Groß-Razzia in der Fleisch-Industrie. Tönnies geschont, die Ärmsten der Armen abgeschoben

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Alles beim Alten? Auch nach seinem Rücktritt als Aufsichtsratsvoritzender  auf Schalke scheint Clemens Tönnies das Pech an den Sohlen zu kleben. Am 18.9.2020 erlebte der FC Schalke 04 bei Bayern München mit 8:0 seine höchste Bundesliga-Niederlage. (Bild: Screenshot, Sport1, 25.9.2020, Ausschnitt.)

System Tönnies stoppen! Moderne Sklaverei im Schlachthof-Sumpf

Wann wird endlich direkt gegen die verantwortlichen Generalunternehmer ermittelt? | Jetzt Petition unterschreiben!

Am vergangenen Mittwoch (23.9.2020) rückten 800 Beamte der Bundespolizei aus, um im deutschen Schlachthof-Sumpf zu ermitteln. Wie immer geschehen solche Aktionen „in den frühen Morgenstunden“. Ein Schwerpunkt der Razzien war Weißenfels in Sachsen-Anhalt, wo der Tönnies-Konzern seine zweitgrößte Schlachtfabrik unterhält. Hier werden täglich 20.000 Schweine verarbeitet. Zum Leidwesen vieler Anwohner geschieht das mitten in einem Wohngebiet. Diese Anwohner sahen auch das Elend der Wanderarbeiter, die während des Corona-Lockdowns mitunter in Autos am Straßenrand übernachteten.

Im Auftrag der Staatsanwaltschaft Naumburg sollen Beamte bundesweit 72 Wohnungen gefilzt haben. Sie hätten „Menschen angetroffen, die zu sechst in Zwei- oder Dreizimmerwohnungen unterkommen müssen“. Wie der Spiegel berichtet, ermittelt eine Soko der Bundespolizeiinspektion Kriminalitätsbekämpfung Halle gegen ein Konstrukt aus verschiedenen Leiharbeitsfirmen. Es soll 10 Hauptbeschuldigte geben, im Zentrum stünden zwei Leiharbeitsfirmen: die deutsch-polnische Firma IRC sowie vor allem die Berkana GmbH mit Sitz in Twist, Niedersachsen. 1

Jetzt wird mal durchgegriffen. Aber gegen wen?

Endlich wird der Staat aktiv und trocknet den Schlachthof-Sumpf aus! Lange war er aufreizend untätig. Doch gegen wen genau richtet sich die staatliche Gewalt? Hier wurden Truppen in Gang gesetzt, die der Bundesinnenminister Horst Seehofer befehligt. Und der kennt offenbar nur eine Peilung: „Die Mutter aller Probleme ist die Migration“.2


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Vielleicht war es immer schon naiv, zu glauben, dass ein Rechtsstaat neutral sei. Dass ein Rechtsstaat einfach Recht und Gesetz durchsetzt und zwar ungeachtet des Ansehens und der Herkunft der Täter*innen. Dass eine unabhängige Exekutive ihre Schwerpunkte so setzt, dass sie Taten nach ihrer Schwere, Häufigkeit und gesellschaftlichen Bedeutung verfolgt.

Die CDU-Innenminister Horst Seehofer und Herbert Reul (NRW) setzen ihre Einsatzkräfte ganz offensichtlich kalkuliert aufgrund politischer Ziele und auf medialen Effekt hin ein. Wenn der Staat im Fall Tönnies schon handeln muss, weil der öffentliche Druck steigt, dann gefälligst in einer Weise, die sich rechts-demagogisch ausschlachten lässt: gegen Ausländer.

Scheiß auf Corona? Tönnies weilte angeblich auf Einladung seines vorbestraften Freundes, des Steuerhinterziehers Uli Hoeneß (links unten) in der Münchner Allianz-Arena. Warum saß er dann eigentlich nicht bei den Bayern? Warum klebte der König der Schweine ohne Gesichtsmaske und Sicherheitsabstand am Schalke-Vorstand? Sein Verhalten gibt einen deutlichen Hinweis darauf, wie ernst Tönnies und Konsorten das Thema Corona tatsächlich nehmen. (Bild: Screenshot, Sport1, 25.9.2020, Ausschnitt.)

Fleisch-Mafia schleust Arbeitskräfte aus Kosovo, Belarus, Ukraine, Georgien ein

Die gestrige Razzia gegen Menschenhändler im Schlachthofsumpf richtete sich gegen einen Aspekt, den die kritische Öffentlichkeit bislang gar nicht auf der Rechnung hatte: illegale Einwanderung aus Osteuropa. Offenbar gibt es einen Schlepper-Untergrund, der Menschen aus Belarus, der Ukraine, Kosovo, Georgien mit gefälschten Papieren ausstattet. Offenbar ist der Verschleiß an „Menschenmaterial“ (Human Resources) von Konzernen wie Tönnies und ihren Knochenmühlen so groß, dass längst Nachschub außerhalb der EU-Ostgrenzen angesogen werden muss. Das ist ein erstaunlicher Befund, denn in den abgerutschten Regionen der EU-Länder Rumänien und Bulgarien dürfte es doch genug Elend geben, das die Leute an die Zerlege-Fließbänder treibt.

Möglicherweise hat sich in Rumänien und Bulgarien längst herum gesprochen, wie die Lage dieser einkasernierten und in der deutschen Provinz segregierten modernen Sklaven tatsächlich ist; zum anderen beginnen auch die Rumän*innen langsam, ihre Lage nicht mehr nur duldsam zu ertragen, sondern frech zu werden. Sie besitzen Rechte, sie besitzen Stolz und sie posten auf sozialen Medien Videos aus den Fabriken.

Das Rattenrennen um die niedrigsten Standards endet nicht innerhalb der EU. Beschäftigte ohne Aufenthaltsstatus sind noch viel besser erpressbar! Und sie müssen erst einmal ihre angeblichen Schulden für Schleuserdienste, falsche Papiere und Unterbringung bei den Schleppern abarbeiten. Sie können auch keinen Mindestlohn einklagen – denn sie werden von Seehofer nun direkt abgeschoben.

Es geht gegen Leiharbeitsfirmen. CDU-Milieu bleibt vermutlich wieder ungeschoren

Es ist bezeichnend, dass die Bundespolizei ausgerechnet an einem Punkt in der Verwertungskette ansetzt, der möglichst weit unten und möglichst weit weg von dem CDU-Parteispender Clemens Tönnies und seinem Netzwerk ist. Hauptsächlich zwei Leiharbeitsfirmen und deren Geflechte, höher ging man in der Fresskette offenbar nicht nach oben. Dabei wäre es längst an der Zeit, dem Schweine-Baron Tönnies direkt ans Leder zu gehen. Doch der wird versuchen, seine Hände in Unschuld zu Waschen. Nach dem biblischen Vorbild des römischen Statthalters in Judäa, Pontius Pilatus. 

Es ist pure Heuchelei

Natürlich haftet Tönnies für die Machenschaften seiner Sub-Unternehmer. Natürlich hat der davon gewusst. Ganz sicher hat er durch Preisdruck und Lohndumping diese Grausamkeiten in Gang gesetzt. Mindestens indirekt, möglicherweise auch durch knallharte Vorgaben.

Tatsächlich handelte es sich bei den angeblichen Werkverträgen, die geschätzt fast 80% der Beschäftigungsverhältnisse bei Tönnies ausmachten, um Schein-Werkverträge, also illegale Arbeitnehmerüberlassung. Dafür ist Tönnies direkt verantwortlich. Hinzu kommt organisierter Mietwucher, der über Quarantäne-Maßnahmen gegen Wohnanlagen von Wanderarbeitern im Corona-Lockdown bereits gut dokumentiert sein müsste.

Oben ansetzen. Warum nicht gegen Auftraggeber, Mitwisser und Profiteure durchgreifen?

Die CDU/CSU-Minister setzen lieber unten an. Sonst würden sie statt auf nützliche Sündenböcke und Bauernopfer auf unangenehme Deliquenten stoßen:

  1. deutsche Täter, Auftraggeber und Profiteure — etwa ostwestfälische Hausbesitzer, die aus den letzten Schrott-Immobilien noch Profit geschlagen haben
  2. gut vernetzte Wohlhabende bis Superreiche, die zur Klientel der CDU gehören und mit dem elitären Klüngel in Hannover, dem Ruhrpott (Schalke 04) und Düsseldorf verfilzt sind.

Um das Gerechtigkeitsgefühl einer kritischen Öffentlichkeit ins Lot zu bringen, muss endlich von oben nach unten ermittelt werden. Clemens Tönnies würde, wenn die Behörden einigermaßen fleißig arbeiteten, wohl in den Knast wandern. Und sei es — wie damals der Chicagoer Mafia-Boss Al Capone — wegen soetwas banalem wie Steuerhinterziehung, die in diesem Fall aus jahrelangen, tausendfachen Schein-Werkverträgen folgt.


Elmar Wigand ist Pressesprecher der aktion ./. arbeitsunrecht. Sein Kommentar ist ursprünglich erschienen in Neues Deutschland, 23.9.2020.

Anmerkungen + Quellen

1 Claus Hecking, Nils Klawitter: Illegale Leiharbeit in der Fleischindustrie — Der Sumpf von Weißenfels, Spiegel, 23.9.2020, https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/razzia-in-der-fleischindustrie-der-sumpf-von-weissenfels-a-c82d7da6-7352-45ca-995b-61379778a966

2 Horst Seehofers Kommentar nach den pogromartigen Ausschreitungen in Chemnitz: „Die Migration ist die Mutter aller Probleme.“ Quelle: Welt, 5.9.2018, https://www.welt.de/politik/deutschland/article181434586/Seehofer-nach-Chemnitz-Mutter-aller-Probleme-ist-die-Migration.html

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