Boni für Gewerkschafter? Besser nicht.

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Statt Wertschätzung & positiver Diskriminierung: Verschaffen wir uns Respekt!

Wenn das Wort „Wertschätzung“ fällt, zucke ich immer zusammen. Wertschätzung gehört für mich in das Wörterbuch des neoliberalen Neusprech. Der Begriff ist vermutlich aus der Coaching-Branche in die Arbeitswelt gewandert, vielleicht auch aus der Familien-Therapie.

„Wertschätzung“ klingt in meinen Ohren paternalistisch. Bitte lieber Fürst, hab uns arme Bauern lieb! Sag ein paar nette Worte der Anerkennung… Spendier ein paar Bier…!

Vielleicht übertreibe ich es damit auch? Vielleicht wird in diesen Zeiten ohnehin zu viel über Worte nachgedacht, als über die gute alte Realität…? Aber genau das ist der springende Punkt: Wertschätzung ist meiner Meinung nach ein Placebo. Wertschätzung wird anstelle von mehr Lohn verteilt wird, oder anstelle von anderen Dingen, die echtes Geld kosten würden: mehr Freizeit oder funktionierendes Equipment, Arbeitsschutz… Wertschätzung gibt es, weil sie billiger ist.


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Grafik "so süß wie maschinenöl" von Roy Brick
„so süß wie maschinenöl… arbeit, ökonomie und alltag“ ist eine Kolumne von von Elmar Wigand für arbeitsunrecht FM und die Graswurzelrevolution Nr. 497, März 2025.  (Grafik: Roy Brick)

Im Februar 2025 formulierte die Eisenbahner-Gewerkschaft EVG ihre Ziele in den Tarifverhandlungen mit der Deutschen Bahn: „Mehr Wertschätzung für harte Arbeit“, stand an vorderster Stelle auf dem Zettel.

Aber warum ist sie denn so hart, die Arbeit?

Sollten wir nicht dafür kämpfen, dass die Arbeit leichter wird…? Warum laufen der Deutschen Bahn denn die Leute weg? Wegen mangelnder Wertschätzung? Oder vielleicht weil Schichtarbeit, Personalknappheit, dysfunktionale Organisation, marode Infrastruktur bei der Bahn zur Überlastung führen und die Arbeitenden auf Dauer krank machen? Da nützen 2,6% Zusatzgeld für Schichtarbeiter dann auch nicht viel. Sind nur ein Zeichen der… Wertschätzung…

Die Tarifverhandlung waren auch deshalb interessant: Die EVG forderte von der Deutschen Bahn einen exklusiven »EVG-Mitgliederbonus«. Das bedeutete: Neben anderen, vollkommen nachvollziehbaren Forderungen wollte die DGB-Gewerkschaft 500 Euro pro Jahr nur für die eigenen Mitglieder. Das ist aus gewerkschaftlicher Sicht einigermaßen problematisch.

Die Zulässigkeit solcher diskriminierenden Exklusiv-Zahlungen war lange Zeit sogar juristisch umstritten. Im Jahr 1967 hatte das Bundesarbeitsgerichts tarifliche Differenzierungsklauseln noch für verfassungswidrig erklärt. Das hat sich derweil beruhigt, solange die Boni nicht zu sehr ausufern.1 Das Phanomen blieb eine Randnotiz, bis die Chemie-Gewerkschaft IGBCE 2024 mit einem ersten Flächentarifvertrag die Schleusen öffnete.

Auch die IG Metall wirbt in der Leiharbeit mit Boni für ihre Mitglieder beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld (immerhin zwischen 500,- bis 1.000,- pro Jahr).2

Eine Befragung unserer Follower auf telegram ergab eine prinzipielle Zustimmung zu Exklusiv-Boni für Gewerkschafter*innen. Der Impuls ist nachvollziehbar:

Warum soll man Trittbrettfahrer mitnehmen?

Warum sollen Lauschepper auch noch belohnt werden, die nicht in die Gewerkschaftskasse einzahlen, sich nicht organisieren und die nicht an Streiks und Protesten teil nehmen. Warum sollen ausgerechnet diese Faulpelze, Feiglinge und Flaschen profitieren? Aber das ist zu kurz gedacht.

Die Gewerkschaftsboni ähneln den Payback-Bonusprogrammen im Supermarkt. Dafür, dass Du als Kunde Dein Kaufverhalten offenlegst und dich von Verhaltensforschern durchleuchten lässt, bekommst Du die Ware im Supermarkt 3% billiger. Daten sind das Gold der Moderne.

Um in deren Genuss von Gewerkschaftsboni zu kommen, müssen die Beschäftigten ihre Gewerkschaftsmitgliedschaft gegenüber dem Unternehmen offen legen. Das untergräbt die Koalitionsfreiheit. Denn zu diesem Grundrecht, sich frei zu Organisieren, gehört logischerweise auch, dass ich meinem Arbeitgeber nicht mitteilen muss, wie und wo ich organsiert bin. Im Streikfall ist es von Vorteil, wenn das Unternehmen über die tatsächliche Verankerung der Gewerkschaft im Unklaren ist.

Eine Gewerkschaft, die nicht beißt, sondern nur spielen will, hat solche Probleme natürlich nicht.

Und es besteht der Verdacht, dass genau das die Botschaft von Boni ist. Wir fordern nicht, wir kämpfen nicht, wir haben keine Tarifkonflikte mit Gegnern, sondern wir verhandeln mit Tarifpartnern. Unter Freunden.

Eine prominente Seitenwechslerin: Von der EVG zur DB Cargo

Dazu passt folgende Personalie: Die langjährige Pressprecherin der EVG, Anne Jacobs, arbeitet seit November 2024 in der PR-Abteilung der DB Cargo, also der Güterverkehrstochter der Deutschen Bahn, gegen die jetzt gestreikt werden könnte. Oder eben auch nicht. Ich vermute man wird sich einigen. (UPDATE: So ist es gekommen. Siehe EVG-PM, 16.2.2025) Und die EVG-Mitglieder werden es zähneknirschend schlucken. Und sich über ihren Bonus freuen, wie über zahlreiche Zusatzleistungen, die über die Haus-Gewerkschaft der Bahn zu erhalten sind: Mietzuschuss, Computerzuschuss…

Die Beschäftigten einer Firma brauchen keine Wertschätzung, sondern sie müssen sich Respekt verschaffen. Dann können sie berechtigte Forderungen gemeinsam durchsetzen. Dafür müssen die Lohnabhängingen und ihre Gewerkschaften mental, personell und finanziell unabhängig, also gegnerfrei sein – wie es im Juristendeutsch so schon heißt.

Wer wäre das nicht gern? Gegnerfrei…


Quellen / Fußnoten

1 Im Jahr 1967 hatte der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) tarifliche Differenzierungsklauseln noch für verfassungswidrig erklärt. Mehr dazu: Tarifrecht – Bonus für Gewerkschaftsmitglieder, Böckler-Impuls 02/2009, https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-bonus-fuer-gewerkschaftsmitglieder-6594.htm


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