Die tarifliche Herabstufung von 20.000 Beschäftigten des Post-Konzerns soll ein Anfang sein. Die Bundesregierung will Deutschland und die ganze EU „wettbewerbsfähiger“ machen
von Werner Rügemer
Bis zu 20.000 Beschäftigte will die Deutsche Post in die niedrigeren Tarife der Logistikbranche abschieben. Dafür wurden 49 Tochterfirmen unter dem Dach der Delivery GmbH gegründet. In diversen Hotels werden den meist befristet Beschäftigten die neuen Arbeitsverträge vorgelegt: Unterschreib oder dein bisheriges Arbeitsverhältnis läuft aus! Wie „Die Welt“ am 2. Februar 2015 berichtete, durften Unterzeichner die Verträge nicht nach Hause mitnehmen. Das ist rechtswidrig. Die Fremdvergabe innerhalb des Konzerns verletzt auch einen Vertrag mit verdi, sagt Andrea Koscis, die für die Gewerkschaft im Aufsichtsrat sitzt. Aber bei den bisherigen 11.000 Subunternehmen geht es auch nicht immer rechtskonform zu.
Die Deutsche Post gehörte nach ihrer Privatisierung ganz dem Staat. Der verkaufte die Aktien seit 2000 schrittweise über die staatseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Das gehörte zur Programmatik der „rot-grünen“ Bundesregierung („Entflechtung der Deutschland AG“) unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und wird bis heute fortgesetzt. Jetzt soll es ganz hart kommen.
Weitere Privatisierungen bei Post, Telekom, Bahn
Der Staat ist mit 21 Prozent noch größter Einzelaktionär. Er kümmert sich aber (offiziell) nicht um die Geschäfte und stellt mit zwei Vertretern im Aufsichtsrat nur eine kleine Mitläufer-Minderheit. Auf die Anfrage der Linkspartei vom Dezember 2014 zu den Arbeitsverhältnissen bei der Post antwortete die Regierung: Aus der Stellung als Hauptaktionär „ergeben sich keine Rechte und Pflichten zur Erforschung der erfragten Sachverhalte.“
Inzwischen ist der größte Kapital-Anlage-Konzern der Welt, der ehemalige US-Hedgefonds Blackrock, heute zweitgrößter Post-Eigentümer. Privat- und Kleinanleger halten nur noch 11,2 Prozent. Die Mehrheit von 67 Prozent gehört Investoren aus den USA und Großbritannien – wobei London oft nur der juristische Standort für US-Investoren ist. Bundesregierung und Konzern halten die Namen außer Blackrock geheim.
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Schäuble und die schwarze Null
Finanzminister Wolfgang Schäuble wiederholt seit einiger Zeit gebetsmühlenartig: „Die EU muss wettbewerbsfähiger werden“, „Deutschland muss wettbewerbsfähiger werden“, „Griechenland muss wettbewerbsfähiger werden.“ Schäuble, der Fetischist der „Schwarzen Staats-Null“, wurde gegenüber den „Märkten“ in New York deutlicher: Er will weitere Staats-Aktien verkaufen, nicht nur der Post, sondern auch des Telekom- und des Bahn-Konzerns (Reuters 12.11.2014).
Der Zeitpunkt ist noch nicht festgelegt. Denn die Braut muß noch schön hergerichtet werden. Daher gehört die Abschiebung tausender Beschäftigter in die Niedriglöhnerei am Standort Deutschland zur „Strategie 2020“ von Post-Chef Frank Appel. Er will vor allem in den großen Niedriglohnstaaten der Erde expandieren, die Gewinne sollen um jährlich acht Prozent auf dann fünf Milliarden steigen.
EU-Arbeitskosten müssen sinken!
Schäuble und Appel sind das öffentliche Gesicht der anonymisierten „Märkte“. Deren mächtigere Handlanger sprechen manchmal deutlicher, abseits der großen Öffentlichkeit. „Arbeitskraft ist in der EU im Schnitt etwa zweimal so teuer wie in den Vereinigten Staaten“, macht Ray Dalio klar. Der Milliardär, Chef des weltgrößten Hedgefonds Bridgewater, „sorgt sich um die Zukunft Europas“, wie er dem Handelsblatt anvertraute. Er möchte für seine Kunden – Konzerne, Banken, Zentralbanken, Vermögens- und Pensionsfonds – mehr in der EU investieren. „Deshalb muss Europa dringend wettbewerbsfähiger und weniger bürokratisch werden.“
Dafür sieht Dalio schon bessere Chancen in den Krisenstaaten Italien, Spanien und Frankreich. Dort seien „die politischen Führer schon mutiger und aufgeschlossener“ für Reformen (siehe Handelsblatt 13.2.2015).
Die neue griechische Regierung darf es sich zur Ehre anrechnen, von Dalio nicht zu den Exekutoren der Niedriglöhnerei und des Verkaufs von Staatsvermögen gerechnet zu werden. Da wissen IWF-Chefin Christine Lagarde, Schäuble und EU-Kommissions-Präsident Jean-Paul Juncker, wo es langgeht.
In der Öffentlichkeit wird das Theater „Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP“ und zum Dienstleistungsabkommen TISA aufgeführt. Arbeitsrechte und Arbeitsbedingungen sind ausgeklammert – während gleichzeitig auf der Hinterbühne die Entscheidungen fallen.
Der Widerstand von Gewerkschaften, linken und zivilgesellschaftlichen Organisationen in Deutschland und in der EU muß noch ganz andere Formen annehmen als bisher. Und dass neue, demokratisch voll legitimierte Regierungen wie in Griechenland gewählt werden – das gehört dazu.
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Der Artikel ist ursprünglich in der Tageszeitung junge Welt vom 19.2.2015 erschienen.