Union Busting-News #10/25: Amazon, faule Babyboomer, Unternehmer für Lieferkettengesetz, Modernisierung des Betriebsverfassungsgesetzes?

0
2472

Union Busting-News mit Jessica Reisner. Arbeitsunrecht und Betriebsratsbehinderung in Deutschland.

Anhören, downloaden und für unkommerzielle Zwecke frei weiter verbreiten!

Amazon: Abfindung für Betriebsratsmitglied

Dortmund: Amazon hat das Betriebsratsmitglied Osman erfolgreich aus der Firma gedrängt. Darüber berichten die Ruhr-Nachrichten.1 2

Osman arbeitete seit 2016 im amazon-Verteilzentrum Westfalenhütte. Zum 1. September 2023 kündigte ihm amazon fristlos. Der ehemalige Betriebsratsvorsitzende war damals immer noch Betriebsratsmitglied und genoss besonderen Kündigungsschutz. Nun hat Osman ein Abfindungsangebot in unbekannter Höhe angenommen.

Als Kündigungsgrund nannte Amazon 2023 Arbeitszeitbetrug, weil Osman das Betriebsgebäude mehrmals verlassen haben soll. Osman gibt an, während dieser Zeiten Betriebsratsarbeit außerhalb des Betriebsgebäudes gemacht zu haben. Und zwar explizit für Kolleginnen und Kollegen, die Sorge hatten, drinnen beim Gespräch mit ihm von Vorarbeitern bemerkt zu werden. Aus Angst vor Benachteiligung, so Osman, würden sich manche Kolleg*innen nicht ins das Betriebsratsbüro wagen.


Aus erster Hand informiert sein? Profis lesen Emails.
Jetzt den kostenlosen Email-Newsletter der aktion ./. arbeitsunrecht ► bestellen

Der Betriebsrat soll der Kündigung bei einem zweiten Anlauf zugestimmt haben. Der damalige Chef der Personalabteilung und ein Geschäftsführer sollen die Kündigung dann persönlich abgegeben haben. Osman reichte Kündigungsschutzklage ein und gewann vor dem Landesarbeitsgericht Hamm. Amazon legte dagegen Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht ein.

Aber zur Verhandlung wird es nicht mehr kommen. Denn laut Ruhr-Nachrichten knickte Osman ein und nahm eine Abfindung in unbekannter Höhe. Was uns vermuten lässt, dass er eine Schweigeklausel unterschrieben hat. Eine Schweigeklausel bedeutet in der Regel, dass der Gekündigte weder über die Abfindungssumme noch über die vorausgehenden Vorgänge berichten darf. Ein Handel, in dem das Recht auf freie Rede verkauft wird.

Wir halten Abfindungen grundsätzlich für schwierig. Sie nähren die Erzählung von Gewerkschaftsfeinden und Betriebsratsfressern, dass Betriebsräte eher an Geld als Arbeitsrechten interessiert sind. Lässt man mögliche psychische Folgen beiseite, scheint der Abgefundene nach dem Handel möglicherweise fein raus zu sein. Wer sich aber im Betrieb solidarisiert hat, steht doof da. Denn wer wollte sich nach so einer Erfahrung erneut mit einem Betriebsratsmitglied unter Druck solidarisieren?

Amazon bezahlt immer noch Logistiktarif. Obwohl die Angestellten schon seit Jahren die Bezahlung nach dem höheren Einzelhandelstarif fordern. Immer wieder gibt es bei Amazon Kündigungsversuche gegen Betriebsratsmitglieder. ► zurück nach oben

Nur noch 9% NRW-Unternehmen mit Betriebsrat

NRW: In nur noch 9% der Betriebe gibt es einen Betriebsrat. In den 90ern gab es dagegen noch in der Hälfte der Betriebe Mitbestimmung. Darüber berichtet der WDR in der Sendung Westpol. 3

Die niedrige Zahl ist auch Folge von Union Busting. Also dem systematischen Vorgehen von Unternehmen gegen Betriebsratsgründungen und Druck auf aktive Betriebsräte.

Ein weiteres Problem: Nur noch ein Viertel der Betriebe in NRW zahlt nach Tarifvertrag. Das entspricht 57 % der Beschäftigten. 1994 haben dagegen noch 84% der Angestellten einen Tariflohn bekommen.

Am Flughafen Düsseldorf macht der WDR die Probleme am Beispiel des Deutschen Schutz und Wachdienstes DSW fest. Der DSW ist hier unter anderem für Gepäck- und Personenkontrollen zuständig. Ein großer Teil der Beschäftigten sei befristet angestellt, Krankengeld und Lohn würden oft zu spät gezahlt. Wer sich beschwert, fürchte laut Bericht eine fristlose Kündigung. Das soll auch zur Folge haben, dass Angestellte krank zur Arbeit kommen. Seit 5 Jahren gibt es bei DSW zwar einen Betriebsrat. Jedoch sollen Führungskräfte auch schon notiert haben, welche Angestellten beispielsweise an einer Betriebsversammlung teil nahmen.

Gewerkschaftssekretär Özay Tarim von der Dienstleistungsgewerkschaft verdi berichtet im Beitrag, dass er von rund 100 Arbeitsgerichtsverfahren weiß, die Angestellte und DSW in den letzten 5 Jahren ausgefochten haben. Die Aktion gegen Arbeitsunrecht fordert, dass es Betrieben nicht möglich sein darf, Arbeitsgerichte mit unzähligen Verfahren gegen eigene Angestellte zu überlasten. ► zurück nach oben 

Institut der deutschen Wirtschaft: Faule Babyboomer sollen bis 67 klotzen

Köln: Das arbeitgeberfinanzierte Institut der deutschen Wirtschaft IW Köln hetzt eine neue Sau durchs Dorf. Wieder sind es die faulen Deutschen. Dieses mal allerdings die Gruppe der Babyboomer. Und hier insbesondere diejenigen, die es wagen vorzeitig in Rente zu gehen.

Mit Babyboomern meint das IW Menschen der geburtenstarken Jahrgänge zwischen 1954 und 1969 gemeint. Das Statistische Bundesamt fasst den um 4 Jahre Rahmen enger. Hier gehören nur die Jahrgänge 1957 bis 1968 dazu. Vielleicht auch das bereits eine Masche des IW, um ein vermeintliches Problem künstlich noch etwas mehr aufzublasen?

Ein Teil der Babyboomer hat in den letzten Jahren (nach  Rechnung des IW seit 2021) bereits das gesetzlich vorgesehene Rentenalter erreicht. Das lag bis 2012 bei 65 Jahren. Seitdem wird die Altersgrenze schrittweise von 65 auf 67 Jahre erhöht. Laut Rechnung des IW sind insgesamt von rund 19,5 Millionen Babyboomern bereits 4,5 Millionen in Rente.

45 Jahre Arbeit? Für das Unternehmersprachrohr IW reicht das längst nicht

Besonders übel stoßen den IW-Autorinnen Ruth Maria Schüler und Stefanie Seele dabei die 0,9 Millionen Babyboomer auf, die in Rente gegangen sind, ohne das gesetzliche Rentenalter erreicht zu haben. Hierzu ist allerdings zu sagen: Diese Menschen haben entweder hohe Abschläge als Strafe für den früheren Rentenbezug in Kauf genommen. Oder sie haben bereits 45 Jahre Maloche und Einzahlen in die Rentenkasse hinter sich. Wer die 45 Jahre voll hat darf bislang zwei Jahre vor Eintritt des Regelrentenalters in den Ruhestand gehen.

Aber noch etwas ist dem Unternehmersprachrohr IW ein Dorn im Auge: 12 Prozent der Babyboomer, die aktuell eine gesetzliche Altersrente beziehen, obwohl sie die Regelaltersgrenze noch nicht erreicht haben, gehen einem sozialversicherungspflichtigen Hinzuverdienst nach, der über eine geringfügige Beschäftigung hinausgeht.

Möglicherweise, weil die Rente bei einem Rentenniveau von 48% gar nicht reicht? Solche Fragen stellt man sich beim IW nicht. Hier spricht man lieber von möglichen Mitnahmeeffekten.

Als Lösung schlägt das IW vor

  1. den abschlagsfreien Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren abzuschaffen

  2. die Abschläge bei vorzeitigem Altersrentebezug zu erhöhen – was auf Rentenkürzungen unter das erbärmliche Niveau von 48% hinausläuft

Erst am 18. Mai 2025 hatte das IW mit einer Meldung zur angeblichen Faulheit der Deutschen provoziert. Eine Luftnummer auf Basis nicht vergleichbarer OECD-Zahlen, die offensichtlich lediglich dazu ersonnen war, Stimmung gegen Lohnabhängige zu machen. Siehe unsere Pressemitteilung vom 28. Mai 2025: Fleiß-Kampagne: Fake-News in Tagesthemen. „Arbeitszeit-Studie“ des IW existiert nicht!

Dabei  dürfte eins klar sein: die aktuelle Wirtschaftskrise haben sicher nicht lohnabhängige Babyboomer zu verantworten, die 45 Jahre Arbeit in den Knochen stecken haben. ► zurück nach oben

Verein Zentrum – Anfrage AFD zu Förderung der Gewerkschaftsmitgliedschaft

Hannover: Der Verein Zentrum präsentiert sich als alternative Gewerkschaft. Im April 2025 verkündete Jens Keller, Fraktionsvorsitzender der Hannoveraner AFD-Stadtratsfraktion, dass der rechte Verein Zentrum plant, in Hannover und im Norden Deutschlands aktiver vorzugehen. Man wolle den etablierten Gewerkschaften Mitglieder abjagen und deren Mitgliedszahlen halbieren. Darüber berichtet Panorama 3.4

In Süd- und Ostdeutschland ist der Verein Zentrum als AFD-Vorfeldorganisation schon seit Jahren aktiv. Sein Ziel ist laut Bericht rechtsradikale Positionen in der Gesellschaft zu verankern und zu stärken. Zentrum ist wie die AFD mit rechten Medien wie Compact oder auch rassistischen Aktivisten wie der identitären Bewegung verbunden.

Zentrum Automobil, wie der Verein früher hieß, stand eine Weile auf der Unvereinbarkeitsliste der AFD. Die Zentrums-Positionen galten der AFD als zu rechts. Das änderte sich nach dem AFD-Parteitag 2022. Hier sagte Björn Höcke, ohne Zentrum Automobil werde die AFD „nicht durchbrechen“.

Nicole Mayer-Ahuja, die an der Uni Göttingen zu den Interessen Beschäftigter forscht, schätzt, dass der Verein Zentrum der AFD den Zugang in die Betriebe öffnen soll. Sie bezweifelt allerdings, dass sich Zentrum gegen Betriebsleitungen positionieren und für die Interessen Beschäftigter einsetzen wird.

Ist Zentrum also überhaupt eine Gewerkschaft? Zu dieser Frage passt eine kleine Anfrage der AFD im deutschen Bundestag vom 6.6.2025 (Drucksache 21/4189) . Der AFD-Fraktion geht es um die „Klärung von Kriterien für Förderungen und steuerliche Anreize für Gewerkschaften“. Unter anderem möchte die AFD wissen:

  • ob auch eine Personenvereinigungen wie ein eingetragener oder nicht eingetragener Verein bei entsprechender Betätigung als Gewerkschaft von den in Aussicht gestellten steuerlichen Anreize profitieren könnte

  • ob die steuerliche Förderung an die Mitgliedschaft in bestimmten Gewerkschaften gebunden sein soll

Die mögliche steuerliche Begünstigung von Gewerkschaftsmitgliedschaften unter Regierung eines Blackrock-Bundeskanzlers hat übrigens auch bei uns Fragen aufgeworfen. Sind sogenannte christliche und Sparten-Gewerkschaften, gar Syndikalisten dabei? Unseres Erachtens könnte der steuerliche Anreiz einfach ein Mittel der Datenerhebung sein. So wüsste die Regierung sehr genau um den Organisierungsgrad in verschiedenen Branchen und welche Gewerkschaften besonders stark oder schwach aufgestellt sind. Das würde es Marktradikalen erleichtern, mögliche Gegenwehr gegen arbeitnehmerfeindliche Gesetzesänderungen realistisch einzuschätzen. ► zurück nach oben

Erneute Reform des Betriebsverfassungsgesetzes

Deutschland: In der Sitzung des Bundesrates am 13. Juni 2025 hat Andreas Philippi (SPD), Minister für Arbeit und Soziales in Niedersachsen einen Antrag zur Modernisierung des Betriebsverfassungsgesetzes vorgestellt.

Der Antrag (ganzer Text hier)  geht auf eine gemeinsame Initiative der niedersächsischen Landesregierung und des Bremer Senats zurück. Er wurde gemeinsam mit den Bundesländern Hamburg, Brandenburg, Saarland und Nordrhein-Westfalen in den Bundesrat eingebracht. Das geht aus einer Meldung des niedersächsischen Ministeriums für Arbeit und Soziales hervor5

Zentrale Änderungsvorschläge sind unter anderem:

  • das digitale Zugangsrecht von Gewerkschaften in die Betriebe

  • Die Weiterentwicklung der Beteiligungsrechte von Betriebsratsgremien in Bezug auf den Schutz von Beschäftigtendaten und den Einsatz Künstlicher Intelligenz;

  • Die Fortentwicklung der Betriebsratsrechte bei Betriebsänderungen und -übergängen;

  • Der Schutz von Betriebsgremien vor Behinderung oder Beeinträchtigung ihrer Arbeit („Union Busting„).

2026 sind turnusmäßige Betriebsratswahlen in Deutschland. Ein besserer Schutz aktiver Betriebsräte ist dringend nötig. Im Koalitionsvertrag der Ampel war genau das vorgesehen. Zur Umsetzung kam die Ampel dank falscher Prioritätensetzung freilich nicht. ► zurück nach oben

50 Prozent der Unternehmen sehen Wettbewerbsvorteile im Lieferkettengesetz

Deutschland: Das deutsche Lieferkettengesetz (genauer: Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz) könnte nach Einschätzung von 50% der Unternehmen ein Wettbewerbsvorteil sein. Darüber berichtet die Frankfurter Rundschau.6

Das Marktforschungs-Unternehmen YouGov befragte 1350 Entscheiderinnen und Entscheider deutscher Unternehmen nach dem größten Handlungsbedarf zur Entlastung der Wirtschaft. Sie konnten drei Punkte auswählen.

Am wichtigsten war den Entscheider*inne danach die Senkung der Energiepreise – diesen Punkt benannten 35% der Befragten. Den zweiten Platz machte mit 27% der Wunsch nach schnellerer Planung und Genehmigung. Die „Sorgfaltspflichten reduzieren“, also die Abschaffung oder einer Verschiebung des Lieferkettengesetzes, fand nur bei 8% der Befragten Erwähnung.

41 Prozent der Befragten gaben an, wegen des Lieferkettengesetzes oder der europäischen Lieferkettenrichtlinie bereits in Menschenrechte oder Umweltschutz investiert zu haben.

50 Prozent der Befragten erwarteten sich durch das deutsche Lieferkettengesetz sogar Vorteile gegenüber der Konkurrenz. Durch Qualität in der Herstellung punkten? Ein Aspekt, den die aktuelle marktradikale Regierung scheinbar überhaupt nicht auf der Karte hatte.

YouGov ist ein internationales Marktforschungs- und Datenanalyseunternehmen.


Quellen

1 Peter Wulle: Amazon trennt sich von Ex-Betriebsrat Der will jetzt Influencer werden, Ruhr-Nachrichten, 16.06.2025 https://www.ruhrnachrichten.de/dortmund/amazon-trennt-sich-in-dortmund-von-ex-betriebsrat-der-will-jetzt-influencer-werden-w1043251-2001695821/

2 Peter Wulle: Allein gegen Amazon in Dortmund Dieser Betriebsrat kämpfte gegen seine Entlassung, Ruhr Nachrichten, 28.01.2025, ohne Bezahlschranke:  https://archive.vn/KQn5X

3 Peer Quast: Betriebsräte in NRW immer mehr unter Druck, WDR 15.06.2025, https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/betriebsraete-nrw-unter-druck-100.html

4 Panorama 3: Verein Zentrum: Wie Rechtsradikale in norddeutsche Betriebe wollen, NDR, 10.06.2025, https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama3/Verein-Zentrum-Wie-Rechtsradikale-in-norddeutsche-Betriebe-wollen,panoramadrei4942.html

5 Presseinformation Ministerium für Arbeit  und Soziales Niedersachsen: Niedersachsen schlägt Reform des Betriebsverfassungsgesetzes vor, 13.06.2025 https://www.ms.niedersachsen.de/startseite/uber_uns/presse/presseinformationen/niedersachsen-schlagt-reform-des-betriebsverfassungsgesetzes-vor-242541.html

6 Lisa Gitz, Florian Naumann: Umfrage-Schlappe für Merz‘ Plan: Deutsche Unternehmen stehen hinter „Bürokratie-Monster“, Frankfurter Rundschau, 05.06.2025, https://www.fr.de/wirtschaft/umfrage-schlappe-fuer-merz-plan-deutsche-unternehmen-stehen-hinter-buerokratie-monster-zr-93768732.html


Schön, dass Sie da sind!

Der Verein aktion ./. arbeitsunrecht e.V. stellt alle Inhalte kostenfrei und ohne Werbung zur Verfügung. Wir sind unabhängig von Stiftungen, Parteien, Gewerkschaften und staatlicher Förderung. Helfen Sie uns dabei, sorgenfrei über die Runden zu kommen!
Damit wir auch in Zukunft unbequeme Nachrichten verbreiten können: Bitte spenden Sie! !
Vorheriger Artikeljunge Welt: Faule Werktätige? Wie eine totgeglaubte Debatte mit null Evidenz und viel heißer Luft befeuert wird.
Nächster Artikeljunge welt: Geburtenstarke Jahrgänge als Drückeberger – Union Busting Monitor