Toys R Us: Aachener Prozess auf November vertagt

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Zahlreiche Prozessbeobachter zeigen Solidarität mit Mona. Proteste in der Innenstadt. Arbeitsgerichtspräsident will minutiöse Nachweise

Solidarische Begleiter*innen vor dem Arbeitsgericht Aachen, 5. Juli 2018: Kerstin H., Trudi L., Elmar Wigand, Werner Rügemer & Jessica Reisner. (Foto: r-mediabase)

Kritischer Prozessbericht von Elmar Wigand

Am Donnerstag, 5. Juli 2018 ging es vor der 2. Kammer des Arbeitsgerichts Aachen um ein Amtsenthebungsverfahren gegen die BR-Vositzende der Toys R Us-Filiale in Würselen. Das Ergebnis: Mona hat Zeit bis über die Sommerferien gewonnen.

Die langsam mahlenden Mühlen der Arbeitsgerichtsbarkeit spielen hier ausnahmsweise der Beschäftigtenseite in die Karten. Bis Anfang September gilt es nun für Mona und ihren Anwalt Heinz Biermann, umfangreiche Schriftsätze zu erstellen, um Freistellungszeiten für die Betriebsratsarbeit nachzuweisen. So will es der Arbeitsgerichtsdirektor und Vorsitzender der 2. Kammer, Klaus Brondics. Der nächste Prozesstermin folgt am 8. November 2018, 14:00 Uhr.

Das Arbeitsgericht als nutzloser Nebenkriegsschauplatz

Toys R Us dürfte dennoch nicht unzufrieden sein. Durch juristisches Sperrfeuer und Hick-Hack ist ein wichtiges Mitglied des Toys R Us-Gesamtbetriebsrats (GBR) in einer entscheidenden Phase der Konzerngeschichte an einem völlig unproduktiven Nebenkriegsschauplatz gebunden.


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Die 93 Toys R Us-Filialen in Deutschland, Österreich und der Schweiz wurden im April 2018 an die britisch-irische Kette Smyths Toys verkauft. Der offizielle Preis scheint so skandalös niedrig, dass alle Alarmsirenen schrillen müssen. 93 Filialen kosteten laut Wirtschaftspresse nur 79 Millionen Euro. Da kann etwas nicht stimmen.(1)

Normalerweise ist die erste Instanz in Union Busting-Verfahren nur ein Vorspiel, da beide Seiten sowieso in die Berufung gehen. Da hier aber mit Brondics gleich ein Arbeitsgerichtsdirektor aufgeboten wurde, hat das Verfahren besonderes Gewicht, auch weil hier der Boss aller Aachener Arbeitsrichter am Werk ist, der zudem an der FH Aachen lehrt (Visitenkarte).

Die Kanzlei Meyer-Köring, die sich inzwischen durch mehrere Mandate im Rheinland den Ruf einer Union Busting-Kanzlei (Was ist das?) erworben hat, hatte auf 60 Seiten einen bunten Strauß an Vorwürfen zusammen gestellt, um Mona E. vor Gericht zu diskreditieren. Der Vorsitzende Richter Brondics befand unter dem angebotenen Material folgenden Vorwurf als „am erfolgversprechendsten“ (eine Wortwahl, die den Verdacht der Befangenheit nährte): die notwendige Freistellung von der Arbeit für die Betriebsratsarbeit, deren zeitliche Ausgestaltung und inhaltliche Begründung.

Bis zum nächsten Prozesstermin kommt daher einige Arbeit auf Mona und ihren Anwalt Heinz Biermann (Decruppe & Kollegen, Köln) zu. Richter Brondics will zwei Dinge genau wissen:

  1. Gab es eine Absprache mit dem damaligen Marktleiter Schulte-Krumpen, dass sich Mona für ihre Tätigkeiten als Vorsitzende des Würselener Betriebsrats und diverser Ausschüsse des Gesamtbetriebsrats, recht formlos freistellen durfte? Der Betriebsrat wird hierfür den Verdi-Sekretär für den Einzelhandel, Kay Mühle als Zeugen berufen.
  2. Mona soll minutengenau nachweisen, von wann bis wann sie welche Termin aus welchen Gründen und mit welchen Leuten wahrgenommen hat, was sie in der Zeit der Freistellung getan hat. Es wird einige Mühe kosten, das für den gesamten Zeitraum ab Mai 2017 minutiös zu rekonstruieren und zu belegen. Da in diese Epoche die Insolvenz von Toys R Us in den USA fiel, auf die mit Zeitverzögerung der Zusammenbruch der gesamten Weltmarke folgte, da gleichzeitig der Mobber Baquar I. vom Deutschland-Management in die Würselener Filiale beordert wurde, um hier eine Gewerkschaftshochburg und Betriebsratsbastion zu zermürben, dürfte es aber andererseits nicht schwer werden, den notwendigen Zeitaufwand für Fortbildung, Beratung, Koordinierung etc. zu belegen.(4)

Für Toys R Us waren die Personalleiterin Sabine Sonntag und der Rechtsanwalt Nicolai Besgen (Meyer-Köring, Bonn) angereist.

Monas Anwalt Heinz Biermann setzte folgenden Stich: Er bezweifelte, ob ein Amtsenthebungsverfahren gegen die BR-Vorsitzende „wegen grober Verletzung gesetzlicher Pflichten“ gemäß §23.1 BetrVG überhaupt der richtige Ansatzpunkt sei, eventuelle Ungenauigkeiten in der Zeitabrechnung bzw. Dokumentation zu sanktionieren.

Ruhe im Karton: Politische Dimension blieb unerwähnt

Leider unterließ es Biermann, die politische Dimension des Verfahrens gegen Mona zu thematisieren, so dass die Meinung der rund 35 Unterstützer*innen im Saal völlig ohne Würdigung oder Artikulation blieb. Vielleicht sollten wir in Zukunft doch kleinere Ordungsgelder in Kauf nehmen, um die Meinung des lohnabhängigen Volkes im Gerichtssaal zu Gehör zu bringen. Irgendwer muss es tun. (Brondics hatte zuvor ausführlich davor gewarnt, aber so schlimm wird es schon nicht werden.)

Außerdem hätte es genug Anlass zur Beschwerde gegeben: Der Saal war zu klein, mehrere Leute mussten auf dem Boden sitzen. Die Einlasskontrollen waren personell unterbesetzt, was lange Schlangen zur Folge hatte, und gingen in meinem Fall in Richtung unbegründeter, schikanöser Schnüffelei bzw. Verletzung der Privatsphäre.(2)

Der fehlende Gesamtzusammenhang des Verfahren sei hiermit nachgeliefert: Angriffe auf eine vorbildlich organisierte Verdi-Hochburg und auf eine tragende Säule des Toys R Us-Gesamtbetriebsrats. Das juristische Schriftwerk folgt diesem strategischen Ziel und ist aus diesem Gesamtzusammenhang zu bewerten, anstatt lediglich akribisch abgearbeitet zu werden. (Allerdings sind Akribie und juristische Findigkeit dadurch keineswegs wertlos.)

Wir erwarten vor Gericht keine Volksreden, aber ein paar saftige Worte, die erkennen lassen, dass hier ein Anwalt den politisch-juristischen Wald vor lauter Paragraphen-Bäumen noch erkennt, dürften es schon sein. Das hebt die Stimmung der angereisten Unterstützer*innen und stärkt das Vertrauen.

Da es seit Gründung der Arbeitsgerichte ihr Sinn und Zweck ist, Arbeitskonflikte zu entpolitisieren und als Individualstreitigkeiten scheinbar freier, gleichberechtigter Parteien zu befrieden, muss es das Ziel von Gewerkschaftern und Betriebsräten sein, eben die politische, gesellschaftliche Dimension deutlich zu machen. Dazu gehört die Abhängigkeit und Verletzbarkeit der Lohnabhängigen und der ungleiche Kampf ihrer Interessenvertretungen mit der Kapitalseite.(3)

Asymmetrischer Konflikt: Skrupelloser Konzern gegen Verkäuferinnen

Allein das Eingangsstatement von Richter Klaus Brondics enthielt eine Passage, die ein größeres Ganzes erkennen ließ: „Es wird auf beiden Seiten mit harten Bandagen gekämpft. Das ist auch in Ordnung, aber es darf nicht rechtswidrig sein.“ So lernt man es vermutlich seit Jahrzehnten in der juristischen Ausbildung, so lehrt es vermutlich auch Brondics an der FH. Dennoch ist dieser Ansatz schräg: Hier sind nicht zwei gleichberechtigte Kombattanten am Werk.

Mona und ihre Mitstreiter_innen setzen sich gegen ein (ehemals) milliardenschweres Unternehmen zur Wehr, das ihnen einen armutssicheren Lohn verwehrt, das Tarifverhandlungen mit Verdi kategorisch verweigert und keine Kosten und Mühen für langwierige Gerichtsverfahren scheut. Zudem mussten sie sich gegen einen Mobber wehren, der gezielt in ihre Filiale gesetzt wurde. Wer diese Asymmetrie nicht erkennen will, verpasst einen wesentlichen Punkt. Oder ist befangen.

Immerhin gab Brondics durch seine Konzentration des Verfahrens auf den „erfolgversprechendsten“ Punkt „mit größtem Aufklärungsbedarf“ zu verstehen, dass er die anderen Vorwürfe im Meyer-Köring-Schriftsatz eher für Kokolores halten dürfte.

Mona sollte laut Meyer-Körings Nicolai Besgen auch ihres Amtes enthoben werden, wegen „öffentlichen wahrheitswidrigen Anprangerns des Unternehmens“. Zumindest dieser juristische Bullshit wird wohl außen vor bleiben. Brondics will sich vor der nächsten Instanz, dem LAG Köln sicher nicht blamieren.

Nach dem Gerichtstermin versammelten sich 12 Personen aus Köln und Aachen in der Aachener Innenstadt zwischen Klenkes-Denkmal und Frittenzange, um Passanten über die Vorgänge bei Toys R Us zu informieren. Das Flugblatt „Toys R Us ist tot. Es lebe Smyths Toys?“ hier zum Download.
(Alle Fotos: r-mediabase)

Fußnoten

(1) Zum Vergleich: 2005 hatte ein Konsortium aus den aggressiven Finanz-Investoren Bain Capital, KKR und dem Immobilien-Trust Vornado eine Rekordsumme von 5,8 Milliarden US-Dollar für den Global Player gezahlt. Der Toys R Us-CEO David Brandon wurde 2015 mit einem Vertrag eingestellt, der ihm 50 Mio. US-Dollar an Bezügen und Boni in 3 Jahren versprach.

(2) Die Wachbeamten durchblätterten mein Presse-Material auf der Suche nach einem „Tonabspielgerät“, das sie bei mir vermuteten. Niemand weiß warum. Es ist zu hoffen, dass Brondics als Arbeitgsgerichtsdirektor diese Schlampereien in Zukunft abstellt.

(3) Das erste deutsche Arbeitgericht wurde 1811 von Napoleon in Köln gegründet. Mehr dazu: „Arbeitsrichter und die Privatisierung des Rechts. Zur Rolle von Arbeitsgerichten bei der Zermürbung von Betriebsräten“, arbeitsunrecht in deutschland, 14.2.2017 https://arbeitsunrecht.de/arbeitsrichter-und-die-privatisierung-des-rechts/

(4) Vielleicht sollte man über die Hintertür der geforderten minutiösen Nachweise der notwendigen Betriebsratsarbeit den Prozess nutzen, um oben genannte Skandale rund um Toys R Us (Mobbing + Finanz-Investoren-Desaster) vor dem Arbeitsgericht zu thematisieren.


Presseberichte + Infos:


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