Shame on you, Deliveroo! Freitag, der 13. macht Schritt nach Europa

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Rad-Demos in Berlin und Köln. Kundgebungen und Flugblatt-Aktionen gegen Deliveroo in mehreren Städten

Eine (selbst-)kritische Bilanz, Bilder-Galerie + Presse-Spiegel

Deliveroo-Zombie
Berufsrisiko: Fahrrad-Unfall. Für Deliveroo-Fahrer ohne Versicherungsschutz und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall besonders schmerzhaft. Aktion der Riders Union in Amsterdam.

Zwischen 200-300 Personen beteiligten sich in mehreren deutschen Städten sowie in Amsterdam am Aktionstag Schwarzer Freitag, 13. April 2018.

Unter dem Motto „Shame on you, Deliveroo!“ ging es gegen die systematische Entrechtung von Deliveroo-Kurieren durch Schein-Selbständigkeit und Lohn-Dumping.

In Köln und Berlin fanden beeindruckende Fahrrad-Demonstrationen und Kundgebungen mit jeweils 70-80 Teilnehmern vor Deliveroo-Niederlassungen statt: in München versammelten sich rund 35 Gewerkschafter und Bürgerrechtler_innen in der Innenstadt. In Bamberg machten Attac-Mitglieder auf Union Busting, Lohndumping und Steuervermeidung durch die Nordsee GmbH und ihren Besitzer Theo Müller aufmerksam. An anderen Orten verteilten kleinere Gruppen Flugblätter an Deliveroo-Vertragsrestaurants und Fahrer_innen.


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Die mediale Resonanz war sehr groß (siehe unten). Die Vorgänge bei Deliveroo treffen offenbar gleich zwei Nerven:

  • Schein-Selbständigeit und Profit auf Kosten des Gemeinwesens (Steuerhinterziehung, Sozialabgabenbetrug)
  • Dienstleistungshölle 4.0 – Wie sieht die Zukunft der Arbeit aus?

Danke Amsterdam! Freitag, der 13. überschreitet erstmals deutsche Grenze

Erstmals beteiligte sich mit der Riders Union in Amsterdam eine Gruppe außerhalb der Bundesrepublik. Zudem konnten wir Kontakte zu Fahrer-Gewerkschaften und -Netzwerken nach London, Glasgow und Cardiff knüpfen.

Innerhalb von fünf Tagen gelang es der aktion ./. arbeitsunrecht genug Spenden zu sammeln, um per Brief 1.547 Deliveroo-Vertragsrestaurants über das Geschäftsgebaren des Lieferdienstes gegenüber seinen Kurieren aufzuklären.

In Köln nahm die aktion./.arbeitsunrecht mit einer Fahrrad-Rallye durch die Innenstadt erstmals auch Deliveroo-Vertragsrestaurants ins Visier, die Fahrer oder Küchenpersonal schlecht behandeln. Die erste Resonanz über Kommentare und Emails zeigt, dass hier zusätzliches Protest-Potential brach liegt.

Das Kölner Büro der aktion ./. arbeitsunrecht, das den Schwarzen Freitag, den 13. anstößt und koordiniert, zeigte sich – mit Einschränkungen – zufrieden. Pressesprecher Elmar Wigand erklärte:

Die Proteste dürften ihr wichtigstes Ziel erreicht haben: Das Marken-Image von Deliveroo nachhaltig zu schädigen und eine Warnung an die Konkurrenten Foodora und Lieferando zu senden, den Weg des Union Busting durch Schein-Selbständigkeit zu beschreiten. Der Umfang der Proteste, ihre Vorbereitung und mediale Resonanz war dafür ausreichend.

Allerdings gibt es in verschiedenen Bereichen noch deutlich Luft nach oben. Der Aktionstag gegen Deliveroo kann nur ein Anfang gewesen sein – gerade mit Blick auf das ungleich höhere Niveau der Proteste in anderen europäischen Ländern. Eins haben wir geschafft: Deutschland auf die Protest-Landkarte der europäischen Rad-Kuriere zu setzen.

Die Kölner Koordinatoren hatten es beim 6. Schwarzen Freitag erstmals mit zwei grundlegend verschiedenen Gewerkschaftskulturen zu tun: Auf der einen Seite die traditionell aufgestellte DGB-Industriegwerkschaft NGG, auf der anderen Seite die FAU, die seit 1978 versucht, eine seit den 1930er Jahren verschüttete syndikalistische Gewerkschaftskultur in Deutschland wieder zu beleben – was vor allem in Berlin seit einigen Jahren offenbar sehr gut gelingt. Als dritter Faktor kam die noch ganz junge Fahrer-Initiative „Liefern am Limit“ hinzu, die – ähnlich der aktion ./. arbeitsunrecht – in Köln beheimatet, bundesweit ausgerichtet und unabhängig von Gewerkschaften ist.

Während das Ausmaß der Aktivitäten der NGG stark vom Engagement (bzw. Überlastung) ihrer Sekretär_innen vor Ort abhängen, ist die Schlagkraft der FAU von der Belastbarkeit ihrer lokalen, in der Regel vollständig ehrenamtlichen Ortsgruppenstruktur abhängig, die notgedrungen oft branchenfern und (mitunter bewusst) unprofessionell ist, weil auf hauptamtliche Funktionäre verzichtet wird. Zudem erschwert eine Verhaftung in linken Szenen und Verwendung von Szene-Codes nicht selten den Kontakt zur arbeitenden Bevölkerung. Eine Kooperation beider Organisationen findet kaum statt, mitunter prägen Rivalität und Abneigungen das Bild.

Die Aktion in München stach positiv heraus, in anderen Städten gab es viel versprechende Ansätze. Doch in einem Drittel der 15 Städte, in denen Deliveroo aktiv ist, rührten sich weder Strukturen der NGG noch der FAU.* Die Organisatoren im Kölner Büro der aktion ./. arbeitsunrecht hatten vergeblich darauf gehofft, dass sich die alte marktwirtschaftliche Binsenweisheit bewahrheitet: „Konkurrenz belebt das Geschäft“.  Für Gewerkschaften muss das offensichtlich nicht stimmen. Die vermutete Aktivität der einen kann als Ausrede für den Rückzug der anderen herhalten – und für den pünktlichen Start ins Wochenende ab Freitag um 12 Uhr.

Die Fahrer-Initiative „Liefern am Limit“, deren Facebook-Seite derzeit bundesweit rund 1.600 Abonnenten hat, steht vor der Schwierigkeit, ihre vielversprechende virtuelle Community (Facebook, Whatsapp, Chat-Foren etc.) zu Protesten in der realen Welt, also auf die Straße zu bewegen. Dass die Lücke zwischen virtueller Welt und greifbarer Realität größer und schwerer zu überbrücken ist, als man vielleicht spontan denkt, weiß auch die aktion ./. arbeitsunrecht aus eigener Erfahrung. Da helfen nur Beharrlichkeit und langer Atem.

Mit der Organisation einer Alleycat (Schnitzeljagd) in Köln haben wir uns deutlich überhoben. Die Streckenposten standen, die Aufgaben waren klar, die Preise auch – allein es fehlten die Teilnehmer_innen.

Fazit: Selber machen! Eine radikale Bürgerrechtsbewegung aufbauen

Das Format „Schwarzer Freitag – Jetzt schlägt’s 13!“ setzt auf Einzelpersonen und die spontane, punktuelle Kooperation von Einzelpersonen, Organisationen und Initiativen vor Ort. In Köln hat es zwischen Liefern am Limit, der FAU und aktion ./. arbeitsunrecht hervorragend geklappt. In Berlin dank FAU Deliver Union auch. Die aktion ./. arbeitsunrecht ist aber insbesondere in Großstädten derzeit noch zu schwach, um als eigenständige Struktur einen Aktionstag wie Freitag, den 13. in bundesweiter Form zu stemmen. Zumal viele unserer Mitglieder in Städten leben, in denen Deliveroo bislang nicht fahren lässt, und die von daher von der aktiven Teilnahme ausgeschlossen waren. (Man kann das Unternehmen noch nicht einmal durch Protest-Anrufe nerven. Alles läuft über Apps.)

Wieviel Potential wir dennoch mobilisieren können, zeigt die spontane spendenbasierte Finanzierung unseres Briefs an 1.547 Deliveroo-Vertragsrestaurants, mit dem wir die Restaurant-Betreiber zum Verzicht auf Deliveroo bewegen wollten.

Wir nehmen den vergangenen Aktionstag als Ansporn und ziehen folgendes Fazit: Eine radikale Bürgerrechtsbewegung für Arbeitsrechte als Menschenrechte entsteht nicht von allein. Wir müssen das selbst in die Hand nehmen und beharrlich verfolgen! Diese notwendige Bürgerrechtsbewegung wird kein Anhängsel und keine Vorfeld-Organisation einer Partei oder Gewerkschaft sein. Sie muss in solidarischer Nähe und selbstbewusster Eigenständigkeit wachsen.

Deshalb bitten wir alle Sympathisanten und Freunde:

  • Tretet jetzt der aktion ./. arbeitsunrecht bei!
  • Helft uns zu wachsen!
  • Gründet lokale Solidaritätskomitees für Arbeitsrechte als Menschenrechte!

aktion ./. arbeitsunrecht aufbauen >> Jetzt Fördermitglied werden! 


Anmerkungen

* Nichts passierte z.B. in Stuttgart, Essen, Düsseldorf, Mainz, Bonn.

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Übersicht

Amsterdam: Agit-Prop-Aktion am Museumsplatz. 10 Mitglieder der Riders Union (FNV) legen sich als Deliveroo-Unfallopfer mit Fahrrädern, Wunden und blutigen Verbänden auf den vielbesuchten Museumsplatz. Sie thematisieren das hohe Berufs-Risiko von Deliveroo-Fahrer_innen durch Schein-Selbständigkeit: Kein Versicherungsschutz, kein Stundenlohn = gefährliches Rasen, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Veranstalter vor Ort: Riders Union

Bad Hersfeld: Rund 50 Teilnehmer_innen der Konferenz „Taktgeber des digitalen Kapitalismus“ der Rosa Luxemburg Stiftung nahmen ein Soli-Foto auf.

Bamberg: Die attacitos protestierten mit einer fantasievollen Aktion gegen Union Busting bei Nordsee. Hier geht es zum Bericht der attacitos. Veranstalter vor Ort: attacitos Bamberg

Berlin: Etwa 80 Personen fahren vom Oranienplatz über den Alexanderplatz zur deutschen Deliveroo-Zentrale um davor zu protestieren. Video: https://www.facebook.com/deliverunionberlin/videos/2048247078521955/  Veranstalter vor Ort Deliver Union FAU, aktion ./. arbeitsunrecht

Cardiff (Wales): 9 Mitglieder der IWW schicken Solidaritäts-Foto und Video: https://www.facebook.com/CymruCouriers/videos/450027252094124/.

Dortmund: Eine kleine Gruppe verteilt am Hansaplatz, dem Treffpunkt der Deliveroo-Fahrer, Flugblätter an Kuriere und Deliveroo-Vertragsgeschäfte. Veranstalter vor Ort: FAU Duisburg/Ruhrgebiet

Frankfurt Veranstalter vor Ort: Initiative Arbeitskampf Frankfurt IAK, Riders United Frankfurt

Glasgow: Veranstalter vor Ort Couriers Network Scotland

Hamburg: Ca. 35 Leute nahmen an der Kundgebung teil. Neben den Aktivist*innen von FAU, IWW und attac kamen auch mehrere Fahrer*innen, die über die Arbeitsbedingungen bei Deliveroo berichteten.
Ausserdem verteilten Kleingruppen Flyer bei Deliveroo-Partner-Restaurants in der Nähe und kamen dort mit Fahrer*innen in Kontakt. (Bild auf Facebook)

Hannover: Trotz Regen haben sich einige Aktive der FAU Hannover und Mitglieder der aktion ./. arbeitsunrecht beteiligt. Sie verteilten Flugblätter und suchten Gespräche mit Kurieren. Veranstalter vor Ort FAU Hannover und aktion ./. arbeitsunrecht

Köln: 80 Personen demonstrierten vor dem Deliveroo-Büro, Venloer Str. 239a in Köln-Ehrenfeld, das seine Arbeit angesichts der Proteste für diesen Tag vorsorglich eingestellt hatte. Es sprachen Werner Rügemer (aktion ./. arbeitsunrecht), der Künstler Jean-Phillippe Kindler, Eva-Maria Zimmermann (Die Linke), Keno Böhme für das Fahrernetzwerk Liefern am Limit, ein Vertreter der FAU Köln-Aachen.

Neben den genannten Organisationen stieß mit Verspätung noch eine weiße Fahnen schwenkende Abordnung der Gewerkschaft NGG zur Kundgebung. An der anschließenden Fahrrad-Demonstration durch die Innenstadt und Altstadt nahmen etwa 50 Personen teil, darunter auch Fahrer von Foodora und Lieferando. In einer Rikscha ließ sich ein Felix Chrobog-Darsteller von drei Deliveroo-Sklaven durch die Stadt kutschieren, die er mit Zurufen anpeitschte wie: „Vorwärts faules Gesindel!“ „Pause ist Zuhause!“ „Hier wird gearbeitet!“.

Die Zahl der Teilnehmer schmolz angesichts der langen Strecke auf am Ende unter 20 Personen ab. Stationen der Fahrraddemo waren Lokale, die bei Deliveroo-Fahrern unbeliebt sind: Black Karate, Friesenwall 116, Sünner im Walfisch, Salzgasse 13, Nordsee Schildergasse 110, Ginti, Händelstraße 33. Unangenehm wurde es vor dem Sünner im Walfisch. Ein Chef-Köbes reagierte auf Berichte über diskriminierende Behandlung ausländischer Kuriere keineswegs bestürzt sondern mit Ausfälligkeiten.

Das gleichzeitig veranstaltete Fahrrad-Kurier-Rennen kann bestenfalls als erster Versuch gelten, das Format Alleycat mit gewerkschaftlichen Protesten zu verbinden. Es starteten 8 Fahrer. Die After-Protest-Grillparty der aktion./.arbeitsunrecht und des Fahrer-Netzwerks Liefern am Limit auf dem Sternplatz in Köln-Sülz besuchten 50 Personen. Die Stimmung war hervorragend. Veranstalter vor Ort: aktion ./. arbeitsunrecht, Liefern am Limit, FAU Köln/Aachen

München: Hier klappte es mit dem Netzwerken besonders gut. Rund 40 Personen, darunter Gewerkschaftslinke, Mitglieder der FAU, der NGG und attac, sowie Fahrer*innen trafen sich in der Schützenstraße, schräg gegenüber eines Nordsee-Restaurants, hielten eine Kundgebung ab und verteilten Flugblätter an Passanten. Besonders auffällig eine Riesen-Deliveroo-Transportbox. Die Nordseefiliale wurde kurzzeitig als „arbeitsrechtlicher Gefahrenbereich“ mit Flatterband abgesperrt. Etwa 10 Foodora Fahrer schauten sich das Spektakel interessiert an und erklärten sich zu einem gemeinsamen Foto bereit. Veranstalter vor Ort: NGGMünchen, attac München, FAU München

Nürnberg: Protest und Flugblatt-Verteilen durch eine Gruppe von ca. 20 Personen der Gruppen Initiative solidarischer ArbeiterInnen ISA, FAU Nürnberg, NGG vor einer Kentucky Fried Chicken-Filiale (Partner von Deliveroo). Es kamen etliche Rad-Kurier-Fahrer von Foodora vorbei, es ergasben sich viele interessante Gespräche.


Rede-Beiträge und Solidaritäts-Erklärungen:


Pressespiegel

TV

Hörfunk

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2 Kommentare

  1. Liebe Kolleg*innen von Arbeitsunrecht,
    ich glaube auch, dass die Tatsache, dass Deliveroo in vielen Regionen überhaupt nicht aktiv ist zu einer schwächeren Beteiligung beigetragen hat.
    Hier in Tübingen hatten wir vom DGB uns z.B. am letzten Schwarzen Freitag beteiligt und hätten es sicher auch dieses mal getan, wenn es einen lokalen Anknüpfungspunkt gegeben hätte.
    Solidarische Grüße

  2. Erfreulich, dass sich mit verschiedenen Gewerkschaten etwas bewegt in diesem Land. Doch sieht man nach England wo gegen blacklisting massiv gekämpft wird, ist das hier kein Thema. Noch immer gibt es über 140 000 Opfer des Radikalenerlasses und bei VW, besonders in den Auslandsfilialen wie Brasilien oder China, werden immer noch VW-Arbeiter drangsaliert, bzw. nicht wegen Folter entschädigt. Von einer neuen Unternehmenskultur weit entfernt. Stefanie Dodt vom NDR hat darüber berichtet wie Gewerkschaftsrechte mit Füßen getreten werden.

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