Interview mit Rechtsanwalt Martin Bechert, der den Betriebsrat des Kino Colosseum in Berlin vertritt
Das Berliner Traditions-Kino Colosseum im Stadtteil Pankow soll per Insolvenz geschlossen werden. Die Beschäftigten, trotz gültiger Arbeitsverträge seit Mai ohne Gehalt, kämpfen für den Erhalt des Kinos – wenn möglich in Form einer Genossenschaft oder kommunales Kino.
Am letzten Donnerstag zogen etwa 1000 Menschen für den Erhalt des Kino Colosseum in Berlin Pankow durch die Straßen vom Prenzlauer Berg. Was ist der Hintergrund der Demonstration?
Das Colosseum war eines der ersten Kinos überhaupt in Deutschland. Der Artur-Brauner-Kinosaal ist denkmalgeschützt. Für viele Menschen ist es das Kino ihrer Kindheit. Die ganze Gegend ist zudem von einer irrsinnigen Immobilienspekulation heimgesucht. Wohnraum und Kulturflächen verschwinden, Büroflächen entstehen.
Die Erben von Artur Brauner haben einen einstimmigen Beschluss gefasst, dass sie keine Fortführung eines Kinobetriebs wünschen. Sie haben der Gesellschaft, die das Kino betreibt, den Pachtvertrag zum 31.12.2020 gekündigt. Die Erben haben damit quasi sich selbst gekündigt, denn der Kreis der Gesellschafter der Kinogesellschaft setzt sich meines Wissens nach ausschließlich aus Erben zusammen.
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Die Belegschaft will das Haus nunmehr wenigstens bis zum 31.12.2020 offenhalten und den Kinobetrieb aufrechterhalten. Diese Zeit soll genutzt werden um mit den Erben, dem Land Berlin, Bezirk und Interessengruppen wie den Anwohnern des Gleimviertels ein nachhaltiges Konzept für eine Kulturstätte zu entwickeln.
Klar ist dabei, dass das Kino als ein wichtiger Teil der Nutzung schon im Andenken an den etwa vor einem Jahr verstorbenen Artur Brauner, bleiben muss. Wir denken an die Übernahme des Betriebs des Hauses durch eine Genossenschaft. Bei Entwicklung dieser Idee hat die Teilnahme an der Konferenz der Aktion gegen Arbeitsunrecht zum „workers buy-out“ sehr geholfen.
Ist das nicht naiv davon zu träumen, dass das Colosseum als Kulturstätte in Pankow erhalten bliebt? Schließlich hat der vorläufige Insolvenzverwalter die Schließung des Kinos schon vor drei Wochen der Presse verkündet?
Für die Belegschaft war das ein Schlag ins Gesicht.
Der vorläufige Insolvenzverwalter hat im Sinne der Gläubiger die Masse zu schützen. Weshalb er der Presse mitgeteilt hat, dass das Kino wegen Corona schließen müsse ist unklar. Das war nicht im Sinne der Belegschaft, die auch Gläubiger sind.
Ein Großteil der betroffenen Arbeitnehmer hat mich deshalb auch beauftragt dafür Sorge zu tragen, dass der vorläufige Insolvenzverwalter nicht endgültig eingesetzt wird. Das Kino hat in der Vergangenheit bis auf ein, zwei Ausreißer-Jahre immer schwarze Zahlen geschrieben.
Besonders ärgerlich ist, dass anscheinend weder die Kinogesellschaft, noch der vorläufige Insolvenzverwalter daran gedacht haben Coronahilfen in Anspruch zu nehmen. Andere Konzepte als die Schließung wurden meinem Eindruck nach gar nicht geprüft.
Aber auch die Erben von Artur „Atze“ Brauner, denen das Gebäude ja gehört, sind gegen die Nutzung als Kino.
Das bisherige Verhalten der Erben ist tatsächlich wie in einem schlechten Film.
Vor einer Schließung ist der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet ausführlich mit dem Betriebsrat über Alternativen zu beraten. Das ist nicht einmal ansatzweise geschehen. Statt dessen verweigert man sogar die Zahlen und Unterlagen, die für die Erarbeitung unser sauberen Alternativkonzepts notwendig wären.
Inhaltlich kam von den Erben bislang auch nichts. Wir sollen anscheinend einfach glauben, dass es keine andere Möglichkeit als die Schließung gibt; ohne dass jemals Alternativen anständig geprüft worden wäre. Finanzielle Hilfen für die Mitarbeiter, die zum Teil nach über zwanzig Jahren ihren Job verlieren sollen und seit Anfang Mai 2020 kein Gehalt mehr bekommen, und ihre Familien wollen die Erben offensichtlich nicht zahlen. Denn ein Sozialplan wurde mit uns nicht besprochen.
Wir haben vorgeschlagen, dass wir uns in der nächsten Woche mit der Arbeitgeberseite noch einmal zu Gesprächen treffen. Seit Tagen hat man uns wieder auf die Rolle geschoben. Jetzt sieht es so aus als könnten wir am 15.07.2020 endlich weiter verhandeln. Ich hoffe, dass die Verhandlungen dieses mal ernst genommen werden.
Ich glaube, man muss die Erben, also Heinrich Brauner, Fela Brauner-Rozen, Sammy Brauner, Alice Brauner-Zechbauer, Laura Rosen und Rachel Rosen, an ihre ganz persönliche aus dem Eigentum herrührende Verpflichtung erinnern. Eigentum verpflichtet. Das ist mehr als nur ein plakativer Satz im Grundgesetz.
Es geht aber auch um das Vermächtnis des Artur Brauner. Der Mann hat Film gelebt und geliebt. Es wäre eine Schade, wenn in dem denkmalgeschützen Saal der Kinobetrieb für immer eingestellt werden würde, wie es die Erben einstimmig so beschlossen haben.
Woher nimmst du die Hoffnung, dass das Kino Colosseum noch eine Zukunft hat?
Aus der Presse habe ich entnommen, dass die Erben keinen Plan haben sollen, was sie mit dem Colosseum anfangen wollen.
Es gibt zwar eine Bauvoranfrage für eine 6-geschossiges Bürogebäude an der Stelle des Colosseum. Nach den Presseberichten haben die Erben damit nichts zu tun. Will man nicht auf unabsehbare Zeit einen Schandfleck an prominenter Stelle im Pankow, so besteht die einzige Möglichkeit in einer Zwischennutzung. Der Bezirksbürgermeister Sören Benn hat mehrfach erklärt, dass der Bezirk den Leerstand und ggf. Verfall des Hauses verhindern will. Die Erben können an einem solchen Niedergangsszenario auch kein Interesse haben.
Mit der Zwischennutzung bis zur Fertigstellung eines nachhaltigen Nutzungskonzepts für der Kulturstätte Colosseum können Arbeitsplätze erhalten und Einnahmen generiert werden. Dabei würden also letztlich alle gewinnen.
Hoffnung, dass wir alle gemeinsam das Hinbekommen macht mir die große Anteilnahme in Politik und Gesellschaft. Wann hat es schon einmal eine Demo mit etwa 1000 Leuten für den Erhalt eines Kinos gegeben? Der Zusammenhalt der Belegschaft und den Leuten von der Anwohnerinitiative Gleim4tel ist etwas Besonderes. Das hat man auf der Demo sehr gespürt. Die zentrale Botschaft der Demo war „Das ist unser Kiez“.
Mehr Hintergründe hier: 03.07.2020 Colosseum Berlin: Große Demo gegen Kino-Schließung
TAZ 03.07.2020: Demonstration für das Colosseum
verdi 29.06.2929: Demoaufruf gegen Schließung des Colosseum
Website Kanzlei für Arbeitsrecht Martin Bechert: https://www.arbeitsrecht-berlin.de/team/rechtsanwalt-martin-bechert/