NGG ruft Kuriere zum Streik für einen Tarifvertrag und gegen Auslagerung auf

Am 23.10.2025 streikten Lieferando-Kuriere in Berlin für bessere Löhne und sichere Arbeitsplätze. Die DGB-Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) forderte einen Tarifvertrag und den Stopp der Massen-Auslagerungen an Sub-Unternehmen.1
An einem Lieferando-Hub im Schatten des Amazon-Towers – einer schwarzen Manifestation des Unheils, wie sie auch in Mordor stehen könnte – kamen jenseits der Warschauer Brücke in Berlin-Friedrichshain knapp 200 Personen zur verregneten Auftaktveranstaltung zusammen.
Das Problem ist klar: Lieferando will 2.000 seiner 9.000 Angestellten an Subunternehmen auslagern. Arbeitsrechtsstandards sind bedroht, nicht einmal die elementarsten Fragen um Mindestlohn und Scheinselbstständigkeit scheinen geklärt.
Rückwärts immer?
Mit der Auslagerung dreht sich das Rad für die Kuriere rückwärts. Bereits Erkämpftes wankt. 2018 protestierten wir am #Freitag13 am 13. April mit der Aktion gegen Arbeitsunrecht und vielen Kurieren und Unterstützer*innen erfolgreich gegen Scheinselbstständigkeit bei Deliveroo. 2021 entfristete Lieferando pünktlich zum Aktionstag #Freitag13 am 13. August gegen massenhafte Befristung 10.000 Angestellte. Damit wurden Betriebsratsgründungen für die fest angestellten Kuriere deutlich einfacher und Lieferando für kurze Zeit zu einer Art Vorzeigeunternehmen unter den Lieferdiensten.
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Nun steht zu befürchten, dass Stücklohn und Scheinselbstständigkeit dank Auslagerung, zum Beispiel an das Hamburger Subunternehmen Fleetlery, erneut ein Thema sein werden. 2 3 Betriebsräte vermuten, dass Lieferando gerade die Standorte schließt, die besonders starke Betriebsräte haben.
Einige Standortschließungen, wie in Hamburg und Potsdam sind bereits beschlossen. Hier geht es nur noch um Sozialpläne. Die zumindest, werden dank der Existenz von Betriebsräten verhandelt. (Nur wo es einen Betriebsrat gibt, gibt es Sozialpläne. Diese sorgen bei Massenentlassungen für höhere Abfindungen und sozial abgefederte Kriterien.) 34 Standort-Schließungen soll Lieferando insgesamt planen.
Eine Frage des politischen Willens: Direktanstellungsgebot überfällig
Insofern ist eine Forderung klar: Wer eine orange Lieferando-Firmen-Jacke trägt soll auch von Lieferando bezahlt werden. Politisch könnte das durch ein Direktanstellungsgebot bewerkstelligt werden. Ein solches Gebot würde in der Lieferbranche Werkverträge und Auslagerung an Subunternehmen verbieten. In einer Welt ohne Lobbyisten wäre die Lösung der vorliegenden Problematik also denkbar einfach.
Ergänzend fragen sich manche der Kuriere, was eigentlich Zusteller in der Logistik von Zustellern bei Lieferando und anderen Essenslieferdiensten unterscheidet? Ob Pizza, Chips und Rotwein nun im Paket oder orangen Rucksack den Kunden erreicht: Die Tätigkeit des Kuriers auf dem Weg zur Haustür des Kunden scheint gleich.
Würde man die Essens-Kuriere wie Zusteller behandeln, gälte für sie das Postgesetz. Hier brauchen Subunternehmen immerhin eine Lizenz, die Ihnen bei Nicht-Einhaltung von Gesetzen entzogen werden kann. Manche Kuriere versprechen sich davon Verbesserungen, obwohl verdi hier ebenfalls für ein Direkteinstellungsgebot kämpft um Ausbeutung bei Sub-Unternehmen zu beenden.
Das Paketboten-Schutzgesetz bietet immerhin so etwas wie eine Generalunternehmerhaftung. Das Gesetz habe, so die Bundesregierung, Scheinselbständigkeit bei Paketboten zurück gedrängt.4 Der Bundestag beschloss deshalb erst vor wenigen Tagen die Entfristung des Paketboten-Schutzgesetzes, das zunächst nur bis Ende 2025 wirksam sein sollte.
Eine Generalunternehmerhaftung indes könnte auch mit der Umsetzung der EU-Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit durch den Bund zum Tragen kommen. Bis zum 2. Dezember 2026 muss die Umsetzung in deutsches Recht erfolgen. So lange sollte die Bundesregierung nicht warten. Zumindest sofern ein besserer Schutz Lohnabhängiger gewollt ist.
Quellen
1 NGG PM vom 14.10.2025: „Ausgeliefert“: Streik bei Lieferando in Berlin https://www.ngg.net/presse/pressemitteilungen/ausgeliefert-streik-bei-lieferando-in-berlin
2 Jessica Reisner Berliner Zeitung, 31.08.2025 https://arbeitsunrecht.de/pay-to-work-lieferando-greift-arbeitsbedingungen-und-betriebsraete-an/
3 Jessica Reisner, Lieferando: Union Busting per Massenentlassung und Subunternehmen Fleetlery, junge Welt 14.08.2025 https://arbeitsunrecht.de/lieferando-union-busting-per-massenentlassung-und-fleetlery/
4 Bundesregierung, 17.10.2025 https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/nachunternehmerhaftung-1666020

Jessica ist die Geschäftsführerin der aktion ./. arbeitsunrecht.
Als Influencerin und Autorin bekämpft sie Unternehmerkriminalität und Union Busting. Jessica moderiert mit Elmar Wigand die Sendung arbeitsunrecht FM. Jessica schreibt als freie Journalistin für die Tageszeitung junge Welt und andere Medien. Sie hält Vorträge und berät Gewerkschaften, Betriebsräte und Betriebsratsgründer*innen.



