Versicherungsfreie Arbeit: Die 102 Tage der Schande. Wie CDU und SPD das Sozialsystem aushöhlen.

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Bundesregierung sichert sozialversicherungsfreie Ausbeutung von Wanderarbeitern, Zeitungsausträger:innen und vielen anderen ab.

Werbung youtube die lochis als Zeitungsausträger
Die Lochis als Zeitungsausträger. Influenzer machen Werbung für das Ausgebeutetwerden. (Quelle: Screenshot yotube, 25.4.2021)

Organisierter Betrug: sozialpolitische Bankrott-Erklärung von CDU & SPD. Rentenversicherung schaut tatenlos zu. Arbeitsamt leistet aktive Beihilfe.

Am späten Abend des 22.04.2021 beschloss der Bundestag die Ausweitung der kurzfristigen sozialversicherungsfreien Beschäftigung auf 102 Arbeitstage. Ursprünglich für ausländische Erntehelfer:innen gedacht, gab es im Beschluss plötzlich keinerlei Beschränkung auf bestimmte Berufs- oder Beschäftigtengruppen mehr. Unter dem Gesichtspunkt, dass alles andere industrieller Rassismus wäre, ist das zu begrüßen. Tatsächlich läuft der Beschluss von CDU und SPD jedoch darauf hinaus, dass nun für alle kurzfristigen Beschäftigten bis zu 102 Arbeitstage keine Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen sind. Die systematische Diskriminierung von Wanderarbeiter_innen wurde somit zum Türöffner für Lohn- und Sozialdumping auf breiter Front.

Der schwerwiegende Beschluss fiel im Rahmen eines Omnibusverfahrens und stand um 21.50 Uhr versteckt unter der Novelle des Seefischereigesetzes auf der Tagesordnung. Die Auswirkungen für die Erntehelfer:innen sind besonders mit Blick auf die Corona-Pandemie gravierend: sie arbeiten bis zu 102 Arbeitstage (bis zu vier Monate) in Deutschland, leben in der Regel noch immer in Sammelunterkünften und sind trotz Bundesnotbremse (tritt am 24.04.21 in Kraft) und hoher Inzidenzwerte, durch diesen Beschluss meist nicht einmal krankenversichert. (Siehe Erntehelfer:innen ohne Krankenversicherung? vom 02.04.2021)

Merkel Wirtschaftswunder-Hologramm: Urlaub auf dem Bauernhof

Die kurzfristige Beschäftigung ist eigentlich für den Fall gedacht, dass eine Person über eine Hauptbeschäftigung bereits sozialversichert ist und lediglich an ursprünglich 50, später 70 und nun 102 Tagen „etwas dazu verdient“. Die kurzfristige Beschäftigung darf nicht berufsmäßig ausgeübt werden. Sie darf also nur von untergeordneter Bedeutung und nicht relevant für den Lebensunterhalt sein.

Heißt: Es wird sozialversicherungstechnisch davon ausgegangen, dass die Rumänen, Georgier:innen und anderen Saisonkräfte in ihren Heimatländern Arbeitsplätze haben, die ihren Lebensunterhalt sichern und über die die gröbsten Lebensrisiken abgesichert sind. Alle wissen, dass dem nicht so ist. Der monatelange Aufenthalt auf deutschen Feldern und in engen Sammelunterkünften findet in dieser Lesart während des Urlaubs auf dem Bauernhof statt, bei dem ein paar Euro dazuverdient werden. Quasi die Entsprechung zu deutschen Büro-Hengsten „mit Rücken“, für die ein Tag bei der Wein-Lese an der Mosel oder der Olivenernte in Italien ein riesen Spaß ist. Oder Student:innen, die im Sommer Ferienjobs annehmen.


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Dieser konzertierte Unsinn würde selbstverständlich sofort auffliegen, wenn die Deutsche Rentenversicherung die Berufsmäßigkeit prüfen würde.

2020 wurde die sozialversicherungsfreie Beschäftigung trotz Corona-Pandemie auf 115 Tage ausgeweitet. Im Bild: Erntehelfer:innen beim Bornheimer Spargelstreik am 18.05.2020. Nach Lesart von Bundesregierung und DRV: Osteuropäische Touristen, die sich während des bezahlten Urlaubs auf dem Bauernhof etwas dazu verdienen (Foto Reisner CC)

Unternehmen sparen rund 20%

Großartig ist das ganze Manöver für Unternehmen. Sie zahlen die Hälfte der Sozialversicherungsabgaben, von denen CDU und SPD sie nun zum Schaden unzähliger Beschäftigter für bis zu 102 Arbeits-Tagen befreit haben. Da es nun keine Beschränkung mehr auf Saisonkräfte gibt, dürften nach dem Beschluss der Bundesregierung bei Wirtschaftsverbänden und Wirtschaftsberatern die Sektkorken geflogen sein. Nicht zuletzt auch in den großen Verlagshäusern der Republik. 

Kaum Berichterstattung: Verlage schweigen nicht grundlos.

Schon 2018 wollte die Bundesregierung dafür sorgen, dass Verlage ausgerechnet für Zeitungszusteller weniger Rentenbeiträge zahlen müssen. Dafür hatte sich Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE und Präsident des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) stark gemacht.

„Zur Sicherung der bundesweiten Versorgung mit Presseerzeugnissen für alle Haushalte – in Stadt und Land gleichermaßen – wird bei Minijobs von Zeitungszustellerinnen und Zeitungszustellern der Beitrag zur Rentenversicherung, den die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zu tragen haben, befristet für die Dauer von fünf Jahren bis zum 31. Dezember 2022, von 15 auf fünf Prozent abgesenkt.“

(Panorama 22.03.2018 Koalitionsvertrag: Rentenkürzung für Zeitungszusteller

Aus diesem Millionengeschenk an die Verleger, die damit die Kosten für die Einführung des Mindestlohns auch für Zeitungszusteller ab Anfang 2018, wieder an die Zusteller umlegen wollten, wurde nichts. Juristisch war es nicht durchzusetzen nur eine einzelne Berufsgruppe zu benachteiligen. Hier dürfte auch der Grund dafür liegen, warum man jetzt nicht nur auf Saisonkräfte abgestellt hat, sondern gleich noch alle kurzfristig Beschäftigten schlechter stellt.

Was macht die Deutsche Rentenversicherung?

Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) ist eigentlich eine demokratisch verfasste Institution, die durch ein Sozialparlament und Sozialwahlen von allen Lohnabhängigen kontrolliert werden sollte. Doch tatsächlich handelt es sich dabei um eine leere Hülle bzw. eine Demokratie-Simulation. Obwohl eine der DRV-Vorsitzenden die DGB-Vertreterin Anja Piel ist, tut die Deutsche Rentenversicherung über ein paar wenige Betroffenheitserklärungen hinaus rein gar nichts, um der Umwucht zulasten Lohnabhängiger ernsthaft entgegenzuwirken.

Es bleibt rätselhaft, warum von dieser Seite kein öffentlicher Druck entsteht, keine Aufklärung betrieben wird. Liegt es an einer zu engen Verstrickung von DGB-Funktionären und SPD?

Warum leitet die DRV keine sorgfältigeren Beitragsprüfungen bei Landwirten ein?

Warum fordert die DRV keinen erleichterten Datenabgleich bezüglich des Versicherungsstatus der Saisonkräfte mit deren Heimatländern? Dann würde der ganze Schwindel ganz einfach auffliegen. Würden die Prüfer:innen der DRV nämlich feststellen, dass die Arbeit der Erntehelfer:innen berufsmäßig ausgeführt wird, wäre müssten die Landwirte müssten womöglich im großen Stil Sozialversicherungsabgaben nachzahlen. 

Arbeitslosenversicherungsbeiträge für Anwerbung von Erntehelfern verwendet

Die Medien ignorieren einen weiteren Zusammenhang: Die Bundesagentur für Arbeit wirbt gezielt Erntehelfer:innen in Osteuropa an, die hier dank der Beschlüsse der Bundesregierung ohne soziale Absicherung maximal ausgebeutet werden können. Auch die Bundesagentur finanziert sich — wie die DRV– aus Beiträgen der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zur Arbeitslosenversicherung.

Das heißt: Die Bundesagentur fördert Beschäftigung, die ihre eigene Finanzierung untergräbt. Das ist verstörend. Die Bundesagentur für Arbeit bestätigte ihre aktive Verstrickung in den Erntehelfer-Skandal auf Anfrage. Einen ausführlichen Beitrag zu diesem Vorgang finden Sie hier: Bundesagentur für Arbeit wirbt Erntehelfer aus Georgien an 22.04.2021)

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2 Kommentare

  1. Der Döpfi hat sich derart bemüht, dass er ja auch mal einen Protest-Besuch in/vor seiner hübschen Potsdamer Villa verdient hat.
    Diese kann er ja, wenn man einmal da ist, anschließend gleich der Allgemeinheit wieder zugänglich machen.

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