Tarifeinheit: Glückwunsch, Allen & Overy!

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Bundesverfassungsgericht fördert rechtliche Verwirrung. Prozesshanselei und Überlastung der Arbeitsgerichte werden zunehmen

Ein Kommentar von Elmar Wigand

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Tarifeinheitsgesetz vom 11. Juli 2017 dokumentiert eine tiefe Zerissenheit. Die alten Zeiten, als sich „die Gewerkschaften“ und „die Arbeitgeber“ in Elefantenrunden gegenüber saßen, sind nicht nur auf Gewerkschaftsseite passé.

Anstelle von Arbeitgeberverbänden hat ein juristisch-betriebswirtschaftlicher Komplex die Führung übernommen. Neben Unternehmensberatern (McKinsey, Boston Consulting, Kienbaum, Roland Berger) und Wirtschaftsprüfern (PWC, KMPG, Deloitte) gehören dazu große Wirtschaftskanzleien und deren Arbeitsrechtsabteilungen. Sie dürfen sich über das jüngste Urteil zur Tarifeinheit freuen. Ihr Leitwolf in Sachen Streikverhinderung hatte das Tarifeinheitsgesetz nach Kräften voran getrieben.

Im Transport-Sektor vertritt die Wirtschaftskanzlei Allen & Overy mit ihrem Frankfurter „Rainmaker“ Thomas Ubber die Interessen eines Syndikats aus DB, Fraport, Lufthansa, Air Berlin gegenüber konfliktfreudigen Spartengewerkschaften (Vereinigung Cockpit, GdL, UFO, GdF).


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Die Versuche, jede Streikbewegung gerichtlich zu unterbinden, werden aller Voraussicht nach weiter zunehmen, da das jüngste Urteil widersprüchlich und unklar ist.

Genau diese Unklarheit aber ist der goldene Boden für satte Profite von Großkanzleien – GDL-Chef Manfred Schell sprach 2010 von „Prozesshanselei“ (Die Zeit, 9.2.2010). Allen & Overy waren es auch, die sowohl gerichtliche Streikverbote erwirkten und horrende Schadensersatzforderungen – 6,5 Millionen gegen die Gewerkschaft der Flugsicherheit!  – wegen angeblich illegaler, formal unkorrekter oder unverhältnismäßiger Streiks geltend machten („Union Busting durch Schadensersatz“, arbeitsunrecht.de 2.8.2016).

Als das BAG am 7. Juli 2010 die Tariffähigkeit von Spartengewerkschaften stärkte,1 empfahl Thomas Ubber Gesetzesänderungen.2

Sozialpartnerschaft gegen konkurrenzfähige Streikkultur

Zwei der acht Bundesverfassungsrichter ließen ihre Minderheitenmeinung in den Urteilstext aufnehmen. Ähnliche Gräben durchziehen die deutsche Gewerkschaftslandschaft. Sie verlaufen längst nicht nur zwischen DGB-Gewerkschaften und ihren berufsständischen Konkurrenten. Ein tiefer Riss geht durch den DGB.


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Insofern schmeckt die Begeisterung der Industriegewerkschaften IG Metall und IG BCE über ihren vermeintlichen Sieg vor dem Bundesverfassungsgericht schal. Deren Führungsetagen machen in einem wichtigen Punkt gemeinsame Sache mit der Unternehmerschaft: Eine im europäischen Maßstab konkurrenzfähige Streikkultur in Deutschland soll nicht entstehen. Stattdessen wird die Sozialpartnerschaft beschworen.

Der Transport: Achillesferse des Zuliefer- & Sub-Unternehmer-Systems

Insbesondere Streiks im Transportsektor stören die Metall- und Chemie-Industrie empfindlich. Sie greifen die Achillesferse des neoliberalen Produktionsmodells an: „optimierte Wertschöpfungsketten“ aus konkurrierenden Zulieferern, die im Preis gedrückt werden können. Die Zuliefer-Ketten werden durch den Transport zusammen gehalten. Wer am Ende der Nahrungkette steht, darf in die Röhre gucken. Die Verlierer des Sub-Unternehmer-Systems finden sich oft in der IG BAU, NGG und bei ver.di wieder.

Zur Durchsetzung ihrer Partikularinteressen betrieben IG Metall und IG BCE mit Hilfe des von ihnen dominierten DGB nicht nur recht schamlos gemeinsame Lobbyarbeit mit dem Bundesverband der Arbeitgeber (Gemeinsame Erklärung BDA & DGB-Bundesvorstand, 7.6.2010). Auch die Verdrahtung mit der SPD scheint in den oberen Etagen nach wie vor so stark zu sein, als hätte es eine Agenda 2010 und die daraus folgende Spaltung der Sozialdemokratie nie gegeben, als wären nicht zahlreiche Metaller Anhänger der LINKEN.

Immerhin: Das Urteil fordert hier und da Nachbesserungen. Man könnte es salomonisch nennen: Weder winkt es das problematische Gesetz der Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) bedenkenlos durch, noch unterbindet es die tendenziell grundgesetzwidrigen Eingriffe in die Koalitionsfreiheit kategorisch. Doch damit würde man König Salomo Unrecht tun, der laut Legende einen goldenen Weg suchte, mit Mitteln der Weisheit allein der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen.

Das Bundesverfassungsgericht hat beim Versuch, es allen recht zu machen, das zu lösende Problem verschärft. Ausbaden müssen es die ohnehin überlasteten Arbeitsgerichte.


Der Beitrag erschien in leicht veränderter Form in der Tageszeitung Neues Deutschland vom 15. Juli 2017


Fußnoten

1 BAG Urteil vom 7.7.2010, 4 AZR 549/08

2 Thomas Ubber: Tarifeinheit: Das hohe Gut des sozialen Friedens sichern, Betriebs-Berater 28/2010.


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