Jammern und Wehklagen nach Warnstreiks von Ver.di und EVG.
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Die üblichen Verdächtigen wollen die repressive Rechtsprechung deutscher Arbeitsgerichte nun ergänzen durch reaktionäre Anti-Streik-Gesetze.
Es ist schon komisch: Während Frankreich Kopf steht, Proteste, Streiks und Generalstreiks das Land aufrütteln, die Werktätigen große Teile des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft lahm legen, während französische Gewerkschaften aufblühen wie Wüstenblumen nach dem Wolkenbruch, da wird in Deutschland mal wieder eine Debatte über das Streikrecht geführt.
Während die französische Regierung vor sich hin taumelt und es längst um wesentlich mehr geht als das Renteneintrittsalter – der Mai 68 ist die Referenz; es riecht nach Revolution – , da jammert und jault das deutsche Unternehmerlager, weil Verdi und die Bahngewerkschaft EVG mal einen koordinierten Warnstreik veranstaltet haben, der das Transportwesen empfindlich traf. So geschehen am 27. März 2023. Und das Arbeitsgericht Frankfurt nötigt die EVG zum blamablen Abbruch eines groß angekündigten zweitägigen Warnstreiks Mitte Mai 2023. Eine der EVG-Streikforderung sei unberechtigt, weil nicht tarifierbar. Dabei steht nirgendwo geschrieben, dass Streiks nur für Tarifforderungen geführt werden dürften. Eine solche Auffassung widerspricht dem Grundgesetz und der Europäischen Sozialcharta — deutsche Arbeitsgerichte und die Presse ficht das nicht an.
Das Streikrecht leitet sich in Deutschland zwar ab durch die im Grundgesetz verankerte Koaltionsfreiheit (konkret Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes). Aber das konkrete Streikgeschehen ist Richterrecht, d.h. es ist weitgehend durch Präzedenzurteile und gerichtliche Verbote ausgestaltet. Das Damoklesschwert sind millionenschwere Schadensersatzforderungen, die eine Gewkerschaft in die Ruin treiben können. Dieses Arbeitsunrecht soll jetzt bitte in Gesetzesform gegossen werden, fordern die üblichen Verdächtigen; selbstverständlich mit erheblichen Einschränkungen. Dabei ist die deutsche Rechtssprechung bereits jetzt so kompliziert, dass wir eher von einem Streikverhinderungsrecht sprechen können.
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Wer sind die üblichen Verdächtigen? Der Arbeitgeberverband BDA, die Mittelstandsvereinigung der CDU, Gesamtmetall, Springers Welt. Das rechtsoffene Magazin Cicero lässt den ehemaligen Chef-Volkswirt der Deutschen Bank Thomas Meyer von Notstand phantasieren: Durch Fachkräftemangel und das Ende der Globalisierung (Überdehnung der Lieferketten, Krise der Auslagerung nach Fernost und Osteuropa durch globale Konflikte) hätten die Werktätigen erheblich an Macht gewonnen und könnten jetzt sogar die Allgemeinheit erpressen: »Der angekündigte ‚Generalstreik´« , sei »ein gefährlicher Schritt in diese ‚Rechtlosigkeit‘.« (Die verklemmten Anführungszeichen kommen von Meyer selbst.)
Gestützt wird der Anti-Streik-Vorstoß durch eine Umfrage des AfD-nahen Erfurter Meinungsforschungsinstituts INSA, welche die CDU-Mittelstandsvereinigung in Auftrag gegeben hat. Angeblich wäre eine Mehrheit der Bundesbürger für verpflichtende Schlichtungen vor einem Streikbeginn.
Unfreiwillig komisch wirkt folgender Einwurf von Oliver Zander, vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall: »Eine gesetzliche Regelung des richterrechtlichen Arbeitskampfrechts ist leider überfällig geworden, seitdem die Arbeitskämpfe von einzelnen Gewerkschaften immer stärker zur Mitgliederwerbung missbraucht werden.« Dafür seien Arbeitskämpfe nicht gedacht, sagte er der Rheinischen Post. Sondern…?
Aufhorchen lässt Ryanair. Europas größte Airline (gemessen an Passagierzahlen) verurteilt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, weil sie Frankreichs Fluglotsen nicht zur Räson brächte. In den ersten drei Monaten des Jahres 2023 hätte die frz. Flugsicherung 38 Tage gestreikt und 627.000 Passagiere um ihren wohl verdienten Billigflug gebracht. Ryanair stört vor allem, dass Frankreich überquert werden muss, um z.B. nach Spanien, Portugal, Marokko zu kommen. Hier solle die EU irgendwie durchgreifen. Vielleicht mit Notstandsgesetzen? Eine Ryanair-Petition gegen von der Leyen wurde bis Mitte April fast 300.000mal unterzeichnet.
Folgende Anti-Streik-Maßnahmen stehen zur Debatte:
- Notdienstarbeiten, auch Grundversorgung genannt, für die es in Frankreich, Italien, Spanien und Griechenland bereits entsprechende Gesetze gibt. Die entscheidende Frage scheint zu sein, ob dieser Dienst durch Verhandlungen geregelt wird. Ein deratiges Anti-Streik-Gesetz namens Minimum Services Bill, das in Großbritannien unlängst verabschiedet wurde, gibt der Regierung die Macht einseitig über den Minimalbetrieb zu bestimmen. Im Extremfall kommt dann die Polizei und bringt Dich zum Arbeitsplatz oder in den Knast.
- Mehrtägige Ankündigungsfrist, damit die Unternehmen genug Zeit haben Streikbrecher zu organisieren.
- Kaum erfüllbare Quoren: So fordert die CDU-Mittelstandsvereinigung ernsthaft, dass 50% aller Beschäftigen an einer Urabstimmung teilnehmen sollten. Wohlgemerkt: aller Beschäftigten, nicht nur der Gewerkschaftsmitglieder.
- Verhandlungspflicht: obligatorische Schlichtungsverfahren sollen das Streikgeschehen weitgehend ausbremsen.
- Streikverbote in bestimmten Bereichen die bislang Daseinsvorsorge genannt wurden. Seit dem Ukraine-Krieg ist der Terminus »kritische Infrastruktur« in Mode.
Auch die 59. Münchener Sicherheitskonferenz im Februar 2023 war angeblich von Streikgeschehen betroffen. Der CDU-Mittelstand sieht die Konferenz nicht als Zusammenkunft von Nato-Falken, Rüstungskonzernen und imperialistischen Geostrateg:innen, sondern offenbar als eine Art humanitäre Einrichtung: »Dort geht es um Leben und Tod für die Menschen in der Ukraine.« CDU-Politikerin und Mittelstandssprecherin Gitta Connemann polemisierte gegen zeitgleiche Streiks: »Putin wird sich freuen.« Alle Wege führen wieder nach Moskau. Wer streikt, fällt der kämpfenden Truppe in den Rücken.
Was wollen diese Leute?
Im Kern sollen Streiks keine wirtschaftliche Macht entfalten, sondern lediglich Protest sein. Mal ordentlich Dampf ablassen, aber bitte niemandem weh tun. Streik als Inszenierung und Gruppentherapie. Der Streik soll die Produktion nur ein bisschen einschränken, aber niemals komplett lahm legen — und in der nächsten Woche wird nachgearbeitet, was liegen geblieben ist.
Die Kolumne „Verschärfung des Streikverhinderungsrechts„ ist im Mai 2023 in der alternativen Wirtschaftszeitschrift OXI erschienen. Autor und Sprecher: Elmar Wigand.