arbeitsunrecht FM 5/22: Union Busting-News mit Jessica Reisner

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Nachrichten aus Wirtschaft & Betrieb

Arbeitsunrecht und Betriebsratsbehinderung in Deutschland

Einrichtungsbezogene Impfpflicht ab 15. März 2022: Nicht wirklich! | Eurowings Discover: Beschäftigte der Lufthansa-Tochter gründen Betriebsrat | Gorillas: Union Busting per Franchise-Modell | Zentrum Automobil: Rechtsrextreme bei Betriebsratswahlen | Reform des Betriebsverfassungsgesetzes: DGB bereitet neuen Reform-Entwurf vor – Professor Wolfgang Däubler für mehr Demokratie im Betrieb

Einrichtungsbezogene Impfpflicht ab 15. März 2022? Nicht wirklich!

Deutschland: Zum Stichtag 15. März 2022 trat die Einrichtungsbezogene Impfpflicht in Kraft. Unternehmen wie Krankenhäuser und Pflegeheime müssen Beschäftigte, die weder Geimpft noch genesen sind, nun beim jeweils zuständigen Gesundheitsamt melden. Ebenfalls möglich ist die Vorlage eines Attests, dass eine Covid 19-Impfung nicht möglich ist. Die Regelung gilt auch für Arztpraxen, Rettungsdienste und Entbindungseinrichtungen.

Die ohnehin überlasteten Gesundheitsämter prüfen nun jeden Einzelfall und entscheiden über das weitere Vorgehen. Wir verlinken unten eine detailreiche Übersicht, wie die Verfahren in den einzelnen Bundesländern geregelt sind.1 Denn wie so oft: es ist ein Flickenteppich an Regelungen.

Theoretisch möglich wären Bußgelder, Betretungs- und Tätigkeitsverbote. Praktisch dürfte die Einrichtungsbezogene Impfpflicht ein Papiertiger bleiben: denn zuletzt sollen die Gesundheitsämter auch prüfen, ob die jeweilige Person unverzichtbar für den Weiterbetrieb ist.


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Wer unter dem Hashtag #Pflegehorror auf twitter mitliest, macht sich keine Illusionen mehr: schwerste Vernachlässigung und grobe Pflegefehler mit tödlichen Ausgang gehören schon jetzt zum Alltag in der Pflege. Ein politisches Interesse am Schutz Pflegebedürftiger ist nicht feststellbar. Im Vordergrund stehen schwarze Zahlen und Gewinnmaximierung.

Unterbesetzung und Personalmangel sind seit Jahren Thema. Das Ergebnis von Prüfungen, ob Personal verzichtbar ist, darf insofern als vorhersehbar gelten. Die empathiefähigen Beschäftigten der Branche leiden enorm an der Kluft zwischen den realen Zuständen und ihrem eigenen moralischem Empfinden.

Eurowings Discover bekommt Betriebsrat

München/Frankfurt: Die Beschäftigten der Fluglinie Eurowings Discover gründen einen Betriebsrat. Sie sind unzufrieden mit ihren Arbeitsbedingungen. Kein Wunder, denn Eurowings Discover ist eine Lufthansa-Tochter, die eigens gegründet wurde, um tariffrei Lohndumping zu betreiben. Eurowings Discover bedient ab München und Frankfurt touristische Langstreckenflüge.

Die Betriebsversammlung zur Wahl des Wahlvorstands findet am 13. April 2022 statt. Darüber hinaus sind sowohl die Gewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) als auch die Unabhängige Flugbegleiter Organisation (UFO) aktiv. Denn die Beschäftigten wollen auch einen Tarifvertrag durchsetzen.2

Auch bei Eurowings, einer anderen Billig-Ausgründung der Lufthansa knirscht es. Die rund 3000 Beschäftigten haben mit verdi gerade erst einen Tarifvertrag durchsetzen können.3 Nun plant das Management die Eurowings-Flüge von einer maltesischen Gesellschaft betreiben zu lassen.

Dafür gründete das Management die Eurowings Europe Limited, die zunächst die Eurowings Europe GmbH ablösen soll, welche aktuell in Wien sitzt.

Die hochgradig unseriösen Konstrukte mit eigenen Töchtern und der Aufsplittung in zig angeblich eigenständige Unternehmen muss per Gesetz beendet werden. Diese Modelle dienen der Zersplitterung von Belegschaften, der Verhinderung gemeinsamer Betriebsräte und der Vermeidung von Steuern. Die Regel muss lauten: Ein Betrieb, eine Belegschaft!

Gorillas-Management schließt Standort und feuert Belegschaft

Berlin: Der Gorillas-Standort am Alexanderplatz wird geschlossen und die rund 80 Beschäftigten zum Ende des Monats März entlassen. Das kündigte Warenhaus-Manager Konstantin Lindlar am 2. März 2022, also 29 Tage vor der Schließung, an.

Angeblich erfolgt die Schließung des Standortes aufgrund von Problemen mit den gemieteten Räumlichkeiten.

Die Beschäftigten wehren sich aus mehreren Gründen:

1) die Probleme bezüglich des Nutzungsvertrages sollen seit Oktober 2021 bekannt sein. Warum also werden die Beschäftigten mit so wenig Vorlauf informiert?

2) Unter den Beschäftigten sind gleich drei Betriebsratsmitglieder. Die Vermutung, dass der neu gegründete und bislang einzige Gorillas Betriebsrat geschwächt werden soll, liegt nah.

Franchise-Fake zwecks Union Busting?

Normalerweise sollte es bei einer Standortschließung und mehreren Warenhäusern in der Stadt kein Problem sein, die Beschäftigten auf andere Standorte zu verteilen.

Hier kommt aber folgendes Union Busting-Manöver zum Tragen:

ausgerechnet in Berlin, der einzigen Stadt mit einem Betriebsrat, arbeitet Gorillas nach eigenen Angaben seit kurzem mit einem Franchise-Modell. So auch am Alexanderplatz. Nach unserer Einschätzung ist das reiner Fake. Auch Martin Bechert, Arbeitsrechtler auf Seiten der Kuriere, äußert in der Tageszeitung Junge Welt Zweifel an der Plausibilität der angeblichen neuen Firmenstruktur.

Seiner Einschätzung nach handelt es sich bei den angeblichen Warehouse-Managern um Strohleute. Sie sprechen zum Teil kein Deutsch, sollen gleichzeitig aber verantwortlich sein für Arbeits- und Gesundheitsschutz. Sie seien in Wirklichkeit keine Filial-Leiter, geschweige denn Betriebsleiter. Seine Vermutung: diese Leute haben sich im Apparat hochgedient und werden nun entsprechend eingesetzt.

Das Franchise-Modell dürfte auch aus einem anderen Grund ein reines Konstrukt sein: Die einzelnen Warenhäuser machen überhaupt keine Gewinne. Welcher Franchise-Nehmer wäre an so einem Geschäft interessiert?

Es bleibt also dabei: Bei Gorillas wird die Mitbestimmung mit Füßen getreten. Offensichtlich werden unter dem Deckmantel der unternehmerischen Freiheit Betriebe beliebig umstrukturiert und so Betriebsratsmitglieder kalt entsorgt. Auch andere Firmen wie Thalia und Starbucks arbeiten mit dieser Union Busting Methode.

Solange diese unternehmerische Willkür geduldet wird, werden Betriebsräte keinen wirklichen Schutz genießen. 45

Rechte Akteure bei Betriebsratswahlen

Baden-Württemberg: Bei Mercedes Benz in Rastatt sind die Betriebsratswahlen 2022 abgeschlossen. Zur Erleichterung der Kolleginnen und Kollegen konnte die rechtslastige Gruppe Zentrum Automobil ihren Einfluss wenigstens nicht ausweiten. Von 35 Betriebsratssitzen errang die Liste erneut drei Mandate.6

In den Daimler-Werken Untertürkheim und Sindelfingen stehen die Wahlen noch aus.

Im Sindelfinger Werk errang die rechte Gruppe 2018 zwei von 59 Sitzen.7 Im Werk Untertürkheim hatte Zentrum Automobil 2018 sechs von 47 Mandaten gewonnen.

Zentrum Automobil wurde 2009 von Oliver Hilburger gegründet. Der Stuttgarter war bis 2008 zwei Jahrzehnte lang Gitarrist der Neonazi-Band „Noie Werte“ gewesen.8

Rechtsextreme bei Betriebsratswahlen sind auch in anderen Firmen, wie dem bayerischen Automobil-Zulieferer Continental Automotiv in Regensburg ein Problem. Hier wurde im März 2022 Thomas K. mit einer alternativen Liste in den Betriebsrat gewählt.

Er ist neben anderen Personen Admin der Chat-Gruppe „Sofortimpfbefreiung“, die offen für „Zentrum Automobil“ wirbt. In Beiträgen dieser Chat-Gruppe wird die Pandemie-Politik mit dem Nationalsozialismus verglichen und die Impfungen als „Massaker“ bezeichnet. Über etliche Links kommt man zu anderen extrem rechten Telegram-Gruppen und Medien.

Haben die Conti-Kolleginnen und Kollegen das U-Boot Manöver nicht durchschaut?

Wenigstens Gerald Schmitt, einem Continental-Beschäftigem im Kündigungsverfahren, gelang es vor der Wahl nicht die nötigen 50 Stützunterschriften zu sammeln. Er warb offen für die rechte Gruppe Zentrum Automobil. Gegen ihn läuft seit 2020 ein Kündigungsverfahren, weil er das Continental-Intranet benutzte um zu Corona-Leugner-Demonstrationen aufzurufen. Auch er ist Administrator der Telegram-Gruppe „Sofortimpfbefreiung“.

Einen sehr detailreichen und lesenswerten Beitrag zum Thema Rechte Akteure bei Betriebsratswahlen von Michael Bother verlinken wir im Skript zur Sendung auf unserer Webseite www.arbeitsunrecht.de

Professor Wolfang Däubler und DGB wollen weitere Reform des BetrVG

Deutschland: Der renommierte Arbeitsrechtler Professor Wolfgang Däubler wirbt für weitere Reformen des Betriebsverfassungsgesetzes. Zuletzt hatte die Bundesregierung 2021 einen halbherzigen Versuch unternommen, das Betriebsverfassungsgesetz wirkungsvoller zu gestalten.

In einem Interview mit dem Magazin Mitbestimmung der Hans Böckler-Stiftung sagte Wolfgang Däubler :

Es ist wieder Zeit für eine Reform. Denken wir nur daran, was es bedeuten würde, den Betriebsräten Mitbestimmungsrechte beim Klima- oder Umweltschutz zu geben, sodass sie bei der Wahl zwischen einer umweltfreundlichen oder einer umweltbelastenden Produktion mitentscheiden könnten. Bei den Beratungen zum Koalitionsvertrag haben die Grünen sich für ein solches Recht starkgemacht. Doch die FDP ist hart geblieben. Im Koalitionsvertrag steht nur sehr vage, dass man die Mitbestimmung „weiterentwickeln“ wolle.

Wolfgang Däubler kündigt an: Der DGB wird in Kürze einen eigenen Reformentwurf präsentieren. Wir sind gespannt. Viele unserer bisherigen Reform-Vorschläge wurden bislang noch nicht umgesetzt. Däublers Vorschlag, dass Betriebsräte auch größeren Einfluss auf betriebliche Entscheidungen nehmen könnten begrüßen wir ausdrücklich. Unser Verein nennt sich schließlich Initiative für Demokratie in Wirtschaft & Betrieb..9

3Pressemitteilung verdi Großer Erfolg für Eurowings Kabine: ver.di setzt Tarifeinigung mit deutlichen Reallohnzuwächsen durch 26.02.2022 https://www.verdi.de/presse/pressemitteilungen/++co++a738d73c-7e90-11ec-9690-001a4a16012a

4Patrik Volkanat Kampfansage an Gorillas neues deutschland 10.03.2022 https://www.nd-aktuell.de/artikel/1162022.arbeitsrecht-kampfansage-an-gorillas.html

5Die Zeit Widerstand gegen Kündigungen beim Lieferdienst Gorillas 10.03.2022 https://www.zeit.de/news/2022-03/10/widerstand-gegen-kuendigungen-beim-lieferdienst-gorillas

6Sebastian Raviol 11.03.2022 Badisches Tagblatt Mercedes-Betriebsrat: 20 Sitze für „Wir sind Rastatt“ https://www.badisches-tagblatt.de/Nachrichten/Mercedes-Betriebsrat-20-Sitze-fuer-Wir-sind-Rastatt-130455.html

8Michael Bother Rechtsaußen im Conti-Betriebsrat Regensburg digital 14.03.2022 https://www.regensburg-digital.de/rechtsaussen-im-conti-betriebsrat/14032022/

9Magazin Mitbestimmung 1/2022 Zeit für den nächsten Reformschub https://www.boeckler.de/de/magazin-mitbestimmung-2744-zeit-fur-den-nachsten-reformschub-39125.htm


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2 Kommentare

  1. Der Automobilzulieferer Continental hat seinen Konzernsitz in Hannover!! Die Continental Automotive GmbH um die es hier geht, hat seinen Standort in Regensburg in der Oberpfalz. Bitte berichtigen. Danke. Gruß aus Niederbayern

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