Frontberichte 1/2017

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Presseschau: Betriebsrats-Bekämpfung, Union Busting und ein skandalöses Arbeitsgerichts-Urteil

Matratzen Concord / Braunschweig: BR hält sich trotz Dauer-Beschuss ++ Pflegeexperten / Frankfurt a.M.: Gezielte Behinderung einer BR-Gründung ++ Beiersdorf  / Hamburg: Skandalöses Urteil bestätigt Verdachtskündigung

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Matratzen Concord: Erster Betriebsrat in Deutschland hält sich trotz Dauer-Beschuss

In der Region Braunschweig hat sich laut junge Welt vom 31.1. 2017 vor einem halben Jahr der erste gewerkschaftlich orientierte Betriebsrat der Einzelhandelskette Matratzen Concord (im Filial-Bezirk A 15) gegründet. Wir gratulierten den Kolleginnen und Kollegen herzlich zu dieser Leistung! Wer mit dem Einzelhandel zu tun hat, weiß, wie hart es dort zugeht.

Matratzen Concord gehört zur niederländischen Beter Bed Group. Das Management geht laut Bericht mit massiven Zermürbungsmethoden gegen den neu gewählten BR vor, ver.di spricht von Union Busting (Was ist das?).

Die treibende Kraft der BR-Gründung, der Bezirksleiter Karsten K., soll vom Kölner Matrazen Concord-Geschäftsleiter Rainer Brockmöller bereits in der Wahlphase mit Zuckerbrot und Peitsche bearbeitet worden sein; dazu gehörte laut Bericht auch eine Degradierung zum Verkäufer: „Schon am folgenden Tag musste ich in einer Filiale in Salzgitter antreten, wo ich von Anfang an unter besonderer Beobachtung stand.“ Dennoch wurde Karsten K. im Bezirk A 15 zum Betriebsratsvorsitzenden gewählt.


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Das Management verstärkte den Druck auf die Belegschaft durch persönliche Einflussnahme auf Einzelne, Drohung mit Filial-Schließung und strukturelle Veränderungen. So soll der Bezirk A15, der mehrere Filialen umfasst, systematisch verkleinert werden, um den Einflussbereich des neuen und bislang einzigen Betriebsrats auf ein Minimum zu reduzieren.

Die Betten-Branche ist für hartes Vorgehen gegen Beschäftigte, Betriebsräte und Gwerkschafter berüchtigt. So gelang es dem Mitbewerber Dänisches Bettenlager 2013 ein BR-Gremium in Jena mit Zermürbungsmethoden, Kündigungen und Abfindung komplett zu entsorgen (Welt 24, 31.1.2013). Ein Extremer Preiskampf in der Branche und Management-Strategien zur gnadenlosen „Optimierung“ der Belegschaft tun ihr Übriges, um die Lage für gewerkschaftlich orientierte Beschäftigte zu verschärfen.

Leider verschweigt der lesenswerte Bericht von Gudrun Giese, welche Fertigmacher-Kanzlei und welche Unternehmensberater auf Seiten von Matratzen Concord tätig sind. (Für Zusatzinfos per Kommentar-Funktion sind wir dankbar!) Der zuständige ver.di-Sekretär, Eberhard Buschbom-Helmke, ruft zu weiteren BR-Gründungen bei Matrazen Concord auf, um dem neuen Betriebsrat den Rücken zu stärken und die oftmals gruseligen Arbeitsbedingungen im Matrazen-Discount gemeinsam zu verbessern.

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Die Pflegeexperten: Mit Drohungen und Kündigung gegen BR-Gründung

Die Frankfurter „Pflegeexperten“ erhalten im Kerngeschäft keine guten Noten, was sich mit den Berichten von Harald S. deckt. (Quelle: BKK Pflegefinder, 1.2.2017)

Der Gewerkschafter Harald S. (Industrial Workers of the World) erhielt die fristlose Kündigung nachdem er in der Frankfurter Alten-Pflege-Einrichtung „Die Pflegeexperten“, die acht Angestellte hat, einen Betriebsrat gründete.

Die Wobblies haben Anzeige wegen Behinderung der Betriebsratsarbeit erstattet. Diese steht laut §119 BetrVG unter Strafe (bis zu ein Jahr Gefängnis).

Harald schreibt zu den Motiven der BR-Gründung:

Das Geld für meinen Bausparvertrag, das mir jeden Monat vom Nettolohn abgezogen wurde, ist bis heute nicht eingegangen. Seit über einem Jahr. Also musste sich etwas ändern. Nachdem der Urlaubsplan für 2017 erstellt wurde und kaum jemand dann Urlaub bekommen hat, wie er wollte, war es soweit.

Zusammen mit zwei Kollegen haben wir zur Wahlversammlung zur Wahl eines Wahlvorstandes für die Betriebsratswahl eingeladen. Bei der Wahlversammlung wurden die Einlader von einem Herrn massiv mit Kündigung bedroht. Er hat herumgeschrieen und versucht, die KollegInnen einzuschüchtern.

Die Einflussnahme war laut Harald insofern erfolgreich, als die Kolleginnen bei der Betriebsratswahl am 16.1.2017 eine Vertraute der Geschäftsleitung gewählt haben und er als erfahrener Gewerkschafter nur Ersatzmitglied wurde. Eine klare Niederlage, aber immerhin erwarb er somit einen besonderen Kündigungsschutz.

Dennoch erhielt Harald zwei Tage später unerwarteten Haus-Besuch von der Ober-Pflegeexpertin Renate Wetzel:

Die Chefin des Ladens stand vor der Tür mit einem Zeugen und hat mir die fristlose Kündigung überreicht.

Harald bittet, Proteste an folgende Adresse zu richten: Die Pflegeexperten, Maßbornstraße 37, 60437 Frankfurt |
Tel: 069-551577 / Fax: 069-48982996 / info@pflege-experten24.de, Solibekundungen sind erbeten an: organizing@wobblies.org

(Quelle: Labournet, 25.1.2017)

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Beiersdorf: Skandalöses Urteil bestätigt Verdachtskündigung

Der jour-fixe der Gewerkschaftslinken berichtet am 25.1.2017 von einer haarsträubenden Entscheidung des Hamburger Arbeitsgerichts.

Die 29. Kammer unter Vorsitz von Thomas Hennings gab zum großen Erstaunen zahlreicher Prosszessbeobachter_innen einer Verdachtskündigung gegen die Schwerbehinderten-Vertreterin Gaby T. statt (ArbG Hamburg 29BV 13/16). Dabei war die Kündigung gegen die engagierte Gewerkschafterin leicht erkennbar als juristische Vergeltungs- und Zermürbungsmaßnahme nach den Standard-Rezepturen des Union Busting (Was ist das?).

Diesmal wurde die Konstruktion „Arbeitszeitbetrug“ gewählt, zudem stürzte das Management die Kollegin in finanzielle Schwierigkeiten, indem man Lohn von € 9.510,72 einbehielt. Beides kommt häufig vor und darf als Bestandteil einer sattsam bekannte Methode gelten.

Gaby T. und ein weiteres früheres Betriebsratsmitglied erhielten bereits etliche Abmahnungen ähnlicher Machart, so dass Richter Hennings mit etwas Interesse und minimaler Recherche den Braten hätte riechen müssen. (Für den Einstieg sei die Studie „Union Busting in Deutschland“ aus dem Jahr 2014 empfohlen.)

„Gemeinsam sind wir stark“ mischt den Laden auf

Hintergrund: Die Beiersdorf AG kämpft mit Hilfe der Kanzlei Norton Rose Fulbright gegen die unabhängige Betriebsgruppe „Gemeinsam sind wir stark“, in der sich Gaby T. engagiert. Die Gruppierung gründete sich vor vier Jahren und konnte die Betriebsratswahl von 2014 erfolgreich anfechten.

Pikanterweise verweigert die zuständige Gewerkschaft IG BCE den Mitgliedern der Betriebsgruppe anscheinend den Rechtsschutz, so schreibt die Hamburger Gewerkschaftslinke.

Zu den Gründen dieser verwunderlichen Gewerkschaftspolitik und Hintergründen der betrieblichen Konflikte bei Beiersdorf würden wir gern mehr erfahren…  (Bitte Kommentarfunktion nutzen.)


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