Arbeitskräftemangel ist ein Problem für Unternehmen. Und eine Chance für Bechäftigte, Betriebsräte und Gewerkschaften. Wir sollten sie nutzen.
Der Fachkräftemangel, des Fachkräftemangels, den Fachkräftemangel… Das Wort begleitet uns gefühlt seit 30 Jahren. Als ständige Leier des Unternehmerlagers. Früher hielten wir das Gerede davon für reine Propaganda und Augenwischerei — ein Blick auf die Arbeitslosenzahlen genügte. Ein Bekannter scherzte: „Bei mir in der Straße gibt es einen extremen Mercedes-Benz-Mangel. Alle wollen einen haben, aber kaum jemand kann sich einen leisten.“ So einfach ist das heute nicht mehr abzutun. Neulich durfte ich als Referent an einem Betriebsrätetreffen in Ostdeutschland teilnehmen. Die meisten Betriebsratsmitglieder nannten den Fachkräftemangel als ihr Hauptproblem. Daher verdient das Phänomen wohl besondere Beachtung.
Wenn wir das arbeitsmarktpolitische Buzzword in den Plural deklinieren, wird es irgendwie komisch: „die Fachkräftemängel“. Klingt falsch. Mangel gibt es im Plural zwar durchaus: „erhebliche Mängel“, „Mängelliste“, aber „der Fachkräftemangel“ herrscht singulär in Deutschland und — implizit — sonst nirgendwo. Genauer gesagt: Das Ausland ist uns doch egal. Nach Deutschland sollen die Fachkräfte bitteschön kommen, was mit den Ländern wird, aus denen sie abgeworben wurden…? Uns wumpe.
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Auch die USA und China registrieren eine zunehmende Knappheit an Arbeitskraft. Wenn auch unter anderem Namen. Die Rede ist von Ghosting und Tang Ping, also „einfach nicht mehr Auftauchen“ am Arbeitsplatz und „sich flach hinlegen, um nichts zu tun“, also Arbeitsverweigerung und rumgammeln.
Die Steigerung von „Fachkräftemangel“ heißt „Arbeitskräftemangel“. Es fehlen also nicht nur Leute mit Ausbildung und Berufserfahrung, sondern auch Unqualifizierte und Anfänger:innen. In diese Phase ist Deutschland längst eingetreten. So musste das Café an meiner Ecke schließen, weil der Betreiber am Wochenende mangels Personal nicht öffnen konnte. Das Café lud sowohl Besucher:innen eines benachbarten Krankenhaues als auch Spaziergänger:innen in einem idyllischen Park zum Einkehren ein; doch ausgerechnet am Wochenende, wenn das Lokal gebrummt hätte, war niemand zu finden. Zumindest nicht für einen Lohn, der halbwegs zivile Preise auf der Speisekarte ermöglicht hätte.
Warum aber ist der Fachkräftemangel ein Problem von Betriebsräten?
Der DGB weist zurecht darauf hin, dass eine Knappheit an Arbeitskräften, das Kräfteverhältnis nunmehr dramatisch zu Gunsten der Lohnabhängigen verschiebt. Wenn Du keine Angst mehr vor Kündigung haben musst, weil Du sowieso damit liebäugelst, den Job zu wechseln und anderswo mehr Geld zu machen, dann kannst Forderungen stellen und etwas riskieren: einen Betriebsrat gründen etwa — das größte Abenteuer der deutschen Arbeitswelt.
Der Fachkräftemangel sollte demnach nicht das Problem der Lohnabhängigen und ihrer gewählten Interessenvertreter:innen sein, sondern ein Problem der Unternehmer.
Zusammenbruch droht
In der Praxis sieht das etwas anders aus. Weil die Firmen keinen Nachwuchs finden, setzen sich gegenseitig verstärkende Negativ-Effekte ein, die sich zu einem Teufelskreislauf auswachsen, der irgendwann zum Zusammenbruch sowohl einzelner Beschäftigter, ganzer Belegschaften als auch zur Schließung des Betriebs führen kann:
- Die Belegschaft überaltert,
- sie muss mit 10 Leuten die Arbeit von 15 Leuten machen.
- Die Beschäftigten müssen statt einem Aufgabenbereich abwechselnd drei bis fünf gelernte oder angelernte Tätigkeiten abbilden, also verschiedene Arbeitsplätze bzw. Gewerke simulieren.
- Das vorhandene Personal schuftet sich den Buckel krumm und genau deshalb finden die Firmen erst recht keinen Nachwuchs. Denn die Arbeit ist über die Jahre so extensiv, intensiv und speziell geworden, dass Neulinge kaum eine Chance haben, hinein zu finden, hinterher zu kommen und das Pensum zu schaffen.
Hinzu kommt, dass eine Generation heran gewachsen ist, die eher unbewusst, aber — aus Sicht der Human-Resources — doch erschreckend konsequent ihre Stärken ausspielt. Sie hat keine Lust, sich in irgendeiner Knochenmühle oder einem Bullshitjob verheizen zu lassen. Hier hilft auch nicht mehr Geld. (Die unzuklässige Verkürzung tariflicher Forderungen auf prozentuale Lohnzuwächse, ist immer noch eine elementare Schwäche der Gewerkschaften. Die Fixierung auf den Lohn rührt vermutlich aus dem Eigeninteresse her, dass die Gewerkschaftsfunktionäre sich von 1% des Lohns ihrer Miglieder ernähren. Man kann fast von einem gewerkschaftlichen Lohnfetisch reden.)
Viel größere Probleme als der ewige Lohn sind Schichtarbeit, Arbeitszeiten, die nur in eine Richtung flexibel sind, nämlich für die Personalabteilungen. Der Arbeiter als Anhängsel der Maschine und Verfüllmasse der Personalplanung. Als Lakei, der am Besten auf einen Pfiff antanzt. Und ein Arbeitsklima, das undemkratisch und nicht selten toxisch ist. Die Leute wollen wieder arbeiten um zu leben und nicht leben um zu arbeiten. Und sie wollen auch am Arbeitsplatz als Menschen aufleben und nicht bloß überleben.
So gesehen birgt die Rede vom Fachkräftemangel eigentlich eine gute Nachricht. Wir müssen die Zeichen der Zeit nur erkennen und etwas daraus machen.
Was bedeutete das für die Betriebsratsarbeit?
Für aktive Betriebsräte heißt das Gebot der Stunde daher: Langsamer arbeiten. Den Karren nicht mehr für die Geschäftsführung aus dem Dreck ziehen, die eklatanten Mängel der Firma nicht durch Planübererfüllung ständig ausbügeln. Überstunden vermeiden und Krankheiten ordentlich auskurieren, bevor sie chronisch werden. Gleichzeitig konstruktive Vorschläge durchsetzen, um die Arbeit humaner zu gestalten.
Wann, wenn nicht jetzt?
Die Kolumne „Wann, wenn nicht jetzt?„ ist im Juni 2023 in der alternativen Wirtschaftszeitschrift OXI erschienen sowie in der Sendung arbeitsunrecht FM #11-23.