Solidarität mit Emmely und was daraus folgte

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Von einer Berliner Kassiererin zu den Netzwerken der Fertigmacher

Anlässlich des unerwarteten Todes von Barbara Emme im März 2015 veröffentlichen wir einen Beitrag aus dem Buch „Die Fertigmacher. ArbeitsUnrecht und professionelle Gewerkschaftsbekämfpung“ von Werner Rügemer + Elmar Wigand, papyrossa Köln, Oktober 2014:

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Recht haben und Recht bekommen… Emmely vor dem BAG in Erfurt. (Quelle: nrzh.de, Foto: Uwe Pohlitz, Erfurt)

Erinnern Sie sich noch an die Supermarkt-Kassiererin Emmely? Ihr Fall liegt ein paar Jahre zurück und bewegte damals sehr viele Menschen. Emmely wurde für etliche Angestellte in Deutschland zu einer Heldin, weil sie sich gegen eine Ungerechtigkeit wehrte, die in Deutschland tagtäglich geschah und in abgewandelter Form bis heute geschieht. Die Supermarkt-Kette Kaiser’s kündigte ihr nach 31 Jahren Arbeit fristlos. Ihr wurde vorgeworfen, dass sie Geld im Wert von 1,30 € unterschlagen habe. Es ging um zwei angeblich falsch und eigenmächtig abgerechnete Pfandbons. Auch wenn die Erinnerung an Emmely in der Öffentlichkeit inzwischen verblasst: In der Szene der Arbeitsrechts-Juristen ist die standhafte Supermarkt-Kassiererin bis heute ein Star geblieben. Der Fall Emmely hat 2010 zu einem Präzedenzurteil vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) geführt, mit dem eine in der Bundesrepublik über Jahrzehnte praktizierte Rechtsprechung aufgehoben wurde – zumindest in Teilen.

Heute ist Emmely wieder eine einfache Kassiererin; einfach im besten Sinne: gradlinig, uneitel, geerdet. Sie kehrte nach ihrer erfolgreichen Klage in ihre angestammte Filiale in Berlin-Hohenschönhausen zurück. Ihr Arbeitgeber, die Kaiser’s-Tengelmann-Gruppe, musste das schlucken. Emmely wollte kein Star werden, sie wollte auch keine Abfindung heraus schlagen, sie wollte einfach nur ihr gutes Recht.

Als ihr Arbeitgeber dagegen verstieß, musste sie feststellen, dass diese offensichtliche Ungerechtigkeit – eine so genannte Verdachtskündigung wegen einer Bagatelle – in Westdeutschland tatsächlich seit 1958 geltende, höchstrichterlich bestätigte Praxis der Rechtsprechung war. Neben unserem guten Recht scheint es auch ein schlechtes Recht zu geben. Als ihr das gute Recht von Berliner Arbeitsgerichten verweigert wurde, konnte Emmely eine Entschlossenheit und Zähigkeit an den Tag legen, die außergewöhnlich war und die sie bis vors BAG nach Erfurt und in die Tagesschau trugen.


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Der Fall Emmely ist unserer Ansicht nach auch heute noch wichtig. Er hat uns einige Erkenntnisse beschert, die für das Entstehen dieses Buchs und die Entwickelung unserer Arbeitsweise entscheidend waren. Wir stellten schnell fest: Tatsächlich gab es und gibt es sehr viele Emmelys in Deutschland. Am Bodensee wurde eine Altenpflegerin geschasst, weil sie sechs Maultaschen eingesteckt hatte, einem Betriebsratsmitglied wurde gekündigt, weil er seinen Elektroroller am Arbeitsplatz aufgeladen hatte – Stromklau sollte das sein – der Schaden betrug 1,8 Cent! Ein anderer hatte drei Schrauben mitgenommen. Auch in Köln, vor unserer Haustür, stießen wir auf Fälle, in denen einfache Beschäftigte mit fadenscheinigen Begründungen zu Verbrechern erklärt wurden, um sie vom einen auf den anderen Tag von ihrem Arbeitsplatz zu entfernen. Und wir sind uns sicher, dass es in den Bekanntenkreisen unserer Leser ähnlich sein wird – sofern sie nicht in den abgeschotteten Milieus der oberen Zehntausend leben, die sich nur mit Ihresgleichen umgeben. […]

Tiefer graben: Maßnahmen des Streikbruchs

Emmely wurde gefeuert, weil sie an einem Streik teilgenommen hatte. Das ist ein Aspekt, der in der BILD-Kampagne, die sie zeitweilig auf die Titelseite hievte, weitestgehend unterschlagen wurde – und in allen Berichten, die im Fahrwasser dieses „Leitmediums“ folgten. BILD unterstützte nicht die Gewerkschafterin Emmely, die für einen Tarifvertrag kämpfte, sondern die rechtschaffene, ehrliche Arbeiterin, die brav 31 Jahre lang ihre Pflicht tat. Nur so will diese Sorte von Journalisten ArbeiterInnen und Angestellte gerne sehen: rechtschaffen, ehrlich, fleißig, bescheiden.

Tatsächlich hatte sich Emmely aber seit November 2007 zusammen mit sieben Kolleginnen an drei Streikwellen der Gewerkschaft ver.di im Einzelhandel beteiligt. Gewerkschaftliche Organizer konnten eine Betriebsgruppe auf die Beine stellen. Danach setzten Repressalien aus dem Kaiser’s-Management ein. Die Streikenden seien zu Einzelgesprächen mit der Distriktmanagerin und dem Filialleiter gebeten worden, berichtete Emmely gegenüber der taz: „Man solle in sich gehen und sich überlegen, auf welcher Seite man steht.“ Sie habe bereits seit Oktober 2007 gewusst, dass sie „auf der schwarzen Liste ganz oben“ stehe. Die Streikbrecher aus ihrer Filiale habe man zum Bowlen eingeladen und sie aufgefordert, Augen und Ohren offen zu halten und Unregelmäßigkeiten sofort zu melden. Die Berliner Dokumentarfilmerin Bärbel Schönafinger schreibt: „Im Januar 2008 wurden Emmely in ihrer Filiale zwei Pfandbons untergeschoben, um sie aus dem Betrieb entfernen zu können. Es war etwa der sechste oder siebte Versuch, ihr eine Falle zu stellen, die eine Entlassung gerechtfertigt hätte.“ Die Kündigung wäre demnach nicht nur ungerecht und überzogen, wie es in der Presse zu lesen war, das Personalmanagement oder dessen Helfer hatten sie mit einiger Wahrscheinlichkeit auf kriminelle Weise konstruiert.

Das alles wirft Fragen auf: Warum zum Teufel tun die Unternehmen und ihre Personalmanager so etwas? Was treibt sie zu dieser zynischen Aggressivität gegenüber einfachen Beschäftigten? Gibt es eine Systematik hinter diesem Vorgehen?

Aggressive Konzepte aus Übersee

[…] Uns wurde nach und nach klar: In der deutschen Arbeitswelt findet seit Ende der 1990er Jahre eine Umwälzung statt, die eine Art unerklärten Kleinkrieg beinhaltet, der auf US-amerikanische Methoden und Prinzipien zurück greift. Dieser Kleinkrieg richtet sich vornehmlich gegen zwei Gruppen:

  1. Gewerkschafter und Betriebsräte. Hier geht es im Kern um das Zurückdrängen von Gemeinschaftsbewusstsein, Organisierung und Kollektivität – gegen ein Arbeitgeber-unabhängiges Denken und Handeln der abhängig Beschäftigen, das der alten Erkenntnis folgt, dass die Profite der Einen die sinkenden Löhne und der erhöhte Arbeitsdruck der Anderen sind. Dieser Kampf wird mit Hilfe von Rechtsanwälten und Unternehmensberatern geführt, die als externe Dienstleister angeheuert werden und weiteren Handlangern und Zulieferern, die in diesem Buch beschrieben werden. In größeren Unternehmen existieren auch interne Stabsstellen. Gemeinsames Ziel ist es, Betriebsräte und Gewerkschaften zurück zu drängen, einzuschüchtern, gerne auch einzulullen, manchmal vollständig zu entfernen, um dadurch z.B. die Gefahr von allzu anspruchsvollen Tarifforderungen, eventuell sogar Streiks zu bannen.
  2. So genannte Low Performer (Minderleister). Personalleitungen und Human-Resources-Berater gehen seit ungefähr 15 Jahren zunehmend gegen diese von ihnen selbst konstruierte Gruppe der Low Performer vor. Gemeint sind nicht nur langsamere Arbeiter, wie man vielleicht spontan meinen könnte. Auch wer lange im Betrieb ist und günstigere Verträge besitzt als neu eingestellte Niedriglohnarbeiter, die sich unter Hartz-IV-Bedingungen verdingen müssen, kann als Low performer gelten. Er oder sie kostet eben mehr, dadurch wird er oder sie im Vergleich unprofitabler. Selbstredend trifft das Stigma des Minderleisters besonders Ältere (d.h. über 55-Jährige) hart, die körperlich vielleicht nicht mehr so flink sind. Ebenso richtet es sich gegen selbstbewusste, unangepasste, potentiell rebellische Arbeiter, die sich nicht wie Lakaien umher scheuchen lassen, ferner gegen Angestellte, die häufiger oder auch über einen längeren Zeitraum krank geworden sind.

Die in diesem Zusammenhang entwickelten Methoden verleiten nicht wenige Führungspersonen und Personalverantwortliche zu schikanösem Verhalten gegenüber Untergebenen. In manchen Unternehmen und Branchen, speziell im Niedriglohnsektor, kommt ein Generalverdacht gegen mutmaßlich oder potenziell delinquente Beschäftigte (auf deutsch: Übeltäter) hinzu, der sich in intensiver und extensiver Überwachung spiegelt.

Arbeitsrichterin berät Arbeitgeber bei Kündigungen

Gehen wir nochmal zum Fall Emmely zurück. Besonders hellhörig wurden wir durch folgenden Zusammenhang: Die Richterin des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg, die Emmelys Kündigung in zweiter Instanz bestätigte und sich in ihrer Urteilsbegründung voll auf die Seite von Kaiser’s schlug (Emmely „habe das Vertrauen des Arbeitgebers missbraucht”), war Daniele Reber. Diese Richterin arbeitete nebenberuflich als Referentin u.a. für das „Forum – Institut für Management“, eine Weiterbildungseinrichtung für Führungskräfte der Wirtschaft. Im Oktober 2008 soll sie dort, nach Informationen der BZ, auch über das Instrument der „Verdachtskündigung“ referiert haben. Und das scheint kein Einzelfall gewesen zu sein. Die „Personaltage Berlin“, die vom Kommunalen Bildungswerk e. V. am 18. und 19. Juni 2009 in Berlin veranstaltet wurden, kündigten die Arbeitsrichterin Daniele Reber mit einem weiteren einschlägigen Vortrag an. Schwerpunkte bildeten: „Krankheitsbedingte Kündigung“, „Verhaltensbedingte Kündigung und Abmahnungsrecht“.

Ein starkes Stück also. Eine Richterin, die aus gutem Grund unabhängig sein sollte, weil sie über das berufliche Schicksal von Menschen entscheidet, gibt dem Arbeitgeberlager anscheinend regelmäßig kostenpflichtige Tipps und Hilfestellungen zu dubios wirkenden Kündigungsformen. Das oben erwähnte „Forum – Institut für Management“ taucht in unserem Buch auch an anderer Stelle auf. Hier hält auch der Leiter der Arbeitsrechtsabteilung von Squire, Sanders & Dempsey, einer aggressiv auftretenden internationalen Großkanzlei, regelmäßig Seminare ab. Er gibt Tipps und Handreichungen, etwa dazu, wie das Feld der Betriebsräte beherrscht werden kann. Die Rechtsfirma Squire, Sanders & Dempsey hat seit 2006 Büros in Frankfurt und Berlin. Ob es wohl möglich ist, dass Anwälte dieser Kanzlei Daniele Reber im Gerichtssaal wieder sehen? Ob Richterin Reber dort vielleicht auch auf Teilnehmer ihrer eigenen Seminare trifft? Sie halten das für abstruse Verschwörungstheorien? Dann sollten sie dieses Buch schnell aus der Hand legen. Allen anderen sagen wir: Willkommen im Netzwerk der Union Buster und Fertigmacher!

Von der Verdachtskündigung zur prophylaktischen Abmahnungswelle

Wer glaubte, dass die Problematik der Verdachtskündigung mit Emmely’s Sieg vor dem Bundesarbeitsgericht Erfurt am 10. Juni 2010 zufriedenstellend gelöst worden sei, den müssen wir leider enttäuschen. Auch das oberste deutsche Arbeitsgericht wollte eine „erhebliche Pflichtverletzung“ der Kaiser’s-Kassiererin erkennen, entschied jedoch salomonisch, der Arbeitgeber hätte zunächst mit einer Abmahnung reagieren müssen anstatt direkt fristlos zu kündigen – zumal es sich um eine Bagatelle gehandelt habe. Das in 31-jähriger Mitarbeit erworbene Vertrauen könne durch eine einmalige und geringe Verfehlung „nicht aufgezehrt“ werden. Das bedeutet: Die Umkehrung bürgerlicher Rechtsgrundsätze bleibt in der Welt der Arbeit grundsätzlich bestehen. Der zentrale Rechtsgrundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ ist in der deutschen Unternehmenswelt bis heute außer Kraft gesetzt. Auch wenn ein Fehlverhalten nicht nachweisbar ist und Strafrechtsprozesse mangels Beweisen eingestellt wurden, kann ein Arbeitgeber von seinen Chefs dennoch gefeuert und ein gesetzlicher Kündigungsschutz recht einfach umgangen werden, was in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit einer harten Strafe gleichkommen kann.

Dass Unternehmer und ihre Spezialisten solche Verdachtsmomente und Indizien durchaus auch fingieren und konstruieren können, scheint außerhalb der Vorstellungswelt dieser Richter zu liegen. Das wirkt entweder gutgläubig oder naiv. Möglicherweise zeigt sich hier einfach eine Klassenjustiz mit langer Tradition; vielleicht ist es auch so wie der Publizist Jens Berger schrieb: „Das Arbeitsgesetz in Deutschland ist ein Arbeitgebergesetz.”
Die deutsche Arbeitsrechtsszene jedenfalls reagierte prompt auf das Emmely-Urteil. Der Anwalt Marc Spiegelberger (Kanzlei Beiten Burkhardt, München) empfahl als Gegenmaßnahme für die veränderte Rechtslage: „Früher abmahnen statt später weiter beschäftigen (müssen)“. Er schrieb in einem juristischen Fachportal: „Hat sich der Arbeitnehmer über Jahrzehnte hinweg nichts zu Schulden kommen lassen, wird bei einem einmaligen Vorfall regelmäßig nur eine Abmahnung in Betracht kommen. Der Arbeitgeber kann diesem Ergebnis aber zuvorkommen, indem er das Kriterium der „Beanstandungsfreiheit“ beeinflusst. Denn jedem muss klar sein, dass der Mitarbeiter sich auf diesen Freibrief nur dann berufen kann, wenn er eine jahrzehntelang saubere Weste vorweisen kann.“ Im Klartext: Die Personalakte der Angestellten muss bloß präventiv mit Abmahnungen gefüllt werden, damit zum gewünschten Zeitpunkt dann doch fristlos gefeuert werden kann.

Auch der Arbeitgeber-Jurist Stefan Kursawe (Kanzlei Heisse Kursawe Eversheds, München) riet zu dieser Strategie: „Die Arbeitgeber werden auch kleinere Verstöße aufgreifen und in der Personalakte festhalten. Dazu werden wir unseren Mandanten auch raten.“
Der ehemalige ALDI-Manager Andreas Straub deckte 2012 auf, dass sein Unternehmen diese Methode besonders massiv anwandte. ALDI bediente sich dabei so genannter „Mystery Shopper“ (verdeckter Einkäufer): „Es gab Testkäufe durch verdeckte Aldi-Kontrolleure, um die Arbeitsqualität an der Kasse festzustellen. Es werden etwa Waren im Wagen versteckt platziert, um zu sehen, ob die Kassierer aufmerksam sind. Diese Testkäufe finden exzessiv statt, und es wird auch manipuliert. Fast jeder Verkäufer bekommt auf diese Weise Abmahnungen, die später bei einem Rauswurf helfen können. Man konnte bei Detektiven auch extra schwierige Testkäufe für bestimmte Mitarbeiter bestellen.“

Alles ist im Flusse

Die Emmely-Kampagne hat unserer Einschätzung nach trotz alledem große Erfolge erzielt:

  1. Sie hat die Erkenntnis verbreitet, dass alles im Flusse ist und auch eine seit 1958 geltende UnRechtssprechung des BAG zur Verdachtskündigung in Bewegung gebracht werden kann.
  2. Sie hat das Augenmerk der Öffentlichkeit auf die vergessenen Angestellten in Niedriglohnbereichen gerichtet und eine Schattenseite der angeblichen Wirtschaftswunder-Republik Deutschland beleuchtet.
  3. Sie hat gezeigt, dass wir als mündige Bürger keinen unnötigen Respekt vor hohen Gerichten und Richtern haben sollten, dass diese nicht sakrosankt sind (vor allem wenn wir ihre Nebenverdienste genauer in den Blick nehmen).
  4. Sie hat den Arbeitsplatz von Emmely zurück gewonnen.

Doch solche Erfolge sind selten von Dauer. Es wäre naiv zu glauben, das Lager der Fertigmacher bräuchte nur mal kräftig eins auf die Finger, dann gäben die versammelten Akteure für längere Zeit Ruhe. Hier sind hoch bezahlte Dienstleister am Werk, die sich schon aus beruflichem und wirtschaftlichem Eigeninteresse dazu getrieben sehen, das Rad des Arbeitsunrechts immer weiter zu drehen. Rückschläge bedeuten für sie nur einen Ansporn, neue Kniffe, Verfeinerungen und Umgehungsstrategien zu entwerfen. Wenn nunmehr laut BAG für eine fristlose Verdachtskündigung vorher Abmahnungen in der Personalakte gesammelt werden müssen – um so besser! Dadurch vergrößern sich sogar das Auftragsvolumen der beteiligen Anwälte und ihre Honorare.

Widerstand als Therapie: Das Solidaritätskomitee

Wenn wir oben geschrieben haben, dass es viele Emmelys in ganz Deutschland gibt, dann stimmt das nicht ganz. Emmely hatte auch Glück. Denn um sie und ihren Fall hatte sich in Berlin ein Solidaritätskomitee gebildet. Darin fand sich eine gute Mischung aus alten Gewerkschaftshasen und Sozialisten, jungen Aktivisten, Juristen und Medienschaffenden zusammen. Das Emmely-Komitee, stützte und unterstützte sie, traf sich über rund zwei Jahre wöchentlich, drehte weiter an dem Fall und entwickelte durch kontinuierliche Arbeit eine Prozess-begleitende Kampagne. Ähnliche Komitees gründeten sich auch in anderen Städten: Gefeuerte Arbeiter der Steakhaus-Kette Maredo demonstrierten ab dem 26. November 2011 eineinhalb Jahre lang jeden Samstag in der Frankfurter Fressgass gegen ihren Arbeitgeber, der sie in einer beispiellosen Überfallaktion kriminalisiert und gekündigt hatte. Das langjährige Betriebsratsmitglied Helmut Schmitt konnte in Weinheim ebenso auf ein lokales Solidaritätskomitee setzen, das ihm Kraft und Halt gab, nachdem auch er mit fadenscheinigen Konstruktionen gekündigt wurde; auch in Kassel wurde ein ähnliches Komitee gegen Betriebsrat-Bashing im Zentrallager der Kette Dänische Bettenwelt aktiv, verteilte Flugblätter vor dem Betrieb und mobilisierte zu Prozessterminen.

Andere Arbeiter haben dieses Glück oft nicht – auch weil es ihnen an Kontakten mangelt. Burn-out und Depressionen sind für sie daher häufige Begleiter. Ebenso sind Schlaf- und Kreislaufstörungen, Herzattacken und Schlaganfälle zu verzeichnen, oder gesteigertes Suchtverhalten. Diese seelischen und körperlichen Probleme sind häufig Reaktionen auf Bespitzelung und Mobbing in der Firma, Verzweiflung und Vereinzelung. Sie sind nicht zuletzt verursacht durch eine angestaute Wut gegen erlittene Ungerechtigkeiten, die auch noch per Gerichtsurteil bestätigt wurden. Die berechtigte Wut der Betroffenen findet keinen kreativen Weg nach außen, sondern staut sich in Körper und Seele auf negative, unproduktive, krank machende Weise an. Nicht selten zerbrechen in Folge dieses Prozesses auch noch die Familien der Betroffenen.

Solidaritätskomitees und daraus erwachsende Widerstandsaktivitäten sind nach unserer Beobachtung die wirksamste Form der Vorbeuge und Therapie gegen psychische oder psychosomatische Erkrankungen und soziale Zerfallserscheinungen in Zusammenhang mit Arbeitsunrecht und Union Busting.

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1 Kommentar

  1. > Auch das oberste deutsche Arbeitsgericht wollte eine „erhebliche Pflichtverletzung“ der Kaiser’s-Kassiererin erkennen […]

    Man muss sich bei dieser Einschätzung wohl auch fragen, welche Wortwahl das Gericht wohl für Steuerhinterzieher der Größenordnung eines Uli Hoeneß, Boris Becker oder Klaus Zumwinkel finden würde, wenn schon die vermeintliche(!) Unterschlagung von geringwertigen Pfandbons als „erheblich“ eingestuft wird…

    Ganz ehrlich: wer dermaßen amoralisch das Recht beugt, darf sich nicht wundern, wenn einzelne daraufhin ihr Verständnis von Gerechtigkeit selbst in die Hand nehmen.
    Ein rechtsunsicherer Staat gebiert zwangsläufig Lynchjustiz! Wenn diese Praktiken weiter um sich greifen, werden sich solche Arbeitgeber und ihre Anwälte noch warm anziehen müssen.

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