CETA: Freihandel zerstört Arbeitsrechte

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Wirtschaftsabkommen mit Kanada: warnendes Vorbild für TTIP

Der alte niederländische Möbelwachs Ceta-Bever ist in Deutschland eher unbekannt.
Beide heißen CETA. Was nützt den Beschäftigten in Europa mehr: ein Wirtschaftsabkommen mit Kanada oder ein niederländischer Möbelwachs?

von Werner Rügemer

Die führenden Konzerne und die Regierungen des Westens wollen mit einer Serie von „Freihandels“verträgen ihre Vorherrschaft noch weiter ausbauen. Zwischen den USA und 11 pazifischen Staaten wurde das TPP (Trans-Pacific Partnership) zu Ende verhandelt. Auch das Abkommen CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) zwischen der EU und Kanada ist ausverhandelt.

In diesen Verträgen geht es bei genauer Betrachtung weniger um Freihandel: Es sind umfassende Wirtschafts- und Investitionsschutz-Abkommen. Die Verhandlungen über TTIP zwischen der Europäischen Union und den USA laufen noch.

In Europa geht es jetzt vor allem um CETA: Der Text liegt vor und soll 2016 ratifiziert werden. Während noch nicht bekannt ist, wie im TTIP zum Beispiel mit den Arbeitsrechten umgegangen werden soll, können wir uns das bei CETA ansehen. Im September 2014 wurde der Text veröffentlicht (hier als pdf).


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Täuschung mit den ILO-Normen

Das CETA-Kapitel 24 handelt von den Arbeitsrechten. Das fängt scheinbar gut an: Die Verhandlungspartner sollen sich an die Normen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO halten. Grundlage ist die „ILO-Erklärung über die fundamentalen Prinzipien und Arbeitsrechte von 1998“. Es werden fünf ILO-Kernnormen kurz benannt: Recht auf Vereinigungsfreiheit und auf kollektive Tarifverträge; Abschaffung aller Formen von Zwangs- und Pflichtarbeit; Abschaffung von Kinderarbeit; Abschaffung von Diskriminierungen in Hinsicht auf Beschäftigung und Beruf.

So gut und eindeutig sich das anhört – es ist eine trickreiche Täuschung, aus mehreren Gründen. Die Staats- und Regierungschefs auf dem Weltgipfel für soziale Entwicklung 1995 in Kopenhagen einigten sich auf diese Prinzipien und Rechte. Allerdings ließen sie von den acht Kern-Normen der ILO drei einfach weg. So fehlt etwa die Kern-Norm „gleicher Lohn für gleiche Arbeit von Mann und Frau“!

Man wolle, so hieß es, angesichts der Globalisierung auf „die Vielfalt der Verhältnisse jedes Landes achten“, wo viele ILO-Normen nicht ratifiziert worden sind. Man einigte sich deshalb auf einen „Mindestsozialstandard für alle“. 1998 übernahm die ILO-Vollversammlung leider die Erklärung. Sie erlaubt es somit Staaten, sich auf die ILO zu berufen, auch wenn sie diese Normen gar nicht ratifiziert haben und sich nicht an die Ausführungsbestimmungen halten.

So wurden die ILO-Arbeitsrechte entschärft

Die ILO-Originalnormen enthalten jeweils eine Reihe von Ausführungsbestimmungen – diese fehlen in der „Erklärung von 1998“ und im CETA-Text, zum Beispiel:
Beim Recht auf Vereinigungsfreiheit (Koalitionsfreiheit) der Beschäftigten in unabhängigen Gewerkschaften heißt es im ILO-Original in den Ausführungsbestimmungen: Der Staat darf dieses Recht nicht durch innerstaatliche Gesetzgebung behindern.
Beim Recht auf kollektiv verhandelte Tarifverträge heißt es in der ILO-Originalnorm: Die Beschäftigung eines Arbeitnehmers darf nicht davon abhängig gemacht werden, ob er Gewerkschaftsmitglied ist und dass Arbeitgeber keine abhängigen („gelben“) Arbeitnehmerorganisationen unterstützen dürfen.

Die ILO-Normen werden in Europa zusätzlich dadurch entschärft, dass die EU formell die ILO-Normen nicht ratifiziert hat. Das haben nur die Einzelstaaten getan. Als alleiniger Verhandlungspartner bei CETA, TTIP und TISA braucht sich die Europäische Kommission deshalb, schon rein rechtlich gesehen, gar nicht an die ILO-Normen zu halten. Und die EU und die Troika mit Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfond IWF setzen bei den Kürzungsauflagen Tarifverträge außer Kraft und schwächen Gewerkschaften. Von den acht ILO-Kernnormen haben die USA sowieso nur zwei ratifiziert, darunter nicht die zwei genannten; die USA behalten sich z.B. das Recht vor, dass ihre Einzelstaaten Gewerkschaftsrechte einschränken dürfen.

In CETA fehlen weitere 177 Arbeitsrechte

Die Trickserei geht noch weiter. Erstens sind in der Erklärung von 1998 nicht die vier Verwaltungs-Normen enthalten, die das Handeln der Arbeits-Aufsichtsbehörden regeln.
Vor allem zweitens: In der Erklärung sind die 177 „technischen“ Normen nicht enthalten. Sie regeln wesentliche Einzelrechte, zum Beispiel: Recht auf Kündigungsschutz allgemein sowie etwa für Schwangere und Behinderte; Recht auf bezahlten Urlaub; Recht auf Kranken-, Arbeitslosigkeits-, Arbeitsunfähigkeits- und Renten-Versicherung; Recht auf Schutz vor Gefahren am Arbeitsplatz (chemische Stoffe, Strahlungen, Lärm, Erschütterungen); Recht auf Entschädigung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheit; Recht auf geregelte Arbeitszeiten, Pausen und Nachtarbeit; Recht auf geregelte Leiharbeit; Rechte für Haushaltshilfen, indigene Arbeiter und Arbeitsmigranten; Rechte und Pflichten von privaten Arbeitsvermittlern. Der TTIP-Verhandlungspartner USA hat von den 177 technischen Normen nur 11 ratifiziert (und keine der soeben genannten), die EU-Staaten im Durchschnitt etwa 80.

Alle diese technischen ILO-Normen gehören nicht zur Erklärung von 1998. Sie werden bei CETA selektiv und allgemein zusammengefasst: Jeder Staat solle Gesundheit und Sicherheit bei der Arbeit gewährleisten, gegen Berufsunfälle und Krankheiten vorsorgen sowie für „ein akzeptables Minimum an Arbeitsstandards sorgen, auch für solche Lohnabhängige, die nicht durch kollektive Tarifverträge geschützt“ sind. „Akzeptables Minimum“: Das ist reichlich unbestimmt mit Spielraum nach unten. Und wer bestimmt, was akzeptabel ist? Heutzutage müssen Millionen Beschäftigte Arbeitsbedingungen und Löhne „akzeptieren“, weil sie erpresst werden.

Neue Bürokratie und private Streitschlichtung

Drei Viertel des CETA-Kapitels sind der „Kooperation“ der „Arbeiter und ihrer Vertretungen“ (es heißt nicht: der Gewerkschaften) mit Arbeitgebern und dem Staat gewidmet. Dazu soll eine neue Bürokratie mit Kontaktbüros, Expertengruppen und Regierungsgesprächen eingerichtet werden. Für sie sind in anderen Kapiteln des Abkommens Verfahrensregeln festgelegt.

Die gemeinsame neue Bürokratie soll Kooperationsprogramme (Fortbildungen, Konferenzen) organisieren und die Einhaltung der verschwommenen Regeln überwachen. Für Konflikte ist ein umständliches Berichts- und Prüfungssystem mit genauen Zeitplänen ausgetüftelt worden. Aber nirgends ist auch nur in Andeutungen davon die Rede, Formen der  Mitbestimmung zu stärken und für ein gerechtes Arbeitsgerichts-System zu sorgen. Im Fall von nicht lösbaren Konflikten ist der „Zugang zu professionellen Dienstleistern, Einigungs- und Mediationsstellen“ vorgesehen. Zusätzlich enthält CETA sowieso die privaten Schiedsgerichte (Kapitel 33): Hier dürfen Investoren klagen, wenn sie sich durch staatliche Maßnahmen geschädigt fühlen – aber niemand sonst hat hier ein Klagerecht, auch nicht z.B. Arbeitnehmer und Gewerkschaften.

Zu Beginn des Arbeitsrechts-Kapitels heißt es: Internationaler Handel „kann zu Vollbeschäftigung und anständiger Arbeit beitragen“. „Anständige Arbeit“ ist ein rechtlich unbestimmter Begriff, der von Arbeitgebern neuerdings gern verwandt wird. Doch die Multis und Regierungen, die CETA, TISA und TTIP vorantreiben, tun bekanntlich das Gegenteil. Arbeitslosigkeit und unanständige Arbeit waren in der EU noch nie so verbreitet wie heute. Auch in den Unternehmen, an denen der deutsche Staat beteiligt ist – Post, Bahn, Lufthansa, Telekom, Fraport – werden unanständige Arbeitsverhältnisse ausgebaut und es wird kein Beitrag zur Vollbeschäftigung geleistet. Soll mit den Freihandelsverträgen plötzlich das Gegenteil möglich sein?

In Artikel 6 des Arbeitsrechtskapitels heißt es: Die Verhandlungspartner sollen für Transparenz sorgen und die „öffentliche Debatte über die Arbeitsrechte ermutigen“. Da können wir uns auf die EU und die Bundesregierung nicht verlassen. Das müssen wir schon selber tun!


Der Beitrag erschien ursprünglich in ver.di publik Nr.1 / 2016



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