Was der DGB übersieht: Im Freihandelsabkommen zwischen EU und Kanada (CETA) stehen arbeitsrechtliche Kernelemente zur Disposition
Von Werner Rügemer

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat das »Freihandelsabkommen« zwischen der Europäischen Union und Kanada (Comprehensive Economic and Trade Agreement, CETA) bereits Ende 2014 in einem Positionspapier als »nicht zustimmungsfähig« bezeichnet. Das ist gut so.
Die Kritik des Dachverbandes bezieht sich allerdings nur darauf, dass ein Verstoß gegen die im Vertragskapitel 23 (»Handel und Arbeit«) genannten Kernnormen der Internationalen Arbeitsorganisation der UN (ILO) nicht mit Sanktionen versehen ist. Der DGB übersieht, dass CETA diese Normen noch deutlicher entwertet und dass andere ILO-Essentials gänzlich herausfallen.
Der Gewerkschaftsbund lobt, dass im EU-Kanada-Vertrag »die ILO-Kernnormen« enthalten seien: Das Recht auf freie Gewerkschaften, auf kollektive Tarifverträge, auf Festsetzung eines Mindestalters für die Beschäftigten, das Verbot von Diskriminierungen im Beruf und schließlich die Abschaffung der Zwangsarbeit und von deren schlimmster Form, der Kinderarbeit.
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Gleiche Bezahlung von Mann und Frau? Kernnormen fallen unter den Tisch
Allerdings fehlt eine wesentliche Norm beim ausgehandelten »Freihandelsvertrag«: das Recht auf gleiche Bezahlung von Mann und Frau bei gleicher Arbeit. Das ist dem DGB offenbar nicht aufgefallen. Die Frage drängt sich auf: Warum ist die auch in Deutschland und in der Europäischen Union immer noch fortdauernde Ungleichbehandlung von Frauen keiner Erwähnung wert?

Vom DGB wird zudem nicht moniert: In der CETA-Vereinbarung fehlen alle weiteren ILO-Normen, obwohl diese Kernbestandteile für menschengerechte Arbeitsregelungen beinhalten:
- Recht auf Kündigungsschutz,
- auf bezahlten Urlaub und bezahlte Pausen,
- Recht auf vor Armut schützende Entlohnung,
- auf Sozialversicherungen,
- auf Schutz vor Gefahren am Arbeitsplatz,
- Recht auf Entschädigung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten usw.
In der CETA-Vereinbarung heißt es dagegen: Die Vertragsparteien sollen »akzeptable Mindestbeschäftigungsstandards für Lohn- und Gehaltsempfänger« neu festlegen (CETA-Vertrag, Kapitel 23 »Handel und Arbeit«, Artikel 23.3, 2b).
Aber selbst die erwähnten sieben ILO-Kernnormen werden im Comprehensive Economic and Trade Agreement entwertet. Die Verhandler aus der EU und Kanada beziehen sich zwar auf sie, aber nicht direkt, sondern in der Fassung der »Erklärung (der Internationalen Arbeitsorganisation; W.R.) von 1998 über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit« und der »Erklärung von 2008 über soziale Gerechtigkeit für eine faire Globalisierung«.
ILO-Gremien durch Schiedsgerichte ersetzt
Wenn man auf der Gültigkeit der ILO-Normen bestanden hätte, wären die beiden Erklärungen nicht nötig gewesen: Sie sind Ergebnis der neoliberalen, rhetorisch aufwendigen Umgestaltung von Bestimmungen der UN-Sonderorganisation. Beide Erklärungen klammern folgendes aus: Erstens die Ausführungsbestimmungen, die zu jeder ILO-Norm gehören. Beispielsweise dürfen Unternehmer keine abhängigen, »gelben« Beschäftigtenvertretungen unterstützen.
Zweitens die Überprüfung der Einhaltung durch Gremien der Arbeitsorganisation. Somit ersetzt CETA hier die ILO-Gremien und -mechanismen durch eigene, extra geschaffene: durch den »Ausschuss für Handel und nachhaltige Entwicklung« (Artikel 23.8, 3) sowie durch »eine neue Beratungsgruppe für Arbeit und nachhaltige Entwicklung« jeweils in Kanada und in der EU (23.8, 4). Diese sollen den Anforderungen der ILO lediglich »Rechnung tragen« (23.8, 6).
Wenn in diesen Gremien keine zufriedenstellende Lösung gefunden wird, kann eine »Sachverständigengruppe« mit einer eigenen »Schiedsordnung« einberufen werden (23.10, 1 und 2). Außerdem sollen die Vertragsparteien »zur Streitbeilegung jederzeit auf gute Dienste, einen Vergleich oder Mediation zurückgreifen« (23.11, 2).
Schließlich kann der Ausschuss für Handel und nachhaltige Entwicklung dem CETA-Regulierungsausschuss Änderungen der in Kapitel 23 festgelegten Verfahren vorschlagen (23.11, 5). Dies ist nichts anderes als die Installation einer eigenen (Schieds-)Gerichtsbarkeit neben den Arbeitsgerichten und der ILO.
Was ist „anständige“ oder „menschenwürdige“ Arbeit?
Die ILO hat als UN-Sonderorganisation seit ihrer Gründung auch die Aufgabe, die Arbeitsrechtsnormen zu aktualisieren und gegebenenfalls neue zu beschließen. Das schließt der CETA-Vertrag für immer aus.
Übrigens: Im englischen Text heißt es, das Ziel sei »decent work«. Der neu eingeführte Begriff »decent« bedeutet »anständig«. Er ist rechtlich unbestimmt und setzt sich vom menschenrechtlichen Kontext ab. In der deutschen Fassung wird der Begriff beschönigend mit »menschenwürdig« übersetzt – womöglich ein kleines demagogisches Zugeständnis an die wachsende Kritik in Deutschland.
Der Artikel erschien ursprünglich in der Tageszeitung junge Welt vom 23.7.2016.
Der Original-Text des Vertragswerks „Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen (CETA) zwischen Kanada und der Europäischen Union“ findet sich hier >>als pdf in deutscher Übersetzung.
Gegen CETA + TTIP finden am 17.9.2016 bundesweit sieben Großdemonstrationen statt | Machen Sie mit! | Flugblatt zum Download
Weitere Beiträge zum Thema:
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- Arbeitsrechte und Koalitionsfreiheit im TTIP?, 18.8.2015
- Übergabe von 5493 Unterschriften gegen TTIP aus Arbeitnehmersicht, 29.01.2015
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Ein schnell erfassbarerer Text oder/und grafische Darstellung ohne Quellenverweise wäre noch besser, zum verteilen in den Betrieben und auf Demos.
Wir haben gestern beschlossen, ein Flugblatt mit dem Fokus „CETA + TTIP verhindern – Arbeitsrechte verteidigen“ zum Download bereit zu stellen.
Für die Demos gegen TTIP, Ceta @ Co am 17.9. ist ein Flyer zum Thema Gefahren für Arbeitsrechte, ILO und Streikrechte mehr als notwendig.Bekommt ihr das hin und stellt es auf Eure Website?
Ich würde mich hier in Frankfurt um eine Verteilung kümmern
schon im Voraus im August und September und auch bei der Demo
selbst. Wir haben bereits eine Veranstaltung am 4. Juli zum
Thema durchgeführt, Monika Christann referierte (Vortrag liegt vor).
Gerhard Velten, http://www.privatisierung-nein.de
Das Thema Arbeitsrechte wird in den zentralen Materialien der Demo
nur peripher behandelt.Das sollte geändert werden.
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