Sabotage an KF 03 / Verdachtskündigung bei Sanofi-Aventis

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Arbeiter klagt trotz Unschuld vergeblich auf Wiedereinstellung / Kölner Pharma-Produzent A. Nattermann offenbart schwerwiegende Qualitätsprobleme / Arbeiter-Unruhe am Fließband

Am Montag, 16. April 2012 wurde ein weiterer Fall von „Verdachtskündigung“ im Arbeitsgericht Köln verhandelt. Diesmal ging es nicht um Bagatellen, wie privat eingelöste Pfandbons, oder den Eigenverzehr von Maultaschen oder Käsebrötchen. Denkt man den Plot zu Ende, der hier von Nattermann (Sanofi-Aventis) und dem Unternehmerverband „Chemie Rheinland( Anwältin der Arbeitgeberseite, Marion Heitmann, Update: 25. 4. 2012) präsentiert wurde, hätte es sich um fahrlässige Tötung von Säuglingen durch Sabotage an Medikamenten handeln können. Doch gibt es wenig Anlass, der vorgestellten Geschichte zu folgen und sie für mehr zu halten als eine Konstruktion.

Belegschaft festgehalten und stundenlang verhört

Um einen fortwährend niedrigen Ausstoß der Produktionsanlagen in den Griff zu bekommen, wird die gesamte Belegschaft einer Kölner Medikamenten-Fabrik zunächst wochenlang bespitzelt. Dann, in der Nachtschicht des 25. Januar 2011 stoppt plötzlich die Konfektionierungsanlage 03, die Belegschaft wird stundenlang festgehalten und von der Sanofi-Avensis-Abteilung „Security Germany“ verhört, „Beweise“ gesichert, die Kriminalpolizei gerufen. Ein Arbeiter türkischer Herkunft, 16 Jahre im Betrieb, wird schließlich abenteuerlichen Verdächtigungen ausgesetzt, strafrechtlich verfolgt und fristlos gekündigt.


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Ugur K. wurde beschuldigt, ein Medikament für Säuglinge ab 3 Kilogramm namens Doliprane Suspension während der Nachtschicht planmäßig und massenhaft mit einem weiteren Nattermann-Produkt, Bronchicum Elexir S, verschmutzt zu haben, indem er das Mittel mit einer Pipette auf Verschlusskappen gespritzt habe. Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren inzwischen eingestellt. Ugur K. ist also unschuldig. Jetzt klagt er auf Wiedereinstellung.

Im Prozess sagen aus: die Betriebsleiterin, Frau Willeke-Buck, eine studierte Apothekerin aus Essen, Frau Christiane G., eine Linienführerin, die eigentlich zum fraglichen Zeitpunkt eine ganz andere Maschine zu überwachen gehabt hätte, sowie einige Arbeiterinnen, die während ihrer Vernehmung stets ängstlich zu ihrem Personalchef Herrn Rixen (Vorname Walther, Update 25.4.12) hinüber blicken und auf zustimmendes Kopfnicken oder Stichworte warten – was das Gericht nicht zu stören scheint.

Klage auf Wiedereinstellung trotz Unschuld abgewiesen

Obwohl sich die Zeuginnen in massive Widersprüche verwickeln, was Beteiligte, Zeitpunkte, Zusammenhänge angeht, obwohl Christiane G. sogar zu Protokoll gibt, nicht ausschließen zu können, dass jemand anderes als Ugur K. den fraglichen Sabotageakt begangen haben könnte, kommt das Gericht der 2. Kammer unter Vorsitz von Dr. Christian Ehrich zur Entscheidung, die Klage abzuweisen (Aktenzeichen Ca 1198/11).

Verdachtskündigung: Arbeitsunrecht als richterliche Routine

Das Problematische am deutschen Richterrecht, welches über Jahrzehnte durch eine arbeitgeberfreundliche Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) geprägt wurde, ist: der Verdacht reicht. Die Unschuldsvermutung, eine Grundlage bürgerlichen Rechts, wird somit auf dem Werksgelände außer Kraft gesetzt. Mit dem Emmely-Urteil  vom Juni 2010 ist das BAG den Angestellten nur insoweit entgegen gekommen, dass eine Bagatelle zur Kündigung nicht mehr zwangsläufig ausreicht.

Die Linienführerin Christiane G. offenbart in ihrer Zeugenaussage die eigentliche Problematik hinter der Oberfläche: Arbeiter_innen griffen wiederholt in den Produktionsprozess ein, um Maschinen zum Stoppen zu bringen. Mal wurde Papier zum Druck der Beipackzettel so angeschnitten, dass die Rolle riss, mal sind Flaschen zerbrochen und haben die Produktion verschmutzt. Solch einen Kampf Arbeiter gegen Maschine gibt es seit der Erfindung der Fließbandarbeit, auch wenn kaum offen darüber gesprochen wird. Auch am fraglichen Abend lief die Anlage laut Betriebsleiterin Willeke-Buck nur bei 40% Auslastung. Klar wird auch, dass die Belegschaft vor dem inszenierten Show-down systematisch durch die konzern-interne Security beobachtet wurde.

Aufwändige Kündigungsstratgie mit möglichen Nebewirkungen

Auf der juristischen Ebene ist die Strategie der Unternehmensleitung vorerst aufgegangen. Doch sie hat einen Haken. Arbeiter wie Ugur K. und dessen Frau, die ebenfalls bei Nattermann arbeitet und derzeit in Mutterschaftsurlaub ist, werden durch solche Vorwürfe in ihrer Ehre verletzt. Sie geben sich nicht mit Abfindungen zufrieden, sondern wollen Gerechtigkeit. Der Vorwurf, fahrlässig oder gar mutwillig das Leben von Säuglingen zu gefährden, muss eine junge Familie, die damals gerade Nachwuchs erwartete, bis ins Mark treffen.

Ferner fragt sich, ob es von der Unternehmensführung wirklich klug ist, erhebliche Qualitätsmängel in sensiblen Bereichen wie der Medikamentenherstellung – seien sie durch Arbeiterunruhe, durch Überlastung von Mensch und Maschine oder durch fingierte Indizien zu Stande gekommen – in öffentlichen Prozessen breit zu treten. Insgesamt könnte auch folgende Botschaft hängen bleiben: Sanofi-Aventis ist ein schlechter Arbeitgeber, dessen Produkte aufgrund schlampiger Herstellung gefährlich sein könnten.

Der Anwalt von Ugur K., Klaus Klingenberg, zeigte sich nach dem Verlauf der Zeugenaussagen erstaunt bis verwundert über das Urteil und kündigte an, dass sein Mandant in Berufung gehen wolle.

Elmar Wigand, Köln

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Der Artikel wurde in leicht gekürzter und veränderter Form am 19. April 2012 in der Tageszeitung Junge Welt abgedruckt.


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4 Kommentare

  1. Die Spuren an der Spritze können ihm nicht zugeordnet werden. Die Gegenseite wird später weiter behaupten, er könne aber auch nicht ausgeschlossen werden.
    ????????? ja…was nun???? entweder ja oder nein???? Was muss man noch machen um seine Unschuld zu beweisen??? Ist im Jahre 2012 nicht möglich dna und Fingerabdrücke festzustellen?
    Da waren ja angeblich die anderen 4-5 Leute die noch im Tatzeitraum in der Halle anwesend.Sie wurden ja auch im internen Ermittlung verdächtigt und deswegen auch verhört!!! Sie wurden auch bei der Kripo eingeladen….Meine Frage ist „Wieso wurden eigentlich von diesen Leuten keine Fingerabdrücke entnommen“????????

    • Meine Berufung geht klar…Die Verhandlung wird zum (wahrscheinlich)letzten mal weiter …

      kasapbasi gegen Nattermann (Sanofi)-Verdachtkündigung!
      Mittwoch,den 28.11.2012 um 11:30 Uhr
      Die Verhandlung findet vor dem Landesarbeitsgericht in Köln,Blumenthalstrasse 33, 50670 Köln,Saal 100
      1.Stockwerk statt.
      Ob das ne öffentliche Sitzung wird weiss ich leider nicht…denke aber schon 😉
      Wenn Sie wünschen und eventuell Zeit haben können Sie gerne kommen und mir Beistand leisten.
      mfG kasapbasi

  2. Feine Seite 🙂 Zu dem Fall hatte ich auch was geschrieben einzusehen unter:
    http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=17701

    ich zitiere mal für die Klickfaulen:

    Nattermann schafft schnell Fakten, baut Druck auf: Drei Tage nach dem Verhör findet Ugur K. eine fristlose Kündigung im Briefkasten, außerdem wird eine Strafanzeige wegen Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz gestellt. Man wirft ihm vor, er habe absichtlich Verschlusskappen verunreinigt, um das Leben von kleinen Kindern zu gefährden. Er muss zur Polizei. Erkennungsdienstliche Behandlung: Fingerabdrücke und Fotos. Außerdem gibt er freiwillig eine Speichelprobe ab. Diese wird ihn später bei einem DNA-Gutachten der sichergestellten Pipette strafrechtlich entlasten: Die Spuren an der Spritze können ihm nicht zugeordnet werden. Die Gegenseite wird später weiter behaupten, er könne aber auch nicht ausgeschlossen werden. Noch während sein Anwalt Akteneinsicht beantragt, stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach Paragraph 170 Absatz 2 StPO ein – ungenügender Anlass zur Erhebung einer öffentlichen Klage. Damit ist auch eine mögliche Forderung auf Schadensersatz über jene bedrohlichen 345.000 Euro Kosten zunächst abgewendet, die Nattermann inzwischen wegen der verdreckten Palette und dem Förderbandstopp erlitten haben will.

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