Schade um das schöne Geld.

Berlin ist ein merkwürdiges Pflaster. Die einzige deutsche Weltstadt. (Hamburg und Munich kennt man in Übersee immerhin, aber Cologne – wo liegt das noch gleich?) Berlin ist nicht nur Start-up und Hightech-Standort, sondern Trendsetter, Ausgeh-, und Tourismusmagnet.
Die Berliner U-Bahn ist ikonisch. So werden mitunter komplette Stationen für aufwändige Kampagnen gemietet. Kottbusser Tor, Hermannplatz. Die ganzen Junkies, Obdachlosen und Irren stören die Media-Planer*innen, offenbar nicht, womöglich steigern sie den roughen Metropolen-Thrill.
Anhören, downloaden und für unkommerzielle Zwecke frei weiter verbreiten!

Auf Plakatwänden am Rosenthaler Platz, dem Tor zum Prenzlauer Berg und nach Friedrichshain, sehen wir leptosome, divers pigmentierte, leicht angequeerte Hipster-Models, die irgendwie im Wald stehen und neue Birkenstock-Modelle präsentieren. Und tatsächlich weiße Tennissocken dazu tragen. Aus der Not eine Tugend machen, heißt wohl die Devise. Hier: die ur-deutsche Peinlichkeit, Vandalen mit Socken in Sandalen, zum Kult erklären. Oder ist es Ironie? (Gar kulturelle Aneignung?)
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Birkenstock steht – nebenbei bemerkt – als notorischer Betriebsratsfresser (erste Fälle seit den 1980ern) in den Archiven der Aktion gegen Arbeitsunrecht.12 Nach 247 Jahren in Familienbesitz haben zwei Brüder den Laden 2021 an LVMH (Fendi, Louis Vitton, Christan Dior) verscherbelt. Man munkelt für 4 Milliarden.3 Jetzt soll die Marke return on investement bringen.
Tatsächlich stand wenige Wochen später ein Yuppiepärchen mit Kinderwagen neben mir, das die Style-Vorschläge der Kampagne im Alltag direkt umsetzte. Nagelneue Wildleder-Pantoffeln mit weißen Socken. Wie relativ und formbar doch der freie Wille ist… Gruselig.
Nike bekämpft inneren Schweinehund, Bundeswehr zielt auf Gamer , Bullshit-Jobber und Schulversager
So wundert es nicht, dass auch die „Arbeitgebermarke Bundeswehr“, wie es im Marketing-Sprech heißt, im Herbst 2024 mit einer „Out-of-Home-Kampagne“ in Berlin aufschlug. Kurz zuvor buhlten Nike und Adidas um die Teilnehmer*innen des Berlin-Marathon. Während die Bundeswehr offensichtlich Menschen mit fehlenden Sozialkontakten ins Visier nimmt, die sich in einer Sinnkrise befinden, ruft Nike einige Stationen weiter dazu auf, den inneren Schweinehund zu besiegen.
Wobei ich als ehemaliger Werbetexter und Konzeptioner durchaus Hochachtung für gutes Handwerk habe, ganz unbhängig davon, welche ausbeuterisch produzierte, nutzlose oder gar schädliche Scheiße da verkauft werden soll.
Die Kollegen der Nike-Agentur sind gut:
„Ich schaffe niemals 5 KM sind bloss das Warm-up“, „Too Tired For MORNING RUNS wake you up“, „Nicht noch MEHR STUFEN bitte.“
Bei jemandem der Rennen um des Rennens Willen immer schon abgelehnt hat, der sich Konflikten lieber stellt als zu flüchten, ansonsten lieber flaniert anstatt zu hetzen, verfängt die Botschaft zwar in keiner Weise. Aber dieses Durchgestreiche und doppelt Lesbare ist zweifelsohne intelligent gemacht.
Die Bundeswehrkampagne halte ich auch rein handwerklich für fehlerhaft. Was ja erstmal gut wäre. Damit passt die Kampagne einerseits zum Kern dieser Truppe, die wie begossene Pudel aus Afghanistan abziehen musste. (Der Fall Kabuls wurde durch den Ukrainekrieg offenbar völlig verdrängt.) Eine Armee, deren Budget Verteidigungsminsterin Ursula von der Leyen mit Hilfe von McKinsey-Buddies verprassen ließ.4 Auch das blieb ungesühnt…
Vielleicht hat hier ein Pazifist in der Creativabteilung Sabotage geübt?
Vielleicht hat auch der verantwortliche Oberst im Verteidigungsministerium, ein gewisser Mike Scholz, seine Aufsichtspflicht verletzt.5 Anstelle der Bundeswehr-Farben oliv und braun, die unten rechts zusammen mit dem Eisernen-Kreuz-Logo nur pflichtschuldig zitiert werden, aber als Fremdkörper wirken, ist ein eigenartiges Türkis die Hauptfarbe.
Das Abweichen von den Markenfarben ist als Fahnenflucht oder gar Verrat zu bewerten. Leute, die sich besser damit auskennen, erkennen in der Bildgestaltung eine Videogame-Ästhetik. Dann gibt es zu wechselnden Slogans, gleich zwei Taglines, die die Kampagne zusammen halten: „Mach was wirklich zählt“ steht oben.
Die Marketing-Regel besagt, das eine Tagline reichen muss. Hier konnte man sich offenbar nicht entscheiden. Oder spürte, dass es nicht reicht.
Die Düsseldorfer Agentur Castenow, die 1992 mit Aufträgen der FDP und von Tengelmann startete, verkauft der Bundeswehr die Tagline „Mach was wirklich zählt“ bereits seit 2015 als „Employer Value Proposition“ (EVP).6 (Denglische Bullshit-Begriffe sind eine Spezialität der Düsseldorfer Marketing-Szene.)
Die Headlines lauten: „Das Gefühl, dass eine ganze Armee hinter Dir steht“, „Du hältst 7000 t auf Kurs“, „Punktlandung bei Windstärke 11“, „Mit Hightech Haltung zeigen“, „Du bringst ein Armee von A nach B“. Nun kommt unten die zweite Tagline: „Weil Du es kannst“. Der Tagesspiegel interpretiert das als Ermutigung junger Menschen, die nicht so gute Schulnoten haben.7 (Vielleicht haben immer mehr Unterrichtsausfall und marode Klassenräume einen tieferen Sinn? Möglicherweise produziert dieses System Schulversager als Kanonenfutter?)
Ich aber lese „Weil Du es kannst“ als imperialistisch, dekadent und tendenziell menschenfeindlich. Tonnenweise Kerosin abfackeln, straffrei drauf los ballern. Geil.
Meine Taglines zum „Arbeitgeber Bundeswehr“ können gleichzeitig als Botschaft an die Kolleg*innen der Agentur Castenow gelesen werden:
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Schade um das schöne Geld.
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Krieg bleibt Krieg. Such Dir was Anständiges!

Fußnoten / Quellen:
1 Karl Birkenstock würgte bereits in den 1980er Jahren Betriebsratsgründungen ab, seine drei Söhne sorgten für eine Verschlechterung des Betriebsklima und bekämpften 1993 ebenfalls Betriebsräte. (Quelle: Roland Kirberg: Krieg im Werk, Die Zeit 21/1996). Im März 2019 konnte die IG Metall Betriebsräte in den ost-sächsischen Standorten Bernstadt und Görlitz gründen. Zwecks Counter-Organizing engagierte das Management die US-Union Busting-Kanzlei Littler.
2 Werner Rügemer: Littler: Betriebsräte legal bestechen!, arbeitsunrecht in deutschland, 3.2.2016, https://arbeitsunrecht.de/littler-betriebsraete-legal-bestechen/
3 Solveig Gode: Birkenstock goes Premium: L Catterton, der Investment-Arm des Luxus-Imperiums hinter Louis Vuitton, wird Birkenstock kaufen, Business insider, 8.2.2021, https://www.businessinsider.de/wirtschaft/handel/der-investment-arm-von-lvmh-hat-scheinbar-interesse-an-birkenstock/
4 Armin Lehmann: Update / Berateraffäre der Bundeswehr – Wütende Offiziere, Millionen für McKinsey und ein Unschuldslamm, Tagesspiegel, 13.2.2020, https://www.tagesspiegel.de/politik/wutende-offiziere-millionen-fur-mckinsey-und-ein-unschuldslamm-7261102.html
5 „Weil du es kannst“: Mit dieser OOH-Kampagne wirbt die Bundeswehr um Rekruten, Horizont, 22.10.2024
7 Krieg oder Videospiel? Wie die Bundeswehr um Nachwuchs wirbt, Tagesspiegel, 1.11.2024