Berlin: Online-Kuriere Lieferando + Flink bekommen Betriebsrat

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Flink als besonders aggressive Union Busting Variante?

Bizarres Urteil des Arbeitsgerichts Berlin: Wahlvorstand soll ohne Wählerliste gegründet werden!

Flink is an aggressive Union Buster. We will have to take them down.
Vom 10-Minuten-Versprechen haben sich Flink und Konsorten längst verabschiedet. Auch die potthässlichen mintgrün-pinken E-Bikes sind längst Geschichte.

Während Lieferando in Berlin seit dem 8. August 2022 endlich einen Betriebsrat (BR) hat (Pressemitteilung, 11.8.2022) , steht beim Online-Supermarkt Flink in Berlin die erste Stufe der Betriebsratsgründung an. Am Montag, 5. September 2022 soll auf einer Versammlung in Berlin-Kreuzberg ein Wahlvorstand für die Betriebsratswahl der Fahrer und Lagerarbeiter*innen bei Flink gebildet werden. 1

Die BR-Gründung bei Flink wird womöglich kein Spaziergang werden. Möglicherweise ist sehr bald überregionale bis internationale Solidarität gefragt, um den Berliner Kolleg*innen zur Seite zu stehen.

Lieferdienste als Union Busting Labor

Das Gewerbe der Online-Lieferdienste ist derzeit höchst unprofitabel — die konkurrierenden Start-ups verbrennen Milliarden (Goldrausch der Lieferdienste, 31.10.2021) –, die Branche gilt aber als Experimentierfeld der Zukunft. Es geht um mehr als nur Essen, es geht um personenbezogene Daten (Datamining) in sensiblen Bereichen wie Wohnen, Essgewohnheiten, Tagesrhythmen.

Die Branche ist auch ein Laboratorium des Union Busting (Was ist das?). Während Lieferando (Just Eat Takeaway) als Platzhirsch und einstweiliger Monopolist der Restaurant-Auslieferung in Deutschland versucht, sich ein geschmeidiges, sozial-marktwirtschaftliches Image zu geben, betreibt Gorillas eine machistische US-amerikanische Variante des Union Busting, die lange auf den aggressive Leader Kağan Sümer als eine Art Elon-Musk für Arme zugeschnitten war.


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Flink als hoch aggressive Variante

Möglicherweise wächst im Schatten von Lieferando und Gorillas mit dem Supermarkt-Lieferdienst Flink die derzeit gefährlichste Union Busting-Mutante heran. Das Flink-Management kombiniert Hardcore-Methoden (Kündigungen von BR-Aktivisten, Verleumdung, Drohungen) mit Soft-Power (gezielter Aufbau geschmierter Pseudo-Betriebsräte) und hochpreisigem Rechtsnihilismus mit Hilfe der Kanzlei Pusch Wahlig.

Flink-Management will Betriebsratswahl gewinnen

Flink setzt als Soft-Power-Waffe so genannten „Ops Comittees“ ein (Operations Committee, auf deutsch in etwa: „Betriebsausschuss“). Dahinter steckt ein anderes Vertretungsorgan (AVO), das präventiv durch das Management aus handverlesenen Vorarbeiter*innen, managementtreuen Streber*innen und Claqueren der mittleren bis unteren Ebene gebildet wurde, um einer Betriebsratswahl vorzubeugen.2 Ein solches AVO hat keine Rechte und keine Machtmittel, es ist keine eigenständige Interessenvertretung und wird nicht frei gewählt. Es ist daher undemokratisch.

Das Management gründete diese „Ops Committees“ präventiv schon im Frühjahr 2022. Zudem installierte das Management ab Dezember 2021 einen Betriebsrat der Flink SE, also eine Mitbestimmungsstruktur auf oberster Ebene.2.1 Die Flink SE ist eine Art Holding, welche die zahlreichen GmbHs in diversen Städten lenken soll. Der präventive Flink SE-Betriebsrat, soll einem Gesamtbetriebsrat (GBR) zuvor kommen. Dieser kann bundesweit gegründet werden, sobald sich mindestens drei lokale Betriebsräte zusammen schließen.

Man lernt bei der Konkurrenz also aus den Erfahrungen mit Arbeiterunruhe, wilden Streiks und BR-Gründung bei Gorillas und Getir. Jetzt werden die Pseudo-Betriebsräte (Ops Committees) in Berlin umgewandelt in gelbe Wahllisten, die die Betriebsratswahl bei Flink am Ende gewinnen sollen. Frei nach dem Motto des Kölner Oberbürgermeisters und späteren Bundeskanzlers Konrad Adenauers, der so bereits die Arbeiter- und Soldatenräte in der Novemberrevolution 1918 bekämpfte: Was ich nicht verhindern kann, das muss ich kontrollieren.

Hierbei bewegt Flink sich durchaus in einer strafrechtlich relevanten wie brisanten Grauzone. Denn die Beeinflussung von Betriebsratswahlen steht laut §119 BetrVG unter Strafe. Ebenso ist die „Gegnerfreiheit“ für Gewerkschaften oder ähnliche Gebilde vorgeschrieben. D.h. sie müssen als Interessenvertretung unabhängig sein und dürfen nicht von der Gegenseite finanziert werden. Betriebsräte, die nach Art von Flink vom Management protegiert, installiert und infiltriert werden, sind demnach korrupte Gebilde.

Totschläger in Nadelstreifen: Juristisches Sperrfeuer durch Pusch Wahlig

Vor Gericht mussten die unabhängigen Flink-BR-Initiator*innen des Flink Workers Collective (FWC) bereits eine schmerzhafte Schlappe hinnehmen, die Fragen zum Zustand der Gerichtsbarkeit aufwirft. Das Arbeitsgericht Berlin urteilte am 26.8.2022, dass das Flink-Management den Wahl-Initiator*innen keine Wählerliste heraus geben müsste (41 BVGa 7430/22). Das Flink-Management hatte die Herausgabe der Wählerliste zuvor ausdrücklich verweigert. Der Anwalt des FWC, Martin Bechert, versuchte per einstweiliger Verfügung an diese grundlegenden Daten zu kommen. Flink hielt mit Tobias Pusch (Kanzlei Pusch Wahlig) dagegen.

Die 41. Kammer des Arbeitsgerichts Berlins unter dem Vorsitzenden Richter Dr. Streicher fällte ein nach gesundem Menschenverstand und zahlreichen Erfahrungswerten unverständliches bis absurdes Urteil zu Gunsten des Flink-Managements. Sein Urteil würde, wenn es vor dem Landesarbeitsgericht Berlin Bestand haben sollte, allen zukünftigen Betriebsratsgründungen den Boden unter den Füßen weg ziehen und dem Rechtsnihilismus (legal, illegal, scheißegal) Tür und Tor öffnen.

Ohne gültige Wählerliste, also der Liste der aktuell bei Flink beschäftigten wahlberechtigten Fahrer und Lager-Arbeiter*innen, können die einladenden BR-Gründer*innen bei der Wahl-Versammlung keine ernsthafte Kontrolle der Anwesenden durchführen. Das Arbeitsgericht Berlin hat somit Chaos und womöglich monatelangen Rechtsstreitigkeiten Tür und Tor geöffnet — und sorgt durch dieses Fehl-Urteil nebenbei für weitere Überlastung seiner eigenen Kapazitäten durch vorprogrammierte Verfahren, die so nervtötende wie überflüssig werden dürften. (Schon jetzt sind die Wartezeiten auf Kammertermine vor dem Arbeitsgericht Berlin absurd lang. Meist spielt die Wartezeit der Zermürbungstaktik des Managements in die Hände. Beschäftigte geben auf, weil sie sich andere Jobs suchen müssen.) Hätte das Urteil der 41. Kammer vor der nächsten Instanz, dem Landesarbeitsgericht, bestand, würde es eine unverzügliche Gesetzesänderung erfordern…

Und der einstige Platzhirsch Lieferando?

Wahlkommitee beklagt Beeinflussung und Behinderung der Betriebsratswahl

Die gute Nachricht: Das Lieferando Workers Collective (LWC) konnte die Wahl beim größten Lieferbetrieb Deutschlands in Berlin für sich gewinnen — gegen Blockade, juristisches Sperrfeuer der Mutterfirma Just Eat Takeaway, deren Deutschland-Zentrale ebenfalls in Berlin sitzt.

Lieferando hat in Berlin rund 1.400 Riders, der Betriebsrat umfasst somit 17 Personen. Das LWC, welches der Freien Arbeiter*innen Union (FAU) und dem Gorillas Workers Collective nahe steht, konnte 11 Sitze erringen. Eine Liste der DGB-Gewerkschaft Nahrung Gaststätten Genuss (NGG) namens „Drivers and Riders Unite!“, die sich recht kurzfristig teils durch Abspaltung konstituiert hatte, konnte mit 6 Sitzen einen respektablen zweiten Platz erringen.

Das Lieferando-Management verzichtete — im Gegensatz zu Flink (siehe oben) —  darauf, eine ferngesteuerte gelbe Liste an den Start zu bringen.

Eine Quote von 199 gültigen Stimmen bei 1.400 wahlberechtigen Beschäftigten mag gering erscheinen, ist angesichts der Umstände allerdings durchaus respektabel. Konjunktur- und saisonbedingt hatte Lieferando seine aktive Flotte in den vergangenen Monaten stark geschrumpft. Zeitweilig waren die orangefarbenen Zusteller, die vor zwei Jahren noch das Monopol inne hatten, im Berliner Straßenbild selten geworden wie eine vom Aussterben bedrohte Tierart. Das Wahlvolk war im Sommer 2022 äußerst schwer zu erreichen, zumal das Management aus innerer Opposition die Wahl nicht bewarb, die Fahrer (bis auf eine Ausnahme) keine gemeinsame Betriebsstätte oder gemeinsame Startpunkte hatten, an denen sie anzutreffen wären. Generell ist die Branche von hoher Fluktuation und geringen Kenntnissen der deutschen Sprache wie deutscher Arbeitsrechte und Betriebsverfassung geprägt.

Auch wenn Lieferando auf Hardcore-Maßnahmen verzichtete, beklagt der Wahlvorstand auch hier Union Busting durch das Management. Das Gremium hält fest:

„Der Wahlvorstand wurde in seiner Arbeit wiederholt durch den Arbeitgeber behindert: Zum Beispiel durch unzureichende Büroräume, Bereitstellung von fehlerhaften Mitarbeiter*innenlisten und Druck auf Mitglieder des Wahlvorstands unter anderem durch fehlendes Gehalt (Lohnklau) oder ausbleibende Rückzahlungen von Wahlkosten und vieles mehr.

Auch war es dem Wahlvorstand monatelang nicht einmal möglich die Arbeiter*innen zu kontaktieren, da Lieferando keine Kommunikationsmittel zur Verfügung stellte. Diese Zeit nutzte der Arbeitgeber um ihrerseits E-Mails über die bevorstehende Wahl zu versenden und interessierte Arbeiter*innen aufforderte sich beim Arbeitgeber zu melden, statt den Wahlvorstand zu kontaktieren.“ 3

Die Aktion gegen Arbeitsunrecht gratuliert dem Betriebsrat von Lieferando Berlin und wünscht ihm viel Erfolg beim Kampf um konkrete Verbesserungen der Arbeitsbedingungen. Dem Flink Workers Collective drücken wir die Daumen, auf dass es Schritt eins der Betriebsratsgründung in Berlin meistert: Die Gründung eines Wahlvorstands ohne Management-Büttel und leitende Angestellte.


Anmerkungen + Quellen:

1 Der Berliner Wahlvorstand für die Betriebsratswahl wird am 5. September 2022, 12:00 Uhr gewählt. Ort: Zemin, Urbanstraße 3, 10961 Berlin-Kreuzberg. Quelle: https://flinkworkers.wordpress.com/2022/07/18/verschoben-wahl-eines-wahlvorstands-fur-flink-betriebsrat-berlin-am-5-sept-2022-in-english/

2 Andere Vertretungsorgane (AVO) werden nicht auf Basis geltenden Rechts gebildet (Betriebsverfassungsgesetz), sondern durch unterschiedliche Vereinbarungen oder Vorgaben der Unternehmensleitung. Sie haben keine verbrieften und einklagbaren Rechte. Ihre Zusammensetzung ist intransparent und willkürlich. Sie sind auf Konses und Wohlwollen des Managements angewiesen und behandeln meist keine heißen Eisen wie Eingruppierung, Überstunden, Kündigungen. Sie sind nicht unabhängig und daher von vorneherin nicht in der Lage, Druck auf die Unternehmensleitung auszuüben. Mehr dazu: Rügemer / Wigand: Die Fertigmacher. Arbeitsunrecht und Union Busting in Deutschland, papyrossa 2017. Seite 160 f. (siehe Webshop)

3 Wahlvorstand der Beschäftigten der Takeaway Express GmbH Berlin: Pressemitteilung: Lieferando Arbeiter*innen wählen ihren ersten Betriebsrat in Berlin trotz UnionBusting durchs Management, 11.8.2022.


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