GdL-Streik & Tarifeinheit: Die Stunde der Heuchler

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Jährlich brechen Konzerne die Tarifeinheit und schließen hunderte Tarifverträge mit gelben Scheingewerkschaften ab.

Kämpferische Organsiationen wie die GDL sollen zerstört werden.

von Werner Rügemer

Die Gewerkschaft deutscher Lokführer ist die älteste deutsche Gewerkschaft. Soll sie jetzt zerschlagen werden?
Die Gewerkschaft deutscher Lokführer ist die älteste deutsche Gewerkschaft. Soll sie jetzt zerschlagen werden?

Die Bild-Zeitung wirft der Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL) vor, »unsere Wirtschaft lahmzulegen« und listet die Gehälter des Vorsitzenden und der Chefs ausgesuchter DGB-Gewerkschaften auf (Montagausgabe). Der Spiegel hetzte Ende vergangener Woche gegen die GDL als »Deutschlands dümmste Gewerkschaft«. Dem stehen die anderen »renommierten« Mitglieder der deutschen Mainstreammedien kaum nach. Doch warum die GDL streikt, wird selten erklärt: Damit nach 25jähriger Berufstätigkeit für einen Lokführer etwas mehr als 1.750 Euro netto rausspringen und weniger Arbeitsbelastung.

Dazu muss man die verschärften Bedingungen einbeziehen, seitdem die Bahn privatisiert wurde: Also weniger Personal, Vernachlässigung der Bahninfrastruktur, so dass kaputte Weichen, stillgelegte Ausweichgleise, verzögerte Instandhaltung die Arbeit erschweren, ständige Verspätungen den Lokführern angelastet werden. Das schlecht bezahlte Begleitpersonal in den Zügen ist von diesem Stress ebenfalls betroffen. Nicht zuletzt geht es um die Sicherheit der täglich Millionen Fahrgäste, die pünktlich zu ihren Arbeitsplätzen und Terminen kommen müssten. 


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GdL siegte 2010 vor BAG

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat 2010 die jahrzehntelang geltende Regel der Tarifeinheit abgeschafft. Seitdem gilt arbeitsrechtlich das Prinzip »Ein Betrieb – eine Gewerkschaft« nicht mehr. »Es gibt keinen übergeordneten Grundsatz, dass für verschiedene Arbeitsverhältnisse derselben Art in einem Betrieb nur einheitliche Tarifregelungen zur Anwendung kommen«, heißt es etwas umständlich, aber eindeutig. Das BAG entsprach damit nur den geänderten Realitäten.

Dagegen ergriff als erster der damalige Präsident der »Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände« (BDA) Dieter Hundt das Wort. »Ich fordere die Politik auf, die Tarifeinheit gesetzlich zu regeln!« Sonst drohe die »Spaltung der Belegschaft« und dauerndes Streiken wie im Großbritannien der 1970er Jahre.

Dieser Aufforderung kam die Bundesregierung nun nach. Angesichts der effizienten Streikfähigkeit von GDL, Marburger Bund und der Pilotenvereinigung Cockpit (VC) in den letzten Jahren legte das Bundeskabinett unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) einen Gesetzentwurf zur Tarifeinheit vor. Der DGB hatte Hundts Forderung schon frühzeitig unterstützt.

Falsche und fadenscheinige Argumentation

Doch die neuerlichen Freunde der Tarifeinheit sind Heuchler. Sie sind es selbst, die seit zwei Jahrzehnten die Tarifeinheit nachhaltig zerstören. Immer mehr Konzerne stiegen aus ihren Verbänden aus und machten damit flächendeckende Tarifverträge immer weniger möglich. BDA und einzelne Unternehmensverbände forderten statt dessen dezentrale, einzelbetriebliche Vereinbarungen. Das wurde unterstützt durch die Aufspaltung der Konzerne in einzelne juristische Einheiten. Zuletzt haben die Hartz-Gesetze seit 2004 mit ihren Regelungen für Leih- und Teilzeitarbeit für die fortgesetzte Aufsprengung der Tarifeinheit gesorgt. Nur noch die Hälfte der Lohnabhängigen wird nach Branchentarifverträgen bezahlt, in Ostdeutschland sind es nur noch 35 Prozent.

Gelbe Gewerkschaften

So haben zahlreiche Unternehmer das Dutzend »christlicher« Gewerkschaften aus ihrem jahrzehntelangen Schläferdasein erweckt und Tausende von dezentralen Tarifverträgen abgeschlossen. Zum »Christlichen Gewerkschaftsbund« (CGB) gehört der »Deutsche Handels- und Industrieangestellten-Verband« (DHV). Er hat zwischen 2003 und 2012 mehr als 900 einzelbetriebliche und regionale Tarifverträge mit Konzernen und Unternehmensverbänden abgeschlossen: im Fach-, Groß- und Einzelhandel, in der Metall- und Elektroindustrie, mit Banken und Versicherungen, in kirchlichen und Privatkliniken, auch in Sozialversicherungen, Krankenkassen und in Kommunen.

 Neue Arbeitgeberverbände für Dumping-Tarifverträge

Unternehmer haben sich zu neuen spezialisierten Verbänden zusammengeschlossen und suchen sich dafür auch die passende »Gewerkschaft« aus, die niedrigeren Löhnen und schlechteren Arbeitsbedingungen zustimmt. Die Medienunternehmen unter Führung der Springer AG und des WAZ-Konzerns gründeten nicht nur den »Arbeitgeberverband Neue Brief- und Zustelldienste« (AGV-NBZ), sondern auch gleich die dazugehörige »Gewerkschaft der Neuen Brief- und Zustelldienste« (GNBZ), die über eine Anwaltskanzlei heimlich finanziert wurde und einen Tengelmann-Manager zum Vorsitzenden bekam. Die Einzelhandelskette Rossmann gründete den Verband »Instore Solution Services« (ISS), der für den Tarifvertrag der Regaleinräumer in Supermärkten als Gewerkschaft den DHV aussuchte.

Weil Arbeitsgerichte diesen »gelben« Gewerkschaften wegen eines geringen Organisierungsgrades in einigen Fällen inzwischen die Vertretungsfähigkeit abgesprochen haben, greift man schon mal zum Mittel der Korruption. Bei der Gründung einer DHV-Betriebsgruppe half ein Unternehmer mit einer monatlichen »Verantwortungszulage« von 50 Euro nach, damit Beschäftigte in die Scheingewerkschaft eintraten. Erinnert sei auch an die schon in den 1980er Jahren gegründete »Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger« (AUB). Der Siemens-Vorstand finanzierte sie über die Jahre mit mindestens 50 Millionen Euro und baute sie konzernweit als Alternative zur IG Metall aus. Die AUB stimmte Tarifverträgen mit unbezahlter Mehrarbeit und Lohnverzicht zu – das habe dem Konzern viel Geld erspart, gab ein Siemens-Manager vor Gericht zu. Die AUB stellt heute Betriebsräte bei ALDI Nord und hilft bei Hyundai Rüsselsheim, den gewählten Betriebsrat aus dem Amt zu jagen. Dagegen protestieren die Heuchler nicht.

Der deutsche Staat ist alleiniger Eigentümer der privatisierten Bahn. Er lässt die Bahn hinsichtlich Fahrsicherheit, Pünktlichkeit und Benutzerfreundlichkeit verkommen. Die Fahrpreise werden laufend erhöht, die Arbeitseinkommen der Beschäftigten sollen möglichst niedrig bleiben. Der Staat, vertreten durch die Bundesregierung, will Hohe Gewinne herausquetschen, um auch auf diese Weise das Ziel der »Haushaltssanierung« zu erreichen.

Fazit: Tarifeinheit nur vorgeschoben

Den Heuchlern in Regierung, Unternehmensverbänden und Propagandamedien geht es gar nicht um Tarifeinheit. Sie praktizieren schon längst das Gegenteil. Es geht ihnen darum, christlich lackierte und andere Gefälligkeitsgewerkschaften zu fördern, die Niedriglohndiktaten zustimmen und niemals streiken. Und zugleich geht es den Heuchlern darum, die Arbeitskämpfe der Lokführer demagogisch zum Anlass zu nehmen, um die Möglichkeiten und die Legitimation von Streiks überhaupt einzuschränken und schließlich ganz abzuschaffen.

Werner Rügemer

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Der Beitrag erschien in der Tageszeitung junge Welt vom 21. Oktober 2014.


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8 Kommentare

  1. Es geht hier um „union busting“, also die Schwächung der Gewerkschaften, bis zur Unerheblichkeit, oder gar Sprengung, also deren Abschaffung. Das dabei die Bundesregierung mitmacht, wird klar wenn man das Ziel der Bahnprivatisierung vor Augen hat..!

    Aber auch die Wirtschaftsverbände, als Lobbys des „Kapitals“ verfolgen das gleiche Ziel. Die Wirtschaft hat Macht und Geld und die Medien in Deutschland gehören den wenigen, sich gut versteckenden Mächtigen.

    Deswegen lief in den Deutschen Propagandamedien auch die bisher wirklich die allerschlimmste Hetze und Diskreditierung, die man sich nur vorstellen kann, gegen die Gewerkschaft GdL und seines Vorsitzenden Weselsky und natürlich all der Lokführer in Deutschland gerichtet.

    Die Hetze der Medien ist mittlerweile so gleichgeschaltet und pervers einseitig, das nur die dümmsten Deutschen das noch als Unabhängige, lügenfreie, journalistische Berichterstattung „schlucken“ können. Und das nennen die Medien dann „freie Berichterstattung“.

    Allen voran die Bild, aber auch alle anderen, zahlreichen Zeitungen, wie z.B. die mopo, die zum Springer Verlag gehören und die bei der perfiden persönlichen Angriffs-hetze gegen den Gewerkschaftsvorsitzenden Weselsky und der Gewerkschaft GdL alle mitmachen. Wer von den Journalisten da nicht mittlügt, wird entlassen.

    Und die Medienhuren, mitsamt all den Privatfernsehsendern von der Bertelsmann „Stiftung“, deren wenige Inhaber sich alle extrem gut in Deutschland bedeckt halten (hier insbesondere Elfriede Springer und Liz Mohn), helfen bei der Negativpropaganda fleissig mit, wie z.B. auch der Focus, der das Privathäusschen des Gewerkschaftsvorsitzenden abbildet, ohne zu erwähnen wo Bahnchef Grube denn so residiert.. .. und wieviel Millionen Euro der Herr Grube im Jahr verdient, wäre auch interessant zu wissen… ( 4 – 5 Mio. Euro mit allen nicht meldepflichtigen Einnahmen).

    Und die Bild toppte das Ganze noch und veröffentlichte ungeniert die Telefonnummer des Gewerkschaftschefs, mit Aufruf dort anzurufen. Persönlichkeitsrechte gelten in Deutschland anscheinend nur für Bild Chefredakteur Kai Diekmann.

    Aber auch staatliche Sender, allen Voran ARD und ZDF zeigen sträflich einseitig, nur ausschließlich genervte Kundeninterviews.

    Und zu guter letzt, bringt die SPD ein neues Streikgesetz voran, das ab 2015 kleineren Gewerkschaften endgültig des Streikrecht, in der Praxis tatsächlich zu 99 %, weg nehmen wird..

    Auf den Ersten Blick ist auch unglaublich, das sogar der grosse DGB in den „Qualitätsmedien“ gegen die kleine GdL wettert.. und die Medien drucken auch diese Hetze fleissig..!
    Dem DGB laufen die Mitglieder natürlich schaarenweise weg und er verliert deswegen an Einfluss und Macht. Aber das ist kein Wunder, da Alles was sich gegen die Arbeitnehmer richtet, in den letzten Jahren nur noch klanglos von den grossen Gewerkschaften in den Aufsichtsräten abgeknickt wurde.

  2. … muß ich jetzt auswärts übernachten – und das mehre Tage hintereinander, nur weil zwei machtgeile Seiten den Konflikt auf dem Rücken bezahlender (bereits gezahlt!) Fahrgäste austragen. Auf welcher Seite sitzen hier die größeren Arschlöcher?
    Denkt doch mal alle daran, daß die, die eure Löhne zahlen, eigentlich die Steuerzahler/Fahrgäste sind. Diese sind euer aller Arbeitgeber. Verhandelt doch mal mit kompetenter Seite.

    • Hallo Herr König, Sie sollten Ihre Wut gegen die DB-Führung richten. Zitat Anton Kobel in der jungen welt vom 04.11.2014: „Ein Bahn-Vorstand, der es schafft, über 900 selbständige Konzerntöchter zu verwalten, der jedes Jahr mit Hunderttausenden Vertragspartnern zu tun hat, wird es doch wohl schaffen, Verhandlungen mit zwei Gewerkschaften zu managen.“

    • Falsch, Herr König. Würden Sie das im Einzelhandel auch so sehen? Die Kunden sind nicht die Arbeit“geber“, wenn ich als Bahnkunde Arbeitgeber wäre, hätte ich längst die Löhne erhöht und die Arbeitszeiten reduziert! Die Macht habe ich aber offenkundig nicht.
      Wenn Sie Arbeitgeber der streikenden Lokführer sein wollen, engagieren Sie sich doch für eine Bahn in Bürgerhand: http://www.bahn-fuer-alle.de/ Dann dürfen Sie durchaus mit am Verhandlungstisch sitzen und die Diskussion wäre eine ganz andere.

  3. Widerspruch, Herr Happe: Erstens ist Dr Rügemers Text kein Artikel, sondern ein meinungsstarker Kommentar. Zweitens war und der Schlüssel auch der Bahnentwickung die DB-Privatisierung. Drittens ist R.s Hinweis, daß dieser Staat die Bahn verkommen läßt und dabei auch durch erhöhte Unfallgefahren infolge ungenügender Wartungen das Grund-„Recht auf Leben“ mißachtet, richtig. Viertens hat R. diese (von ihm höflich Heuchelei genannte) großmediale Lügerei und Hetzerei gegen die Lockführergewerkschaft zu Recht kritisiert. Und fünftens werde ich im Gegensatz zu Ihnen die GdL-Taktik nicht kritisieren (es ist allein deren Sache wie sie als anerkannte Tarifkonfliktpartei der lebendigen Arbeit handelt) aber Ihnen abschließend den Link zu einer kritischen sozialwissenschaftlichen Deutsche-Bahn-Analyse, die so ausklingt, spendieren:

    „Weil das Wallstreet-bezogene Geschäftsmodell mit diesem großen privatrechtlich organisierten Staatsunternehmen nicht „kompatibel“ sein kann, wird es nur katastrophisch weitergehen können. Die nächstgroße Eschede-Katastrophe ist tendenziell einprogrammiert. So gesehen, kann ich mit einem Dramatikerwort zum DB-Geschäftsmodell abschließen: Es mag Wahnsinn sein. Und hat doch Methode.“

    http://soziologisch.files.wordpress.com/2014/02/richard-albrecht-db-wallstreet-bestimmtes-geschc3a4ftsmodell-2013.pdf

  4. Der Artikel beschreibt die Situation zu pauschal; denn es wird hier gerade nicht klar, was das eigentliche Anliegen der GDL ist. Das besteht nämlich darin, daß Die GDL erzwingen will, daß sie als Tarifpartner eben nicht für die Lokführer, sondern auch für den Zugbegleitdienst und damit verbundene Beschäftigungsverhältnisse anerkannt wird. Sie hat m. E. aber taktisch insofern unglücklich agiert, als in der gegenwärtigen Lage an den Abbau der Überstunden, geschweige denn an Arbeitszeitverkürzung gar nicht zu denken ist.

    • Die GDL möchte im Sinne des §3 des Tarifvertragsgesetzes für ihre Mitglieder im Bereich Zugbegleiter einen Tarifvertrag abschließen. Und nichts anderes macht die Bahn derzeit mit 5000 Lokführern die in der EVG organisiert sind. Diese bekommen ihren eigenen Tarifvertrag, ergo steht auch den Mitgliedern der GDL in den anderen Bereichen ein eigener Tarifvertrag zu.

  5. Ein guter weil zutreffender und die Sache richtigstellender Beitrag zum bundesrepublikanischen Arbeits-Unrecht.
    Ich werden es in unserem Bereich und natürlich parteiintern
    (Die LINKE. KV Rhein-Hardt) weiterverbreiten und für deine/eure Initiative werben.

    Heinrich L. Stürtz
    Sprecherrat KV Rhein-Hardt

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