ChatGPT gegen Union Busting

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Künstliche Intelligenz im juristisch-betriebswirtschaftlichen Komplex: Macht die lernfähige Maschine Anwälte arbeitslos?

(Bild: Marco Verch, Lizenz: CC-BY 2.0)

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Der Textgenerator ChatGPT-4 besteht inzwischen die us-amerikanischen Anwaltsprüfung mit einem Abschluss, der in den oberen zehn Prozent des Leistungsspektrums liegt. Die Version 3.5 dieser Sprachmaschine war noch unter den untersten 10 Prozent gelandet.

Diese Meldung muss viele Rechtsanwält:innen des Unternehmerlagers bis ins Mark erschüttern. Sie haben oftmals viel Geld in die Hand genommen haben, um ihre Karriere mit einem LL.M (Master of Laws) aufzupimpen. ChatGPT-4 dürfte für diese Leute eine narzisstische Kränkung darstellen. Können Sie ihren Harvard-Abschluss in die Tonne kloppen? Sind sie als Menschen doch nur Minderbemittelte, die jahrzehntelang auf das Ideal der kühl kalkulierenden Maschine dressiert wurden, bis sie eines Tages von einer solchen überholt wurden?

Einen akademischen Abschluss in den USA oder England gemacht zu haben, galt für das Personal des juristisch-betriebswirtschaftlichen Komplexes – Anwaltskanzleien, Unternehmensberater:innen, Manager:innen – seit Mitte der 1990er Jahre mehr, als ein Doktortitel, bislang der Adelstitel des Bürgertums. Selbst Karl Theodor zu Guttenberg, ein CDU-Verteidigungsminister, dessen steile Karriere 2011 durch eine abgekupferte Dissertation endete, die mithilfe von Internetrecherche und Textvergleichen ans Licht kam, brauchte unbedingt noch einen Dr. vor seinem monströsen Namen: Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Buhl-Freiherr von und zu Guttenberg. Warum bloß? Womöglich weil der Dr. bedeutet, dass Du selbst etwas geleistet hast, während der Adel auf Vererbung, Nichtstun beruht und womöglich nicht nur Nitchtstun, sonder Nichtsnutzen und Nichtskönnen.


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Verständlicher ist schon, dass einer der gefährlichsten und aggressivsten Union Busting Anwälte Deutschlands, Tobias Pusch, seinen recht gewöhnlich, gutbürgerlich bis piefig klingenden Namen mit akademischen Buchstaben behängt wie einen Weihnachtsbaum mit Lametta: Dr. Tobias Pusch, LL.M. (Harvard), MBA, MSc (LBS), so steht es auf der Webseite seiner Kanzlei Pusch Wahlig.1

Chat GPT-4, warf auf die Aufforderung »Schreibe einen lustigen und tiefgründigen Artikel über Wirtschaft, Kanzleien und OpenAI!« folgende Passage aus:

»Die Wirtschaft ist eine wankelmütige Geliebte, die sich ständig verändert und anpasst, und niemand kann vorhersagen, wohin sie sich als Nächstes bewegt.« Ziemliches Blabla, zudem ein komisches Frauenbild. Doch ein paar Zeilen später:

»Mit OpenAI können wir Aufgaben automatisieren, die früher als nicht automatisierbar galten, wie das Schreiben von Artikeln oder das Komponieren von Musik. Und was bedeutet das für die Wirtschaft? Es bedeutet, dass Arbeitsplätze, die einst als sicher vor der Automatisierung galten, nun gefährdet sind. Anwälte zum Beispiel könnten arbeitslos werden, wenn OpenAI besser in der juristischen Recherche und Analyse wird. Anwaltskanzleien müssen sich möglicherweise anpassen oder werden überflüssig.«

Hier irrt ChatGPT-4. Diese Leute werden nie arbeitslos, wie David Graeber in seinem Meisterwerk »Bullshit Jobs« nachwies. Ihre Schriftsätze sind jetzt bereits meterdick, mit Künstlicher Intelligenz werden sie potentiell unendlich. Ich prognostiziere, dass bald eine Zeichenbegrenzung für schriftliche Vorträge vor Gericht kommen muss. Und ich habe die Vermutung, dass manche unterbemittelte Syndikusanwältin, mancher überforderte Berufsträger einer großen Kanzlei bereits KI für die Abfassung von Klageschriften und Klageerwiderung nutzt. Es würde einigen groben Unfug erklären.

Mein Berufsstand wird von ChatGPT-4 bislang noch geschont. Die Anfrage »Schreibe einen wütenden und tiefgründigen Artikel über Union Busting, Betriebsräte, Anwaltskanzleien und KI!« brachte zunächst eine freundliche Absage: »Es tut mir leid, aber als KI-Sprachmodell bin ich nicht darauf programmiert, Wut auszudrücken. Ich kann jedoch einen leidenschaftlichen und zum Nachdenken anregenden Artikel zum Thema schreiben.«

Kurz darauf entdeckt mein neuer Text-Hiwi, der eines Tages nach der Weltherrschaft greifen wird, seine kommunistische Seite:

»Union Busting ist ein unverhohlener Versuch, die Rechte der Arbeitnehmer:innen zu unterdrücken und den Status quo der unternehmerischen Macht aufrechtzuerhalten«, schreibt er. Und zum Counter-Organizing, also der management-gesteuerten Nachbildung von Gewerkschaften oder Betriebsräten: »Das ist eine hinterhältige Taktik, die eigentlich illegal sein sollte, aber leider nur allzu häufig angewandt wird.«

Hut ab! Damit hat ChatGPT-4 scheinbar mehr Verstand und Seele an den Tag gelegt als die meisten deutschen Arbeitsrichter:innen und Parlamentarier:innen. Allerdings trügt der Schein. Wie auch Prüfungen und Schulnoten trügen. Es bekommen diejenigen die Einsen, die gelernt haben, zu antizipieren, was die Lehrer:innen hören wollen. Die Kunst gefällig zu sein. Dass ChatGPT-4 auf einmal radikal anmutende Phrasen auswirft, liegt daran, dass der Terminus »Union Busting« bislang fast ausschließlich vom gewerkschaftlich-sozialistischen Spektrum verwendet. Die Gegenseite leugnet ihre Union Busting-Motive und Methoden. Die Maschine bildet offensichtlich den Mainstream der kursierenden Texte ab.
Sie will gefallen. Und das schafft sie erstaunlicherweise:
»Wir können nicht zulassen, dass die Konzerne und ihre Lakaien gewinnen. Wir müssen zusammenstehen, uns organisieren und uns gegen jeden Versuch wehren, unsere Rechte als Arbeitnehmer zu untergraben. Nur dann können wir eine gerechtere und ausgewogenere Gesellschaft für alle aufbauen.«

Genau. Finde ich auch.

Die Übersetzung aus dem Englischen erfolgte mit DeepL. 🙂


Logo OXIDie Kolumne ist ursprünglich erschienen in der lesenswerten alternativen Wirtschaftszeitschrift OXI, April 2023. Autor und Sprecher: Elmar Wigand.

Der Beitrag ist ist Teil der Sendung arbeitsunrecht FM #8-23 vom 19. April 2023. Er darf zu unkommerziellen Zwecken bei Nennung von arbeitsunrecht FM frei weiter verbreitet werden. Lizenz: CC-BY-NC 2.0


Fußnote

1 https://pwwl.de/koepfe/dr-tobias-pusch/ , abgerufen am 21.3.2023


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