Presseschau Juni/Juli 2014: Betriebsrat-Bashing und Whistleblowing in Deutschland
Enercon/WEA Service Ost GmbH / Magdeburg: Betriebsratsvorsitzendem soll gekündigt werden + + Volksbank / Kraichgau: Betriebsratsvorsitzender von Kündigung bedroht + + Haus der Geborgenheit/Mantra AG / Dorsten: Überlastungsanzeige geschrieben – Kündigung kassiert ++ Daimler Untertürkheim ./. SWR: Berichterstattung nicht erwünscht ++
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Enercon/WEA Service Ost GmbH will Betriebsratsvorsitzenden loswerden:
Die WEA Service Ost GmbH (ca. 350 Festangestellte), die zum Windkraft-Marktführer Enercon gehört und Montage- und Wartungsdienstleistungen ausführt, will ihrem Betriebsrats-Vorsitzenden Nils-Holger B. kündigen. Bei Enercon ist es schon in der Vergangenheit zu Repressalien gegen Initiatoren von Betriebsratswahlen gekommen (siehe arbeitsunrecht und windstärke 13). Die IG Metall hat sich deshalb letzten Sommer dazu entschlossen, in neun Service-Gesellschaften bundesweit gleichzeitig Betriebsrats-Wahlen einzuleiten, um so den Druck von den einzelnen Gremien zu nehmen. Bisher war die Kampagne sehr erfolgreich. Nun folgt anscheinend der erste Gegenschlag. Grund für die Kündigung: Nils-Holger B. hatte sich bei der Leiharbeitsfirma Detmers Personaldienstleistungen GmbH über die Anweisung beklagt, dass seine bei der Leiharbeitsfirma angestellten und für die WEA Service Ost GmbH tätigen Kollegen samstags zu einer unbezahlten Schulung erscheinen sollten (Arbeitsschutzschulung mit Prüfung). Detmers Personaldienstleistungen GmbH beschwerte sich daraufhin bei der WEA Service Ost GmbH, die ihrem Betriebsratsvorsitzenden als Reaktion eine Art Abmahnung aussprach. Nils-Holger B. informierte die Mitarbeiter per Rundmail über diesen empörenden Vorgang.
Die Reaktion der betroffenen Unternehmen spricht für sich: Während die Leiharbeitsfirma Detmers keine Arbeiter mehr an die Enercon Gesellschaft WEA Service Ost GmbH ausleihen will, hat die WEA Service Ost GmbH beim Betriebsrat einen Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden Nils-Holger B. gestellt. Der Betriebsrat hat die Zustimmung selbstverständlich verweigert. Die Zustimmung soll nun vom Arbeitsgericht ersetzt werden.
Wie so oft in unserer Berichterstattung kommt offensichtlich keiner der Verantwortlichen auf die Idee, dass unbezahlte Schulungen an Samstagen eine unzumutbare Belastung der Arbeitnehmer sind. Statt dem Missstand zu begegnen, wird mit anwaltlicher Hilfe die Person unter Beschuss genommen, die auf den Missstand aufmerksam macht.
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Auf Arbeitgeberseite agiert Rechtsanwalt Matthes Schröder aus der Großkanzlei Hogan Lovells. Hogan Lovells war schon letzten Herbst erfolglos damit betraut, der IG Metall während der Wahlphase den betrieblichen Zutritt zu verweigern. Es gab mehrere einstweilige Verfügungsverfahren, die, so der Anwalt der Arbeitnehmerseite, Daniel Weidmann, in zweiter Instanz alle gewonnen wurden. Hogan Lovells findet auch im Artikel unseres Autoren Werner Rügemer zu Compliance nach Lelley, Freiheit für die Bosse Erwähnung. Die internationale Wirtschaftskanzlei ist mit rund 2500 Anwälten in 40 Ländern tätig.
Der Gütetermin von Nils-Holger B. findet am 19.09.2014 um 12.00 Uhr im Arbeitsgericht Magdeburg statt.
Weitere Informationen zum aktuellen Vorgehen gegen Gewerkschafter und Betriebsratsmitglieder in der Enercon Tochtergesellschaft Gußzentrum-Ostfriesland (GZO) finden sich in der jungen welt vom 01.08.2014.
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Volksbanken: Das gute Image der Genossenschaftsbanken geht den Bach runter!
Nach 33 Jahren Beschäftigung versucht die Volksbank Kraichgau Wiesloch-Sinsheim Torsten W. angeblich unlauter verdiente Provisionen als Kündigungsgrund unterzujubeln. Ver.di vermutet hinter den Vorwürfen jedoch ein Fall von Union-Busting, der einzig dem Ziel dient, sich eines engagierten Betriebsratsvorsitzenden zu entledigen. Torsten W. hatte sich, nachdem die Volksbank den Manteltarifvertrag aufgekündigt hat, als Betriebsratsvorsitzender für einen neuen Tarifvertrag eingesetzt. Auf der ver.di-Solidaritäts-Seite findet sich die Möglichkeit, eine Solidaritätsbekundung für Torsten W. zu unterschreiben. Welche Kämpfe tatsächlich hinter den Kulissen der Volksbanken toben, beschreibt ein Artikel auf der Seite der Hans-Böcker-Stiftung:
Schon seit Jahren schließt der AVR (Arbeitgeber-Verband, d.R.) neue Tarifverträge (…) nur noch mit dem Deutschen Bankangestellten-Verband (DBV) und der selbst ernannten „Berufsgewerkschaft“ DHV ab – einer Organisation, die ihre Wurzeln bis zu dem im Kaiserreich gegründeten antisemitischen „Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband“ zurückverfolgen kann. Heute gehört sie zum Christlichen Gewerkschaftsbund (CGB) und mischte auch mit, als die Dumping-Tarifgemeinschaft CGZP die Leiharbeitslöhne ins Bodenlose senkte. Mit ver.di möchte der AVR dagegen nichts mehr zu tun haben. Zum 28. Februar 2013 kündigten die Arbeitgeber mit dem Manteltarif auch den allerletzten Vertrag, der mit der Gewerkschaft noch bestand.
Mitglieder haben DHV und DBV unter den Volksbank-Angestellten kaum. Ver.di dagegen erlebte nach der Kündigung des Manteltarifvertrages mit 5.400 Eintritten eine seltene Welle von Zulauf. Dirk Manstetten, Rechtsanwalt auf Arbeitnehmerseite, beschreibt im Artikel, wie trotzdem auch langjährig Angestellte über den Tisch gezogen werden konnten: in manchen Filialen konnte nur noch mit einer Beförderung rechnen, wer einen der neuen Verträge zu schlechteren Konditionen unterschrieb. So erlitten neben den neu Eingestellten auch altgediente Mitarbeiter erhebliche Einbußen, weil sie selbst als ver.di-Mitglieder nicht mehr von den Nachwirkungen der alten Verträge profitieren konnten.
Mehrere betroffene Betriebsratsmitglieder schildern, dass sie regelrecht fertiggemacht werden. Auf ein Betriebsratsmitglied der Volksbank Ludwigsburg wurde sogar der Betriebsratsfresser Helmut Naujoks losgelassen. Er versuchte der Angestellten Verfehlungen unterzuschieben, die er vor Gericht jedoch letztlich nicht beweisen konnte. Wie beim Fall Torsten W. dürfte aber auch hier das Prinzip Methode haben: Betriebsräte werden durch konstruierte Kündigungen bedroht und zermürbt, die Belegschaft gezielt eingeschüchtert. Dabei sollten Vorstände und Rechtsanwälte auf Arbeitgeberseite von Naujoks lernen: der an Rechtsmissbrauch grenzende Versuch, Mitarbeiter auf Teufel komm raus mit konstruierten Klagen zu überziehen, die vor Gericht fast immer scheitern, ist so durchsichtig, dass es Richtern mittlerweile schwer fallen muss, die oft nur dürftig zusammengeschusterten Vorwürfe gegen Betriebsratsmitglieder noch ernst zu nehmen. (Alleine beim Burgerking-Franichsenehmer Yiko, der ebenfalls auf Helmut Naujoks baute, musste die NGG in 320 Fällen Rechtshilfe gewähren, in 20 Fällen gab es Kündigungsverfahren gegen Betriebsratsmitglieder und Anträge zur Betriebsratsauflösung. Fast alle Verfahren liefen letztlich zugunsten der Arbeitnehmer-Seite.)
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Haus der Geborgenheit/Mantra AG: Überlastungsanzeige geschrieben – Kündigung bekommen!
Das „Haus der Geborgenheit“ in Dorsten-Rhade, eine Pflegeeinrichtung für Senioren mit 48 Plätzen, sieht das Vertrauensverhältnis zu elf (!) Mitarbeiterinnen zerstört, die auf massive Missstände hingewiesen haben (Dorstener Zeitung). Sogar das Küchenpersonal musste bei der Betreuung aushelfen. Träger scheint die Mantra AG zu sein, Vorstand sind laut Website Heiderose Wember und Günter Müntjes. Die Mantra Invest AG bezeichnet sich als zuverlässigen Partner im Alter und scheint daran interessiert, Senioren noch Immobilien aufzuschwatzen. Die ganze Unternehmung scheint eine Art Familienspaß von Günter Müntjes und Heiderose Wember zu sein, denn im Aufsichtsrat finden sich neben Winfried Althoff auch noch Martin Müntjes und Timo Wember. Kündigen statt den Dialog zu suchen und die Missstände zu beheben? Nein! Es muss Schutz für Whistleblower geben! Meinungsfreiheit und das öffentliche Recht auf Information dürfen nicht durch Bedrohung der beruflichen Existenz unterdrückt werden!
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Freie Berichterstattung in Gefahr: Daimler geht gegen SWR vor
Wie schwierig es derzeit mit der freien Berichterstattung ist, zeigt sich auch im Fall der Berichterstattung über Werkvertrags-Leiharbeiter bei Daimler. Der SWR hatte für die Reportage „Hungerlohn ab Werk“ verdeckt recherchiert (FAZ 31.07.14). Daimler klagt nun mit Hilfe des bekannten Berliner Medienrechts-Anwalts Christian Schertz (Kanzlei Schertz Bergmann) vor dem Landgericht Stuttgart darauf, dass die Sendung aus Mai 2013 nicht mehr gezeigt werden darf und sieht sich eher als Opfer von Industrie-Spionage. Karl Reif, Betriebsratsmitglied des betroffenen Werkes in Untertürkheim sieht das anders: es sei ein Verdienst der Sendung, dass Missstände aufgedeckt wurden und zum Teil Abhilfe geschaffen worden ist. Aufschlussreich dazu auch der Artikel „Demokratie darf nicht am Werkstor enden“ in Beobachternews vom 01.08.14. Die Kanzlei Schertz Bergmann versuchte auch schon im Fall Maredo kritische Berichterstattung zu unterdrücken.