „übertragbaren Krankheiten“ ihrer Angestellten erhalten dürfen.

Digitaler Seuchenpass

Ein digitaler Seuchenpass wird laut dem Blog heise.de von einem Konsortium entwickelt, zu dem die Bundesdruckerei, Lufthansa Industry Solutions, Govdigital, Ubirch, Centogene, Labor Dr. Wisplinghoff, Healex und mcDoc gehören. Das Gesundheitsamt und die Universitätsklinik der Stadt Köln sind beteiligt. Die Boston Consulting Group und der Verein Digital Health Germany beraten.

Die anfallenden Daten sollen dabei so pseudonymisiert gespeichert werden, dass nur der Inhaber des Zertifikats auf sie zugreifen und zur Vorlage bei Unternehmen öffnen kann.13

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Kurzarbeit trifft 10 Mio

Über 10 Millionen Beschäftigte sind laut Bundesagentur für Arbeit aktuell in Kurzarbeit. Der bisherige Rekord von 2009 hat bei 1,44 Millionen gelegen. 14 Man darf getrost davon ausgehen, dass wir auch mit Bezug auf die kommende Weltwirtschaftskrise gerade erst am Anfang der ersten Welle stehen. 

Nach dem Beschluss der Bundesregierung vom 23. April 2020 steigt das Kurzarbeitergeld für die Betroffenen 

  • ab dem 4. Bezugsmonat auf 70% (77%)
  • ab dem 7. Bezugsmonat 80% (87%)

siehe auch Corona-News KW17

1Schwarzwälder Bote 27.04.2020 https://www.schwarzwaelder-bote.de/inhalt.bad-wildbad-birkenfeld-tiefe-besorgnis-und-kritik-nach-corona-ausbruch.c5631b21-9edd-4ced-85ea-c1cca3db7c0c.html

 

 


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