Arbeitsschutzkontrollgesetz – Tricksen PHW und Bahlmann beim Betriebsübergang?

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Am 11.09.2020 folgten rund 150 Teilnehmer*innen einem gemeinsamen Aufruf, um in Düsseldorf um der Forderung nach einem Ende der Ausbeutung in der Fleischindustrie Druck zu verleihen.

Verbot von Werkvertrags- und Leiharbeit – zumindest in Teilen der Fleischindustrie

Das neue Arbeitsschutzkontrollgesetz kommt. Das ist zunächst einmal ein Erfolg für Alle, die sich schon lange vor der Corona-Pandemie für ein Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit in der Fleischindustrie eingesetzt haben. Hier dürften auch die aktion./.arbeitsunrecht und die beteiligten Bündnispartner mit dem Aktionstag #Freitag13 gegen Ausbeutung bei Tönnies am 13.09.2019 und den nachfolgenden Aktionen ihren Beitrag geleistet haben.

Für Hubertus Heil und seine Kolleg*innen war es vermutlich ein hartes Stück Arbeit, sich wenigstens teilweise gegen die Widerstände der Fleisch-Lobbyisten und deren Fürsprecher in CDU und CSU durchzusetzen. Über die Einschränkung beim Einsatz von Werkvertrags- und Leiharbeit hinaus verspricht das Gesetz:

  • fälschungssichere, digitale Erfassung der Arbeitszeit
  • mehr Kontrollen zum Arbeitsschutz, inklusive fester Prüfquoten
  • Mindeststandards für Sammelunterkünfte

Ein Gesetzestext ist allerdings nur die halbe Miete. Entscheidend ist die praktische Umsetzung, die Verhinderung von Ausweich- und Unterlaufungsmanövern, sowie konsequente Sanktionierung von Verstößen.

Schon jetzt: Tricksereien beim Betriebsübergang 

Aktuell warnt die Gewerkschaft Nahrung Gaststätten Genuss (NGG) Beschäftigte von Sub-Unternehmen im Umfeld des Kälberschlachthof Bahlmann in Lindern und des Putenschlachthof Geestland (PHW/Wiesenhof) in Wildeshausen eindringlich davor, von Sub-Unternehmern vorgelegte Aufhebungsverträge und Eigenkündigungen zu unterschreiben. (Bernd Bergmann, Olaf Kühn, OM, 6.12.2020 Gewerkschaft warnt Beschäftigte vor Falle)


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Offensichtlich soll der geordnete Betriebsübergang für langjährig Beschäftigte verhindert werden. Bislang bei Sub-Unternehmen beschäftigte Leih- und Werkvertragsarbeiter*innen haben beim Betriebsübergang von der Werkvertrags- oder Leiharbeitsfirma zum Schlachthof ein Recht auf Eingruppierung und Kündigungsschutz entsprechend ihrer bisherigen Jahre der Betriebszugehörigkeit – in diesem Fall tatsächlich im Bezug auf die Zeit ihrer Tätigkeit in dem Schlachthof, bei dem sie nun fest angestellt werden sollen.

Matthias Brümmer, Geschäftsführer bei Gewerkschaft NGG Region Oldenburg/Ostfriesland, bestätigt auf Nachfrage, dass dies eine ganze Reihe bisheriger Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer*innen betreffe. Entgegen der von der Fleischindustrie verbreiteten Mär, dass Leih- und Werkvertragsarbeiter*innen selbst zumeist nur kurzzeitige Einsätze wünschen würden, sind der NGG viele Fälle langjähriger Einsätze bekannt. Dabei würden zwar mitunter die Sub-Unternehmen wechseln, die Beschäftigten jedoch mitunter über Jahre am selben Arbeitsplatz eingesetzt. In einem Fall sogar über einen Zeitraum von nahezu 20 Jahren.

Der Verdacht liegt nahe, dass die Schlachthofbetreiber PHW und Bahlmann die über lange Jahre erarbeiteten Vorteile für die Beschäftigte umgehen wollen. Neuverträge schließen die Schlachthof-Betreiber laut NGG dagegen in der Regel nur befristet ab. PHW stellt unter anderem die bekannte Marke Bruzzler her. Der Kälberschlachthof Bahlmann (Hubert Bahlmann GmbH & Co) wird als patriachaler Familienbetrieb geführt. Geschäftsführer sind Jens Bahlmann, Dirk Vagelpohl, Frank Kohlsdorf.  

Ausschluss von Nachforderungen

Die Sub-Unternehmen versuchen sich mit der Unterschrift vermutlich auch selbst einen nicht unerheblichen Vorteil zu sichern. Mit den Eigenkündigungen oder Aufhebungsverträgen würden die Beschäftigten laut Matthias Brümmer zusätzlich eine Klausel unterschreiben mit der sämtliche Forderungen abgegolten wären. Das hieße ganz praktisch, dass zu wenig gezahlter Lohn nicht mehr nachgefordert werden könnte.  Wobei §3 Mindestlohngesetz festlegt, dass der Mindestlohn unabdingbar ist und darauf nicht verzichtet werden kann.

Kritik an Ausnahmen für fleischverarbeitende Betriebe

Ab 01.01.21 gilt ein Verbot von Werkverträgen bei Schlacht- und Zerlegebetrieben, sowie fleischverarbeitenden Betrieben mit mehr als 49 Beschäftigten. Zum 01.04.21 folgt das Verbot von Leiharbeit in Schlacht- und Zerlegebetrieben mit mehr als 49 Beschäftigten.

Vom ab dem 01.04.2021 geltenden Verbot der Leiharbeit sind aber nicht nur kleine Betriebe mit bis zu 49 Beschäftigten, sondern auch fleischverarbeitende Betriebe ausgenommen (Top-Agrar 23.11.2020 Werkverträge und Leiharbeit könnten in der Verarbeitung weiter erlaubt bleiben). Noch drei weitere Jahre dürfen Betriebe wie Wursthersteller Auftragsspitzen unter Einsatz von Leiharbeiter*innen abarbeiten. Dafür gelten folgende Regelungen: 

  • Tarifbindung des ausleihenden Betriebs
  • Höchstüberlassungszeitraum von vier Monaten
  • die Arbeitsbedingungen sollen denen der Festangestellten entsprechen

Bei Metzgerbetrieben mit mehreren Verkaufsfilialen werden zur Freude des Deutschen Fleischer-Verbands Verkaufspersonal und Auszubildende herausgerechnet und beim Schwellenwert von bis zu 49 Beschäftigten nicht berücksichtigt (Sandra Sieler, Fleischhandwerk, 27.11.20 Tauziehen beendet)

Zukünftig mehr sachgrundlose Befristungen?

Die Fleischindustrie wird unsere Einschätzung nach auch künftig nach Möglichkeiten suchen, Festanstellungen zu umgehen und Löhne niedrig zu halten. Wir tippen auf den vermehrten Einsatz von sachgrundloser Befristungen, Kettenbefristungen, Umwidmung von Firmenteilen als fleischverarbeitende Betriebe und Zersplitterung in Betriebe mit unter 50 Beschäftigten.

Vermutlich wird man auch von Fällen hören, bei denen teurere Beschäftigte, die sich über bereits über Jahre Ansprüche erarbeitet haben, nach dem Betriebsübergang aus den Betrieben geekelt werden. Beständige und effektive Kontrolle vor Ort können nur aktive Betriebsräte leisten. 

Öffentlichkeit sensibilisiert – Tönnies unter Beobachtung

Wie groß der Handlungsbedarf ist, zeigt der aktuelle Corona-Ausbruch am zweitgrößten Tönnies-Standort in Weißenfels (Sachse-Anhalt): am 03.12.20 wurden 172 positive Testergebnisse unter Beschäftigten des Tönnies-Schlachthofs bestätigt (Merkur, 3.12.2020 Corona-Ausbruch bei Tönnies-Werk). Der Betrieb läuft  weiter. Seit Beginn der Corona-Krise wurden in Weißenfels ohne Einschränkungen durchgehend 18.000 – 20.000 Schweine pro Tag geschlachtet. Der BUND Burgenlandkreis und Natrufreunde forden die Teilstilllegung des Schlachthofs (Pressemitteilung 3.12.2020).

Tönnies gibt an, bis 31.12.2020 komplett auf Werkverträge verzichten zu wollen. Tönnies Justiziar und Geschäftsführer Martin Bocklage erklärte zudem, die bislang sehr heterogenen Vergütungsmodelle in fünf Monaten durch eine „einheitliche Entlohnung“, beispielsweise in einem Haustarifvertrag, ablösen zu wollen. Die Tönnies Holding hat mittlerweile zudem zwei Wohnraumgesellschaften gegründet, die die Unterbringung Beschäftigter erleichtern sollen.

Dabei ist die Kopplung von Arbeit und Wohnraum besonders kritisch, weil sie Beschäftigte in ein doppeltes Abhängigkeitsverhältnis bringt. Diese Abhängigkeit wird umso existentieller, wenn Tönnies wie angekündigt bei der Unterbringung weniger auf alleinstehende Personen, als auf Familiennachzug setzen will (Marion Pokorra-Brockschmidt, Haller Kreisblatt, 3.12.20, Tönnies gesteht: Nicht ausreichend um Unterbringung der Mitarbeiter gekümmert).

Tönnies wird sich nicht vom Saulus zum Paulus wandeln. Aber es scheint durchgedrungen zu sein, dass Öffentlichkeit und Medien mittlerweile stark sensibilisiert für die Zustände in der Fleischbranche sind. Erst Ende November 2020 berichtet das Handelsblatt, dass Tönnies mit offensichtlich großem Einsatz versuchte eine Whistleblowerin ruhigzustellen (Jan Keuchel, Michael Verfürden Handelsblatt 20.11.2020 Der Fall der Sabine T. )

Langer Atem wird belohnt

Die aktion./.arbeitsunrecht hatte nach dem Aktionstag #Freitag13 gegen Ausbeutung von Mensch, Tier und Umwelt bei Tönnies nachgelegt (Bericht und Bildergalerie). Während des Frühjahrs dokumentierten wir zahlreiche Corona-Ausbrüchen in Schlachthöfen und veröffentlichten im Sommer eine Petition an Karl-Josef Laumann (Minister für Arbeit und Soziales NRW, CDU) mit der Aufforderung endlich Maßnahmen gegen die Missstände in der Fleischindustrie zu ergreifen.

Am 11.09.2020 übergaben wir am Arbeitsministerium in Düsseldorf knapp 1000 Unterschriften an Ministerialdirigent Markus Leßmann und demonstrierten am Abend mit rund 150 Teilnehmer*innen für die Abschaffung der ausbeuterischen Verhältnisse in deutschen Schlachthöfen und für ein Ende der industriellen Massentierhaltung (12.09.2020 Lautstarker Protest und Unterschriftenübergabe in Düsseldorf).

Andere Akteure, wie zum Beispiel das Bündnis gegen die Tönnies Erweiterung in Rheda-Wiedenbrück, sind schon seit Jahren aktiv. Sie brauchen auch zukünftig Unterstützung und Aufmerksamkeit. Denn an dem massiven Tierleid durch Transporte und Schlachtung, sowie der Belastung für Anwohner*innen und Umwelt hat sich trotz aller Skandale bislang nichts geändert. Erst vor wenigen Tagen veröffentlichte das Deutsche Tierschutzbüro ein Video, in dem grausame Tierquälereien bei einem Tönnies Zulieferer zu sehen sind (WA, 06.12.20 Das sagt das unternehmen zum Tierquälerei-Vorwurf).

Auf der anderen Seite haben sich gerade in den letzten zwei Jahren Initiativen wie das Bündnis gegen die Tierindustrie oder Shutdown Tönnies gegründet, die mit eigenen Aktionen für zusätzliche Verstärkung der kritischen Öffentlichkeit sorgten und unseren Demonstrations-Aufruf für Düsseldorf mittrugen.  


Ausführliche Informationen zur Skandalfirma PHW/Wiesenhof finden sich auf dem Blog der Initiative Gemeinsam gegen die Tierindustrie: Welcher Konzern befindet sich hinter der Marke Wiesenhof?


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