Compliance nach Lelley = Freiheit für Bosse!

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Unternehmer-Anwalt und Transparency International-Funktionär Jan Tibor Lelley deutet das klassische Arbeitsrecht um:

Systematische Bespitzelung von Angestellten als „Korruptionsbekämpfung“ getarnt. Notwehrrecht der Unternehmer gegen Betriebsräte und Beschäftigte?

von Werner Rügemer

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Der Bagatell-Korruptionsbekämpfer und Betriebsrats-Basher Lelley in seiner internationalen Selbstdarstellung. Wir dokumentieren: Bildschirmfoto (Ausschnitt) www.employmentlawalliance.com/firms/busede/attorneys/lelleyvom 16.7.2014.

Je ungerechter die Arbeitsverhältnisse werden, desto häufiger setzen Unternehmer und Regierungen Meinungsmacher ein. Experten, Statistiker, Lobbyisten, wissenschaftliche Institute, PR-Agenturen, Meinungsforscher und Initiativen wie die der Neuen Sozialen Marktwirtschaft (INSM) reden das Unrecht bei Beschäftigten, Arbeitslosen und Rentnern schön und sollen es ganz verschwinden lassen.

Zu diesen Akteuren gehören auch Arbeitsrechtler. Sie bauen das klassische kapitalistische Arbeitsrecht um, das in der Weimarer Republik in Grundzügen etabliert und in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik weiterentwickelt wurde. Wesentliche Merkmale des klassischen Arbeitsrechts sind die Freiheit der Beschäftigten, sich in Gewerkschaften zusammenzuschließen und kollektive Lohnverhandlungen zu führen, die Mitbestimmung von Betriebsräten sowie der Kündigungsschutz. Neoliberal orientierte Arbeitsrechtler machen aus dem bisherigen Arbeitsrecht, das als Abwehrrecht für die Lohnabhängigen gilt, ein Abwehrrecht der Unternehmer gegen Betriebsräte und Beschäftigte.

Der neue Firmen-Trend: Compliance

Dabei wird dieses Abwehrrecht in die Gesamtstrategie der Unternehmen eingebaut. Es wird ein Element von »Compliance«. Mit diesem Begriff richten Firmen eigene Stabsabteilungen ein. Ihre Aufgabe ist es, alle unternehmerischen Handlungen auf ihre Verträglichkeit mit der Vielfalt nationaler und internationaler Gesetze, Vorschriften und Verordnungen abzuklopfen. Das ist für die Unternehmensleitungen umso notwendiger, als die im neoliberal geprägten Wirtschaftssystem weiter radikalisierten Gewinnerwartungen ständig zu Handlungen in rechtlichen Grauzonen veranlassen. Andererseits gilt das gute öffentliche »Image« der Unternehmen selbst als Gewinnfaktor und soll erhalten bleiben. Compliance gehört so zum Risikomanagement: Was darf sich die Unternehmensführung erlauben, um das Gewinnziel zu erreichen, ohne gegen Gesetze zu verstoßen? Und wenn ein Verstoß nötig erscheint, wie kann er, falls er bekannt wird, rechtlich doch irgendwie gerechtfertigt werden?


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Nicht nur in Konzernen, sondern auch in Unternehmensberatungen, Wirtschaftsprüfungsfirmen und in den deutschen Niederlassungen US-amerikanischer Anwaltskanzleien wurden Abteilungen für Compliance im Arbeitsrecht eingerichtet, etwa in den Großkanzleien Allen & Overy, Freshfields und Hogan Lovells – letztere etwa berät Unternehmen wie Allianz, United Bank of Switzerland, Birkenstock und Metro. Deutsche Kanzleien haben inzwischen nachgezogen. Unter den großen von ihnen sind etwa CMS Hasche Sigle und Taylor Wessing hervorzuheben.

Die Wendung vom Arbeitsrecht als Schutzrecht für abhängig Beschäftigte zum Schutzrecht für Unternehmer soll anhand des Anwalts Dr. Jan Tibor Lelley verdeutlicht werden. Er ist Partner, also Miteigentümer der auf Arbeitsrecht und Steuerberatung spezialisierten Kanzlei Buse Heberer Fromm in Essen. Die Kanzlei ist mit über 100 Anwälten international tätig. Lelley hat an der privaten Suffolk University Law School in den USA studiert und den Titel »LL.M.« erworben. (1) Die Bezeichnung beruht auf einer akademischen Schnellbleiche von zwei bis vier Semestern. Mehrere Anwälte der Kanzlei Buse Heberer Fromm tragen diesen Titel.

Lelley möchte Compliance vor allem in gehobenen mittelständischen Unternehmen etablieren. Er ist deutscher Repräsentant der Employment Law Alliance (Vereinigung für Arbeitsrecht), die mit 3000 Arbeitsrechtlern in 135 Ländern präsent ist. Er berät und schult Führungskräfte und übernimmt ihre Vertretung vor Arbeitsgerichten. Er ist zudem – das könnte verwundern – Funktionär der Antikorruptionsorganisation Transparency International (Leiter der Regionalgruppe Ruhrgebiet). Sein Konzept hat er im Buch »Compliance im Arbeitsrecht« zusammengefaßt. (2)

Systemisches Mißtrauen

Lelley macht sich über die Vertreter des klassischen Arbeitsrechts, z.B. den Rechtswissenschaftler Wolfgang Däubler, lustig. Diese würden vielfach in skurriler Weise behaupten: Im Arbeitsleben herrsche »sozialer Zwang, der eine Freiwilligkeit der Einwilligung des Arbeitnehmers ausschließe«. Das sei ein Hirngespinst, in Deutschland gebe es »glücklicherweise keine erzwungenen Arbeitsverhältnisse. Jeder Arbeitsvertrag wird aus freiem Willen von Arbeitgeberin und Arbeitnehmern geschlossen.« Die Freiheit und Freiwilligkeit der Beschäftigten zeige sich schließlich auch darin, daß sie jeden Arbeitsvertrag selbst durch Kündigung beenden können, zudem bräuchten sie für ihre ordentliche Kündigung keine Begründung zu liefern. Es herrsche also Waffengleichheit.

Aus der behaupteten beiderseitigen und gleichwertigen Freiheit und Freiwilligkeit leitet Lelley die Pflicht der Lohnempfänger zur »vertrauensvollen Zusammenarbeit« mit der Geschäftsführung ab. Eine Pflicht der Unternehmen zur vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den Lohnabhängigen kennt Lelley dagegen nicht. In der Praxis besteht bekanntlich für die Mehrheit der Beschäftigten keine Waffengleichheit mit dem Unternehmen. Dieses schützt seine elementaren Daten und Absichten (Kalkulation, Gewinne, Planungen zu Verkauf, Kauf, Umstrukturierungen und Entlassungen) mißtrauisch vor dem Bekanntwerden bei seinen Angestellten, Veröffentlichung durch Betriebsräte steht unter Strafe.

Sanktionen gegen Betriebsräte

So führt die Freiheit des Arbeitgebers bei der Compliance-Praxis im Arbeitsrecht zu einem Klima des permanenten Mißtrauens.

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„Operative Vorbereitung durchführen“. Der Projektverlauf Testkäufer klingt nach Stasi. Ist aber in deutschen Unternehmen anscheinend völlig normal. Skurril ist nur, dass mit Jan Tibor Lelley ausgerechnet ein Funktionär von Transparency International dafür wirbt. Zum Vergrößern auf Bild klicken. (Lizenz: GNU, Quelle: Wikicommons.)

Lelley zitiert zwar einmal den Paragraphen 119 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG). Danach ist die Behinderung und Störung des Betriebsrats und auch die Beeinflussung der Wahl eines solchen durch die Firmenleitung eine Straftat. Darauf kommt Lelley mit keinem Wort zurück, obwohl es sich hier um die Straftat in Deutschland handeln dürfte, die am wenigsten von allen Straftaten vor Gericht kommt.

Während also der »freie« Unternehmer straflos bleibt, widmet Lelley der Strafbarkeit von Betriebsräten umfassende Aufmerksamkeit. Die Liste ist lang: Verletzung von Betriebsgeheimnissen, Betrug (z.B. falsche Reisekostenabrechnung und Überstundenvergütung), Urkundenfälschung (etwa bei Niederschriften und Anwesenheitslisten von Betriebsratssitzungen), Bestechlichkeit (z.B. beim Bezug von Waren und Dienstleistungen).

Auf seiner Liste der betriebsrätlichen »Straftaten« steht weiter die Erpressung, nämlich als »rechtswidrige Einwirkung auf die Willensfreiheit der Arbeitgeberin«. Das geschehe etwa durch die Androhung eines betrieblichen Arbeitskampfes. Das sei z.B. auch der Fall, wenn der Betriebsrat seine Zustimmung zur Einstellung neuer Arbeitskräfte mit der Forderung verbinde, auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten. Das sei eine »rechtswidrige Drohung mit einem empfindlichen Übel«. Das Ziel oder die Folge sei, dem »Vermögen des Genötigten« einen Nachteil zuzufügen, und zwar, »um sich oder einen anderen zu bereichern«. Der Verzicht auf die betriebsbedingten Kündigungen wäre ein »Verzicht auf Gestaltungsrechte« mit »wirtschaftlichen Konsequenzen«. Hier sei eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe möglich.

Die Androhung betriebsbedingter Kündigungen durch das Unternehmen ist für Lelley dagegen keine Erpressung, keine Androhung eines empfindlichen Übels. Die »Willensfreiheit« des Arbeitgebers hat absoluten Vorrang vor der Willensfreiheit des Arbeitnehmers, schlimmer noch: Letzterer hat keine Willensfreiheit, er darf sie nicht haben.

Überwachung als Normalzustand

Auch bei der Überwachung und Bespitzelung der Beschäftigten beruft sich Lelley auf »die verfassungsmäßig garantierte unternehmerische Betätigungsfreiheit« nach Grundgesetz Artikel 2 Absatz 1, Artikel 12 Absatz 1 und Artikel 14 Absatz 1. Diese willkürliche Interpretation des Grundgesetzes ist rechtlich nicht haltbar; zudem »vergißt« der »LL.M.«-geweihte Magister der Rechte die verfassungsmäßig gebotene Beschränkung des Eigentums auf das Allgemeinwohl.

Zwar gelte, so Lelley, eine unantastbare Substanz des Persönlichkeitsschutzes. Allerdings dürfe er nicht bestehen, wenn die Unternehmensleitung sich in einer Situation der »Notwehr« zu befinden glaubt. Dann sei auch eine heimliche Videoüberwachung zur Aufdeckung von Compliance-Verstößen ohne Einwilligung des Betriebsrats zu rechtfertigen. Zudem könne eine rechtswidrige Videoüberwachung dadurch geheilt werden, daß der Betriebsrat nachträglich zustimme.

Das Bundesdatenschutzgesetz gestehe dem abhängig Beschäftigten zwar ein Widerspruchsrecht gegen Erhebung, Verarbeitung und Nutzung seiner personenbezogenen Daten zu. Aber, so Lelley: Die Praxis zeige, »daß es im Arbeitsverhältnis kaum Situationen gibt, in denen ein Arbeitnehmer mit einem Widerspruch auf die Datenverarbeitung Einfluß nehmen kann. Das Arbeitgeberinteresse ist fast immer vorrangig (…), denn anderenfalls könnte durch willkürliche Widersprüche gegen die Datenverarbeitung der Betriebsablauf gestört werden.« Für Lelley sind Widersprüche von Beschäftigten offensichtlich (fast) immer »willkürlich«.

Deshalb auch wäre die Mitbestimmung des Betriebsrats bei Bestellung des betrieblichen Datenschutzbeauftragten »fatal«. Er soll ja unabhängig sein und soll »weisungsfrei« arbeiten, argumentiert der Rechtsgelehrte. Warum der Datenschutzbeauftragte dadurch, daß er ausschließlich von der Unternehmensleitung bestimmt wird, unabhängig und weisungsfrei sein soll, erschließt sich nicht, auch deswegen, weil Lelley richtigerweise darstellt, daß der Datenschutzbeauftragte in die »Unternehmenshierarchie« eingebunden, also weisungsgebunden ist. Der Rechtsgelehrte stolpert von einem Widerspruch in den nächsten.

Whistleblower als Kollaborateure

Whistleblower, die die Compliance-Abteilung der Firma, dann aber auch den Staatsanwalt, die Medien oder die Öffentlichkeit über Rechtsbrüche im Unternehmen informieren, sind, so Lelley, nötig und erwünscht. Sie helfen, Com­pliance-Verstöße aufzudecken. Wie bei anderen solchen Bekenntnissen besteht der Anwalt unternehmerischer Freiheit auch hier sofort auf grundsätzlichen Einschränkungen: Nötig sei eine »Vertrauenskultur«. Generell gelte: »Das Unternehmen hat ein Recht, nur mit solchen Arbeitnehmern zusammenzuarbeiten, die die Interessen der Arbeitgeberin wahren, fördern und Schaden verhindern.« Deshalb müssen alle Hinweise unternehmensintern bleiben.

Was in der Diskussion und Gesetzgebung aber seit einigen Jahren im wesentlichen diskutiert wird, ist der Schutz von Hinweisgebern, wenn sie unternehmensintern nicht weiterkommen und die Öffentlichkeit – Staatsanwalt, Medien, zivilgesellschaftliche Organisationen – informieren. Davon will Lelley nichts wissen. Es existiere nämlich »kein allgemeines Anzeigerecht der Arbeitnehmer nach außen. Das bedeutet, daß Arbeitnehmer grundsätzlich eben nicht berechtigt sind, tatsächliche und vermeintliche Mißstände im Unternehmen an Dritte zu melden. Arbeitnehmer haben grundsätzlich kein Recht, zum externen Hinweisgeber zu werden.«

Folglich darf Whistleblowing nach Lelley nur zur Unterstützung der Unternehmensführung praktiziert werden, also nicht zum Schutz von Beschäftigten und öffentlichen Interessen. Ein solches Verständnis bedeutet: Wer Schmiergeldzahlungen, geplante Entlassungen und Auslagerungen bekanntmacht, gilt als Verräter von Betriebsgeheimnissen. Immer mehr Beschäftigte dürfen über ihre Löhne und Arbeitsbedingungen untereinander und in der Öffentlichkeit nicht sprechen. Daß Lelleys Verständnis von Whistle­blowing den Rechtsbruch stützen kann, wurde etwa im Fall Siemens ausführlich dokumentiert: Der norwegische Whistleblower Per-Yngve Monsen wurde von der Compliance-Abteilung gemobbt und wurde entlassen.

Heimlicher Zuverlässigkeitstest

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Der Testkäufer-Terror umfasst mittlerweile wesentliche Teile der deutschen Wirtschaft Zum Vergrößern auf Bild klicken. (Quelle: Wikicommons)

Der Rechtsgelehrte entblödet sich auch nicht, Überwachung als positiv für die gute Arbeitserfüllung zu bezeichnen. Überwachung verursache nämlich »keinen Überwachungsdruck, der ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats auslösen könnte. Die Überwachung führt höchstens dazu, daß Arbeitnehmer in Kenntnis der Tatsache, daß sie bei ihrer Arbeit überwacht werden, ihren Arbeitspflichten vielleicht sorgfältiger als sonst nachkommen. Sie gestalten ihr Arbeitsverhalten also vertragsgemäß. Das kann nicht zu einem Mitbestimmungsrecht führen.« Prinzip: Je mehr Überwachung, desto bessere Erfüllung von Arbeitsaufgaben.

Zur routinemäßigen Überwachung kommen noch Zuverlässigkeitstests während der Arbeitszeit. Sie gelten vor allem für Beschäftigte, die in ihrem Arbeitsalltag Zugriff auf Vermögenswerte des Unternehmens haben. Lelley nennt als typischen Fall nicht etwa Vorstandsmitglieder, sondern Einzelhandelskassierer. Sie sollen heimlich getestet werden, am besten durch externe Berater wie IT-Consulter und Detektive: »Weiter führt man Zuverlässigkeitstests durch, auch von Externen. Bei einem Zuverlässigkeitstest wird für einen Arbeitnehmer bewußt eine Situation geschaffen, in der dieser Gelegenheit hat, die Arbeitgeberin zu schädigen oder eine Vertragsverletzung zu begehen.« Beispiel: Die Kassenbestände von Kassierern werden heimlich erhöht; man will herausfinden, ob das Personal die Kassendifferenzen mitteilen oder die überschüssigen Beträge für sich behält. Beschäftigte werden also gezielt in die Falle gelockt. Andere solche Tests bestehen darin, daß ein Detektiv als harmloser Käufer eine Ware im Einkaufskorb besonders kunstvoll versteckt, so daß die gehetzte Kassiererin den Diebstahl wahrscheinlich nicht bemerkt und somit den Test nicht besteht.

Lelley behauptet, daß der Einsatz von Detektiven nicht der Mitbestimmung unterliege, es gehe dabei ja nicht um das Ordnungsverhalten des Beschäftigten, sondern nur um sein Arbeitsverhalten. Nach BetrVG Paragraph 87 Absatz 1 unterliege das Ordnungsverhalten nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats. Doch der Compliance-Experte interpretiert das BetrVG rechtswidrig, denn dort heißt es: »Der Betriebsrat hat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, in folgenden Angelegenheiten mitzubestimmen: 1. Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens im Betrieb.«

Zusammengefaßt: Permanente, auch rechtswidrige Überwachung der Beschäftigten und sogar das heimliche Fallenstellen ist nach Lelley der notwendige Normalzustand, der die »freie Entfaltung der Persönlichkeit« des Unternehmers sichert.

Freie unternehmerische Tätigkeit

Lelley versteht »die Unternehmen« als die einzig frei handelnden Wirtschaftssubjekte, wobei er mit »die Unternehmen« nicht auch die in den Unternehmen beschäftigten Lohnempfänger meint, sondern nur die Vorstände und Geschäftsführer. Er verschweigt auch die einfache Tatsache, daß über den Vorständen und Geschäftsführern in der Regel die bestimmenden Anteilseigentümer (Aktionäre, Gesellschafter) stehen, die einen möglichst hohen Gewinn herausholen wollen. Die Begriffe »Privateigentum« und »Gewinn« verwendet er nicht, obwohl es ihm in Wirklichkeit um die Absicherung von beidem geht.

Das ist natürlich im gegenwärtigen Kapitalismus allgemein so: Die Privateigentümer haben Angst, sich selbst als solche zu bezeichnen, und sie trauen sich auch nicht, öffentlich von ihrem Anspruch auf möglichst hohen Gewinn zu sprechen. Vielmehr argumentieren sie mit »Wirtschaftlichkeit«, mit »Wettbewerbsfähigkeit« und dem »Erhalt von Arbeitsplätzen«. Das tut auch Lelley, aber er geht wie viele heutige Arbeitsrechtler darüber hinaus. Er will offensichtlich juristisch die absolute Alleinherrschaft »der Unternehmen« begründen.

Obwohl er und seine Kanzlei sich im globalen Kontext bewegen, ignoriert der Staranwalt des gehobenen Mittelstands die international verbindlichen Sozial- und Arbeitsrechte, wie sie in den UN-Menschenrechtskonventionen, im UN-Sozialpakt und in den Prinzipien der Internationalen Arbeitsorganisation ILO festgelegt sind. Er beruft sich dagegen vor allem auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das auf eine EU-Richtlinie zurückgeht. Danach sind Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität verboten. Benachteiligungen wegen gewerkschaftlicher, betriebsrätlicher oder politischer Betätigung und wegen privatwirtschaftlicher Gewinnpraktiken (z.B. prekäre Arbeitsverhältnisse, Hungerlöhne, Arbeit unter Zwang) sind dagegen bekanntlich nach dem AGG nicht verboten.

Lelleys Begründungen für die freie unternehmerische Betätigung nehmen oft skurrile bis demagogische Formen an. Jeder Beschäftigte, meint er, könne sich auf die verfassungsmäßig garantierte unternehmerische Betätigungsfreiheit laut Grundgesetz berufen, z.B. im Artikel 12 Absatz 1. Doch was steht dort? »Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen.« Das ist für jeden Laien erkennbar auf die Lohnabhängigen gemünzt, von Unternehmern ist nicht die Rede. Außerdem müßte Lelley Artikel 2 Absatz 1 einbeziehen: »Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.« Freie Entfaltung der Persönlichkeit: ja, aber für jeden! Wo ist da von freiem Unternehmertum die Rede? Und wird da nicht eine Grenze hinsichtlich der »Rechte anderer« gezogen?

Der »LL.M.«-Magister läßt nicht locker und beruft sich noch auf das »verfassungsgemäß garantierte Eigentumsrecht« laut Grundgesetz Artikel 14 Absatz 1. Doch was steht dort? »Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet.« Da ist nicht die Rede von freiem Unternehmertum nach Lelleys Geschmack. Es ist nicht einmal von privatem oder kapitalistischem Eigentum die Rede. Es kann also beispielsweise auch genossenschaftliches Eigentum sein, ebenso nichtkapitalistisches Privateigentum. Und wie heißt es weiter in Artikel 14 Absatz 1 und 2? »Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.« Und: »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen.« Außerdem ist in Artikel 14 Absatz 3 von möglicher Enteignung die Rede: All dies klammert Lelley aus.

Er versteht organisierte Lohnempfänger, vor allem Betriebsräte, aber auch Whistleblower und »diebische Beschäftigte« als ständige Gefahren für die »freie Entwicklung der Persönlichkeit« der Unternehmer. Er zieht deshalb die Parallele zum zivilen Notwehrrecht laut Bürgerlichem Gesetzbuch (Paragraph 227): »Notwehr ist diejenige Verteidigung, welche erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden«. Eine durch Notwehr gebotene Handlung sei also nicht widerrechtlich. Deshalb dürfe ein Unternehmen etwa im Verdachtsfalle auch eine heimliche, nicht vom Betriebsrat genehmigte Videoüberwachung von Untergebenen installieren.

In seiner Rechtspraxis, etwa bei einem Unternehmensmandat, kann Lelley dann noch einen Schritt weitergehen. Das zeigte sich im Fall der Steakhauskette Maredo (siehe jW vom 25.6. und 7.8.2012). Hier rechtfertigte er die kompakte und heimliche Videoüberwachung aller Beschäftigten und der Betriebsratsmitglieder mit dem »Notwehrrecht« des Arbeitgebers. In seinem Buch hatte er noch die Einschränkungen zitiert, die das Bundesarbeitsgericht in solchen Fällen macht. Doch bei der Vertretung der Maredo-Geschäftsführung hielt er diese Grenzen nicht ein. Und er beteiligte sich an der rechtswidrigen Nötigung und Erpressung der in einem Raum ohne Vorwarnung eingesperrten Beschäftigten, die sofort vor Ort eine Eigenkündigung unterschreiben sollten, andernfalls würden sie wegen Diebstahls verklagt. (3)


Der Beitrag erschien ursprünglich in der Tageszeitung junge Welt vom 16.07.2014


Anmerkungen

(1) »L.M.« ist lateinisch und bedeutet Legum Magister, Magister der Rechte. »LL.« ist die lateinische Formel für die doppelte Rechtskenntnis im weltlichen und Kirchenrecht. Diese Art Studium wurde an privat finanzierten Universitäten des angelsächsischen Raums entwickelt.

(2) Jan Tibor Lelley: Compliance im Arbeitsrecht. Leitfaden für die Praxis. Köln 2010. Daraus wird im folgenden zitiert.

(3) Werner Rügemer/Elmar Wigand: Union Busting in Deutschland (pdf). Frankfurt am Main 2014, S. 101–107

Lelley auf youtube


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