Was haben Donald Trump und Friedrich Merz rein äußerlich gemein?

Nicht viel. Fast nichts. Der Deutsche ist drahtig wie ein Marathonläufer, der Ami wäre wahrscheinlich gern schlanker, weshalb er stets Anzüge trägt, die fast so oversized sind wie sein Ego. Gekrönt von einer viel zu breiten und langen Krawatte, die auf die Region unter der Gürtelline zeigt.
Falls ihr das lustig findet – Humor ist nicht meine Absicht und auch nicht meine Stärke, sorry – , so muss ich an dieser Stelle unbedingt eine Warnung einschieben: Es ist ein historischer Fehler der Linken, sich über die groteske Erscheinung dieser Selbst-Darsteller lustig zu machen, sie aufgrund ihrer (von außen, mit kritischem Verstand betrachtet) lächerlichen Anmutung abzutun.
Auch wenn der Impuls verständlich ist: Wer konnte diesen Hate-Speach-Slam-Poeten aus dem Münchner Hofbräukeller schon ernst nehmen, der da herum brüllte wie ein tollwütiger Hund?1 Der alle Schuld den Juden und Kommunisten gab und sie alle ausrotten wollte…
Ein noch größerer Fehler ist es, die Wähler*innen dieser Figuren abzutun, sich über sie lustig zu machen und ihre Gefühlslage zu verkennen. Und so den Anschluss an weite Teile der Bevölkerung zu verlieren.
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Wir tun Joachim-Friedrich Martin Josef Merz2 sicherlich unrecht, ihn in die Reihe von grotesken Figuren wie Donald Trump oder Geert Wilders zu stellen, ganz zu schweigen von Silvio Berlusconi, mit dem die gegenwärtige Ära der dreist lügenden Verbrecher als gewählte Staatsoberhäupter einer Medien-Demokratur wohl begann. Das war 1994.
Friedrich Merz hat im Gegensatz zu ihnen kein Charisma. Er ist beim Wahlvolk unbeliebt. Er ist weitgehend abhängig vom Springer-Verlag und hat kein eigenes Massenmedium, auf dessen Klaviatur er virtuos spielt wie Trump im TV und auf X. Nicht einmal die CDU-Parteigremien folgen ihm rückhaltlos. Er ist instinktlos, stößt die eigenen Leute regelmäßig vor den Kopf, hat keinen Riecher für die Situation und das Momentum und stolpert dadurch regelmäßig über seine eigenen Füße bzw. über seine zu große Klappe und seinen anmaßenden Ton.
Er hat Blackrock und die Atlanktik-Brücke hinter sich, aber das haben auch andere.
Seine Qualität ist, dass er immer wieder aufsteht. Er scheint schmerzfrei und ohne Scham.
Während Trumps Anzüge maßlos sind, gilt Friedrich Merz als der bestgekleidete Politiker in Deutschland – jedenfalls laut WDR, der sich auf einen nicht genannten Mode-Blogger bezieht: Die Anzüge des 69-Jährigen würden immer richtig sitzen und das Revers seiner Sakkos habe die richtige Breite.3 Da ist etwas dran.
Zurück zur Eingangsfrage: Was Trump und Merz gemein haben ist eine auffällige künstliche Bräune.
Stilberaterinnen und Psychologen rätseln, was bei dem selbstverliebten US-Präsidenten-Darsteller wohl aus dem Ruder gelaufen sei, Selbstbräunungsspray oder Sonnenbank? Oder beides? Hingegen ist der Teint des Sauerländers bislang kein Thema. Die Kartoffel aus Brilon hat ihre Bräune im Griff und hält sie stabil auf einem Niveau, als hätte Merz gerade drei Wochen Yachturlaub im Mittelmeer hinter sich. Oder als würde er täglich mit der Heckenschere den Garten seiner Villa am Tegernsee selbst in Schuss halten und dazu noch die Rabatten seines Nachbarn und Spezis Wolfram Weimer kürzen.4 (Tipp zum Googeln: „Tegernsee-Connection“.)
Der Hang zur Tanorexie scheint mir bemerkenswert. So heißt – angelehnt an die Magersucht, also Anorexie – die Sucht nach Bräune. Tan heißt auf englisch braun. Im Volksmund wird die Tannorexie auch „Grillhähnchen-Syndrom“ genannt. (Auf das übersteigerte Verlangen, die Haut zu bräunen, bin ich durch die Beschäftigung mit dem Berliner Union Busting-Rechtsanwalt und Betriebsratsfresser Tobias Pusch gestoßen.)
Pop-kulturell ist die Sonnenbank ziemlich von gestern.
Sie hatte ihre Hochzeit in den 1980er-Jahren, als Aerobic für Frauen und Bodybuilding unter Einsatz von Anabolika für Männer die vorherrschenden Formen der Selbstquälerei waren. Stil-Ikonen waren Sylvester Stallone und Arnold Schwarzenegger also Rocky und Rambo sowie Conan der Barbar und der Terminator.
Merkwürdig verdreht erscheint der Stachel der braungebrannten Regierungschefs gegen Immigranten aus südlichen Gefilden, insbesondere gegen Araber, also Leuten mit zumeist dunklerem Teint. Steckt hinter diesem Aggress eine unterdrückte Bewunderung für die Südländer, gar ein Minderwertigkeitskomplex?
Meine Kollegin Jessica Reisner interpretiert die Sache anders: Früher galten weiße Haut und gepflegte Blässe als Zeichen des Reichtums, des Adels.
Müßiggang war erstrebenswert, Arbeit ein Fluch.
Sonnenbräune markierte die Feldarbeiter*innen, Bauarbeiter und Seeleute. In den letzten Jahrzehnten drehte sich das um. Das Heer der Bürohengste, Niedriglohn-Malocher und Lohnsklav*innen kommt kaum noch an die Sonne, wir sind blass und schlecht ernährt. Die gepflegte Bräune wurde ein Statussymbol der Reichen – sowie der Zuhälter, Schlagerstars und Emporkömmlinge. Klimawandel und Hautkrebs haben die Ästhetik in den letzten Jahren wieder gewandelt, aber das leugnen oder ignorieren Tanorektiker offensichtlich.
Es gibt auch handfeste Vorteile dieses permanenten Teints: TV-Kameras und Studio-Beleuchtung machen dick und blass, weshalb Models, TV-Promis, Influencer und andere Kamerasüchtige besonders gefährdet für eine gestörte Körperwahrnehmung sind.5
Einen weiterer Vorteil der Gesichtsbräune:
Du kannst lügen ohne rot zu werden.
Was für Juristen wie Politiker von unschätzbarem Wert ist. Friedrich Merz ist bekanntlich beides. (Juristen stellen nebenbei die größte Berufsgruppe im Bundestag.) Nachdem er bei seiner Inthronisierung als Kanzler im ersten Wahlgang blamabel gescheitert war, sind seine alabasterweiße Ehefrau und scheewittchengleichen Töchter auf der Besuchertribüne noch bleicher geworden und vor Scham beinahe zerschmolzen. Dummerweise waren alle Kameras auf sie gerichtet.
Um halb acht stand ihr braungebrannter Haudegen von einem Ehemann und Vater wieder vor der Kamera. Im Brennpunkt nach der Tagesschau. Mit seiner typischen, provokanten Visage, guckt er Dich leicht von unten an und sagt Dinge, die mindestens dreist sind: „Es ist ein ehrlicher Tag gewesen. Aber am Ende des Tages auch ein Vertrauensbeweis der Koalition aus CDU/CSU und SPD.“ Seit wann ist eine weltöffentliche Demütigung durch anonyme Abweichler ein Vertrauensbeweis? Was für ein Bullshit… Aalglatt und ohne mit der Wimper zu zucken vorgetragen.
Teil eins ist aber wahr: Der ehrliche Tag, also der 6. Mai 2025, hat gezeigt, dass Friedrich Merz im Grunde eine tragische Figur ist. Noch tragischer ist, dass er kein Mitleid verdient, weil er selbst keines kennt.
Was dieser ehrliche Tag nebenbei ans Licht gebracht hat:
Die Partei die LINKE verrät ihre Wähler*innen.
Zum zweiten Mal innerhalb von zwei Monaten. Nur durch das Mitwirken von Heidi Reichinnek und Co. konnte dieser braungebrannte Aufschneider und Demagoge seine Ernennungsurkunde in die Flossen kriegen. Weil die Tagesordnung mit Zweidrittelmehrheit geändert wurde, um einen zweiten Wahlgang im selben Rutsch zu ermöglichen. Es wäre darauf angekommen, Merz so lange wie irgend möglich von der Kanzlerschaft fern zu halten und zumindest den Zeitplan und die Inszenierung zu durchkreuzen. Das war der klare „Wählerauftrag“ an die Linke.
Ihre überraschenden 8,8 Prozent, ihre Wiederauferstehung, hatte die totgesagte Truppe nicht zuletzt aufgrund einer Massenmobilisierung gegen Merz errungen und gegen die gemeinsame Abstimmung seiner CDU mit der AfD im Bundestag für den fremdenfeindlichen „Migrationspakt“ am 29. Januar 2025. Der Drive der Straße füllte die Segel der Linken – zumal das BSW hier völlig falsch abgebogen war, ebenfalls mit Merz gestimmt und ein politisches Seppuku begangen hatte.6 Die Linke ließ nicht lange auf sich warten.
Noch schlimmer wirkte: Nur durch die Zustimmung der Linken aus Bremen und Meck-Pomm im Bundesrat konnte die historische Grundgesetzänderung für das 500 Milliarden-Schulden-Paket zur Aufrüstung durchgehen.7 Was für ein staatstragendes Versagen! So steht die AfD momentan als einzige parlamentarische Fundamentalopposition da. Antifaschismus geht anders. Geschickte Taktik auch.
Dass Friedrich Merz nur ein Kanzler auf Abruf sein dürfte, kann uns nicht beruhigen. Danach kommen der Republikaner Jens Spahn und Alice Weidel… Was haben sie rein äußerlich mit Friedrich Merz gemein? Nicht viel. Fast nichts.8
Fußnoten / Quellen / Anmerkungen
1 Ein Hund war der spätere Führer nicht, aber er hatte einen. Während er Menschen wie Ungeziefer vernichtete, entwickelte ein liebevolles Verhältnis zu einer Schäferhündin namens Blondie…. Tollwütig war er auch nicht, aber vermutlich als Gefreiter an der Westfront im 1. Weltkrieg tatsächlich mit Syphilis und zahlreichen Traumata zurück gekehrt, die durch Obdachlosigkeit und Perspektivlosigkeit im Elend der Nachkriegszeit nicht gebessert wurden.
2 Der ausgeschriebene Name des 10. Bundeskanzlers ist nebenbei bemerkt ziemlich oversized. aber dafür kann er nix. Sein Großvater war der örtliche Bürgermeister von Brilon, sein Vater war Richter am Landgericht Arnsberg und selbstverständlich musste der missratene Sitzenbleiber, der wegen Disziplinlosigkeit von der Schule flog und das Abitur nur mit Ach- und Krach geschafft hat, auch Jura studieren.
3 Neuer Bundeskanzler: Unnützes Wissen über Friedrich Merz, WDR, 6.5.2025, https://www1.wdr.de/nachrichten/fakten-friedrich-merz-kanzler-100.html
4 Weimer wurde von Merz zum Kulturstaatsminister gemacht. Er hat das rechte Spiegel-Pendant Cicero gegründet. Max Czollek grub u.a. folgendes Zitat aus Weimers Feder zum Thema Multikulturalismus aus: Ein gezielter „Versuch mit vielen Döner-Buden, fleißiger Zuwanderung und der Huldigung von Kanak-Deutsch die alten Nationalinstinkte auszutilgen … Ein Stück Wiedergutmachung durch kulturelle Selbstvernichtung also.“ Quelle: Max Czollek, Bluesky, 27.5.2025, https://bsky.app/profile/maxczollek.bsky.social/post/3lnsve3rqe22f
5 Die übermäßige Konzentration auf einen oder mehrere eingebildete oder leichte Defekte im Erscheinungsbild nennt sich übrigens „körperdysmorphe Störung„. Siehe: Katharine Anne Phillips, Dan J. Stein: Körperdysmorphe Störungen, MSD Manual, Juli 2023, https://www.msdmanuals.com/de/heim/psychische-gesundheitsst%C3%B6rungen/zwangsst%C3%B6rung-und-%C3%A4hnliche-erkrankungen/k%C3%B6rperdysmorphe-st%C3%B6rung
6 Sepuku ist japanisch und bedeutet rituelle Selbsttötung. Der Samurai rammt sich einen Dolch in den Unterleib.
7 Pascal Beucker: Neuer Ärger in der Linkspartei Frieden war gestern, taz, 21.3.2025, https://taz.de/Neuer-Aerger-in-der-Linkspartei/!6077942/
8 Merz, Spahn und Weidel haben fast kein, wenig oder ziemlich dünnes Haupthaar. Der Umstand widerspricht dem gängigen Schönheitsideal, verleiht ihnen allerdings einen markanten Schädel.

Elmar ist Pressesprecher der aktion ./. arbeitsunrecht.. Als Sozialforscher und Campaigner unterstützt er Betriebsräte und Gewerkschafter gegen Union Busting. Elmar Wigand moderiert mit Jessica Reisner die Sendung arbeitsunrecht FM. Er arbeitet freiberuflich als Autor und Country Blues-Musiker. Für die Zeitung Graswurzelrevolution schreibt er die monatliche Kolumne „… so süß wie Maschinenöl“. Er hält Vorträge und berät Gewerkschaften, Betriebsräte und Betriebsratsgründer*innen.



