Hamburg: HAG mahnt 9 Betriebsratsmitglieder ab

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Maulkorbversuch durch Einschüchterung – solidarische Begleitung des Gütetermins erwünscht

Rund 270 Beschäftigte leisten bei der Hamburger Assistenzgenossenschaft eG (HAG) persönliche Assistenz für Menschen mit Behinderungen. Die Beschäftigten sind, das liegt in der Natur dieser anspruchsvollen Tätigkeit, besonderen Belastungen ausgesetzt. In den Wohnungen der zu betreuenden Personen sind sie auf sich selbst gestellt und leisten ihre Dienste isoliert von KollegInnen.

Neun Betriebsratsmitglieder und sechs Ersatzmitglieder haben nun wegen einem Beitrag in der Betriebsratszeitung „BR-Info“ Abmahnungen erhalten. In dem Text werden in anonymisierter Form grenzwertige Belastungssituationen von AssistentInnen geschildert.

Die Geschäftsleitung, vertreten durch Rechtsanwalt Heinrich Geising von der Kanzlei Dornheim, sieht dadurch den Betriebsfrieden gestört und einen Schaden für die HAG. Die Betriebsratsmitglieder pochen dagegen darauf, dass im BR-Info auch kritische und belastende Arbeitssituationen beleuchtet werden müssen. Die Abmahnungen werden als Einschüchterungsversuch und Angriff auf das Informationsrecht gegenüber der Belegschaft gewertet.

Die aktion ./. arbeitsunrecht e.V. fordert dazu auf, den anstehenden Gütetermin solidarisch zu begleiten.


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Der Gütetermin findet am am 02.12.2015, um 09.40 Uhr am Arbeitsgericht Hamburg, Osterbekstraße 96, 22083 Hamburg, statt.

Wir dokumentieren im folgenden die Pressemeldung des Betriebsrats der HAG vom 25.11.2015:

Das war ein Angriff auf unser Informationsrecht gegenüber der Belegschaft!

Aufgrund eines Artikels in der Betriebsrat-Zeitung wurden 15 Beschäftigte (neun Betriebsratsmitglieder und sechs von sieben Ersatzmitgliedern des Betriebsrats, A.d.R.) der Hamburger Assistenz-Genossenschaft (HAG) abgemahnt. Am 2. Dezember findet nun die Güteverhandlung vor dem Hamburger Arbeitsgericht statt.

„Warum sollten in einem betriebsrätlichen Info-Blatt nicht Geschichten aus der Arbeitswelt unseres Unternehmens zu lesen sein, die von Grenzerfahrungen berichten?“, fragt sich Sinje Ludwig, Betriebsratsvorsitzende der Genossenschaft und fügt hinzu: „Die BR-Info ist unser Beitrag zur betriebsinternen Öffentlichkeit!“ Die Arbeitnehmervertretung sieht sich durch die individuellen Abmahnungen der Mitglieder eines kollektiven Gremium vom Unternehmen ungerechtfertigt angegriffen.

Anlass dafür boten zwei anonymisierte Texte, die in der Publikation BR-Info erschienen sind. Der eine berichtet von einem Ladendiebstahl, den ein Rollstuhlfahrer unter Hilfestellung seines Assistenten beging. In der anderen Geschichte wird der Lebensgefährte einer Rollstuhlfahrerin sexuell übergriffig. Die in den Texten beschriebenen Personen seien zwar dem Betriebsrat bekannt, jedoch seien die Handlungen strafrechtlich betrachtet längst verjährt, die erzählten Geschichten „Erfahrungsmaterial, nichts weniger als Lehrstücke über Grenzerfahrungen in diesem Job“, sagt Karl Schaaf, stellvertretender Vorsitzender des Gremiums.

Die Geschäftsführung begründet die Abmahnung damit, die Betriebsräte hätten den Betriebsfrieden gestört und der HAG Schaden zugefügt. Zudem unterstellt die Unternehmensleitung den Arbeitnehmervertretern mit der Publikation einen Generalverdacht gegenüber den assistenznehmenden Kunden der Genossenschaft zu streuen. Dieser besteht darin, dass sozusagen verallgemeinert Rollstuhlfahrer ihre persönlichen Assistentinnen in Straftaten hineinziehen und diese sexuell belästigen.

Solche Anschuldigungen will der Betriebsrat der HAG nicht auf sich sitzen lassen. Bei der Veröffentlichung sei es überhaupt nicht darum gegangen, „die HAG und allgemein Menschen mit Behinderung in ein schlechtes Licht zu rücken“, sagt Schaaf. Vielmehr sei das einzige Anliegen gewesen, „Kolleg/innen zu informieren, welche Grenzsituationen in der Assistenz passieren können!“

Die Geschichten seien Fallbeispiele, wie sie in jeder Branche in Fortbildungen erzählt würden. Zudem unterstützt der Betriebsrat der HAG voll und ganz die Aussage der Geschäftsführung, „dass schwere Missstände sofort bei den zuständigen Abteilungsleitern anzuzeigen sind!“ Der Betriebsrat schließt aus, dass Geschichten publiziert werden, die Grenzerfahrungen schildern, unter denen Kolleg/innen aktuell leiden. „Dafür gibt es andere – direkte Wege!“.

Die Betriebsräte der HAG hatten gegen das Vorgehen ihrer Geschäftsführung gerichtliche Schritte eingeleitet. Die rechtliche Absicherung der betriebsinternen Öffentlichkeitsarbeit von gewählten Arbeitnehmervertretungen ist gerichtlich immer wieder bestätigt worden. Eine Geschäftsführung müsste eigentlich über diese Rechte im Bilde sein.

„Dies war ein Angriff auf unser Informationsrecht gegenüber der Belegschaft“, vermutet BR-Vorsitzende Ludwig. Sie sieht dahinter einen Akt der Einschüchterung. „Die wollen uns Angst machen, damit unsere BR-Info, unser Sprachrohr, das den Geist der freien Aussprache atmet, sich selbst thematisch und inhaltlich beschränkt!“ Ludwigs Fazit lautet: „Mit den Abmahnungen hat die Geschäftsführung versucht, durch Repression unsere Arbeit zu behindern.“

Die Anwältin der Betriebsräte, Christiane Knack, betrachtet die Publikation als einen vom Betriebsverfassungsgesetz gedeckten Zweck. Aus ihrer Sicht geht der Vorwurf „Störung des Betriebsfriedens“ ins Leere. Sie betrachtet den Vorgang als „rechtswidrige Einschüchterung.“

Die Unternehmensleitung habe rechtswidrig in die Selbstorganisations-rechte des Betriebsrates und in dessen Grundrecht auf freie Meinungsäußerung eingegriffen!


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