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Bundesagentur für Arbeit wirbt Erntehelfer aus Georgien an

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Frei übersetzt: Euer Spargel kann uns mal (Protest beim Bornheimer Spargelstreik am 18. Mai 2020, Foto Reisner CC)

Staatlich subventioniertes Lohndumping auf Kosten der Beitragszahler

Anlässlich unserer Berichterstattung zum Einsatz von Erntehelfer:innen, die in Deutschland ohne Krankenversicherung arbeiten, ließ uns am 26.03.2021 eine Tagesschau-Meldung aufhorchen (https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/erntehelfer-georgien-101.html). Darin heißt es, dass Polen jetzt als Vorarbeiter eingesetzt werden und sich unter Rumäninnen und Rumänen die lausigen Arbeitsbedingungen in Deutschland herumgesprochen haben. Immer weniger von ihnen möchten diesen Knochenjob für einen Stundenlohn von 9,50 Euro machen.

Die Lösung: Der „Fachkräftemangel“ wird von der Bundesagentur für Arbeit (BA) behoben. Sie beschafft für die deutschen Landwirte billigen Nachschub aus Georgien:

Zunächst sei geplant gewesen, dass 500 Arbeitskräfte aus Georgien nach Deutschland kommen. Daraus seien mehr als 5000 geworden, berichtet Jakobs. Sie sollen Anfang April das weiße Stangengemüse stechen. Mehr als 80.000 Georgier hätten sich beworben, so der Landwirt. Dabei handele es sich um ein Pilotprojekt der Bundesagentur für Arbeit. Die Behörde kümmert sich um die Arbeitsverträge und auch die Anreise.

Beitragszahler zur Arbeitslosenversicherung zahlen für Beschaffung der Erntehelfer:innen

Wir fragten bei der Bundesagentur für Arbeit nach: kann es sein, dass die in Deutschland sozialversicherungspflichtig Beschäftigten die Beschaffung von Erntehelfer:innen für die Landwirte bezahlen? Obwohl Arbeitsrechts-Aktivisten erzürnt kritisieren, dass eben jene Erntehelfer:innen bis zu 102 Arbeitstage ohne Sozialversicherungsschutz arbeiten sollen und das Landwirtschaftsministerium und die Landwirtschaftsverbände das auch noch schamlos bejubeln? Die Kurzantwort lautet: ja.

Dies sind die, nur geringfügig gekürzten, Antworten der Bundesagentur für Arbeit:


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1) Bezahlen die sozialversicherungspflichtigen Beitragszahler diese Maßnahme? Wenn nein: aus welchen Mitteln wurde die Anwerbung durch ihre Behörde finanziert? Der BA sind hierdurch keine zusätzlichen Kosten entstanden. Personal- und Sachaufwendungen werden im Rahmen des Kerngeschäfts der BA aus bestehenden Haushaltsmitteln bestritten, also aus Beitragsmitteln.

2) Wie hoch sind die Gesamtkosten dieser Maßnahme? Die Gesamtkosten können wir nicht ermitteln, weil ja gar keine zusätzlichen Kosten entstanden sind.

3) Die Tagesschau meldete, die Bundesagentur für Arbeit hätte sich neben der Anwerbung auch um die Arbeitsverträge und die Anreise gekümmert. Was bedeutet das genau? Was wurde bezüglich der Anreise organisiert und wer trägt die Kosten für diese Leistung? Unsere Dienstleistung erstreckt sich auf folgende Punkte: Die BA nimmt die Stellenangebote der einstellungsbereiten Landwirtschaftsbetriebe in Deutschland auf, prüft die Beschäftigungsbedingungen und vermittelt den Arbeitgebern gemeinsam mit der georgischen Arbeitsverwaltung ausgewählte, geeignete Bewerber*innen. Zudem ist die BA für die Erteilung der Arbeitserlaubnis sowie die Koordination der Zusammenarbeit mit der georgischen Partnerverwaltung zuständig. Bei der Anreise unterstützen wir nicht finanziell, das fällt in die Absprachen zwischen Arbeitnehmer und –geber. Wer die Kosten für die Anreise zahlt, ist im Stellenangebot und im Arbeitsvertrag verbindlich und transparent festgelegt. Wir fragen das bereits bei der Entgegennahme des Stellenangebots ab (siehe Link unten). Die Arbeitgeber müssen sich schon bei Einreichen des Stellenangebots verpflichten, den arbeitsvertraglichen Lohn, die Trägerschaft der Reisekosten u.a. anzugeben.(…)

4) Auf welcher rechtlichen Grundlage wirbt die Bundesagentur für Arbeit Erntehelfer aus einem Nicht-EU-Land an? Im Auftrag des BMAS kann die BA Vermittlungsabsprachen zur Rekrutierung von Saisonarbeitskräften aus Drittstaaten abschließen. Hierfür wurden mit der Umsetzung der EU-Saisonarbeitnehmerrichtlinie in Deutschland die Voraussetzungen überhaupt erst möglich gemacht. Sie ergeben sich aus dem Aufenthaltsgesetz und der Beschäftigungsverordnung. Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an das BMAS.

5) War die Anwerbung an Mindestbedingungen bezüglich Lohn, Arbeits- und Infektionsschutz und Unterbringung seitens der Landwirte gebunden? Ja, es gilt beispielsweise der Mindestlohn, die Vorgaben der Arbeitsstättenverordnung und die der Infektionsschutzverordnung(en). Arbeitgeber müssen sich bereits bei den Angaben zu ihrem Stellenangebot explizit verpflichten, sich an alle Vorgaben zu halten. Unser Formular, das von den Arbeitgebern unterschrieben werden muss, finden Sie hier: https://www.arbeitsagentur.de/datei/auftragsbestaetigung-saisonarbeitskraefte-in-der-landwirtschaft_ba146896.pdf (…)

Bundesministerium für Arbeit und Soziales ignoriert Anfrage

Spargelbauer Jürgen Jakobs vom Verband der Ostdeutschen Spargel- und Beerenobstanbauer freut sich im Tagesschau-Beitrag, dass es mit dem Ost-Nachschub läuft wie geschmiert und für ihn noch günstiger wird, als zuletzt mit den Rumänen, deren Anreise 2020 pandemiebedingt zum Teil die Landwirte zahlten: „Die Georgier dagegen, die in den kommenden Tagen ins Flugzeug nach Deutschland steigen, sind da anspruchsloser: Sie bezahlen ihre Flüge selber.“

Eine Freude, die Beitragszahler zur Sozialversicherung so vermutlich nicht teilen. Denn: wer außer den Landwirten hat eigentlich einen Vorteil von diesem staatlich subventionierten Lohndumping? Uns interessierte natürlich, wer im Bundesministerium für Arbeit und Soziales wo und wann diesen Beschluss gefasst und dann die Anweisung an die Bundesagentur für Arbeit zur Anwerbung der Georgier:innen gegeben hat. Leider bleibt unsere Anfrage seit dem 08. April 2021 unbeantwortet.

Kerngeschäft der BA? Aufklärung tut Not

Die kindlich-naive Vorstellung, die Bundesagentur für Arbeit sei eine Art Versicherung, in die lohnabhängig Beschäftigte einzahlen, um das Risiko der Erwerbslosigkeit abzumildern, greift schon lange zu kurz. Während der Arbeitslosengeldbezug drastisch gekürzt wurde und Beschäftigte wesentlich schneller fürchten müssen, in Hartz IV zu fallen und damit ihre Altersvorsorge zu verlieren, zwingen Jobcenter Erwerbslose unter Androhung von Sanktionen in erniedrigende Leiharbeitsverhältnisse. Auch hier profitieren ausschließlich die Leiharbeitsfirmen, die ihre Existenz der rot-grünen Agenda 2010 zu verdanken haben.

Die Unternehmensberater McKinsey und Roland Berger, die in die HartzIV-Kommission eingebunden waren, haben hier zugunsten der Unternehmen ganze Arbeit geleistet. Mehr Infos dazu gibt es auch in Die Fertigmacher von Elmar Wigand und Werner Rügemer (Shop).

Allerdings zahlen auch Unternehmen 50% der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung ihrer sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Und hieraus leitet sich in der Logik des Gesetzgebers gewissermaßen der Anspruch an die Agentur ab, als Gegenleistung mit (billigen) Arbeitskräften versorgt zu werden.

Es spielt keine Rolle, ob es sich dabei um Unternehmer:innen handelt, die als selbständige Landwirte selbst keine Beiträge zahlen oder ob diese Unternehmer:innen für die vermittelten Arbeitskräfte Sozialversicherungsabgaben zahlen.

#miesesStückSpargel: Keine Krankenversicherung für Erntehelfer

Erntehelfer:innen sollen, wenn es nach dem Bundeskabinett geht, bis zu 102 Tage sozialversicherungsfrei arbeiten. Heißt: sie bauen keine Rentenansprüche auf und sind nicht krankenversichert. Mitten in einer Pandemie! Wir berichteten am 02.04.2021 ausführlich: Erntehelfer:innen ohne Krankenversicherung

Das heißt aber auch, dass für den Vermittlungsdienst keine Beiträge in die Arbeitslosenversicherung, bzw. an die Bundesagentur für Arbeit zurück fließen.

Beratung im Omnibusverfahren im Bundestag um 21.50 Uhr

Heute soll die Ausweitung der sozialversicherungsfreien Beschäftigung auf 102 Tage durch den Bundestag gebracht werden. Dabei bedient sich die Regierung eines Tricks. Vielleicht um weitere Aufmerksamkeit zu vermeiden aber vermutlich auch, weil es schnell gehen soll, wird das neue Gesetz in einem Omnibusverfahren bei der Novelle des Seefischereigesetzes durchgeschmuggelt. Der Punkt steht am Donnerstag, dem 22.04.2021, um 21.50 Uhr auf der Tagesordnung des Bundestags. Die Abstimmungsunterlagen finden Sie hier: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2021/kw16-de-seefischereigesetz-835980)

Offensichtliche Lüge der Landwirtschaftsministerin Klöckner

Der Jubel des Bundeslandwirtschaftsministerium am 31.03.2021 über die Ausweitung der sozialversicherungsfreien Beschäftigung für Erntehelfer erntete viel kritische Aufmerksamkeit. Eine aufgeweckte Twitter-Community fragte beharrlich nach. Dabei verbreitete Bundesagrarministerin Julia Klöckner über die geplante Ausweitung der Beschäftigung osteuropäischer Ern­te­hel­fe­r*in­nen ohne Sozialversicherung irreführende Angaben und erweckte fälschlicherweise den Eindruck, dass eine Regel, die künftig einen Krankenversicherungsschutz der Ar­bei­te­r*in­nen sicherstellen soll, schon 2021 greifen würde. Jost Maurin legt in einem taz-Artikel vom 19.04.2021 wunderbar dar, dass eine ganz Reihe von Medien auf Julia Klöckners Falschbehauptungen hereinfielen und sich im schlimmsten Fall, wie bei der Nachrichtenagentur AFP, nicht einmal korrigierten: Klöckner führt Medien in die Irre.

So viel Anspruch sollte die Redaktion einer Nachrichtenagentur doch haben, oder?


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