Handy kaputt. Lieferando kneift und muss Reparatur bezahlen

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Prozess vor dem Arbeitsgericht Köln macht deutlich: 

  1. Fahrer*innen brauchen Diensthandys.

  2. Arbeitsrecht braucht Sammelklagen!

LIeferando-Prozess. Beobachter vor Arbeitsgericht Köln am 29-09-21
Ein Dutzend solidarischer Prozessbeobachter*innen unterstützte Leon A. am 29.9.2021 vor dem Arbeitsgericht Köln gegen seinen knauserigen Arbeitgeber Lieferando. Darunter Mitglieder des Lieferando-Betriebsrats, der Aktion gegen Arbeitsunrecht, der türkischen Arbeiterverein-Föderation DIDF, und der Gewerkschaften NGG und FAU.

Der Lieferando-Arbeitsrechtsanwalt Danilo Friedrich-Goodall fehlte unentschuldigt. Daher verhängte das Arbeitsgericht Köln am 29. September 2021 ein Teilversäuminsurteil gegen Lieferando.

Der größte deutsche Essenslieferdienst muss dem Kölner Fahrer Leon A. die Reparatur seines privaten Handys bezahlen, das bei einem Arbeitsunfall kaputt gegangen war. Kostenpunkt: 139,- Euro.

Der Fall ist aus zwei Gründen brisant:

  • Das Problem, das im Einzelfall nur eine Bagatelle darstellt, haben potentiell sämtliche 10.000 Riders in Deutschland. Es geht in der Summe um Millionen.
  • Die Beweislast liegt beim Kläger. Da Lieferando — wie andere Lieferdienste auch — die Nutzung von privaten Handys der Riders voraussetzt, müssen diese auf Reparatur klagen. Daraus folgt zwingend die Forderung: Diensthandys für alle!

Die Kölner Arbeitsrichterin Brigitte Neideck machte darauf aufmerksam, dass Leon A. im Falle einer Verhandlung beweisen müsste, dass sein Handy bei einem Unfall während der Arbeit kaputt gegangen ist — und nicht in der Freizeit —  und dass der Unfall nicht durch grob fahrlässige Fahrweise verursacht wurde — sondern höchstens durch „leicht fahrlässige Fahrweise“.


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Da die Riders zumeist allein unterwegs sind, fällt es oft schwer, Zeugen oder andere Beweise beizubringen. Hieraus ergibt sich folgender Tipp: Bei einem Unfalls sofort Telefonnummern von Zeugen notieren, damit diese notfalls vor Gericht aussagen können!

Die gängige Praxis ist inakzeptabel. Sie lässt nach Ansicht der Aktion gegen Arbeitsunrecht nur einen Schluss zu:

Diensthandys für alle müssen her! Alles andere ist sittenwidriger Quark.

Lieferando muss das unternehmerische Risiko voll übernehmen!

Ein Arbeitgeber muss seinen Beschäftigten die notwendigen Betriebsmittel und Werkzeuge zur Verfügung stellen. Dadurch würden im konkreten Fall die Beweislast und das Risiko umgekehrt: Lieferando müsste dann die Dienst-Handys reparieren und den Fahrern im Einzelfall konkret nachweisen, dass sie grob fahrlässig gehandelt oder im privaten Rahmen Schäden verursacht haben. Alles andere ist inakzeptabel und ausbeuterisch.

Angesichts der Tatsache, dass die Lieferdienste hier geradezu sittenwidrige Zustände etabliert haben, die sogar den Tatbestand der Nötigung erfüllen dürften — denn wer sich weigert, sein privates Handy einzubringen, wird erst gar nicht eingestellt — wundert es, dass Lieferando die aufkommenden Fälle keineswegs kulant regelt oder sich gar dankbar über den Umstand zeigt, dass die Fahrer*innen mit privatem Vermögen in Vorleistung treten, ohne dafür adäquat vergütet zu werden.

Stattdessen wird das Management auch noch frech. Der Schriftsatz des Lieferando-Anwalts Danilo Friedrich-Goodall strotzte vor Unverschämtheiten und Anmaßungen. (Siehe Bericht vom 24.9.2021.)

Arbeitsrecht absurd: 10.000 potentielle Einzelfälle? Beschäftigte brauchen die Möglichkeit der Sammelklage.

Leider gibt es in Deutschland — anders als in den USA — nicht die Möglichkeit einer Sammelklage (Collective action), mit der Beschäftigte ihre wiederholten gemeinsamen Ansprüche gegenüber Unternehmen einklagen können. In den USA werden nach Sammelklagen Fonds eingerichtet, aus denen die Geschädigten bezahlt werden. So mussten Starbucks und Amazon bereits Millionen zahlen, weil sie Beschäftigte über Jahre um Trinkgeld geprellt hatten.

Als Einzelfall betrachtet, lohnt der individuelle Lohnraub kein Gerichtsverfahren, so dass eine ungerechte, betrügerische Praxis wie Lohnraub in Deutschland fast nie gestoppt oder gar bestraft wird. Sammelklagen hingegen können eine scharfe Waffe sein.  

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