Überflüssiger Gütetermin in Neuss: Was wusste ALDI-Anwalt Wegmann? Lügt er vor Gericht?
- Wahlvorstand für ALDI-Süd Region Dormagen kommt wohl am 19. August 2022.
- SPD veröffentlicht Solidaritätsvideo.

Die Gründung eines zweiten Betriebsrats bei ALDI-Süd verzögert sich um weitere Monate – falls die Beteiligten weiter auf die nervtötend langsam mahlenden Mühlen der Arbeitsgerichtsbarkeit vertrauen.
Der Wahlvorstand für die ALDI-Süd Regionalgesellschaft Dormagen wird gemäß § 17.4 BetrVG2 wohl am 19. August 2022, 14.00 Uhr bei einem Kammertermin durch das Arbeitsgericht Mönchengladbach bestimmt. Ein vorgeschalteter Gütetermin des Arbeitsgerichts Mönchengladbach am Dienstag, 21. Juni 2022 brachte in der Sache nichts ein.1
Der erste Schritt zur Gründung eines Betriebsrats in der Region Dormagen – die Wahl eines Wahlvorstandes – hatte das ALDI-Management am 14. April 2022 mit Hilfe eines aufgepeitschten Mobs aus Filialleitern und aggressionsbereiten Handlangern gezielt gesprengt.3 ALDI-Süd ist aus geschäftspolitischen Gründen seit Jahrzehnten betriebsratsfrei. Das Management wendet viel Energie und Ressourcen auf, den betriebsratsfreien Zustand zu wahren.
Seit März 2018 existiert ein Betriebsrat in der ALDI-Süd-Regionalgesellschaft Langenfeld.4 Zur benachbarten ALDI-Süd-Regionalgesellschaft Dormagen, die jetzt einen Betriebsrat bekommen soll, gehören rund 1.600 Beschäftigte in etwa 80 Filialen, darunter auch einige in Köln und Bonn.
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Wer hat die Union Busting-Strategie bei ALDI entworfen?
Der Termin in Neuss brachte zwar nichts ein, allerdings lohnte sich der Besuch dennoch, weil er unmittelbare Eindrücke vom Richter und den Kontrahenten hinterließ.
Der Top-Union Buster des ALDI-Konzerns, der Arbeitsrechtler Till Wegmann (Kanzlei Schmidt, von der Osten & Huber, Essen, SOH) verspätete sich um ganze 26 Minuten und hielt es nicht für nötig, einen Grund zu präsentieren. Der allzu milde Richter Oliver Päuser, verzieh es ihm gerne. („Vor dem Gesetz sind alle gleich, aber sind manche gleicher“ – wie es in George Orwells Fabel „Farm der Tiere“ treffend heißt.)
Ein Mann, der das Arbeitsrechtsteam für ALDI Nord und Süd leitet, somit Macht über fast 90.000 Lohnabhängige hat,5 ein Mann, der über seine Kanzlei SOH beste Kontakte zu einigen der reichsten Menschen Deutschlands hat, ein Mann, der maßgeschneiderte Anzüge und polierte Oxford-Schuhe trägt, schwimmt vor dem Arbeitsgericht Mönchengladbach nicht nur wie ein Fisch im Wasser, er scheint der Hecht im Karpfenteich zu sein.
Wie wenig ernst sich dieses Gericht selbst nimmt, zeigt sich auch an folgendem Detail: Die Uhr im Amtsgericht Neuss, wohin das Arbeitsgericht Mönchengladbach ausgewichen war, hängt leicht schief und ist auf 8:27 Uhr stehen geblieben. Niemand scheint das zu bemerken, kein Gerichtsdiener wechselt Batterien…
Als er endlich da war, äußerte er sich dann kurz zur Sache. Till Wegmann heuchelte Erstaunen und Bedauern über die „erschreckenden Ereignisse“ des 14. April 2022. Es handele sich um ein „atypisches Verfahren“. Die ALDI-Filialleiter seien aufgebracht gewesen, weil die Einleitung einer Betriebsratsgründung am Gründonnerstag stattfinden sollte – einem der umsatzstärksten Tage des Jahres.
Tatsächlich ereignete sich in Köln nicht weniger als ein anti-demokratischer Exzess mit faschistoiden Zügen. Es stellt sich aufgrund seiner erstaunlichen Aussagen nun die Frage, wieviel der oberste ALDI-Arbeitsrechtler Till Wegmann tatsächlich gewusst hat. Wir halten seine Schilderung für unglaubwürdig.
Anti-Betriebsrats-Aufruhr von oben inszeniert
Am Gründonnerstag 2022 hatten aufgepeitschte Filialleiter und mitgebrachte Handlanger eine Versammlung zur Gründung eines Wahlvorstands für die ALDI Regionalgesellschaft Dormagen, die in Köln stattfand, gezielt im Chaos versenkt und damit den aktuellen Gang zum Arbeitsgericht provoziert. (Behelfsweise wird ein Wahlvorstand zur Durchführung einer Betriebsratswahl per Gerichtsbeschluss eingesetzt, wenn die Wahl per Betriebsversammlung aus welchen Gründen auch immer scheitert.)
Union Busting ist bei ALDI Chefsache, für ALDI-Süd hieß das über Jahrzehnte: betriebsratsfrei bleiben. Diese undemokratische, rechtsnihilistische Linie („legal, illegal, scheißegal“) wurde laut Medienberichten seit den den 1970er-Jahren vom Kanzlei-Mitbegründer Emil Huber, dem langjährigen direkten Vorgesetzten von Till Wegmann bei SOH, verantwortet. Es erscheint kaum glaubhaft, dass Wegmann von den Vorfällen in der Regionalgesellschaft Dormagen nichts gewusst haben sollte. Höchstwahrscheinlich hat er das Drehbuch zu diesem krassen Fall von Union Busting in der Region Dormagen selbst entworfen, mindestens aber die Leitlinien vorgegeben.
Demnach wäre er ein Lügner. Zudem scheint Till Wegmann unter einer weit verbreiteten Berufskrankheit von Anwälten zu leiden: Er hat zwei Gesichter. Vor Gericht und gegenüber dem gegnerischen Anwalt tritt er konziliant und sachlich, gediegen, selbstbewusst aber uneitel auf. Seine Taten zeigen jedoch, dass er sich öffentlich in einen Schafspelz kleidet, aber darunter ein reißender Wolf ist, der brutal über seine Opfer herfallen kann – auch bewusst gegen geltendes Recht oder in der Grauzone zur Kriminalität. (Union Busting gilt in Manager- und Juristenkreisen leider immer noch als Kavaliersdelikt. Ein Unrechtsbewusstsein ist hier kaum feststellbar.)
Warum sich Till Wegmann wohl um 26 Minuten verspätetet hatte? Da Wegmann meinte, dem Gericht und der Gerichtsöffentlichkeit keine Begründung schuldig zu sein, dürfen wir hier eine sinnvolle Vermutung äußern:
Am Morgen war ein Solidaritätsvideo der AfA (Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD) mit den ALDI-Betriebsratsgründern im Netz erschienen. Es dürfte im ALDI-Management sicherlich für wilde Diskussionen und einige Verunsicherung gesorgt haben. Möglicherweise gab es noch eine Konferenz in der Sache. Die SPD kündigte lang erwartete und dringend benötigte Verschärfungen des Betriebsverfassungsgesetzes an, um Betriebsratsgründer besser zu schützen und Union Buster wie bei ALDI-Süd zu bestrafen. Drei Bundestagsabgeordnete stellten sich persönlich hinter die (bislang verhinderten) Betriebsratsgründer, die nun ihr Glück per Gerichtsbeschluss suchen.
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Anmerkungen / Quellen
1 Güteterminen sind in Union Busting-Fällen meist überflüssig. Es kommt nichts herum. Die Aktion gegen Arbeitsunrecht fordert für eindeutige Union Busting-Fälle, Gütetermine zu streichen, um Verfahren zu beschleunigen. Die Verzögerung von Arbeitsgerichtsprozessen spielt Betriebsratsfressern in die Karten. Sie nutzten die Wartezeit, um Betriebsratsgründer*innen von ihren Kolleg*innen zu isolieren und sie gezielt zu zermürben.
2 § 17 (4) Betriebsverfassungsgesetz: „Findet trotz Einladung keine Betriebsversammlung statt oder wählt die Betriebsversammlung keinen Wahlvorstand, so bestellt ihn das Arbeitsgericht auf Antrag von mindestens drei wahlberechtigten Arbeitnehmern oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft.“ https://www.gesetze-im-internet.de/betrvg/__17.html
3 Jessica Reisner: Aldi-Süd: Betriebsratsgründung endet mit Tumult und Polizeieinsatz, arbeitsunrecht in deutschland, 14. April 2022,
4 Petra Stanius, Helmut Born: ALDI SÜD — Beschäftigte kämpfen um Interessenvertretung im Betrieb, Gegen BR-Mobbing, 23. Mai 2019.
5 ALDI Süd hat nach eigenen Angaben rund 49.600 Angestellte, ALDI Nord über 38.000. (Stand 28.6.2022)