junge Welt: Betriebsräte kein zahnloser Tiger.

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Was aktive Betriebsräte können, warum sie wichtig sind und wie sie geschützt werden sollten.

Nina Scholz zitiert in ihrem neuen Buch „Die wunden Punkte“ den Pressesprecher der Aktion gegen Arbeitsunrecht: 

‚»Für mich war es ein Aha-Moment, festzustellen, dass es Betriebsräte nur in Deutschland, Österreich und in den Niederlanden gibt. Sie sind ein Ergebnis der Novemberrevolution in Deutschland 1918 und auch in Opposition zu den Gewerkschaften entstanden, die zusammen mit der Mehrheits-SPD auf Kriegskurs waren und dann auch in den Betrieben Arbeiterinnen und Arbeiter angeschwärzt und verpfiffen haben. So dass sich die Matrosen, die Bergarbeiter und die Chemiearbeiter aus Leuna klandestin und abseits der Gewerkschaften organisieren mussten und dem Rätegedanken nahestanden«, sagt der Sozialforscher und Publizist Elmar Wigand, Pressesprecher des in Köln beheimateten Vereins »Aktion gegen Arbeitsunrecht«, der die Gründung von Betriebsräten unterstützt. Der Hauptgrund dafür sei auch heute noch »der Kündigungsschutz für die Betriebsratsmitglieder. Man kann nicht gegen Chefs und für die Rechte der Kolleginnen kämpfen, wenn einem jederzeit gekündigt werden kann.« Es gebe aber noch weitere Gründe: »Der aktive Betriebsrat verhindert Auslagerungen und forciert Eingliederungen. Er dämmt Überstunden ein. Fordert Arbeitsschutz ein. Tarifliche Vereinbarungen werden oft nicht eingehalten, wenn es keinen Betriebsrat gibt.« Gerade bei Tech-Unternehmen und in anderen prekären Branchen sei es wichtig, dass es einen Betriebsrat gibt: »Sonst herrschen da Wildwestmethoden. Auch tarifliche Vereinbarungen werden nicht eingehalten, wenn da keine Instanz ist, die das kontrolliert und Standing hat.« Niemand weiß genau, wie viele Betriebsräte es in Deutschland gibt. Der DGB vermutet, in neun Prozent aller Unternehmen, die mehr als fünf feste Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben, Tendenz sogar noch sinkend. Vor allem in Ostdeutschland gebe es wenig und in den neuen Bereichen wie der Tech- oder der Logistikbranche fast gar keine, auch wenn hier wie dort die Gründungen langsam zunähmen.

Hartnäckig hält sich – gerade in der Linken – das Vorurteil, ein Betriebsrat sei ein zahnloser Tiger. Er würde Arbeitskämpfe eher befrieden, Streiks verhindern, zwischen Arbeiterinnen und Chefs vermitteln. Das hört auch Wigand oft: »Zunächst mal ist der Betriebsrat natürlich eine defensive Struktur, aber das kann in der heutigen Zeit ja schon viel ausmachen, zum Beispiel, wenn Unternehmen verkauft werden und ein neues Management reinkommt und die Belegschaft feuern will.« Er könne sich auch vorstellen, woher diese Vorstellung kommt: »Es gab reale negative Erfahrungen mit ›Betriebsratsfürsten‹. Ab den 1970ern hatte die SPD eine sehr dominante Rolle in den Betriebsräten und aktiv radikale Arbeiterinnen und Arbeiter aus diesen rausgedrängt oder isoliert.« Doch gerade an der Gegenwehr der Unternehmen, am Union Busting, merke man, dass der Betriebsrat so egal nicht sein kann: »Die Unternehmen würden die Betriebsräte nicht so hart bekämpfen, wenn sie unwichtig wären.« Mit seinem Verein berät Wigand Betriebsräte (in Gründung), die solchen Maßnahmen ausgesetzt sind: »Da gibt es mittlerweile eine neue Qualität. Union Busting wird jetzt ausgelagert. Das entspricht der neoliberalen Denke und wird den Unternehmen von Beratungen wie McKinsey auch empfohlen. Früher wurde das noch inhouse geregelt. Mittlerweile wird es in Beratungsagenturen und Kanzleien ausgelagert, die bringen die ganzen Methoden mit, die es in den USA schon viel länger gibt. Das ist ein großer Markt mit sehr viel Nachfrage. Wenn es keinen Betriebsrat und kein Tarifvertrag gibt, ist ein Unternehmen gleich ein paar Millionen mehr wert. Diese Kanzleien beraten Unternehmen, wie sie mit ›Störenfrieden‹ wie Betriebsräten umgehen können. Meist kommt die Zermürbungstaktik zum Einsatz.«

Wigand und sein Verein kritisieren, dass Betriebsräte bis heute – trotz der rechtlichen Verankerung und dem Kündigungsschutz – relativ ungeschützt dastehen. Da hat auch die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes im Frühjahr 2021 nicht viel geholfen: »Betriebsratsgründer werden minimal stärker geschützt. Statt drei haben jetzt sechs Kündigungsschutz, und sie müssen auch ihre Namen nicht mehr veröffentlichen«, kritisiert Wigand. »Das ist viel zuwenig, und da haben wir auch stark gegen protestiert und zum Beispiel Unterschriften bei Betriebsräten gesammelt.« Für ihn müsste die Verhinderung von Gewerkschaftsarbeit tatsächlich strafrechtlich relevant verfolgt werden: »Ansetzen müsste man am Strafmaß. Zur Zeit wird das Verhindern von Betriebsratsarbeit als Bagatelle behandelt. Das steht strafrechtlich auf der gleichen Stufe wie Beleidigung. Da muss bei den Staatsanwaltschaften Kompetenz aufgebaut werden, und das geht Hand in Hand: Weil das Strafmaß so niedrig ist, wird das in der Regel gar nicht bearbeitet. Da werden höchstens schon mal 20.000 Euro verhängt. Und das auch nur sehr selten. Das ist ein Bruchteil von dem, was die Unternehmen für ihre Anwälte und Berater ausgeben.«


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Hilfe von der Staatsanwaltschaft?

Der Koalitionsvertrag der Ampelregierung im November 2021 macht Wigand etwas Hoffnung. Dort steht: »Die Behinderung der demokratischen Mitbestimmung stufen wir künftig als Offizialdelikt ein.« In einer Pressemitteilung seines Vereins heißt es dazu: »Offizialdelikte müssen von Amts wegen (also selbsttätig) verfolgt werden, sobald Staatsanwaltschaft oder Polizei Kenntnis erlangen. Sie können also auch von Bürgern, Presse oder Initiativen wie der ›Aktion gegen Arbeitsunrecht‹ zur Anzeige gebracht werden.« Sie hoffen auf »konsequente Abschreckung«. Und bei allen Defiziten, die ein Betriebsrat auch haben mag, gibt Wigand zu bedenken: »Man darf dabei natürlich nicht aus den Augen verlieren, dass diejenigen, die einen Betriebsrat gründen können, heute fast schon in einer privilegierten Position sind, weil das bedeutet, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter in relativ gesicherten Arbeitsverhältnissen sind. Im Gegensatz zu den Branchen, in denen es fast nur noch Leiharbeit gibt.«‘ mehr lesen


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